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Stiftungen für Verdienst und zeitliches Heil: Indische Religionen

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Hinduismus, Buddhismus und Jainismus sind Erlösungsreligionen wie Christentum und Zoroastrismus (Parsismus); sie bieten ein Heil an, das jeder Einzelne erstreben und erreichen kann.466 Gemeinsamer Ausgangspunkt war die Religion der Brahmanen, einer Priesterklasse, die durch jahrtausendalte Rituale, die in den Textsammlungen der ‚Veden‘ festgehalten sind, den Kosmos in Gang hielt.467 Die Brahmanen vollzogen in ihren dörflichen Gemeinschaften die vedischen Opfer für sich selbst und für hochrangige Nichtbrahmanen und unterstützten die Herrscher durch öffentliche Rituale. Man erhoffte sich von den Göttern zum Beispiel „Beistand in der Schlacht, Reichtum, eine gute Ernte, und die Gunst, nach dem Tod zu ihnen in den Himmel zu gelangen, um dort sorgenfrei fortzuleben.“468

In den Upanischaden wurde der Ritualismus der älteren Veden überwunden; auch wenn sie zur entscheidenden Textgrundlage des Hinduismus wurden, teilen auch die wenig später entstandenen Religionen des Jainismus und Buddhismus einige ihrer wesentlichen religiösen Konzepte. Dazu gehören vor allem das Gesetz des karman, die Lehre von der Wiedergeburt (saṃsāra) und die Techniken der Befreiung von deren unerbittlichem Kreislauf.469

Schon in der brahmanischen Religion des vedischen Indien (ca. 1500–500 v. u. Z.) wurde das rituelle Handeln mit dem Sanskrit-Wort karman („Tat“, „Werk“) bezeichnet.470 Weil jedes karman seine Folgen hat, konnte das Feueropfer kosmologisch oder lebenspraktisch wirken und beispielsweise Wohlstand und Befriedigung sinnlicher Bedürfnisse verschaffen. Nach den Hymnen der ältesten Veden (Ṛgveda) waren die Götter in der Lage, dem Einzelnen zur Wiedergeburt im Himmel zu verhelfen, falls das Ritual korrekt ausgeführt war. Bei nicht oder falsch vollzogenen religiösen Handlungen gelangte man nach der alten Lehre nur in die „Welt der Väter“ und kehrte von dort nach einer gewissen Zeit durch Wiedergeburt in die Menschenwelt zurück.471 Etwa um 600 v. u. Z., in der Zeit der ältesten Upanischaden, entfaltete sich aus diesem Gedanken die Lehre vom endlosen Kreislauf der Wiedergeburten (saṃsāra).472 Die zweite Wende der Upanischaden lag in einer Ethisierung der kosmischen Prozesse, eine Errungenschaft, die allen indischen kosmologischen Lehren fortan eingeschrieben blieb und die die Zäsur der ‚Achsenzeit‘ markiert: „Was aus einem Mann wird“, so wurde nun gelehrt, „hängt davon ab, wie er handelt und sich verhält. Wenn seine Taten gut sind, wird aus ihm etwas Gutes werden. Wenn seine Taten schlecht sind, wird er sich zu etwas Schlechtem wandeln.“473 „Wenn es einem Menschen an Einsicht fehlt und er ohne Geist und stets unrein ist, dann erreicht er nicht diese letzte Stufe, gelangt aber auf eine (neue) Runde der Wiedergeburt. Aber wenn ein Mann Verständnis gewonnen hat, geisterfüllt und immer rein ist, dann erreicht er wirklich diese letzte Stufe, von der er nicht wiedergeboren wird.“474 Wer gute Werke vollbrachte, dem war die Wiedergeburt als Brahmane oder als Angehöriger der oberen Beamten- oder Händlerklasse (kṣatriya; vaiśya) verheißen; Menschen von schlechtem Verhalten mussten hingegen damit rechnen, aus dem schmutzigen Schoß eines Hundes, eines Schweines oder einer ausgestoßenen Frau wiedergeboren zu werden.475 Das karman-Prinzip verband beide Handlungsweisen, Ritual und ethisches Verhalten, unwillkürlich mit ihren Folgen.

Nach Lehre der Upanischaden hat der Mensch ein unveränderliches und unsterbliches Selbst, ātman: „Es verbindet sich, abhängig vom angehäuften guten oder schlechten Karma [karman], mit Körpern höherer oder niederer Existenzformen – wie eine Raupe, die von Blatt zu Blatt wandert. Diese ständige Wiedergeburt wird jedoch nicht als positiv, sondern als leidvoll verstanden; Wiedergeburt bedeutet auch und insbesondere, wieder sterben zu müssen.“476 Das eigentliche Ziel des Menschen bestehe deshalb nicht darin, seine Existenz durch günstigere Wiedergeburten zu verbessern, sondern den ewigen Kreislauf der Geburten zu durchbrechen.

Der saṃsāra-, also Seelenwanderungsglaube, und die damit zusammenhängende karman- oder Vergeltungslehre sind je für sich genommen und in ihrer unaufhebbaren Verknüpfung die einzigen ‚dogmatischen‘ Kernlehren des Hinduismus, die auch das indische Kastenwesen begründet haben.477 Selbst wenn beide Lehren ebenso bei den Griechen begegnen, zeichnen sie sich, wie Max Weber gezeigt hat, in Indien durch eine konsequent rationale Durchführung aus: „Alle (rituellen oder ethischen) Verdienste und Verschuldungen des Einzelnen bilden [in Indien] eine Art von Kontokorrent, dessen Saldo unweigerlich das weitere Schicksal der Seele bei der Wiedergeburt bestimmt, und zwar ganz genau proportional dem Maß des Überschusses der einen oder der anderen Seite des Kontos. ‚Ewige‘ Belohnungen oder Strafen kann es also unmöglich geben: Sie wären ja absolut unproportional einem endlichen Tun. Im Himmel sowohl wie in der Hölle kann man nur endliche Zeit sein. Und beide spielen überhaupt nur eine Nebenrolle. Der Himmel war wohl ursprünglich nur ein Brahmanen- und ein Kriegerhimmel. Der Hölle aber konnte auch der übelste Sünder durch rein rituelle und äußerst bequeme Mittel: das Aussprechen bestimmter Formeln in der Todesstunde, auch durch andere (sogar unwissentlich und durch den Feind), entgehen. Hingegen gab es schlechthin keinerlei rituelles Mittel und überhaupt keine (innerweltliche) Tat, durch die man sich der Wiedergeburt und dem Wiedertod entziehen konnte. Die universell verbreitete Vorstellung, dass Krankheit, Gebrechen, Armut, kurz alles, was im Leben gefürchtet wurde, Folgen selbstverschuldeter, bewusster oder unbewusster, magisch relevanter Verfehlungen seien, wurde hier zu der Anschauung gesteigert: dass das gesamte Lebensschicksal des Menschen eigenste Tat sei. Und da der Augenschein allzu sehr dagegen sprach, dass die ethische Vergeltung innerhalb jedes einzelnen Lebens im Diesseits sich vollziehe, so lag nach Durchbildung des Seelenwanderungsgedankens die Konzeption sehr nahe und wurde von den Brahmanen, zuerst offenbar als esoterische Lehre, vollzogen: dass Verdienste und Verschuldungen früherer Leben das jetzige, solche des jetzigen Lebens das Schicksal im künftigen Erdenleben bestimmen (…). Und hier liegt nun der entscheidende Zusammenhang mit der Kastenordnung (…). Der Einzelne wird in der Kaste geboren, welche er sich in einem früheren Leben durch sein Verhalten verdient hat (…). Ein korrekt gläubiger Hindu wird im Hinblick auf die klägliche Lage eines zu einer unreinen Kaste Gehörigen nur den Gedanken haben: Er hat besonders viele Sünden aus früherer Existenz abzubüßen. Dies hat aber die Kehrseite: dass das Mitglied der unreinen Kaste vor allem auch an die Chance denkt, durch ein kastenrituell exemplarisches Leben seine sozialen Zukunftschancen bei der Wiedergeburt verbessern zu können.“478

