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Innerweltliche Ethik ohne Gottesgericht: Konfuzianismus und Daoismus

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In China dürfte indessen der Kult des Amitābha gerade deshalb so populär gewesen sein, weil dieser nach seinem Zweitnamen Amitāyus „der von unermesslicher Lebensdauer“ bedeutet.573 Im Gegensatz zu den indischen Religionen stand nämlich das Streben nach Unsterblichkeit im Sinne eines unbegrenzten Lebens jedes Einzelnen im Mittelpunkt der chinesischen ‚Weltanschauung‘ und indigenen Religionen. Das heißt allerdings nicht zwingend, dass in China auch ‚Stiftungen für das Seelenheil‘ verbreitet gewesen sein müssten; die Schwierigkeiten, in dieser Frage Klarheit zu erlangen, sind aber enorm. Zwar steht nämlich fest, dass Stiftungen über die Buddhisten und ihre Klöster hinaus auch im Kult der Konfuzianer und Daoisten eine überragende Rolle gespielt haben, doch fehlt es für China fast gänzlich an stiftungsgeschichtlichen Forschungen.574 Die folgenden Darlegungen beruhen deshalb auf Beobachtungen, deren Tragweite im Einzelnen noch zu überprüfen und zu ergänzen bliebe.575

Einzusetzen ist mit dem chinesischen Ahnenkult, einem Ausdruck kosmischer Ganzheit ohne Transzendenzerfahrung.576 Grabbeigaben für das rituelle Mahl der Lebenden mit den Verstorbenen, wie sie für archaische Gesellschaften typisch sind, wurden durch Glockenstiftungen ergänzt, die in Horten gefunden wurden. Vermutlich von dem Fürsten Wu der Qinregierung (reg. 697–678 v. u. Z.) stammt eines der Stücke mit einer umfangreichen Inschrift: „Ich, der Fürst von Qin, verkünde: Meine Vorfahren empfingen den Auftrag des Himmels. Sie wurden mit einer Wohnstätte belohnt, sie erhielten einen Staat. Meine strahlend glanzvollen [Vorgänger] Fürst Wen, Fürst Jing und Fürst Xian vernachlässigten nie die [Ahnengeister] dort oben (oder: sind nicht nachlässig in ihren hohen Stellungen [im Himmel]). In glanzvoller Eintracht mit dem erhabenen Himmel brachten sie die Barbarenländer zum Gehorsam. – Wir, der Fürst von Qin und die Prinzessin aus dem Königshause, verkünden gemeinsam: Wir sind nur mehr kleine Kinder, doch weil wir unentwegt, vom Morgen bis zum Abend, ernsthaft und ehrfurchtsvoll unsere Opferriten verrichten, haben wir vielfachen Segen empfangen. Wir haben es vermocht, unsere Gesinnung klarzulegen und so unsere erblichen Hofbeamten aufzurichten und zu versöhnen (…). Von oben haben wir erleuchtete Tugend empfangen. Damit haben wir unseren Staat befriedet, gesichert und in inneren Einklang gebracht. Wir haben unsere Herrschaft über die hundert Barbarenstämme ausgedehnt (…). [Aus diesem Anlass] machen wir unsere wohlgestimmten Glocken. Ihr wunderbarer Ton ist ‚Tongtong (Tuoyong, Tuoyong)!‘ Mögen wir, wenn man sie beim Festmahl zu Ehren der erhabenen Fürsten erklingen lässt, großen Segen, ungetrübtes Glück, vielfache Seligkeit und große Langlebigkeit von 10.000 Jahren empfangen. – Möge ich, der Fürst von Qin, für immer fest auf meinem Thron bleiben, den großen Auftrag entgegennehmen, herrliches langes Leben ohne Ende genießen und die vier Weltgegenden beherrschen. Möge ich diesen Schatz in Frieden bewahren.“577 Stiftungen zur Verehrung der Ahnen versprachen also Wohlergehen, langes Leben und – wie bei diesem Herrscher – eine erfolgreiche Regierung als Gegenleistung.

