Читать книгу Wende auf Russisch - Michael Blaschke - Страница 8
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Werner Gruber saß in seinem Immobilienbüro und wartete auf den Anruf seines Bruders, der als Rechtsanwalt eine moderne Kanzlei eröffnet hatte. Die Brüder hatten sich in Berlin eine wirtschaftliche Basis geschaffen. Die Wende hatte so manchen Geschäftsmann in die Hauptstadt geführt. Das galt auch für Glücksritter und andere zweifelhafte Figuren. Der Anfang war für beide nicht einfach und es war selbstverständlich, dass sie sich unterstützten. Werner brauchte mal wieder den juristischen Rat von Eugen. Bei allem Optimismus liefen die Geschäfte nicht so, wie Werner sich das wünschte. Es war ein riesiger Markt für Dienstleistungen entstanden, dazu gehörte auch die Immobilienbranche. Eugen verfügte als Jurist über gute Beziehungen und konnte ihm das eine oder andere Filetstück vermitteln. Auf Dauer reichte das aber nicht. Trotz seiner Bemühungen war Werner auf die Vermittlung von billigen Mietwohnungen angewiesen. Die Preise für attraktiven Wohnraum waren in astronomische Höhen gestiegen. Die einfachen kleinen Leute blieben auf der Strecke. Für diese Menschen gab es nur den billigen Wohnraum, meist weit draußen am Stadtrand.
Werner konnte mit den Objekten keinen Reichtum erwirtschaften. Seine Sekretärin musste er wieder entlassen. Sie war blond, Mitte zwanzig, eine tüchtige Kraft und hübsch dazu. Sie war geschieden und hatte eine kleine Tochter. Er würde sie wieder einstellen, sobald die Geschäfte besser liefen.
Das Telefon klingelte und Werner nahm sofort ab.
„Entschuldige, es hat etwas länger gedauert“, sagte sein Bruder am anderen Ende der Leitung.
„Sicher, sicher, kein Problem“, meinte Werner, „ich wollte heute Abend bei dir vorbeischauen, hast du etwas Zeit für mich?“
„Um was geht es denn?“, fragte Eugen.
„Das kann ich dir am Telefon nicht sagen, laß dich überraschen.“
Nachdenklich legte Eugen den Hörer auf. Er wusste, dass sein Bruder einfach nicht auf die wirtschaftlichen Beine kam. Die lukrativsten Objekte hatten andere längst vermittelt. Eugen machte sich Sorgen. Er sah, dass Werner trotz seiner Hilfe nicht den Sprung nach vorne schaffte. Aus seiner Arbeit als Anwalt kannte er die Ellbogenmentalität mancher Zeitgenossen. Es wurde am Rand der Legalität operiert, um mögliche Konkurenten aus dem Weg zu schaffen. Es war Büroschluss, seine Damen waren bereits gegangen.
Er nahm seine Tasche, verschloss die Tür, ging zur Tiefgarage und fuhr nach Hause. Er kam zügig voran, es gab kaum noch Verkehr. Seine Wohnung war in einem Objekt mit mehreren Wohneinheiten, modernisiert, in gehobener Ausstattung und ganz nach seinen Vorstellungen eingerichtet. Eugen Gruber hatte es geschafft. Aus dem großen, grobschlächtigen, jungen Mann, der sich gar nicht mochte, war eine selbstbewusste Persönlichkeit geworden. Ihm fehlte nur noch die passende Frau. Eine Putzfrau und Haushaltshilfe sorgten für einen reibungslosen Haushalt. Im Haus fand er alles so vor, wie er es gewohnt war. Es war ein milder Sommerabend, er setzte sich auf den Balkon und wartete auf seinen Bruder. Er musste nicht lange warten. Nach kurzer Begrüßung setzten sie sich ins Wohnzimmer und Werner besprach mit seinem Bruder seine wirtschaftliche Situation. Gegensätzlicher konnten Brüder nicht sein. Einer groß und gewichtig, der andere klein und schmächtig.
„Eugen, meine Lage ist mehr, als prekär. Ich habe schon daran gedacht, meine Selbstständigkeit aufzugeben. Ich versuche preisgünstigen Wohnraum zu vermitteln, der Bedarf ist da, ich muss aber auch den Eigentümern und ihren Vorstellungen gerecht werden. Die meisten verlangen zwei Monatsmieten im Voraus, da sind meine Forderungen noch nicht dabei. Das können viele nicht und kommen so erst gar nicht in den Kreis der Glücklichen. Ich werde angebettelt die Courtage in Raten abzuzahlen.“
„Hast du mal daran gedacht, Kosten einzusparen?“, fragte Eugen.
„Die Frage kannst du dir sparen. Ich kann nichts mehr sparen und das weißt du auch. Mein ganzes Erbteil von Mutter steckt im Büro. Die Miete für meine Wohnung hat die Bank noch einmal überwiesen, wie es mit dem Büro aussieht, weiß ich nicht.“
Die Verbitterung auf Werners Gesicht war deutlich zu sehen.
„Gestern wurde ich aufgefordert, mein Minus auf dem Privatkonto auszugleichen. Es war der Wink mit dem Zaunpfahl. Ganz gegen meine Gewohnheit bin ich in die nächste Kneipe gegangen, um auf andere Gedanken zu kommen. Nach ein paar Bieren sprach mich ein Mann mit slawischem Akzent an. Ich dachte an einen russischen Zeitgenossen, was er mir auch bestätigte. Wir sprachen über Gott und die Welt. Irgendwann reichte er mir seine Visitenkarte und bat mich um einen Termin. Er will nächsten Dienstag in mein Büro kommen, um mir ein Immobiliengeschäft vorzuschlagen. Auf Einzelheiten ging er nicht ein. Er versicherte mir, in Punkto Konditionen würde ich das große Los ziehen.“
Werner reichte seinem Bruder die Visitenkarte. A. Wasilewski stand auf dem Kärtchen und darunter ´Finanzmanager´. Eugen sah sich die Karte lange an, gab sie Werner zurück, überlegte lange und sagte: „Seit wann werden Geschäftsbeziehungen in einer Kneipe geknüpft und woher wusste der Typ, dass du mit Immobilien zu tun hast? Ich rate dir zur Vorsicht. Ich weiß aus meiner praktischen Erfahrung als Rechtsanwalt, dass die Russen, von Geldgier getrieben, in Finanzkreise einbrechen, durch windige Transaktionen die schnelle Mark machen wollen und andere um ihr Vermögen bringen. Dann setzen sie sich nach Russland ab. Der Staatsanwaltschaft fehlt der Durchblick bei diesen Wirtschaftsverbrechen, die Emittlungen führen zu nichts und die Verfahren werden eingestellt.“
„Ja, und was soll ich tun?“, fragte Werner. Er sah seinen Bruder fragend an.
„Wir machen folgendes“, sagte Eugen, „wenn dieser Russe bei dir ist, um mit dir ins Geschäft zu kommen, werde ich dazu kommen. Ich mache ihm klar, dass ich auch an guten Geschäften interessiert bin. Er kann nur ja oder nein sagen. Ich lege meinen Beruf als Jurist in die Waagschale, dann werden wir sehen, wie er sich verhält.“
Es war dunkel geworden. Werner und Eugen standen auf dem Balkon und sahen in ein Lichtermeer. Hier, in der obersten Etage, kam der Lärm der Großstadt nur als nie endendes, leises Wimmern an. Beide nahmen den grandiosen Anblick wortlos wahr.