Das letzte Ziel des menschlichen Lebens ist aber nach hinduistischer Auffassung, sich von dem Kreislauf von Geburt und Wiedergeburt in der diesseitigen Welt und dem mit ihm verbundenen Leiden zu befreien.479 Für diese ‚Befreiung‘ wird vor allem das Nomen mokṣa verwandt, das in etwa den Begriffen ‚Vollendung‘, ‚Heil‘ und ‚Erlösung‘ in anderen Religionen entspricht. Nach der Lehre der Upanischaden erreicht man die Befreiung, wie in der Forschung formuliert worden ist, „indem man erkennt, dass das eigene Selbst (ātman) und das Universum, das All-Eine (brahman) im innersten Wesen identisch sind.“480 Tatsächlich wird brahman in den Upanischaden meist für die letzte Ganzheit alles Bestehenden gebraucht, so dass es auch mit dem ātman identisch ist:481 „Brahman, siehst du, ist die ganze Welt“, heißt es in einer der Upanischaden,482 während anderswo ein Vater seinen Sohn belehrt: „Das ist das, was du bist.“483 Während die Umschreibungen der ‚Befreiung‘ vom Wiedergeburtskreislauf, also die negativen Bestimmungen, recht einheitlich formuliert werden, variieren die positiven Metaphern und Wendungen für die Erlösung stärker. Man liest vom „Gehen zum brahman“, vom „Erreichen des höchsten Lichts“, „Unsterblichwerden“, Erlangen „der Welt des Brahmā“ und „der vollkommenen Wunschlosigkeit“, „Genießen des himmlischen Paradieses“, ja der Vereinigung mit der „göttlichen Person“. Neben Vorstellungen vom vollständigen Verlust der Individualität wird manchmal auch die Bewahrung der besonderen Seele betont.484

In der religiösen Literatur des Hinduismus entfalteten sich im Laufe der Jahrhunderte stark divergierende Lehren über die Erlösung. In der modernen Wissenschaft hat man drei verschiedene Ansätze unterschieden.485 Im Mittelpunkt der ‚pluralistischen‘ Richtung steht eine unendliche Vielfalt spiritueller Selbstheiten (‚Seelen‘; ātman); das einzelne Selbst hat zwar die Welt des Leidens hinter sich gebracht, bleibt aber für sich allein und hat auch in Theorien, wo ein Gott anerkannt wird, mit diesem keine Gemeinschaft und kann von diesem keinen Segen erwarten. Die ‚transtheistischen‘ Schulen verkünden hingegen die Einheit des Befreiten mit dem eigenschaftslosen, also auch nicht theistischen brahman. Das individuelle ātman geht hier nicht im brahman auf, sondern „mokṣa bedeutet die Erkenntnis, dass das einzelne Selbst, das einheitlich allen Wesen als innerstes Bewusstsein innewohnt, mit dem brahman identisch ist und immer identisch gewesen ist“.486 Mit wenigen Ausnahmen sind alle Spuren der früheren Individualität des Befreiten ausgelöscht. Zum Dritten begegnen ‚theistische‘ Denkschulen besonders in der Zeit des sogenannten Mittelalters und bald danach. Im Allgemeinen akzeptieren sie eine Vielfalt spiritueller Selbstheiten, die durch die ‚Befreiung‘ eine ewige und glückselige Gemeinschaft (aber keine Identität) mit der Gottheit erlangen können. Dies geschieht in einem himmlischen Reich, das die diesseitige Welt transzendiert. Der Befreite erscheint hier auch nicht ganz körperlos, sondern bekleidet mit einem spirituellen Leib, der aus reinem Sein besteht. Einige Theoretiker markieren unterschiedliche Grade der Beziehung mit der Gottheit bei der ‚Befreiung‘: Aufenthalt in demselben Reich, Partizipation an göttlichen Eigenschaften, Gottesnähe, Annahme einer göttlichen Gestalt und Vereinigung mit Gott. Der Theologe Madhva unterscheidet bei den Seelen Stufen der Seligkeit, je nach dem Stand ihrer Würdigkeit; derselbe Gelehrte vertrat aber auch die Ansicht, dass manche niemals dem Kreislauf der Wiedergeburten entgehen können, während andere zur ewigen Hölle eingehen müssen.

Trotz dieser Varianten ist überaus deutlich, was die hinduistischen Lehren über Erlösung und Unsterblichkeit etwa von Christentum, Judentum und Islam unterscheidet. Zum einen handelt es sich um eine Selbsterlösungslehre; durch eigenes Verdienst kann der Mensch eine automatische Vergeltung durch eine bessere diesseitige Existenzform und zum Schluss sogar die ‚Befreiung‘ erlangen, ohne auf einen richtenden – und gnädigen – Gott angewiesen zu sein. Zum anderen ist der Lohn meistens nicht ein ewiges Leben in Seligkeit, sondern im Gegenteil die Erlösung von jeglichem Leben sowie von dem damit verbundenen Tod. Das erlöste Selbst oder die Seele wird nach der Befreiung, wenn das auch nicht für alle Lehren gilt, nicht individuell erhalten und verklärt, sondern kehrt ins All-Eine zurück oder geht darin auf. Jedenfalls steht in den hinduistischen Erlösungslehren gerade nicht wie etwa im Christentum das individuelle Seelenheil im Sinne des ewigen Lebens der unverwechselbaren Persönlichkeit im Mittelpunkt der Botschaften.487

Das gesamte Lebensschicksal des Menschen liegt nach indischer Auffassung in der Hand des Einzelnen; durch gute Werke sammelt er Verdienste (puṇya) an, was ihm schon im Diesseits zugutekommen und Erlösung bringen kann. „Nach dem karman-Gesetz (wirkt) der Tatvergeltungsmechanismus automatisch.“488 Wer also beispielsweise einen Brahmanenpriester oder einen hinduistischen Tempel beschenkt,489 ist weder auf die Fürbitten seiner Adressaten angewiesen noch erwartet er das Heil als göttliche Remuneration. Das Mauss’sche Gesetz, dass jede Gabe nach einer Gegengabe verlangt, ist hier außer Kraft gesetzt.490 Trotzdem sind aus Indien nach Hunderten, wenn nicht Tausenden zählende Stiftungen „an Brahmanenpriester ohne erkennbaren Tempelbezug sowie Stiftungen im Kontext von Tempeln und Schreinen hinduistischer Gottheiten“ überliefert.491 Die Renaissance des vedischen Brahmanismus, die ans Ende des indischen Altertums um die Mitte des 6. Jahrhunderts u. Z. datiert wird,492 beruhte selbst maßgeblich auf einer vor allem königlichen Stiftungstätigkeit, durch die sich das Brahmanentum über den gesamten asiatischen Subkontinent ausbreitete:493 „Nicht in allen, aber in der Mehrzahl der brahmanischen Dotationen ist der Stiftungszweck explizit festgehalten. Wenn eine solche Zwecksetzung erfolgte, dann ist stets davon die Rede, dass die betreffenden Brahmanenpriester in die Lage versetzt werden sollten, ihren Verpflichtungen hinsichtlich der Durchführung der vedischen Opfer nachkommen zu können.“494 Seit dem 11./12. Jahrhundert sind Stiftungen für Brahmanen oder Brahmanengruppen und hinduistische Tempel in Kombination überliefert.495 Stiftungen an hinduistische Göttertempel wurden tatsächlich nicht an die Gebäude beziehungsweise Institutionen, sondern an die Göttinnen und Götter selbst gerichtet. „Unterschieden werden können Stiftungen an Viṣṇu, Śiva, den Sonnengott sowie verschiedene lokale weibliche und männliche Gottheiten.“496 Alle religiösen Stiftungen sollten aber „dem Anwachsen des religiösen Verdienstes (puṇya) der Eltern und der eigenen Person (mātāpitror ātmanaś ca puṇyābhivṛddhaye)“ dienen.497