Eine deutliche Neuorientierung im chinesischen Denken datiert die Forschung in die spätere Zeit der Östlichen Zhou-Dynastie (770–221 v. u. Z.). Symptomatisch sei dafür ein nachlassender Grabkult, was nicht ohne weiteres mit einer Einschränkung des Ahnenkultes gleichzusetzen sei.578 Statt auf die Kommunikation von Lebenden und Toten sei es jetzt aber stärker auf die Trennung beider Sphären angekommen, was auf die Erfahrung der Transzendenz hindeutet. Emblematisch für den Umbruch stehen die ‚Gespräche‘ des Konfuzius (gest. 479 v. u. Z.), die entweder auf diesen selbst oder dessen Schüler zurückgeführt werden müssen.579 ‚Konfuzius‘ lehnte den Ahnenkult keineswegs ab,580 entzog sich aber klaren Aussagen über die Welt der Geister und Götter, um desto energischer auf die Pflichten gegenüber Mitmenschen, ‚Gesellschaft‘ und ‚Staat‘ hinzuweisen. In diesem Sinne kondensiert seine Botschaft die Sentenz über die Weisheit: „Fan Tschï fragte, was Weisheit sei. Der Meister sprach: ‚Seiner Pflicht gegen die Menschen sich weihen, Dämonen und Geister ehren und ihnen fernbleiben, das mag man Weisheit nennen.‘“581 Die geradezu agnostische Haltung der ‚Gespräche‘ kommt auch beim Thema ‚Tod und Leben‘ zum Ausdruck: „Gi Lu fragte über das Wesen des Dienstes der Geister. Der Meister sprach: ‚Wenn man noch nicht den Menschen dienen kann, wie sollte man den Geistern dienen können!‘ (Dsï Lu fuhr fort): ‚Darf ich wagen, nach dem (Wesen) des Todes zu fragen?‘ (Der Meister sprach): ‚Wenn man noch nicht das Leben kennt, wie sollte man den Tod kennen?‘“582 Statt dessen formulierte ‚Konfuzius‘ weltgeschichtlich zum ersten Mal die ‚goldene Regel‘ der Mitmenschlichkeit: „Dsï Gung fragte und sprach: ‚Gibt es ein Wort, nach dem man das ganze Leben hindurch handeln kann?‘ Der Meister sprach: ‚Die Nächstenliebe. Was du selbst nicht wünschest, tu nicht an andern.‘“583 Wo Verdienst zu erwerben war, winkte diesseitiges Gedenken, ja Ruhm: „Der Meister sprach: ‚Der Edle hasst (den Gedanken), die Welt zu verlassen, ohne dass sein Name genannt wird.“584

Fragen nach dem transmortalen Dasein selbst soll Konfuzius dagegen ausgewichen sein; als er schwer erkrankte und ihn sein Schüler Dsï Lu fragte, ob er für ihn beten lassen dürfe zu den „Götter[n] oben“ und den „Erdgeister[n]“ unten, reagierte der Meister recht barsch, er habe „lange schon gebetet“.585 Schüler und Familie sorgten indessen für sein Andenken in Qufu, wo Konfuzius geboren und begraben worden war; entscheidend für den Konfuzius-Kult wurde schließlich die Zuwendung der Kaiser.586 Der Gründer der Han-Dynastie, Han Gaozu (reg. 206–195 v. u. Z.), war der erste, der am Konfuziustempel persönlich opferte; die folgenden Herrscher statteten die ‚Kongs‘, Nachkommen des Konfuzius, mit erblichen Ehren und Ländereien aus und brachten wiederholt Spenden zur Renovierung des Tempels auf. In der mittleren Han-Zeit verfügten die Kongs bereits über 3.800 Haushalte, die ihnen für die Opfer an Konfuzius in ihrem Tempel übertragen worden waren.587 Später spendete Kaiser Ming Taizu im Jahr 1368 allein 98.400 Morgen Land. Natürlich dienten die Gütergaben, die durch Steuerbefreiungen ergänzt wurden, auch der Versorgung der Kong-Familie selbst.588 Zweifellos handelte es sich bei diesen materiellen Ausstattungen des Konfuziustempels von Qufu um Stiftungen – Stiftungen freilich, die ‚nur‘ einem diesseitigen Gedenken dienen und die lebenden Angehörigen des Beistands ihres Ahnen versichern sollten. Beachtenswert ist, dass sich der Kult des Konfuzius, zu dem auch die Verehrung seiner Schüler und später weiterer Gelehrter trat, nicht auf einen einzigen Ort beschränkte. Bereits unter Kaiser T’ai-tsung (627–649 u. Z.) war der Befehl ergangen, in allen Provinz- und Distriktschulen Konfuziustempel zu errichten;589 die Maßnahme stand im Zusammenhang mit dem Ausbau des Prüfungssystems für Beamte. In der Forschung hat man deshalb davon gesprochen, Konfuzius sei „zu einer Art Gottheit der Staatsverwaltung“ erhoben worden, was „natürlich etwas ganz anderes (sei) als der buddhistische Appell an das Erlösungsstreben jedes einzelnen Individuums“590.

