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‚Stiftungen für die Gottesnähe‘ im Islam

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Es ist etwas mehr als dreißig Jahre her, dass der amerikanische Philosoph und Religionswissenschaftler William R. Jones die frommen Stiftungen im mittelalterlichen Christentum scharf von denen im Islam abgrenzte. Beide kennten zwar religiöse, karitative und erzieherische Zwecke; während aber die christlichen Stiftungen Gebete und Messen zugunsten lebender und verstorbener Wohltäter in den Vordergrund rückten, sei der muslimische waqf ausdrücklich diesseitig orientiert gewesen und habe die „moralische Neigung“ des Islam zur Umformung der Gesellschaft nach den Normen des Korans und des geheiligten Gesetzes zum Ziel gehabt.309 Die sakramentale Ausrichtung der Christen habe auf der Institution der Kirche beruht, die durch ihren Klerus bei Gott zugunsten der Stifter intervenieren konnte. Die Muslime, die einer solchen Organisation entbehrten, hätten sich hingegen ihrer persönlichen Verantwortung für die moralische Ordnung der Welt stellen müssen. Zu einem anderen Ergebnis als Jones gelangten jüngere vergleichende Studien. Nach Untersuchung muslimischer ‚öffentlicher Stiftungen‘ in Jerusalem urteilte Johannes Pahlitzsch, dass diese mindestens vom 12. Jahrhundert bis in osmanische Zeit (16. Jh.) dazu gedient haben, das eigene Seelenheil zu fördern. Das christliche System von Stiftungen erleichtere deshalb das Verständnis des waqf.310 Und der israelische Islamwissenschaftler Yaacov Lev resümierte die Ergebnisse seiner umfassenden Abhandlung über muslimische Stiftungen des Mittelalters im Jahr 2005, es habe eine gemeinsame Tendenz aller drei monotheistischen Religionen gegeben, nämlich „die Suche nach persönlichem Heil durch die Gabe und der Wunsch, die Begünstigten der Caritas zum Gebet für das Heil der Wohltäter zu verpflichten (…). Der Wille, Gott nahe zu sein und das Heil zu erwerben, symbolisierten die tiefste Bedeutung der mittelalterlichen frommen Wohltätigkeit.“311

Um den widersprüchlichen Urteilen gerecht zu werden, empfiehlt sich ein Rückblick auf vor- und frühislamische Jenseitsvorstellungen. Aus der Wende zum 7. Jahrhundert u. Z., also der Lebenszeit des ‚Propheten‘, bieten dazu vor allem Gedichtfragmente Erhellendes. Nach Analyse der Fachleute tritt uns in ihnen ein dem Diesseits verhafteter Mensch entgegen, der sich vom Tod als sinnlosem und unbegreiflichem Ereignis abgewandt hat und den Dingen dieser Welt widmet.312 Die altarabische Poesie schildere vornehmlich Kampfkraft und Edelmut der Helden mit der Verspottung ihrer Gegner, die Auseinandersetzung mit der Natur, auch auf Reisen, sowie Abenteuer der Liebe. Unter dem Einfluss von Christen, Juden und Zoroastriern, denen die arabischen Händler und Pilger etwa beim heidnischen Heiligtum der Kaaba in Mekka oder in Syrien, Äthiopien, Iran und im Jemen begegnen konnten und die auf ihrer Halbinsel auch Gemeinden gebildet und Herrschaften geprägt hatten, dürften ihre Lehren vom Schöpfergott, von der Auferstehung der Menschen und ihres Seins bei Gott schon Verbreitung gefunden haben.313 Was Mohammed dann über das Endgericht des Schöpfers geoffenbart worden war, fasst eine der ältesten Suren (99, 6–8) in folgende Worte: „(…) An jenem Tag werden die Menschen getrennt hervorkommen, damit sie ihre Taten zu sehen bekommen. /Wer Gutes tat, vom Gewichte eines Stäubchens, wird es sehen,/Und wer Böses tat, vom Gewichte eines Stäubchens, wird es sehen.“314