Die in systematischer Hinsicht eigentlich nicht vorgesehene Stiftung für Dritte, also die Verdienstübertragung zugunsten der (lebenden oder verstorbenen) Eltern, auch anderer Verwandten oder der Lehrer des Stifters, ist nach der Vermutung von Annette Schmiedchen der Grund gewesen, dass in Stiftungsurkunden das Motiv des sonst automatisch erwarteten Verdiensterwerbs überhaupt genannt wurde.498 Schon Max Weber hatte im selben Sinn darauf hingewiesen, dass bei diesen Werken für Dritte die Praxis der altüberlieferten Totenopfer nachwirkte, die das Schicksal der Verstorbenen (wie Opfer und Gebete im Christentum) hatten beeinflussen sollen. Die Stiftungsinschriften zeigten jedoch, dass es dem Einzelnen darum ging, sein Wiedergeburtsschicksal zu beeinflussen: „Man bringt Opfer und macht Stiftungen, um künftig in einer ebenso guten oder besseren Lebenslage, z.B. mit der gleichen Frau oder den gleichen Kindern, wiedergeboren zu werden; Fürstinnen wünschen zu erreichen, dass sie künftig in einer ähnlich respektablen Position wieder auf Erden erscheinen.“499 Normative Rechtstexte sahen vor, das Motiv des Verdiensterwerbs für den Stifter und seine Eltern zu verbinden, und brachten auch den zeitlich begrenzten Effekt der guten Tat zum Ausdruck; ein ewiges Seelenheil war nicht vorgesehen. Im ‚Bṛhaspatisṃrti‘ wird dem Herrscher empfohlen: „Nachdem er Land und anderes gestiftet hat, lasse der König auf einer Kupferplatte oder einem Stück Stoff eine rechtmäßige Stiftungsurkunde anfertigen, versehen mit [der Angabe des] Ort[es ihrer Ausstellung], [seiner] Dynastie usw. ‚Heute habe ich zum Zwecke [der Mehrung] meines Verdienstes und desjenigen meiner Eltern dem N. N., Sohn des N. N., aus der vedischen Schule N. N. eine Stiftung gewährt. Sie ist nicht zu verletzen, nicht wegzunehmen, von allen Abgaben befreit, beständig wie Mond und Sonne, vererbbar auf Kinder und Kindeskinder. Dem Stifter und Beschützer [der Stiftung werde] der Himmel und dem Räuber die Hölle für sechzigtausend Jahre [zuteil]‘ – [so] möge er die Frucht der Gabe und [ihrer] Konfiskation beschreiben (…).“500

Wie eng man sich an solchen Vorschriften orientierte, zeigt etwa eine Kupfertafel mit der um 320 u. Z. ausgestellten Stiftungsurkunde des Maharadschas Droṇasiṃha. Die Stiftung war der Göttin Pāṇḍ[u]rājyā gewidmet, ihr Objekt das Dorf Trisaṃgamaka im Distrikt Hastavapra (wohl bei Hathab) und ihr Zweck vielfältig: Bestimmte Kulte sollten ausgestaltet, der ruinierte Tempel wiederhergestellt und barmherzige Speisungen ermöglicht werden; Droṇasiṃha hoffte dafür auf die Zunahme seiner „Siege, seines Lebens, der Früchte des dharma, seines Ruhms und seines Landbesitzes“, er wollte „alles Glück und Sehnen in einer Zeit von eintausend Jahren erreichen und das religiöse Verdienst seiner Eltern und seiner selbst vermehren“. Die Stiftung sollte „dauern so lange, wie der Mond, die Sonne, das Meer und die Erde existieren sowie Flüsse und Berge Bestand haben“. Dem Stifter solcher Ländereien sei verheißen, so zitierte er aus Vyāsa, sich 60.000 Jahre im Himmel zu erfreuen, wer es aber wagen sollte, sie einzuziehen oder ihre Konfiskation zu genehmigen, solle die gleiche Anzahl von Jahren in der Hölle verbringen.501

In scharfer Abgrenzung zum Ritualismus des alten Brahmanentums, aber auf der Grundlage der karman- und Wiedergeburtslehre entstanden bald nach den ersten Upanischaden in Indien die beiden Asketenreligionen des Jainismus und des Buddhismus. Nach seinem Weltbild ist der Jainismus auf Bhārata (Indien), den südlichen Teil des irdischen Zentralkontinents Jambūdvīpa („Insel des Rosenapfelbaums“), beschränkt. Die Jaina-Mönche dürfen sogar nur im Ārya-Land, im „reinen Land“ der Arier zwischen Sindhu (Indus) und Ganges, leben, während ihnen die anderen Völker Indiens als „Unreine“ (mleccha) gelten.502 Deshalb gelangte der Jainismus über Indien im Ganzen nicht hinaus, er hat aber hier bis heute mit einer sehr kleinen Population überlebt.503 Demgegenüber hatte sich der etwa gleichzeitig entstandene Buddhismus bis um die Mitte des ersten christlichen Jahrtausends über den gesamten Subkontinent verbreitet, verlor dann seine Dynamik und ist seit dem 13. Jahrhundert nahezu ganz aus dem Land verschwunden;504 durch missionierende Wandermönche, Händler und die religiöse Präferenz von Herrschern hatte der Buddhismus indessen schon damals auch Süd-, Südost- und Ostasien erfasst und avancierte neben Christentum und Islam bis zur Gegenwart zu einer der drei Weltreligionen.505 Gemeinsam ist beiden indischen Glaubensrichtungen die Trennung des Mönchtums (einschließlich der Nonnen) von den Laien.

Mahāvīra, der seinen Anhängern (jaina) als jina, als „Bezwinger“ oder „Sieger“, gilt,506 hatte schon zu Lebzeiten durch seine Askeseleistungen die „Allwissenheit“ erlangt und bei seinem Tod (wohl nach 527/526 v. u. Z.) die Ruhe des „vollkommenen Erlöschens“ (parinirvāṇa) erreicht: „Dogmatisch gesprochen heißt das: Der jīva, seine Seele, genauer ‚das Leben‘, hatte nicht nur den Körper, sondern alle stoffliche Substanz (speziell das Karma) für immer verlassen. Ohne den Ballast der Materie, sondern als etwas rein Geistiges, gewichtslos und (…) dem Windhauch vergleichbar, war sie in das Nirvāṇa eingegangen.“507 Die Abwertung der Materie ist für den Jainismus konstitutiv508 und lässt eine auf Seele und Leib bezogene Auferstehungslehre nicht zu. Solange die Lebewesen im unaufhörlichen Kreislauf von Werden und Vergehen befangen sind, verbindet sich der jīva, der als ewig gilt, mit den vier Elementen Erde, Wasser, Feuer und Luft, wird durch Bindung an den Körper aber in Fesseln gelegt; seine Existenzformen als Mensch, Gott, Tier oder Höllenbewohner richtet sich nach dem Maß seines erworbenen Verdienstes.509 Wer viel puṇya angehäuft hat, kann in die Götterhimmel aufsteigen und dort sehr lange in Welten des reines Genusses verweilen; irgendwann aber erschöpft sich der Wert seines puṇya, so dass der jīva in eine Existenzform herabsinkt, die durch ein anderes, in einer anderen Existenz erworbenes Karma bedingt ist. Tier- und Höllenexistenzen sind durch böse Taten determiniert, aber auch diese Daseinsform dauert nicht ewig.510 Nur durch den rechten Lebenswandel (caritra) erlangt man die Wiedergeburt als Mensch,511 die erste wichtige Voraussetzung für den Weg zur Erlösung. Dem Laien ist es aber unmöglich, das ewige Heil zu erlangen.512 Der einzige Heilsweg steht dem Mönch offen, selbst Nonnen können ihn nicht gehen, sondern müssen erst als Männer wiedergeboren werden.513 Der Asket kann die Befreiung des jīva von der Fessel des Karmas erreichen, indem er sich von jeder Bindung an die Welt löst. Neben den Verboten, ein Lebewesen zu töten, zu lügen, zu stehlen und unkeusch zu leben, umfasst die fünfte Lebensregel der Mönche deshalb auch nicht nur den Verzicht auf materiellen Besitz,514 sondern umfassender den „auf Liebe zu irgendjemanden und irgendetwas: Denn Liebe erweckt Begehren und erzeugt Karman. Es fehlt (…) [im Jainismus] gänzlich der christliche Begriff der ‚Nächstenliebe‘. Und darüber hinaus sogar etwas, was der ‚Liebe zu Gott‘ entspräche. Denn es gibt keine Gnade und Vergebung, keine Reue, welche die Sünde auslöschte, und kein wirksames Gebet.“515