In der konfuzianischen Ethik rangierte die Sorge um die eigene Familie vor den Pflichten gegenüber dem Staat;591 wo wie im Konfuziuskult die Ahnenverehrung zur Staatsangelegenheit, also zur Aufgabe Dritter, wurde, konnten Memorialstiftungen ihren Platz finden. Eine Entwicklung wie im Hellenismus oder republikanischen Rom, wo nachlassende Familiensorge gegenüber den Verstorbenen zur Ausbildung von Totenstiftungen geführt haben soll,592 ist in China wohl undenkbar gewesen. Allerdings wird den Konfuzianern von der modernen Wissenschaft durchaus ein eher pragmatisches Verhältnis zum Ahnenkult bescheinigt. Hans von Ess hat darauf hingewiesen, dass die Intensität der Ahnenverehrung vom sozialen Rang oder von der Zeitstellung beziehungsweise dem Verwandtschaftsgrad abhing. Nach einem normativen Text des chinesischen Altertums habe der „Himmelssohn“, also der Zentralherrscher, sieben Ahnen zu verehren gehabt, ein Lehensfürst fünf, ein Würdenträger noch drei, während ein einfacher Beamter nur zum Gedenken seines Vaters verpflichtet war. Spätere Konfuzianer haben auch dem einfachen Mann die Verehrung von vier Vorfahren zugestanden. Die Tafeln mit den Namen anderer Vorfahren seien im Laufe der Zeit aus den Ahnentempeln und Ahnennischen der Privathäuser entfernt worden „und es gibt wenig Hinweise darauf, dass man sich die Welt oder gar den Himmel als von unsichtbaren Ahnen bevölkertes Pantheon vorgestellt hätte“.593

Die Signatur der Achsenzeit, die sich bei ‚Konfuzius‘ trotz Festhaltens an der Ahnenverehrung an der entschiedenen Hinwendung zur innerweltlichen Ethik festmachen lässt, prägte auch den Daoismus mit seinen grundlegenden Schriften.594 Das eine Werk, das ‚Daodejing‘, stammte zwar sicher nicht von einem einzigen Autor, dem angeblichen Zeitgenossen des Konfuzius, Laotse, geht aber mit seinen ältesten Schichten wohl ins 4. vorchristliche Jahrhundert zurück und wurde in seiner heutigen Form vor allem im frühen 3. Jahrhundert u. Z. verfasst.595 „Der wichtigste Beitrag des Daodejing zum Daoismus und zum chinesischen Denken überhaupt liegt in der neuen Bedeutung, die dem Wort ‚dao‘ gegeben wurde. Gewöhnlich und dem verbreiteten Verständnis nach bedeutete es ‚Weg‘, ‚Methode‘ oder ‚Lebensregel‘, aber im Daodejing nimmt ‚dao‘ zum ersten Mal die Bedeutung der ‚Letzten Wahrheit‘ an, des ‚Einen und Transzendenten‘, des ‚Unsichtbaren‘ (yi), ‚Unhörbaren‘ (xi) und ‚Unerfahrbaren‘ (wei), des ‚Nicht zum Gebrauch Bestimmten‘ und ‚Nicht-Benennbaren‘. Da das Dao jenseits aller Unterscheidung und allen Urteilens liegt, kann es nicht ‚gesagt‘ oder in bestimmter Weise praktiziert werden. Man kann von ihm keinen Gebrauch machen, da es ‚weder dies ist noch jenes‘. Trotz seiner negativen Bestimmung wird dem Dao wegen seiner Kraft zugeschrieben, es sei die Quelle allen Lebens, die ‚Mutter‘, das ‚Durchdringende‘, ‚reich an Verheißungen‘ und der einzige Bezugspunkt von Gewissheit. In diesem Sinne ist es ‚sowohl dieses als auch jenes‘. Alles, was gesagt werden kann und einen Namen hat, ist vergänglich und gehört der Welt an; nur das Dao hat keinen Namen und ist ewig. ‚Benennen‘ und Sprache werden trotzdem als die ‚Mutter‘ aller Dinge bezeichnet.“596 Alle Schulen des Daoismus haben an dieser Grundbedeutung des Dao festgehalten. „Das Dao ist die Quelle der Welt, der Punkt, zu dem alles zurückfließt, der ‚Schatz der Welt‘, dasjenige, durch das Himmel und Erde bestehen.“ Das ‚Daodejing‘ will zeigen, dass die Sprache die Wirklichkeit der Dinge nicht erfassen kann, aber indem es demonstriert, dass jede Annahme ihre eigene Verneinung impliziert, sucht es die beiden zu vereinen wie die Medaille mit ihren beiden Seiten. In kosmogonischer Sicht geht es um die „Rückkehr“ (*fan) zur ursprünglichen Ungeteiltheit, so wie ein Kleinkind mit seiner Mutter eine Einheit gebildet hat. Rückkehr zum Anfang bedeutet zugleich Rückkehr zur ordentlichen Welt.