Tatsächlich erwiesen sich die Araber aber erst als zu verstockt, um die Lehre von Auferstehung und Individualgericht anzunehmen. Ein anderer Passus des Koran berichtet: „[U]nd [sie] sprechen: ‚Das ist doch nichts als klarer Zauber!/Können wir denn, wenn wir gestorben und zu Staub und Gebein geworden sind, wieder auferweckt werden?/Und auch unsere Vorväter?‘“ (Sure 37, 15–17).315 Diese naturalistische Skepsis traf auf die wieder und wieder von Mohammed formulierte Verheißung, dass der Ungläubige am Tag des Gerichts ins Feuer der Hölle gestoßen werde, während dem Gottesfürchtigen seine guten Taten mit den Freuden des Paradieses vergolten würden. Jedermann hafte am Ende für sein Tun auf der Erde. Die Lehre, dass es Verdienst und Eigenleistung der Menschen seien, die ihr Schicksal im Jenseits bestimmten, vertraten im 7. Jahrhundert dann besonders die sogenannten Hāriğiten, doch war im Koran auch schon die Idee angeklungen, dass göttliche Gnade (allein) die Aufnahme ins Paradies bewirken könne.316 Dieser Gedanke bot offenkundig den Ansatzpunkt für spätere Lehren über Interventionsmöglichkeiten zugunsten der Verstorbenen. Bei den Schiiten sollte diese Rolle neben Mohammed selbst den aus seiner Verwandtschaft hervorgegangenen Imamen zufallen; wer ihnen Gefolgschaft erwiesen hatte, konnte auf ihre Fürsprache bei Gott für den Einzug ins Paradies hoffen. Die Sunniten weisen die gleiche Macht neben Mohammed auch dessen treuesten Gefährten zu. Der Theologe al-Aš’arī (gest. 935) formulierte Lehrsätze, denen bis heute im sunnitischen Islam eine im Kern dogmatische Bedeutung zugeschrieben wird: „[Die Sunniten] bekennen, dass Gott dem Gläubigen hilft, ihm zu gehorchen, aber sich von den Ungläubigen zurückzieht, den Gläubigen gnädig ist, (…) aber den Ungläubigen nicht (…). Sie bekennen sich ferner zur Fürbitte des Propheten sowie dazu, dass sie sich (auch) auf diejenigen aus seiner Gemeinde erstreckt, die schwere Sünden begangen haben; ferner [bekennen sie sich] zur Grabesstrafe und dazu, dass der Teich [im Paradies] Wahrheit ist und die Brücke Wahrheit ist und die Auferweckung nach dem Tode Wahrheit ist und die Abrechnung Gottes mit den Menschen Wahrheit ist und das Stehen vor Gott [am Jüngsten Tag] Wahrheit ist.“317

Über den Weg des Menschen oder seiner Seele zwischen Tod und Endgericht ist der Koran wenig beredt; die göttlichen Offenbarungen in der Überlieferung Mohammeds sind ganz auf Paradies und Hölle fixiert, während sonst in muslimischen Texten die Phantasie der Autoren beim Grab und bei der Grabesexistenz endet. Die Zwischenzeit mit ihrer potentiellen Intervention der Nachlebenden, die ein Stiftungswerk realisieren, bleibt meist nebulös. Selbst die Seele scheint nicht klar erfasst worden zu sein; schon nach vorislamischer Dichtung stand nach der Meinung moderner Wissenschaftler der Begriff nafs für das individuelle Selbst in einem reflexiven Sinn, während rūḥ den „Geist“ im allgemeinen Sinn bezeichne, ohne sich auf die einzelmenschliche Seele zu beziehen.318 Andere Historiker unterscheiden anders.319 Dazu kommt, dass im orthodoxen Islam der Streit um die Unsterblichkeit der Seele weniger engagiert geführt wurde als die Diskussion um die Auferstehung des Leibes.320

Beim Tod des Menschen, so deuten wenigstens die Suren an, entweicht die Seele dem Körper durch die Kehle und gelangt in die Hände von Engeln. Ausgestaltende Erzählungen stellen den Kampf verschiedener dieser Wesen um die Seele dar, der sich auf die Listen guter und schlechter Taten des Verstorbenen stützen konnte.321 In Sure 23, 100 ist immerhin noch von einer Schranke hinter den Verstorbenen die Rede, die jede Rückkehr ins irdische Leben, also zum Beispiel auch die Wiedergeburt, verhindert; sie soll halten „bis zum Tag, da sie auferweckt werden“.322 Das Trennende wird mit einem persischen Lehnwort al-barzaḫ genannt und gewinnt in der Erzählung der Autoren eine Qualität als Periode zwischen Diesseits und Jenseits. Über Jahrhunderte entwickelte sich, auch unter Rückgriff auf wenige dem Propheten zugeschriebene Äußerungen (ḥadīte), eine Literatur über das ‚Grabesleben‘.323

Als erstes zusammenfassendes Werk dazu gilt das ‚Seelenbuch‘ (‚Kitāb ar-Rūḥ‘) des syrischen Rechts- und Traditionsgelehrten Ibn Qaiyim al-Ğauzīya (gest. 1291). Für diesen besaß das Interim im Grab eine selbstständige Qualität neben Diesseits und Jenseits.324 Zwar werde die Seele (rūḥ) nach al-Ğauzīyas Lehre dem Verstorbenen unmittelbar nach dem Verscheiden vom Todesengel durch den Hals entwunden und auf eine Himmels- und Höllenvorschau entführt; aber sie werde dem Körper danach wieder angeheftet. Es handele sich dann nicht um eine immaterielle, sondern um eine feinstoffliche Seele, so dass jeder Tote die nun folgende peinliche Befragung und Bestrafung sinnlich erfuhr. Nach einer ersten Tatenbilanz werde der Tote mit der Frage nach seinem Glaubensbekenntnis konfrontiert. Nur die Märtyrer entgingen hierbei der Strafe, während die anderen je nach dem Grad ihrer Glaubensfestigkeit leiden müssten. Die Läuterung von der Sündhaftigkeit weise zwar auf die ewigen Strafen voraus, sei aber keine Vorentscheidung für das Endgericht. Die bestraften Seelen würden von ihren Leibern gelöst und harrten an verschiedenen Orten auf das Ende der Zeiten; die Seelen der Gläubigen erhielten als grüne Vögel ihren Platz auf Bäumen nahe dem Paradies, die der Ungläubigen als schwarze Vögel in der Nachbarschaft der Hölle. Die Grabesstrafen dauerten al-Ğauzīya zufolge zwischen sieben und vierzig Tagen an und hielten die Seele in der Umgebung des Grabes gefangen. In dieser Zeitspanne könnten die Verstorbenen noch mit ihren Hinterbliebenen kommunizieren, die ihnen durch Gebete und Koranrezitationen beistehen, aber auch im Traum begegnen mochten.