Die Jaina-Quellen bezeichnen Mönche und Nonnen als die „Bindungslosen“ und die „Frommen“, aber auch die „Unbehausten“ und die „Anteil Suchenden“, also die Almosen Begehrenden.516 Nach ihren Regeln sollen die Mönche auf ständiger Wanderschaft sein und von den Laien – den „Hausbewohnern“ – mit Nahrung und in der Regenzeit vorübergehend mit Obdach versorgt werden.517 Die Laien konnten analog zu den Mönchen „Kleine“ oder „Nachgeordnete Gelübde“ ablegen, die aber den praktischen Erfordernissen des weltlichen Lebens angepasst waren. Das fünfte von ihnen sah Spendenfreudigkeit und die Vermeidung großen Reichtums vor.518 Im Unterschied zu den Brahmanen(-Priestern) waren die Jaina-Mönche zu einer Gegenleistung verpflichtet, die in der Belehrung der Laien bestand.519

In dem Roman ‚Samarāiccakahā‘, der dem Jaina-Gelehrten Haribhadra-sūri im 9. Jahrhundert u. Z. zugeschrieben wird,520 erklärt ein Mönch einem Prinzen, also Laien aus der Führungsschicht, das System der Gaben. Unter den verschiedenen Arten des Spendens lehrt er über das Unterstützen der geistlichen Lehrer: „Das aber ist Essen, Trinken, Kleidung, der Almosentopf und geeignete Medizin; spenden soll der Besonnene auch Lager und Sitz von vorzüglicher Beschaffenheit. – Zu spenden ist demjenigen, der sich dem Studium und der Meditation hingibt und keinen Unterhalt hat. Wer die Last von Askese und Ordensdisziplin trägt, der wird durch diese Spende unterhalten. – Weil sein karman [also alles der unstofflichen Seele anhaftende Stoffliche] leicht ist, darum kann er sein eigenes Selbst und auch einen anderen Menschen den Ozean des Wesenskreislaufes überqueren lassen. Wer mit karman schwer beladen nicht einmal selber ihn überqueren kann, wie soll der einen anderen hinüberschiffen? (…) Rein im Hinblick auf den Geber wird eine Spende genannt, wenn der Geber Erkenntnis besitzt, frei ist von den acht Positionen des falschen Stolzes und vom Freudenschauer der Glaubenszuversicht überrieselt wird (…). Wer aber ohne Glaubenszuversicht spendet im Streben nach Ruhm und Ehre, oder wenn er aus eitlem Stolz gibt: ‚Gebe ich etwa nicht?‘ – solch ein Geber ist verblendet und sein Geist befleckt. Seine Spende gleicht einem Samen, der nicht viele Früchte bringt, denn es fehlt das Wasser der Glaubenszuversicht, mag die Gabe auch reichlich und von vorzüglicher Art sein.“521

Über die Spende der Erkenntnis, die offenkundig von den Mönchen gegeben werden soll, heißt es im selben Zusammenhang: „Das, wodurch eine Seele unterscheidendes Erkennen von Bindung und Erlösung gewinnt, das ist das Spenden von Erkenntnis, der Same für das Gedeihen seligen Glücks. Wenn das gespendet ist, dann wendet sich die Seele, die das reinigende Verdienst und das Böse in seiner Vielfalt restlos genau unterscheidend erkennt, dem einen zu und von dem anderen ab. – Der verdienstvollen Tat sich zuwendend erwirbt sie leicht das Glück der Sterblichen und Unsterblichen, vom Unglück der Höllenbewohner und Tiere aber wird sie frei, von allem Bösen abgewandt. – Und sie erwirbt auch das sehr weite Glück der Erlösung bereits durch die ununterbrochene Kette der glücklichen Existenzen (als Mensch); das ist die Macht ebendieses reinen Erkennens. Weil sowohl in dieser als auch in jener Welt durch Erkenntnis die Seele Glück erwirbt, darum ist das eine vorzügliche Spende.“522

Die radikale Unbehaustheit und Armut ließ eigentlich keine Stiftungen an Jaina-Mönche und -Nonnen zu. Trotzdem sind im mittelalterlichen Jahrtausend auch Tempel- und Klosterstiftungen für sie bezeugt; zusammenfassend schreibt darüber Annette Schmiedchen: „Die Zahl der jinistischen Stiftungen war gesamtindisch gesehen stets relativ gering und konzentrierte sich regional vor allem auf bestimmte Gebiete in Westindien (Gujarat) und im Süden (Karnataka und Tamilnadu). Im Unterschied zum Buddhismus kamen Stiftungen zugunsten von Jaina-Institutionen jedoch auch nach dem 10. Jahrhundert nicht zum Erliegen. Die mittelalterlichen jinistischen Stiftungen gingen an die männlichen Vertreter dieser asketischen Tradition und begünstigten teilweise Mönche und Nonnen gemeinsam (…). Empfänger der Dotationen waren entweder Jaina-Institutionen oder einzelne Jaina-Asketen, die durch ihre Zugehörigkeit zu bestimmten Schulrichtungen charakterisiert sind (…). Die Kultbauten der Jainas waren nicht nur Mahāvīra Jina (…) gewidmet, sondern – da dieser nach Jaina-Auffassung 23 Vorgänger hatte – auch den sogenannten ‚Furtbereitern‘, den Tīrthaṃkaras. Stiftungen sind vor allem für Tempel des Ādinātha (Nr. 1), Candraprabha (Nr. 8) und Pārśvanātha (Nr. 23), des unmittelbaren Vorgängers des Mahāvīra Jina, belegt (…). Die einschlägigen Stiftungsurkunden enthalten meist nur Bestimmungen zur Erhaltung der Bauwerke und zu kultischen Verrichtungen. In relativ wenigen Inschriften ist festgelegt, dass die betreffenden Dotationen auch für die Speisung von Jaina-Asketen zu nutzen waren.“523

