Читать книгу Wende auf Russisch - Michael Blaschke - Страница 14

Оглавление

13.

Nikolai Volkov war entschlossen, seinen sechzigsten Geburtstag gebührend zu feiern. Der Winter war verschwunden und der Sommer zeigte sich von seiner besten Seite. Er hatte Anweisung gegeben, alles im Garten zu organisieren. Tische, Stühle, Sonnenschirme und ein Bierausschank einer russischen Brauerei, ja, eine Kapelle spielte russische Weisen und sorgte für die nötige Stimmung. Auch für das leibliche Wohl war gesorgt, vom Grill bis zur Eisbombe. Volkov zeigte sich von seiner spendablen Seite, wie es in Russland üblich war.

Er hatte viele Leute aus seinem früheren Berufsleben eingeladen. Kollegen aus Partei und Gewerkschaft. Es war eine gewisse Selbstdarstellung, das war nicht zu übersehen. Dass er auch Missgunst und Neid hervorrufen könnte, daran dachte er nicht. Eine Fete für arme Schlucker wollte er ja nicht feiern. Es wurde über die schlechte Versorgungslage im Land diskutiert, über die beschämende Armut, besonders bei den Alten und über den Ausverkauf der Sowjetunion. Der Alkohol floss in Strömen, es wurde gefeiert und keiner wollte mehr über Politik reden.

Nicht lange und die ersten Gäste bekamen sich in die Wolle oder lagen besoffen herum. Olga Volkov, die Tochter, war bemüht, das Fest nicht ausufern zu lassen. Schon als Kind hatte sie Angst vor den alkoholischen Exzessen und sie erinnerte sich, dass ihr trinkfester Papa seine Gäste, wenn sie aus der Rolle fielen, zum Teufel jagte. Jetzt konnte ihr Vater das nicht mehr, die Mutter war schon unauffällig verschwunden, der Rummel war ihr zu viel.

Olga konnte nicht verstehen, was sich der Vater von derartigen Festivitäten versprach. Den gemeinsamen Arbeitsplatz gab es nicht mehr. Jeder war mit sich beschäftigt und musste sehen, wie er mit der neuen Freiheit zu Recht kam. Durchfressen, saufen und noch Ärger machen, das konnte es nicht sein. Die letzten Gäste gingen, als sich ein neuer Tag bemerkbar machte.

Nikolai frühstückte mit seiner Familie, als er einen Anruf bekam. Grigori Moskwin meldete sich mit einer vernichtenden Nachricht.

„Nikolai, ich stehe hier in Sutza an der Grenze und muss feststellen, die Tieflader samt Baufahrzeugen sind verschwunden.

„Grigori Moskwin, bei deiner Mutter, was redest du für einen Schwachsinn. Willst du mir erzählen, dass die Fahrzeuge gestohlen wurden?“

„Nikolai, glaub mir, die Wagen sind weg. Ich habe den örtlichen Polizeiposten gefragt, ob er etwas Auffälliges bemerkt hat. Man hat mir gesagt, dass Fahrzeuge, auch Schützenpanzer der Grenztruppen, hin und wieder des Nachts durch den Ort fahren. Schwere Zivilwagen würden da nicht auffallen.“

„Grigori, ich erwarte dich noch heute“, sagte Volkov und legte auf.

Hundertfünfzigtausend DM hatte er für die Baufahrzeuge ausgegeben und nun so ein Reinfall. An Diebstahl glaubte er nicht. Hier in Russland war alles möglich, doch als eingefleischter Apparatschik dachte er gleich an Konkurenten, die ihm das Wasser abgraben wollen. Im Moment konnte er nichts unternehmen. Es war vernünftiger, die Auskunft Moskwins abzuwarten.