Die Geltung theologischer Diskurse wie bei al-Ğauzīya über Diesseits, Jenseits und Zwischenzustand der Verstorbenen für ein allgemeines Todesverständnis im Islam hat vor einiger Zeit Thomas Bauer mit beachtlichen Argumenten relativiert. Er wies darauf hin, dass die Vorstellungen von Paradies und Hölle im Unterschied zum Koran in der Gesamtheit des klassischen arabischen Schrifttums erstaunlich wenig präsent gewesen seien.325 Suche man die Todesdiskurse in anderen als den gelehrten Texten auf, dann zeige sich, dass das Grab die Menschen mehr beschäftigt habe als das Jenseits.326 Wie zwanzig Jahre zuvor ein Byzantinist327 machte auch der Islamwissenschaftler und Arabist den Versuch, mit einer mentalitätsgeschichtlichen (oder wissenssoziologischen) Fragestellung einen vorheilsgeschichtlichen Erfahrungs- und Erwartungsraum der größeren Population gegenüber dem Denken der Wissenschaft zu erschließen. Er testete die Validität seiner Skepsis an der Biographiensammlung des al-Qifṭī von 1235 u. Z. Zwar folge auch dieser dem Muster anderer Erzählungen, in denen Verstorbene den Nachlebenden in Träumen davon berichteten, Gott habe ihnen vergeben und sie seien im Paradies angelangt.328 Wenn aber von Dichtern und ihren Werken die Rede sei, erschienen die Traditionen des vorislamischen poetischen Todesdiskurses als ungemein vital. Bei den Trauerdichtungen (marṭiya) werde entgegen den Normen des Korans der Schmerz nicht gezügelt und mit dem Tod bei hemmungslosem Weinen gehadert. Die islamische Hoffnung auf ein Weiterleben im Jenseits spiele so gut wie gar keine Rolle zugunsten eines Nachlebens im Diesseits mit dem Ruhm unvergänglicher Leistungen. So zitiere al-Qifṭī einen Vers des Ibn Sīd al-Baṭalyawsī: „Der Wissende lebt, lebt ewig nach seinem Tod, während seine Gelenke unter der Erde vermodern.“329 Der mit Abstand wichtigste, immer wiederkehrende Trost der Trauerpoesie sei die Erkenntnis, dass alle Menschen sterben müssen; dies habe die arabische Poesie mit der gleichzeitigen christlich-mittelalterlichen gemein und stehe in scharfem Kontrast zur Wertung der Heutigen, die in der Allgemeinheit des Todesschicksals keinerlei Entlastung finden können.330

Sicher lassen sich die verschiedenen Diskurse nicht strikt separierten Menschengruppen zuordnen, sondern dürften sich im Denken und Handeln derselben Personen durchdrungen haben. Heidnische Traditionen emphatischer Diesseitigkeit behaupteten sich neben der Offenbarung des schaffenden und richtenden Gottes, der Höllenstrafen und der Paradiesesfreuden. Kein Zweifel besteht aber daran, dass auch im Islam die heilsbezogene Sorge für die Toten durch Gebet und Wohltätigkeit weitverbreitet war. Schon in zahlreichen Ḥadīten werden Verwandten und Freunden verschiedene Hinweise gegeben, wie sie dem Verstorbenen seinen Aufenthalt im Grab angenehmer machen könnten.331 Generell unterschieden wurden zwei Kategorien, nämlich das Weinen um die Toten und das Gebet beziehungsweise Almosengeben zu ihren Gunsten.332 Die gemeinten Gebete konnten nicht nur bei der Bestattung und am Grab selbst, sondern überall gesprochen werden. Wenn grundsätzlich argumentiert wurde, galt lautes Trauergeschrei als anstößig. Die Fürbitte, also die Gebetsintervention (du‘a’), konnte auch den Lebenden zugutekommen,333 galt aber vor allem als sehr hilfreich für die Verstorbenen.