Die Stifter konnten freilich auf diesem Weg nur ihre Aussichten auf eine bessere Wiedergeburt erhöhen, nicht aber etwas für ihr Seelenheil tun. ‚Stiftungen für das Seelenheil‘ hatten im religiösen System des Jainismus überhaupt keinen Platz. Erlösung war nur möglich durch radikale Askese (sanskrit.: tapas), die bis zum freiwilligen Hungertod führen konnte.524 Am Ziel waren alle befreiten Seelen „mit dem unpersönlichen, rein geistigen, vollkommenen ‚Absoluten‘ (kevalam)“ vereint,525 aber nachdem sie alle Gestalten ihrer Wesenheiten und den Körper abgestreift hatten, waren sie auch ohne eigene ‚Identität‘. Im ‚Aupapātika-Sūtra‘, also einem Lehrtext aus dem 1./2. Jahrhundert u. Z., wird der Ort der befreite(n) Seele(n) in der Welt selbst beschrieben: „Wo werden die Erlösten abgewiesen? Wo haben die Erlösten ihren Ort? Wo lässt er (der jīva) seinen Körper, wohin geht er und wird erlöst? – In der Nicht-Welt werden die Erlösten abgewiesen, an der Welt Spitze aber ist ihr Ort. Hier lässt er seinen Körper, geht dorthin und wird erlöst (…). Ohne Leib manifest gewordene Seelen, hingegeben dem Schauen und Erkennen, mit Form und ohne Form zugleich, das ist das Kennzeichen der Erlösten. – Dem vollständigen Erkennen hingegeben, erkennen sie das Wesen aller Dinge. Sie schauen überallhin mit Blicken, die alles erfassen und keine Grenzen kennen. – Nicht für Menschen gibt es dieses Glück, noch auch für alle Götter, wie für die Erlösten, die ohne Bedrängnis sind. – Der Glückszustand der Götter, aufgehäuft in aller Zeit und von unendlicher Vielfalt, reicht doch nicht an das Glück des Freiwerdens mit seinen sogar unendlichen Teilen und Teilchen. – Wenn die Fülle des Glücks der Erlösten in aller Zeit aufgehäuft wäre, so würde sie, in ihre unendlichen Teilchen zerlegt, nicht einmal in den gesamten Raum passen. – So wie ein Wilder, der sich auskennt in den vielfältigen Vorzügen der Stadt, nicht davon berichten kann, weil in der Wildnis ein Vergleich fehlt, – ebenso ist das Glück der Erlösten unvergleichlich, nichts ist ihm vergleichbar. Mit Unterscheidungen freilich ist dieses vergleichbar, hört zu: – Wie ein Mann, der eine allen Wünschen entsprechend vorzügliche Speise aß, von Durst und Hunger befreit sich befindet, als sei er mit Nektar gesättigt, – so für alle Zeiten gesättigt, eingetreten in das unschätzbare Nirvāṇa, weilen auf ewig ohne Bedrängnis die Erlösten, glücklich, ins Glück gelangt. – ‚Erlöst‘ heißen sie, ‚erwacht‘ heißen sie, ‚ans andere Ufer gelangt, am Ende der Kette‘, frei sind sie vom Panzer des Karman, alterslos, todfrei und ohne Bindung. – Abgeschnitten von allem Leid, frei von den Banden: Geburt, Alter und Tod, ohne Bedrängnis auf ewig genießen Glück die Erlösten. – Im Ozean unschätzbaren Glücks zu unvergleichbarem Wohlbefinden gelangt, weilen sie in aller zukünftigen Zeit, die Glücklichen, ins Glück gelangt.“526

Mit dem Jainismus teilt der Buddhismus527 das Streben nach Erlösung als Befreiung von der Welt und hier wie dort steht die Gemeinschaft von Mönchen (und Nonnen) im Zentrum des religiösen Lebens und der Lehrtradition. Siddhārtha Gautama, der auch Śākyamuni genannt wurde und aus dem Gebiet des heutige Nepal stammte,528 erlangte im Alter von 35 Jahren die ‚Erleuchtung‘ und verdiente sich daher den Ehrennamen ‚Buddha‘.529 Er hatte sechs Jahre zuvor seine Familie und Heimat verlassen, um als wandernder Bettelmönch die Unsterblichkeit zu suchen – nicht im Sinne eines ewigen Lebens wie die Christen oder Muslime, sondern in der Befreiung von der unendlich langen Reihe leidvoller Existenzen. Das nirvāṇa, das er wohlgemerkt schon zu Lebzeiten und sogar als junger Mann erreicht hatte, bestand in dem Verlöschen von Gier und Lebensdurst, Hass und Verblendung, und sollte bei seinem Tod als Achtzigjähriger mit dem Ende aller Körperfunktionen nur noch in das endgültige Nirvāṇa (parinirvāṇa) übergeführt werden. In der zweiten Hälfte seines Lebens widmete er sich, getrieben von unendlichem Mitleid, dem Bemühen, schlechthin alle Wesen zum Nirvāṇa zu führen. Nach seiner Erfahrung, Überzeugung und Lehre konnte freilich nur jeder Mensch selbst zur erlösenden Einsicht gelangen, dass alles vergänglich, leidensvoll und ohne dauerhaften Kern sein, dass also kein Gott und auch kein Mitmensch ihm dabei helfen könne. Der von ihm nach enttäuschenden Ergebnissen extremer Askese entdeckte ‚mittlere Weg‘ war nur im religiösen Orden, dem saṇgha, zu beschreiten. Dagegen kann der Laie die Erlösung grundsätzlich nicht erreichen.530

Im Gegensatz zum Brahmanismus und Hinduismus, die an die Existenz eines dauerhaften, ewigen Selbst glauben, lehnte der Buddha die Vorstellung von einer Seele radikal ab. „Der Buddhismus ist die Lehre vom Nicht-Selbst (anātmavāda).“531 Menschen, die wie die Laien freigebig waren, sittlich handelten und gute Taten vollbrachten, hofften noch auf eine gute Wiedergeburt nach ihrem Tod, hielten also am Glauben an das eigene Selbst fest. „Der Glaube an ein ‚Ich‘ ist jedoch nicht zu vereinbaren mit buddhistischer Erkenntnis, der Überwindung des Begehrens und dem Weg zum Nirvana.“ Für die Frage, wie die Lehre von der Vergeltung für gute oder schlechte Taten bei der Wiedergeburt mit der Behauptung zu vereinbaren sei, dass kein Wesen einen stabilen Kern habe, den man ‚Seele‘ oder ‚Selbst‘ nennen könne, bot der Buddha eine geniale Antwort an. Das, was sich von Existenz zu Existenz fortbewege, sei nur ein Bündel körperlicher und geistiger Bestandteile, die von der Begierde in Bewegung gehalten werden und in verschiedenen Formationen beim Zyklus der Wiedergeburt in Erscheinung treten.532

Das Nirvāṇa ist nicht das Paradies; es ist ort- und zeitlos und wird negativ bestimmt als „Ende des Leidens“, positiv als „höchstes Glück“ (parama sukha). Da es in ihm aber kein Begehren und keine Empfindung mehr gibt, ist dies ein Glück ohne Glückseligkeit.533

Wie im Jainismus sind die Mönche und Nonnen im Buddhismus auf die Hilfe der ‚Haushalter‘ angewiesen, die sie mit Almosen, Kleidung, Schlafstätten und Medizin (u.a.) versorgen;534 allerdings waren sie selbst, im Unterschied zu den Jaina-Mönchen, nicht zur persönlichen Armut verpflichtet.535 Die Gegenleistung der Asketen für die Gaben der Laien bestand wiederum in deren Belehrung.536 Auf die Verbesserung ihrer Wiedergeburt als Lohn erworbenen Verdienstes sahen sich die Laien auf Dauer auch nicht beschränkt. Am Ende des ersten vorchristlichen Jahrtausends bildete sich eine neue Form des Buddhismus heraus, der Mahāyāna, „Großes Fahrzeug“, genannt wurde und sich polemisch vom älteren Hīnayāna, „Kleines Fahrzeug“, absetzte.537 Die Anhänger verpflichteten sich, die Laufbahn eines Bodhisattva, eines künftigen Buddhas, einzuschlagen. Im Unterschied zum Buddha selbst und seinen ersten Schülern wollten sie den Eingang ins Nirvāṇa auf unvorstellbar lange Zeit hinausschieben und unzählige Existenzen durchlaufen, und zwar, um möglichst vielen Menschen aus Mitgefühl auf ihrem Weg zur Erlösung helfen zu können. Die Selbsterlösungslehre ist hier eine überaus eindrucksvolle Verbindung mit der ebenfalls buddhistischen Idee des grenzenlosen Mitleids eingegangen.538