Volkov hatte Teile der Instandsetzungsbetriebe der Staatsbahn in Kursk weit unter dem tatsächlichen Wert gekauft, mit zinsgünstigen Krediten der russischen Staatsbank. Die Filetstücke hatten die Wirtschaftsnomenklatura und die Nomenklatura aus Politik, Partei und Bürokratie unter sich aufgeteilt. Die jahrelang besonders Regimetreuen bereicherten sich auf parasitäre Weise. Volkov gehörte zwar nicht zu den Großen und doch hatte er Teile eines Ganzen erworben, was nicht zerschlagen werden durfte. Volkov hatte nur das gekauft, was noch rentabel war. Die Bahn sollte privatisiert werden, mit allem, was dazu gehörte. Volkov sorgte dafür, dass nicht alle seine Beschäftigten entlassen werden mussten. Im Bausektor sah er für die Zukunft eine gute, gewinnbringende Möglichkeit, aber auch der gehörte zur Staatsbahn. Er sollte aus dem Geschäft gedrängt werden, daran bestand kein Zweifel. Sie waren alle Galgenvögel, durch die Bank! Sie hatten immer gut gelebt und waren für ihr politisches Geschwätz noch belohnt worden. Sie hatten sich aus dem Trümmerhaufen des wirtschaftlichen Imperiums die wertvollen und brauchbaren Teile in die Taschen gesteckt und wie Diebe in der Nacht davon geschlichen. Keine Selbstkritik, kein Bedauern, es ging nur darum, das sinkende Schiff zu verlassen. Was aus den Anderen wurde, interessierte diese Ratten nicht. Nikolai Volkov dachte so und vergaß, dass er auch dazu gehörte. Diese Gauner hatten doch immer eine passende Rechtfertigung.

Volkov wartete, bis er von Grigori Moskwin Näheres hörte.

Am späten Nachmittag kam Moskwin, der nichts Neues zu berichten wusste.

„Ich will was hören“, sagte Volkov.

„Tut mir leid, ich hatte einen zuverlässigen, jungen Mann nach Sutza beordert, der mich mit meinem Wagen an der Grenze abholen sollte. Da meine Schwester in Kiew wohnt, nutzte ich die Gelegenheit, um sie zu besuchen. Dass die Grenze nachts gesperrt ist, wusste ich nicht. Der Transport muss es wohl noch geschafft haben. Ich nehme an, der junge Mann hat keine Transporter gefunden und ist vermutlich nach Hause gefahren. Mir blieb nichts anderes übrig, als mit dem Bus nach Kursk zu fahren.“

„Hast du mit der Spedition gesprochen? Was ist mit den Fahrern passiert? Das widerspricht sich alles.“

Volkov wurde böse.

„Was ist das für ein junger Mann, von dem ich nichts weiß? Wo sind die Zoll- und Transportpapiere?“

„Ich weiß es nicht“, sagte Moskwin, der bedröppelt vor Volkov stand.

Den Rabitschew hatte er noch nicht getroffen und er glaubte auch nicht, dass der etwas Wichtiges zu sagen hätte.

„Du gehst zur Polizei und meldest in meinem Namen den Diebstahl. Dann setzt du dich mit der Spedition in Verbindung. Vielleicht erfährst du da etwas.“

„Erst muss ich mein Auto holen“, bemerkte Moskwin.

„Das interessiert mich nicht, mach was ich dir gesagt habe, ich erwarte deinen Anruf.“

Moskwin merkte, es war wohl besser zu verschwinden.

Nikolai Volkov wusste, an wen er sich halten musste. Dem Oleg Morosow wollte er einen Besuch abstatten. Der alte KGB Chef war immer eine lohnende Anlaufstelle. Volkov hatte Glück, der Alte hielt sich in seiner Stadtwohnung auf. Das war selten, denn meist lebte er im Sommer auf seiner Datscha. Die Wohnung erinnerte Nikolai an die Zeit, als er in einer ähnlichen Behausung lebte. Eine typische Dienstwohnung, abgenutztes, jahrzehnte altes Mobiliar, auch die Sanitäranlagen. Sie galten einst als komfortabel und waren heute Bruchbuden. Er erinnerte sich selbst an den Geruch der alten Möbel.

Oleg Morosow empfing seinen Besuch locker und bequem im bunten Hausrock und Pantoffeln. Es überraschte ihn nicht, dass Volkov ihn aufsuchte, gab es doch gewisse Seelenverwandtschaften, um Seilschaften zu pflegen, in diesen unsicheren Zeiten, Privilegien zu behalten und letztlich sein Vermögen zu mehren.

Sie saßen im Wohnzimmer und die alte Wirtschafterin hatte Kaffee gebracht. Oleg wusste sehr wohl, was Volkov von ihm wollte. Er war entschlossen, ihn abzuwimmeln.

„Oleg, wer hat meine Baufahrzeuge gestohlen? Was wird hier gespielt? Wer will mir das Wasser abgraben? Wir kennen uns seit Jahren. Wir waren doch immer bemüht, dem anderen nicht auf die Füße zu treten. Ich habe die maroden Betriebe übernommen, will investieren und sichere Arbeitsplätze schaffen und mit meinem Geld etwas für die Allgemeinheit tun.“

Morosow unterbrach ihn: „Ich weiß nicht, wer dich bestohlen hat, ich weiß auch nicht, wer dir das Wasser abgraben will. Das Wohl der Allgemeinheit, das dir schlaflose Nächte bereitet, da weiß ich sehr wohl, dass du vor Wochen zwei Millionen Dollar außer Landes geschafft hast. Eine hübsche Summe, die hätten die Arbeiter in deinem Betrieb gern als Investition gesehen. Also, erzähle mir nichts von Dingen, die mit dir nichts zu tun haben.“

„Was ich gemacht habe, war kein illegaler Transfer“, sagte Volkov.