Im volkstümlichen ‚Totenbuch des Islam‘ (‚Mohammedanische Eschatologie‘) wird der Weg des Verstorbenen vom Hinaustragen der Bahre aus seinem Haus bis zur Bestattung geschildert, wobei sich der Tote wiederholt hilfesuchend an die Anwesenden wendet: „,Sehet, ich überlasse alles, was ich angesammelt, meinen Erben, sie aber haben nichts von meinen Sünden zu tragen, und der Richter wird mich zur Rechenschaft ziehen, während ihr meiner Leiche folget. Betet daher für mich!‘ Wenn sie nun an seiner Bahre gebetet und einige seiner Hausgenossen und Freunde, die das Gebet verrichtet haben, (von der Bahre) fortgehen, dann sagt er: ‚Bei Gott, o meine Brüder, ich weiß gar wohl, dass der Tote vergessen wird, aber wollt doch in dieser Stunde nicht eher euch von hier wenden, als bis ihr mich zur Erde bestattet habt (…)!‘ Und wenn sie ihn an sein Grab setzen, spricht er: ‚Bei Gott, o meine Brüder, ich weiß, dass ihr von mir Nutzen haben werdet, während ich in dem Dunkel des Grabes mich befinden werde, und ihr lasst mich nun einsam zurück in dem Schrecken; darum bitte ich euch, um Hilfe euch anrufend.‘ Wenn sie ihn dann ins Grab legen, so spricht er: ‚Bei Gott, o meine Erben, das große Vermögen, das ich in der Welt gesammelt, hinterlasse ich euch, vergesset mich daher nicht, (sondern gedenkt meiner) durch große Freigebigkeit. Ich habe euch ja den Koran und gute Sitten gelehrt, und seht, heute bedarf ich eurer; vergesst meiner nicht in euren Gebeten!‘“

Der anonyme Verfasser fügt noch eine Geschichte über die Wirksamkeit der Lebendenhilfe für die Verstorbenen an. Von Abu Ḳilâba werde Folgendes überliefert: „Er sah im Traume einen Gottesacker (und es kam ihm vor), als wenn die Gräber desselben leer und die Toten aus ihnen hervorgegangen wären und sich auf den Grabesrand gesetzt hätten. Vor einem jeden von ihnen war eine Lichthülle; unter ihnen jedoch sah er einen Mann von seinen Nachbarn, vor welchem er kein Licht bemerkte, und er fragte ihn nach seinem Zustande, indem er sprach: ‚Warum sehe ich vor dir kein Licht?‘ Da antwortete der Tote: ‚Diese da haben Kinder und Freunde, die für sie beten und um ihretwillen milde Gaben spenden, und dieses Licht ist (erzeugt) von dem, was sie ihnen zukommen lassen; ich aber habe einen Sohn, der nicht fromm ist; er betet nicht für mich und übt meinetwegen keine Wohltaten aus; deshalb habe ich kein Licht, und ich bin beschämt unter meinen Nachbarn.‘ Als nun Abu Ḳilâba erwachte, ließ er den Sohn zu sich rufen und erzählte ihm, was er gesehen. Da sagte der Sohn: ‚Ich bin bekehrt durch dich und will nicht mehr zu dem, wobei ich bisher verharrte, zurückkehren.‘ Und er beschäftigte sich nun fortwährend mit frommen Werken und Gebeten für seinen Vater und mit Wohltätigkeit zum Heile desselben. Nach einiger Zeit sah Abu Ḳilâba diesen Begräbnisplatz wieder im Traume und zwar in seinem früheren Zustande, den (erwähnten) Mann aber mit einem Lichte geschmückt, heller als die Sonne und größer als das seiner Genossen, und dieser sprach: ‚O Abu Ḳilâba, möge dir Gott für das, was du an mir getan, Gutes zuteilwerden lassen; denn durch dein (mahnendes) Wort bin ich von dem Höllenfeuer und auch von der Scham vor meinen Nachbarn befreit worden.‘“334

Der Koran schärft zwar ein, dass jeder Einzelne im Endgericht für seine Taten und seinen Glauben Rechenschaft schulde, dass es nun zu spät sei, neue gute Werke zu verrichten, und ihm niemand zu Hilfe kommen könne;335 doch wurde schon in sunnitischer Überlieferung festgestellt, dass zu Lebzeiten vollzogene gute Werke auch nach dem Tod weiterwirken und das Schicksal des Wohltäters günstig beeinflussen könnten. Kanonische Bedeutung erlangte eine von Abū Hurayra überlieferte Äußerung des Propheten: „Wenn ein Mann stirbt, kommen alle seine Handlungen an ein Ende, mit Ausnahme dieser drei: des wiederkehrenden Werkes der Barmherzigkeit, der Werke des Wissens sowie einer frommen Nachkommenschaft, die für ihn betet.“336 Ein anderer Ḥadīt präzisiert: „Es gibt sieben Taten, deren Belohnung einem Diener Gottes über den Tod hinaus zugutekommen, wenn er schon im Grabe ruht: die Pflege des Wissens, das Ausheben einer Fahrrinne im Strom, der Bau eines Bewässerungskanals, die Pflanzung eines Baumes, der Bau einer Moschee, die Vererbung eines Buchs mit dem Koran oder die Zeugung eines Sohnes, der für seine Sündenvergebung betet.“337 Auch wenn die Konzession postmortaler Handlungsmacht in theologisch-systematischer Hinsicht als „marginale Ausnahme“ bezeichnet worden ist,338 gelten doch die angeblichen Äußerungen des Propheten als gedankliche Grundlage des muslimischen Stiftungswesens überhaupt. Dementsprechend wird der Ḥadīt in den waqf-Urkunden zitiert.339