‚Stiftungen für das Seelenheil‘ konnte es in einer Religion nicht geben, deren Botschaft in der Ablehnung eines beständigen Existenzkerns aller Lebewesen und damit auch der Menschen besteht und deren Ziel gerade die Auslöschung des Ichs mit seinem Lebensdurst und seinem Begehren ausmacht. Stiftungen sind aber möglich als Wohltaten zur Verbesserung des eigenen karman.539 Auch wenn der Buddha gelehrt hatte, dass jeder Mensch nur aufgrund eigenen Verdienstes im Zyklus der Wiedergeburten vorankommen und zuletzt das Nirvāṇa gewinnen kann, lassen sich Gedanke und Praxis der Verdienstübertragung schon im alten ‚Mainstream-Buddhismus‘ verifizieren.540 Das zeigen etwa Stiftungsinschriften an religiösen Bau- beziehungsweise Bildwerken aus Mathurā (heute im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh), die von Mönchen stammten: „(Dies ist) die Gabe des Mönchs Buddhapāla, (die dargebracht worden ist) als eine Tat des Verdienstes für seine Eltern und aller Wesen.“ An „diesem Tag wurde ein Bild des Glücklichen Śākymuni [Buddha] durch den Mönch Buddhavarman errichtet zur Verehrung aller Buddhas. Durch diese religiöse Gabe möge sein Lehrer Saṅghadāsa das Nirvāṇa erreichen, (und es möge auch dargebracht sein) für das Ende alles Leidens seiner Eltern (… und) für das Wohlergehen und das Glück aller Lebewesen.“ „Möge [diese Gabe] eine Art des Verdienstes für seine verstorbenen Eltern sein. Möge sie (auch) Gesundheit schenken seinem Gefährten Dharmadeva.“541 Wie aus den Quellen hervorgeht, sollte die Verdienstübertragung durch Stiftung Lebenden und Toten, Eltern, also Verwandten, und offenbar noch anderen Menschen zugutekommen, während das Nirvāṇa selbst im frühen Buddhismus als Stiftungsziel nicht häufig belegt werden kann.542

Im Mahāyāna-Buddhismus fanden nicht nur die Asketen, sondern auch die Laien Erlösung, indem sie auf die Hilfe von Bodhisattvas vertrauten. Einige dieser Gestalten wurden deshalb besonders verehrt. Zu ihnen gehörte vor allem Maitreya,543 der schon vor dem Buddha Śakyamuni gestorben und in den Tuṣita-Himmel eingegangen sein soll; dort warte er auf den Zeitpunkt seiner Rückkehr auf die Erde, um die Buddhaschaft zu erwerben und den dharma zu verkünden. Von Maitreya, dem zukünftigen Buddha, erhofften sich seine Anhänger, die weniger in Indien als in Zentralasien verbreitet waren, Hilfen in ihrer Todesstunde und das Geleit in seinen ‚inneren Palast‘. Unter den mindestens tausend bezeugten Buddhas wurden neben Maitreya („der Gütige“) auch die fünf ‚Tathāgatas‘ verehrt, die dem Kosmos zugeordnet wurden. Wiederum in Zentralasien sowie in China und dazu in Japan blühte der Kult des Amitābha („unermessliches Licht“; in China: Amituo Fo) oder Amitāyus („unendliches Leben“).544 Nach einem grundlegenden Zeugnis dieser Glaubensrichtung, das im zweiten nachchristlichen Jahrhundert auch vom Sanskrit ins Chinesische übersetzt wurde, soll Amitābha das Gelübde abgelegt haben, die Wesen, die sich ihm anvertrauen, in sein himmlisches Reich aufzunehmen. Allein durch die ständige Rezitation der Formel „Verehrung des Buddha Amitābha“ – bei der es manche bis zu hunderttausend Anrufungen am Tag gebracht haben sollen – erwartete man die Rettung.

Als Begleiter des Buddha war in China und im Mahāyāna überhaupt der Bodhisattva Avalokiteśvara sehr populär;545 in China trug er den Namen Guanshiyin oder Guanyin und wurde meist in weiblicher Gestalt als ‚Göttin der Barmherzigkeit‘ vorgestellt.546 Er gilt als reinste Verkörperung eines Bodhisattva, der erst alle anderen Wesen zur Erlösung führen will, bevor er selbst ins Nirvāṇa eingeht.547 Das in ganz Ostasien populäre ‚Lotos-Sūtra‘, das im Jahr 406 u. Z. ins Chinesische übersetzt worden war, legte im Hinblick auf diesen Bodhisattva sogar dem ‚historischen‘ Buddha folgende Worte in den Mund: „Angenommen, da wären unermessliche hunderttausende und Abermillionen von Lebewesen, die alle Übel und Leiden erfahren. Wenn sie von diesem Bodhisattva Avalokiteśvara erfahren und einen [sic!] Herzens seinen Namen ausrufen, dann wird der Bodhisattva Avalokiteśvara ihre Stimmen wahrnehmen und alle werden von ihren Leiden befreit werden.“548 Die Verehrung dieser Erlösergestalt bezeugen u.a. Malereien in den Höhlen von Dunhuang und anderen Höhlentempeln an der Seidenstraße.549

Dem Kult des Avalokiteśvara zugehörig war die Stiftung eines uigurischen Paares wohl aus Kočo, dem Hauptort der Oasa von Turfan.550 Beide hatten das Bild des Bodhisattva (unter dem Namen Cakravartin-Cintāmaṇi) im späten 10. oder frühen 11. Jahrhundert auf eine Stoffbahn aus Baumwolle malen und dazu eine Inschrift anbringen lassen; drei Fragmente des für einen Tempel bestimmten Banners befinden sich heute in den Berliner Sammlungen. Glücklicherweise ist der Text ihrer Verfügung weitgehend erhalten; aus ihm geht hervor, dass die Stifter nicht nur auf die Hilfe Avalokiteśvaras setzten, sondern auch auf Maitreya hofften: „In einem gesegneten Monat, an einem erwünschten Tag, zu einer auserwählten guten Stunde, im gesegneten Maus-Jahr, im dritten Monat, am Dreizehnten. Ich, der Laie Nam Čor mit starkem Glauben und meine Ehefrau Kiu Šun, wir haben ständig gedacht: Der Körper ist vergänglich, die Habe vergeht. Wir wollen nicht am vergänglichen Körper und an der vergehenden Habe kleben, wir wollen an unsere Seelen denken. Es könnte ja sein, dass wir nicht wieder einen menschlichen Körper erlangen! Deshalb haben wir ergebenst die Figur des Cakravartin-Cintāmaṇi-Bodhisattva malen lassen. Dieses Puṇya, die gute Tat, möge Frucht zeigen! Wir beide und unsere lieben Vertrauten Kutlug Sıŋgur, Ädgü Sıŋgur, Ogul Sıŋgur, Kutadmıš Alp Sıŋgur, unser älterer Bruder Alp Y(ä) gän, unsere Schwiegertochter Yumšak und alle (anderen), wir mögen in der gegenwärtigen Existenz ohne Krankheit und Gebrechen, ohne Gefahren und ohne Leid, glücklich sein! Ferner wenden wir dieses Puṇya, die gute Tat, auch zu unseren verstorbenen Eltern, und wenn es auch bis zur siebten Generation Söhne und Töchter gibt, so mögen sie von den schlechten Wegen erlöst und oben im Tuṣita-Himmelsland wiedergeboren werden! Wir aber mögen kraft des Puṇya, der guten Tat, zur späteren Zeit den Buddha Maitreya schauen, den lieblichen Körper des Buddha Maitreya mit jambunāda-Gold [ausstatten], und (wenn) unsere Kräfte schwinden, mögen wir aus dem [jämmerlichen] Saṃsāra erlöst werden, alle Leiden der fünf Existenzen [mögen schwinden!].“551 Der buddhistischer Lehre widersprechende Passus über die unvergängliche Seele552 mag auf Einflüsse des auf der Seidenstraße und besonders in Kočo selbst verbreiteten Manichäismus zurückgehen.553