„Hast du die Summe versteuert? Hast du? Du hast natürlich nicht“, erwiderte Morosow.

„Was glaubst du denn, wie Teile der staatlichen Betriebe privatisiert worden sind“, meinte Volkov.“ Es gibt mehr Milliadäre in Russland, als vergleichsweise im hochkapitalistischen Amerika. Wie ist das möglich, Genosse Oberst?“, fragte Volkov und er merkte, wie die nackte Wut ihn beherrschte.

„Hier geht es nicht um mein Vermögen, hier geht es eindeutig darum, mich aus dem Geschäft zu drängen.“

Nun war Morosow der Meinung, Klartext reden zu müssen.

„Niemand will dir Schwierigkeiten machen. Das Ministerium will die Staatsbahn in eine Aktiengesellschaft umwandeln. Das geht natürlich nur, wenn alles vorhanden ist, was zur Bahn gehört.“

„Hat man das nicht früher gewusst?“, polterte Volkov.

„Nikolai, wer kann in diesen unsicheren Zeiten vorher sagen, was in einem halben Jahr geschieht“, sagte Morosow in versöhnlichem Ton. Er ging zum Schrank, holte eine Kiste kubanischer Zigarren und bot Volkov eine an. Sie qualmten still vor sich hin, der Dampf verteilte sich an der Zimmerdecke.

„Ich mach dir einen praktikablen Vorschlag. Du verkaufst deinen Besitz an die Staatsbahn und mit dem Erlös baust du dir etwas Neues auf.“

„Das ist ja alles so einfach“, erwiderte Volkov mit spöttischem Unterton. „Was ist mit der Belegschaft?“, fragte er weiter.

„Da kann ich dich beruhigen, die Leute werden übernommen,“ sagte Morosow und war bemüht, die Asche der Zigarre im Aschenbecher sicher unterzubringen.

Die alte Wirtschafterin hatte Feierabend und ging nach Hause. Volkov überlegte krampfhaft, wie er ohne großen Schaden aus der Sache heraus kommen könnte. Es war ihm klar, dass Widerstand nichts brachte. Einen Kampf gegen den FSB, den zukünftigen Bossen der Staatsbahn, konnte er nur verlieren. Die Justiz war nicht weniger korrupt, als die Gesellschaft. Er konnte niemandem trauen, schon gar nicht in diesen Zeiten. Volkov kannte die verschlungenen Pfade der Bürokratie, diesen Dschungel. Ohne Federn zu lassen, kam er da nicht durch. Ob es jemals Rechtssicherheit geben würde, wusste nur Gott und der hatte sich in diesem Land nicht mit Ruhm bekleckert.

Volkov wusste, wollte er weiter im Überfluss leben, musste er andere Wege gehen.

„Meine redlich erworbenen Fahrzeuge kann ich wohl abschreiben“, sagte Volkov und er schaute böse und misstrauisch zu Morosow. Der saß unbeeindruckt in seinem Ohrensessel, paffte genüsslich an seiner Zigarre und bestätigte durch Kopfnicken Volkovs Frage. Der erhob sich, er wollte mit diesem Menschen nicht unnötige Zeit verbringen. Jahrzehntelange, geheime, brutale Polizeiarbeit machte aus jedem Menschen einen charakterlosen Kotzbrocken.

Morosow blieb sitzen. Warum sollte er diesen Volkov zur Tür bringen? Betrübt schaute er auf den Rest der teuren Havanna, die im Aschenbecher kalt wurde. Er griff zum Telefon, besprach sich mit einigen Leuten aus dem Herrenclub und alle waren zufrieden.

Volkov fuhr nach Hause. Er fühlte sich leer und ausgebrannt. Als er in seinem Garten stand, fragte er sich, wie lange er und seine Familie das schöne Anwesen wohl noch ihr eigen nennen durften. Sie werden mich fertig machen und wenn ich nicht aufpasse, lande ich in einem Straflager, irgendwo in der Weite Russlands, dachte er, als er das Haus betrat.

Wende auf Russisch

Подняться наверх