Die Ḥadīt-Sammlungen ordnen die Errichtung einer Stiftung (waqf) als ṣadaqa ein, ein Wort, das ursprünglich jede gute Tat bezeichnet.340 Erst im frühen 9. Jahrhundert taucht die Definition eines „unwiderruflichen Almosens“ (ṣadaqa batta) für den (Familien)waqf auf und im 11. Jahrhundert unterstreicht aš-Šīrāzī, dass die Stiftung als unzerstörbares und dauerndes Almosen zu betrachten sei. Durch ihren ewigen Bestand könne die Stiftung nach Meinung der muslimischen Juristen als eine gottwohlgefällige Tat gelten, die den Stifter je länger je näher zu Gott bringe. Die transmortale Annäherung an Gott (qurba), die der muslimischen Vorstellung von einer Rückkehr des Menschen schon von Adams Sündenfall her zum Paradies entsprach,341 konnte sich also nach Maß und Dauer der Wohltaten bemessen. Da die Stiftungen ewig bestehen sollten, mussten sie nicht nur durch immer neue Nachlebende in Gang gehalten werden, sondern indem diese die guten Werke ausübten, vermehrten sie die himmlischen Verdienste des Stifters. Der waqf als eine ṣadaqa war deshalb nach einer modernen Definition „die ewige Widmung eines gewissen Besitztums an Gott mit der Bestimmung seiner Erträge für jeden Zweck, der vom (religiösen) Gesetz anerkannt ist, und der Intention, himmlischen Lohn zu empfangen“.342

Auch wenn der Islam keine mit dem christlichen Klerus und der Messe vergleichbare Einrichtung kennt, erfüllten etwa Ṣūfī-Gemeinschaften durch die Rezitation des Koran und gesungene Gebete eine ähnliche Aufgabe zur „Rettung muslimischer Seelen“. Der Vollzug des ḥuḍūr, des täglichen gemeinsamen Gebets mit Koranlesungen, galt in Khānqāhs (Ṣūfī-Konventen) der Mamlūkenzeit (seit 1250) als effektivster Beistand für die Verstorbenen, sowohl für deren Kämpfe im Grabe als auch für den Nachlass ihrer Missetaten und für die Auferstehung zum Paradies am Jüngsten Tag.343 Daneben konnten die Armen, Reisenden und Pilger, die Schüler und alle anderen, die durch ein gottgefälliges Stiftungswerk gefördert wurden, die verstorbenen Stifter auf ihrem Weg zu Gott unterstützen.

Exemplarisch für das Motiv jenseitiger Vergeltung und die Hilfe der Lebenden, aber auch für die Fortdauer des Stifterruhms, stehen groß angelegte Stiftungen in oder bei Täbris während des 14. Jahrhunderts. Als der mongolische Ilchan von Persien, Gāzān Hān, unmittelbar vor Antritt seiner Herrschaft (1295–1304) den muslimischen Glauben seiner Untertanen angenommen hatte, errichtete er zunächst weitverstreute Unterkünfte für die Nachfahren des Propheten, Konvente von Ṣūfīs, Moscheen, Madrasen und einen Kanal zur Wasserversorgung des schiitischen Heiligtums in Kerbela (am Euphrat/Irak). Für die Anlage seines Mausoleums in Šanb westlich von Täbris orientierte er sich dann an den reich ausgestatteten Gräbern islamischer Heiliger und Imame: „Wie kann man jemanden, der auf solche Weise tot ist und eine solche Grabstätte, so ein Mausoleum (mašhad, mazār) hat, überhaupt für tot halten?“, soll er sich gefragt haben, um dann anzufügen: „Wenn ich auch nicht das [spirituelle] Format der Gottesmänner für mich beanspruchen kann (wörtlich: wenn mir auch die Rangstufe der Frommen – martaba-yi sulāḥā – nicht zukommt), [so kann ich] ihnen zumindest insofern nacheifern, dass ich eine Anlage mit frommen Einrichtungen (adwāb ul-birr: ‚Pforten der Frömmigkeit‘) begründe, die mir als letzte Ruhestätte dienen und auf diese Weise zum immerwährenden gemeinnützigen Werk (ḥairī, ṣadaqa-yi ğārī) werden soll. Möge der Segen (barakāt), der [dank der frommen Stiftungen] darauf ruhen wird, das Erbarmen des erhabenen Gottes sicherstellen und nicht versiegenden Lohn im Jenseits (sawāb) einbringen. Das wäre überaus gut.“344 Die „Pforten der Frömmigkeit“ entsprachen den piae causae oder venerabiles domus in Byzanz;345 die Anlage des Ilchans umfasste neben dem eigentlichen Mausoleum eine Moschee, eine hanafitische und eine schafiitische Madrasa (also verschiedene Schulen der islamischen Wissenschaften), einen ṣūfīschen Konvent, eine Herberge für die Verwandten des Propheten, ein Observatorium, eine Bibliothek, ein Spital, eine Armenküche und anderes mehr.346