Stiftung im buddhistischen Guanyin-Kloster (China): Aufschrift im Wandgemälde von 1468 in der Halle Pilu Dian

Typisch für den Mahāyāna-Buddhismus war es, dass die Frommen das Heil nicht nur für sich selbst suchten, sondern es auch für ihre Familienangehörigen und schließlich für alle Wesen erlangen wollten. Man war sich dieses Unterschieds zum älteren ‚Mainstream-Buddhismus‘ auch durchaus bewusst. In einer chinesischen Schule wurde ausdrücklich gelehrt: „Das Kleinere Fahrzeug hat kein anderes Ziel als persönliche Anliegen. Das Streben dieses persönlichen Interesses ist das Gift für Familien, Klöster, Königreiche und religiöses Leben, denn es zerstört die Erleuchtung (bodhi) beim Handelnden. Das Größere Fahrzeug strebt im Unterschied dazu sowohl nach Erfüllung des persönlichen Interesses als auch nach derjenigen aller anderen. Das ist der Grund, warum die Bodhisattvas in ihrer Gesinnung des großen Mitleids die Methode des ‚Unerschöpflichen Behälters‘ eingerichtet haben. Von den zehn Tugenden ist Barmherzigkeit die erste; unter den vier Wegen der dringenden Bitte ist Freigebigkeit der vornehmste.“554 Das Streben der Gläubigen musste sich darauf konzentrieren, mit Hilfe der Bodhisattvas religiöse Verdienste zu akkumulieren und dadurch sich selbst und anderen, vor allem den Ahnen und anderen Familienangehörigen, das Heil zuzuwenden, wenn möglich bis zum Erreichen des Nirvāṇa.

Im Mahāyāna wurde der Mönch zum Dienstleister des Heils auch für andere. Durch die Laien wurde er in die Lage versetzt, Verdienst zu erwerben, das wiederum auf diese übertragen werden konnte und ihnen in verschiedener Weise zugutekam. „In diesen Vorstellungen von Verdienst“, hat Volker Olles formuliert, „einer Art spirituellen Kapitals (…), liegen die weltanschaulichen Grundlagen des religiösen Stiftens in China.“555 Dessen herausragende Erscheinungsform waren zweifellos die Klöster, die ihrerseits, wie Olles für China geltend macht, stets Stiftungen gewesen sein sollen.556 In einer erzählenden Quelle aus der Mitte des 10. Jahrhunderts wird beispielsweise berichtet, dass der Eunuch Yü Ch’ao-en im Jahr 767 u. Z. ein Landgut, das er vom Kaiser als Geschenk erhalten hatte, für die Stiftung eines neuen Klosters zur Verfügung stellte, damit dort „das Glück jenseits des Grabes“ für die Kaiserin Chang-ching gefördert werde.557 Das Kloster Ayuwang konnte sich schon Jahrhunderte lang der Unterstützung durch verschiedene Kaiser erfreuen, als der Mönch Deguang (1121–1203) den Hofdichter Lu You (1125–1210) die folgende Inschrift für eine Stele verfassen ließ: „Während der Regierungen des Jiayou [1056–1063] und des Shaoxing [1131–1162] statteten Kaiser das Kloster Ayuwang mit Schriftwerken von ihrer eigenen Hand aus. Damit wurden zehntausend Dinge geschmückt. Daraufhin taten alle Götter des Berges und die Geister des Meeres ihr Äußerstes, um ihre Pflichten zu erfüllen. Alle wilden Tiere, die Riesenschildkröten und die Wassereidechsen, die Kraken und die Krokodile, zogen sich unterwürfig zurück. Alle üblen Nebel und bösartigen Dämpfe verschwanden und verschafften reine Luft. Schiffe von weither legten an und Kaufleute kamen aus allen Himmelsrichtungen herbei; Gold floss aus dem Süden und Muscheln ergossen sich auf den Markt und in die Läden – niemand konnte ihre Mengen zählen! Die Deiche und Gräben wurden befestigt und die Ernten waren überreich. Ah! Welche Blüte! Jetzt machte der Mönch Deguang einen guten Nutzen von den kaiserlichen Geschenken und vermehrte sie alle. Er betete für das lange Leben der Kaiser und der Kaiserinnen. Er errichtete segenspendende Werke für die ganze Welt und setzte sie instand, sich zu vervielfältigen; es war alles grenzenlos und friedlich auf ewig. Eine Stele wurde zurechtgemeißelt, und die Inschrift diente zum Bericht dieser Dinge. Es ist klar, dass Buddhisten im Kloster Ayuwang ein friedliches Leben verbringen, hingegeben der Verbreitung des buddhistischen Gesetzes und der Rückerstattung für die Wohltaten der Kaiser; so sollte es auch in Zukunft weitergehen.“558

Wie sich in diesem Text bereits andeutet, mussten die Mönche kaiserlicher Klöster mit ihren religiösen Zeremonien u.a. für die kaiserliche Familie und die Krieger im Felde, für die Sicherheit des Staates oder den Schutz vor Naturkatastrophen wirken, überliefert ist aber sogar ein Ritual für „menschliche Könige“.559 Besondere Klöster wurden zum Gebet für ein langes Leben des Kaisers eingerichtet.560 Neben den kaiserlichen Klöstern gab es die Gründungen vornehmer Familien sowie einfacher Menschen, die sich für eine Stiftung auch zusammentaten. Der Zeitzeuge Falin (572–640) zählte für das Reich der Nördlichen Wei (386–534) 47 große Staatsklöster, 839 Klöster von Prinzen, Herzögen und herausragenden Familien sowie 30.000 oder mehr Klöster gewöhnlicher Stifter; unter den Ch’en (im Norden, 557–589) seien 17 neue Staatsklöster errichtet worden sowie 68 Klöster von Beamten, mit denen anderer Wohltäter im Ganzen 1.232 neue Einrichtungen der Art.561 Verbreitet war offenbar der Typ des ‚Verdienstklosters‘; ein solches Haus wurde gewöhnlich mit kaiserlicher Erlaubnis in der Nähe des Begräbnisplatzes einer wohlhabenden Familie oder eines hohen Beamten errichtet. Es bestand nur aus wenigen Mönchen, die Rituale für das Wohlergehen der verstorbenen Angehörigen der Stifterfamilie zu vollziehen hatten. Allerdings wurden die ‚Verdienstklöster‘ nicht nur aus rein religiösen Gründen geschaffen, da sie auch dazu dienen konnten, für die betreffenden Liegenschaften Steuerfreiheit zu erlangen.562