Im Jahr 1309 u. Z. setzte auch der Wesir der mongolischen Herren, der Arzt und Schriftsteller Rašīduddīn, eine Stiftungsurkunde auf, die er in den folgenden Jahren noch ergänzte; wie sich zeigt, ahmte er Gāzāns Unternehmen nach und errichtete um sein eigenes Grabmal eine multifunktionale Anlage für Wohltätigkeit, Wissenschaft, Koranrezitation, Totengebete und Pflege des Nachruhms. Sein eigenhändig auf Persisch geschriebenes, höchst umfangreiches Dokument ließ er mit einer ausgreifenden theologischen Abhandlung über den Nutzen frommer Stiftungen für das postmortale Schicksal des Menschen beginnen. Wie seine moderne Interpretin betont, war darin von Mitleid mit den Armen und Bedürftigen oder dem Wunsch, einen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten, an keiner Stelle die Rede: „Nicht philanthropische Beweggründe zählen, sondern einzig das Streben nach dem spirituellen Nutzen (sawāb) für den Urheber des guten Werkes.“347 Der Stifter ließ sich durch die bereits im Koran anzutreffende und auch im Christentum bekannte Vorstellung vom ‚Seelenkonto‘ leiten, das am Jüngsten Tag abgerechnet würde.348 Der Lohn für die guten und die Strafe für die schlechten Taten würden dann, wie er argumentierte, nicht symmetrisch veranschlagt; die Bestrafung werde zur bösen Tat zwar linear in Beziehung gesetzt, doch könne man für die gute Tat mit einem Vielfachen dieses Wertes als Lohn rechnen. Rašīduddīn führt dafür die Suren 6, 160 und 2, 261 an: „Wer eine gute Tat vorbringt, bekommt dafür zehn gleicher Art. Und wer eine schlechte vorbringt, dem wird mit einer ebensolchen vergolten (…).“ „Die ihre Güter spenden für Gottes Weg, die gleichen einem Samenkorn, das sieben Ähren sprossen lässt, in deren jeder hundert Samenkörner sind. Gott vervielfacht, wem er will (…).“349 Das Paradies sei hierarchisch geordnet, so dass der Fromme Gott besonders nahe sei. Wer mehr gute Werke vorzuweisen habe als ein anderer, der rücke in den himmlischen Rängen weiter und schneller auf. Auch wenn der Tod dem Menschen die Möglichkeit nehme, selbst Gutes oder Schlechtes zu tun, bringe dies doch nicht notwendig Stillstand in die Bewegungen des Seelenkontos. Denn nach dem bekannten Prophetenwort könne das zu Lebzeiten gegebene „immerwährende Almosen“ postume Gewinne verschaffen, ebenso wie ein Wissen des Toten, von dem die Lebenden Nutzen haben, oder auch die Bittgebete eines rechtschaffenen Sohnes. Das „immerwährende Almosen“ (ṣadaqa ğārīyya) werde von den Rechtsgelehrten gemeinhin mit der frommen Stiftung (waqf) identifiziert. Abgesehen von dem tugendhaften Sohn könnten auch andere Menschen dem Toten die spirituelle Belohnung zuteilwerden lassen, indem sie etwa Bittgebete für ihn sprechen oder für ihn fasten.

Der Stiftungskomplex Rašīduddīns umfasste mehrere Gebäude, Einrichtungen und Personengruppen, Bedienstete und Benefiziare, einbezogen waren auch Reisende und ambulante Arme, im Ganzen mehrere Hundert Menschen. Am Grab des Stifters, also beim Herz der Anlage, sollten sich Sommer- und Wintermoschee, Koranschule, Schreibstube und eine Madrasa befinden. Für das ständige Stiftergedenken waren 24 Koranleser vorgesehen, die sich ständig abwechseln mussten, damit die Lesungen und Gebete nicht einmal für die Mahlzeiten unterbrochen würden. Die Rezitationen waren mit Bittgebeten für den Stifter verbunden, zu denen auch die anderen Gruppen verpflichtet waren. Rašīduddīn, der Autor, verstand es zugleich, mit der Stiftung für seinen Nachruhm zu sorgen; so ließ er seine Werke von den geförderten Studenten regelmäßig abschreiben. Auch bei der Verbreitung des Korans und der Traditionswissenschaft sorgte er für die effektvolle Platzierung seines Namens. Die zwei Prachtausgaben des Korans in je dreißig Bänden, die in jedem Jahr herzustellen waren, sollten mit einem Bittgebet, das auch den frommen Schreibern und Lesern zugutekommen sollte, an seinem Grab offeriert werden: „Preis sei dir, o Gott, der du den Koran herabgesandt hast als Geschenk für das Menschengeschlecht und als treibende Kraft zum Guten für deine Geschöpfe [und der du ferner herabgesandt hast] das Siegel deiner Gesandten, Muhammad, dem du die Gesetze und Vorschriften geoffenbart hast, so wie du es auch deinem Knecht Rašīd, dem Arzt, der deines Erbarmens bedürftig ist, ermöglicht hast, einen Teil seiner Besitzungen zu stiften, wobei er die Bedingungen setzte, dass man aus ihren Erträgen (bi-irtifāʿihā) einen kompletten Koran und ein Sammelwerk mit den Überlieferungen des Gesandten Gottes herstellen und verfertigen möge. So nimm denn dies, o Gott, von ihm an, und nimm es zum Anlass für freundliches Lob im Augenblick und reichliche Vergeltung im Jenseits. Vergib ihm und jedem, der sich bemüht hat oder noch bemüht, dieses fromme Werk zu vollenden, ferner jedem, der aus den Koranbänden rezitiert oder die Prophetenüberlieferungen heranzieht und nach ihnen handelt. Gewähre ihnen am Ende die Zunge der Wahrhaftigkeit und geselle sie zusammen mit denjenigen der Propheten, der Aufrichtigen, Märtyrer und Frommen, denen du Wohltaten erwiesen hast, denn jene ziemen sich als Gefährten.“350

Obschon Rašīduddīn mit immensen Kapitalien und mit genauesten Anweisungen in seiner Urkunde die Stiftung auf den Weg zu bringen und für die Ewigkeit abzusichern gehofft hatte, war ihr kein langer Bestand beschieden. 1318 wurde der Wesir nach einer Hofintrige hingerichtet und das gleiche Schicksal widerfuhr seinem Sohn (1336), der die väterliche Stiftung erneuert und mit eigenen Mitteln erweitert hatte. Bis 1408 u. Z. liegen zwar Belege vor, dass die Kadis die Verfügungen Rašīduddīns bestätigt haben, doch soll damals bereits in der Anlage kein Stein mehr auf dem anderen gelegen haben.

Trotzdem hat sich die einflussreiche Familie der Kuğuğī, die aus der näheren Umgebung von Täbris stammte, im späten 14. Jahrhundert für eine eigene Stiftung offenkundig an Rašīduddīns Werk orientiert und einen eigenen Moschee-Madrasa-Khānqāh-Komplex in der Stadt geschaffen. Umfangreiche Fragmente der Stiftungsurkunde von 1380 u. Z. lassen erkennen, dass Ḫwāğa Šaiḥ Muḥammad Kuğuğī nicht der erste Stifter war, sondern das Werk seines Vaters Ibrāhīm fortgesetzt und erweitert hat. In seiner Urkunde, Kuğuğī-Waqfīya, betont er immer wieder den dauernden Bestand der Stiftung und den geistlichen Nutzen für sich und die Seinen. Bei seiner Madrasa sollten beispielsweise zehn arme Waisenkinder versorgt werden, „die noch nicht die Pubertät erreicht haben. Sie sollen aber auch nicht so klein sein, dass ihr Verstand noch nicht in der Lage ist, etwas auswendig zu lernen beziehungsweise ihre Zungen noch nichts zu wiederholen vermögen. Sie sollen im Alter dazwischenliegen, damit sie den Koran und seine Grundlagen memorieren können. Jeden Morgen außer an den freien Tagen sollen sie anwesend sein und dem Lehrer folgend sich der Rezitation des Korans widmen. Wer den Koran ganz auswendig kann, bleibt noch eine gewisse Zeit dabei, damit sich festigt, was er gelernt hat und er ja nichts vergisst. Für jeden von ihnen sind jährlich 60 Dīnār bestimmt. ‚Wer den Kopf eines Waisen nur für Gotteslohn wäscht, dem erwachsen mit jedem Haar, an dem seine Hand vorbeigeht, Wohltaten. Wer einem Waisen Gutes tut, mit dem werde ich im Paradies zusammen sein‘, spricht der Prophet.“351

So detailgenau sind die Regelungen, dass Aufwand und Aufstellung der Lampen und der doppelte Nutzen der Beleuchtung, im Diesseits und im Jenseits, betont werden: „Unser Gebieter, der Stifter – möge Gott den Schatten seines Ruhmes bewahren – hat für die Wachs-, die Flüssigtalg- und die Sesamöllampen der erhabenen Moschee jährlich 1.440 Dīnār bestimmt. In der Hoffnung, Gott möge den Weg des Stifters an den dunklen Orten erleuchten, werden zwei Kerzen im Iwan der Koranrezitatoren (ṣuffat al-ḥuffāẓ) aufgestellt (…). Für die Beleuchtung der Waschplätze und Durchgänge der Madrasa hat der Stifter jährlich 400 Dīnār bestimmt. Eine Lampe wird im Gang der Madrasa von Sonnenuntergang bis zu dem Zeitpunkt aufgestellt, zu dem ungefähr ein Drittel der Nacht vergangen ist, und von der ersten Morgendämmerung bis Sonnenaufgang. Fünf Lampen werden in der Toilette aufgestellt und am Tor eines jeden Ganges eine, damit die Rechtsgelehrten, Studenten und Angestellten Licht haben und für unseren Gebieter, den Stifter, beten. Wenn man dafür mehr Geld benötigt, wird der Betrag erhöht.“352