Besonders viele und aussagekräftige Schriftzeugnisse sind aus der Oasenstadt Dunhuang in der heutigen Provinz Gansu (Nordwestchina) überkommen, die aus der Zeit vom 4. bis 11. Jahrhundert datieren.563 Eine Liste von Schenkungen zeigt die Variationsbreite der Gaben, der Motive und der Gegenleistungen: „Ein shih [Hohlmaß zwischen 20 und 60 Litern] von Hirse für den Bau. Die Absicht des Gläubigen ist es, zugunsten seiner erkrankten Mutter zu handeln, für deren Heilung bisher kein Mittel gefunden wurde. Heute kommt er zum Heiligtum, um für sie um ein Sūtra [also die Rezitation eines buddhistischen Lehrsatzes oder einer Lehrrede] zu bitten. Vermerk des Gläubigen Chih Kang-kang, am 30. Tag des ersten Monats, im Jahr ch’en. – Eine Robe aus weißer Seide, gespendet für den Bau (…). Eine halbe Unze Leim und einen Spiegel, gespendet durch einen Gläubigen für das Fest der Prozession der Statuen, am 8. Tag des fünften Monats (…). Fünf Haarschnitte, gespendet für den Bau durch eine anonyme Gläubige, für das Wohlergeben ihres jungen Bruders, der sich auf eine Reise in den Westen aufgemacht hat. Sie hofft, dass ihm nichts Bedauerliches zustoße und er bald zurückkehren könne. – Fünf Fächer, einen shih Weizen und einen shih Hirse, gespendet zur Ausstattung durch Chan I-tzu, auf dass seine verstorbene Mutter im Reinen Land wiedergeboren werde, sowie für die Wohlfahrt seines Vaters, der an einer Augenkrankheit leidet. Am 8. Tag des zweiten Monats.“ Alle Schenker baten die Mönche, einen Sūtra für sie zu rezitieren.564

Neben Lesungen und Ritualen für ihre Förderer sollten die Mönche auch karitative Werke als Gegenleistung verrichten. Im chinesischen Mahāyāna wurden die größten Ausgaben zwar für den Bau der Gotteshäuser, das Gießen der Glocken und Statuen sowie die liturgischen Feiern gemacht, dann folgten jedoch die Wohltaten für Arme und Bedürftige.565 Der Autor I-ching (635–713) stellte fest: „Fromme Stiftungen machen es möglich, sowohl den Klerus als auch die Laien zu ernähren, denn selbst, wenn die Schenker ihre Gaben den Mönchen machen, dehnt sich ihre Freundlichkeit in der Tat auf alle Menschen ohne Unterschied aus.“566 In einer gleichzeitigen Quelle wird ein buddhistisches Spital erwähnt: „Der Mönch Chihyen [gest. 654] ging dann nach Shih-t’ou [im modernen Nanking], wo er beim Leprosenhaus verweilte. Er predigte den Leprakranken den Buddhismus und versorgte sie in all ihren Nöten: Er saugte ihre Geschwüre aus, wusch sie usw.“567

Ähnlich wie im Christentum glaubte man durchaus, mit den Verstorbenen in einen Dialog über ihr Schicksal im Jenseits treten und dieses beeinflussen zu können. Berichtet wird etwa von Interventionen zugunsten untreuer Verwalter klösterlicher Güter. Der Abt Hui-ch’eng des Klosters Ch’i-fu in Fen-chou hatte an einer Infektion gelitten und war plötzlich mit einem Schrei wie das Brüllen eines Rindes gestorben. Noch in derselben Nacht begegnet er dem Mönch desselben Klosters, Ch’ang-ning, im Traum. „Ich erleide unsagbare Schmerzen“, sagte er, „weil ich wiederholt Güter der Drei Juwelen [des Buddha, des Ordensgesetzes und der Ordensgemeinschaft] für mich selbst verwendet habe. Andere Sünden sind verhältnismäßig unbedeutend, aber keine ist ernster als der Missbrauch von Gütern des dauernden Ordensbesitzes. Gewähre mir freundlich Deine Hilfe.“ Ch’ang-ning las daraufhin einen Sūtra zugunsten des Abtes und betete für den Nachlass seiner Sünden. Der betreffende Berichterstatter gibt zu der Geschichte folgenden Kommentar: „Wenn jemand ein Bettelmönch ist, aber die Lehre von der Vergeltung der Taten nicht versteht, und wenn er sich dauernde Güter zu eigenem Nutzen aneignet, erleidet sowohl der, der solche Güter gebraucht, als auch der, der sie entgegennimmt, böse Folgen dieses Missbrauchs. Die leichteste Vergeltung ist seine Wiedergeburt als ein Ochse, als Tier auf einem bäuerlichen Gehöft oder als Sklave; die schwerste besteht darin, die Martern des Siedens in einem Kessel oder brennender Kohlen zu erleiden. Wenn die Vergeltung richtig erklärt wird, kann solches Leiden vermieden werden.“568 Eine andere Geschichte erzählte man sich von der Begegnung des Mönchs Hsüan-hsü mit seinem Genossen, dem Bettelmönch Tao-ming aus Hsiang-chou in der Hölle. Dieser litt für seine Schuld, dass er ein Darlehen seines Klosters für Feuerholz nicht zurückgezahlt hatte. Um sein schreckliches Dasein zu beenden, bat Tao-ming den Hsüan-hsü darum, einhundert Reisigbündel in seinem Namen dem ewigen Besitz des Klosters für das einzige Bündel zu erstatten, das er sich ausgeliehen hatte.569

Der entscheidende Unterschied zum Seelenheil, das Christen, Muslime und Juden im Jenseits erhoffen, liegt bei den Buddhisten darin, dass jeder Himmel und jede Hölle, mag der Verstorbene auch noch so lange in ihnen verweilen, keine endgültige, ewige Existenz bieten kann und im Nirvāṇa mit der Erlangung des höchsten Glücks auch das Verlöschen der Person verbunden ist. Natürlich kann man daran zweifeln, ob die differenzierten Jenseitsvorstellungen dem einfachen Buddhisten jederzeit präsent und überhaupt einsichtig waren.570 Auch sind die Erwartungen, die vor allem in Zentral- und Ostasien an das „Reine Land“ und die Hilfen von Amitābha (Amituo Fo) oder Avalokiteśvara (Guanshiyin/Guanyin) gerichtet wurden, wohl so hoch gewesen, dass hinter dem glücklichen Land im Westen „selbst das Nirvāṇa verblasste“.571 Trotzdem lässt sich nur schwer ermessen, wie die Glaubensbotschaft über das Endziel aller Wesen wirkte und verstanden wurde. Jedenfalls bemühten sich die buddhistischen Mönche, ihre Religion zu verbreiten, und verbanden ihre Mission unter Umständen geschickt mit ihrem Angebot der Armensorge. Chinesischen Mönchen wurde durch eine Lehrschrift des Mahāyāna folgender Ratschlag gegeben: „Wenn du einem Armen begegnest, frage ihn zuerst: ‚Bist du imstande, deine Zuflucht zu den Drei Juwelen zu nehmen und die Vorschriften zu befolgen?‘ Wenn er mit ja antwortet, lass ihn zuerst die Dreifache Zuflucht nehmen und die Gelübde ablegen, und dann (erst) gib ihm das Almosen. Wenn sie sagen, dass sie dazu nicht in der Lage sind, fahre so fort: ‚Wenn du nicht in der Lage bist, das zu tun, kannst du uns wenigstens folgen, wenn wir die Unbeständigkeit und die Nichtexistenz aller Dinge und die Auslöschung im Nirvāṇa predigen?‘ Wenn die Antwort ja lautet, müssen sie in diesen Wahrheiten unterrichtet werden und (erst), wenn sie unterrichtet sind, sollte ihnen das Almosen gegeben werden.“572 Mindestens sollte also der Anspruch bestanden haben, jenseitige Paradiese als Zwischenexistenzen vom Nirvāṇa zu unterscheiden und dies bei der Glaubensverkündigung auch mit Nachdruck deutlich zu machen.

Weltgeschichte als Stiftungsgeschichte

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