Auch besondere Speisungen sollten dem Stifter zugutekommen: „Für eine Festtafel im Monat Ramaḍān sind für diese Gemeinschaft [der Madrasa] und für die Anwesenden jährlich 1.200 Dīnār bestimmt, das heißt an jedem Abend 40 Dīnār, die der Verwalter oder sein Stellvertreter für Brot, schmackhafte Speisen und Süßigkeiten ausgibt. Der Verwalter stellt zwei Tafeln auf, jeweils eine im westlichen und im östlichen Iwan, und platziert dort die Rechtsgelehrten, Studenten und alle anderen. Sie essen dort und beten für unseren Herrn und Gebieter, den Stifter – möge Gott ihn seine kühnsten Hoffnungen erreichen lassen. Das Essen wird zusammen mit dem gekochten Fleisch in sauberen Schüsseln serviert und mit zwei feinen Broten zugedeckt. Bei Sonnenuntergang wird jeden Abend an alle anwesenden Angehörigen der Madrasa und andere angesehene Persönlichkeiten eine Schüssel Suppe mit einem Viertel man [ca. 750 Gramm] des gekochten Fleisches und zwei Broten ausgeteilt. ‚Wer einem Fastenden Essen zum abendlichen Fastenbrechen reicht, dem werden alle Sünden vergeben und der kommt aus dem Höllenfeuer frei. Der erhält solch einen Lohn und gewiss nicht weniger‘, sprach der Prophet (…)“.353 Entsprechende Regelungen galten den Ṣūfī-Konventen.

Der jenseitige Ertrag der „korrekte[n] und rechtsgültige[n] Stiftung“, die „als eine fortwährende wohltätigen Zwecken gewidmete Einrichtung und als eine von Anfang bis Ende ununterbrochene fromme Gabe“ bezeichnet wird,354 sollte sowohl dem ersten als auch dem aktuellen Stifter, Ibrāhīm und Ḫwāğa Šaiḥ Muḥammad Kuğuğī, zugutekommen und noch umfassender gelten, wie auch in einem Gebet manifest wird: „Oh Gott, so wie du den Sohn und den Vater in dieser Welt durch hohe Ränge und erhabene Vollkommenheit in Wissen und Taten ausgezeichnet hast, wobei du ihnen beiden bei der Gründung wohltätiger Einrichtungen (binā‘ al-ḥairāt wa ta’sīs al-mabarrāt) Erfolg gewährt und sie durch Besitztümer zugunsten der Muslime und Musliminnen den Erfordernissen der Bedürftigen gerecht werden lassen hast, so zeichne sie beide auch im Jenseits (fī l-’uqbā) mit vielfältigem Lohn aus und erhebe ihren Rang im Paradies. Versammle sie am Tage des Gerichts in der Gruppe der Rechtschaffenen, zusammen mit den Propheten, den Wahrheitsliebenden, den Märtyrern und den Gottesfürchtigen – Gott verschone den, der Amen sagt! Dieses Bittgebet (du‘ā’) umfasst die ganze Schöpfung, es schließt die frohe Botschaft ein.“355

Kann also gesagt werden, dass die Welt des Islam ‚Stiftungen für das Seelenheil‘ kannte, so wie vor allem das Christentum? Zweifellos trifft das zu, wenn man das Kriterium guter Taten im Diesseits und über den Tod hinaus zur Bewährung des Einzelnen vor dem endzeitlichen Gericht Gottes mit der Belohnung des ewigen Lebens anlegt. Etwas anderes ist es jedoch, wenn die muslimische Konzeption der Heilsgeschichte und die entsprechenden Formeln der Überlieferung beachtet werden. In der Forschung ist darauf hingewiesen worden, dass der Islam im Unterschied zur linear-eschatologischen Dynamik des Christentums einem zirkulären Konzept folge. Im Zentrum seiner religiösen Forderung stehe die Revision der Vertreibung aus dem Paradies; der Gläubige müsse sich unentwegt an Gott erinnern und zu ihm zurückkehren.356 Deshalb wird das ewige Leben als Annäherung an Gott beschrieben, bei der es, den frommen Leistungen entsprechend, auch eine Graduierung gebe. In den muslimischen Stiftungsurkunden dominiert dementsprechend das Motiv der „Nähe zu Gott (qurba)“.357 Statt von ‚Stiftungen für das Seelenheil‘ wie im Christentum muss, so ist zu folgern, eher von ‚Stiftungen für die Gottesnähe‘ die Rede sein. Allerdings wird auch im Islam die fromme Stiftung häufig mit dem Nutzen für die Seele motiviert, dem besonders Koranlesungen dienten;358 es spricht viel dafür, dass dieses Motiv von anderen Religionen, mit denen die Araber schon zu Zeiten Mohammeds auf ihrer Halbinsel oder in deren Umgebung in Berührung gestanden hatten, übernommen worden war.359

Weltgeschichte als Stiftungsgeschichte

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