Die Erfahrung der zerbrochenen Einheit, also die Erfahrung der Transzendenz, ist der – negative – Ausgangspunkt für die Lehre des ‚Daodejing‘, die den Daoismus bestimmt hat. Das Werk wendet sich aber entschieden gegen die Lösung der Konfuzianer, die Spaltung durch Ethik und Rechtlichkeit zu überwinden: „Mit dem Niedergang des großen Dao entstanden Menschlichkeit und Rechtlichkeit; sobald es Klugheit gab, entstand die große Heuchelei; als die Familienbeziehungen nicht mehr harmonisch waren, entstanden Kindespietät und elterliche Fürsorge; als die Staaten ins Chaos stürzten, entstanden loyale Minister.“597 Moralische Werte mussten erst geschaffen werden, als die natürliche Güte, die aus der Harmonie mit dem Dao hervorging, verloren war. Der weise Herrscher, an den sich das ‚Daodejing‘ besonders wendet, solle deshalb so regieren, dass das Gemeinwesen zum Dao geführt wird: „Beende Weisheit und verwerfe Klugheit – das Volk wird hundertfachen Nutzen daraus ziehen. Beende Menschlichkeit und verwerfe Rechtlichkeit – das Volk wird zu Kindespietät und elterlicher Fürsorge zurückkehren. Beende Geschicklichkeit und verwerfe Profit – und es wird keine Räuber und Diebe mehr geben.“598

Das zweite wichtige Grundlagenwerk des Daoismus, das ‚Zhuangzi‘, kann einer historischen Person zugeschrieben werden, dem Zhuang Zhou, der 290 v. u. Z. gestorben ist; allerdings gehen nur die ersten Teile auf ihn selbst als Autor zurück, andere stammen von seinen Schülern und späteren Verfassern.599 Im Unterschied zum ‚Daodejing‘ wendet sich das Buch von „Meister Zhuang“ nicht an den Herrscher, sondern mit Ratschlägen und Geschichten zur rechten Lebensgestaltung an jeden Menschen. Das Dao wird erneut als nicht artikulier- und analysierbar dargestellt. Es geht nicht darum, es zu verstehen, sondern nur, es zu erleben. Ziel muss es sein, das Bewusstsein von allem erlernten Wissen zu befreien und die Distanz zwischen Subjekt und Objekt aufzuheben. In tiefer Versenkung soll das Individuum sich selbst verlieren, um den kosmischen Strom des Dao als eigentliche Wirklichkeit zu erleben. Im ‚Zhuangzi‘ wird dieser erstrebte Zustand exemplarisch beschrieben: „Ich zerschmettere meine Glieder und meinen Leib, vertreibe meine Wahrnehmung und meinen Verstand, werfe die Form fort, entrümpele mich von jedem Verstehen und mache mich selbst eins mit der Großen Durchfahrt.“600 Das vollkommene Selbstvergessen bedeutet, in das Nichtsein des Universums einzutauchen. In diesem Sinne hat ein Kommentator des ‚Zhuangzi‘ im 3. nachchristlichen Jahrhundert über das Vergessen des Selbst geschrieben: „Zuerst vergisst man alle äußeren Dinge, dann vergisst man auch, was diese Dinge hervorgebracht hat. Im Inneren ist man sich nicht bewusst, dass es ein Selbst gibt, im Äußeren weiß man überhaupt nicht, dass es Himmel und Erde gibt. So wird man vollkommen leer und kann sich mit allen Wandlungen vereinen, ohne etwas nicht durchdrungen zu haben.“601 Der individuelle Tod selbst ist in dieser Perspektive nichts als Teil des ewigen und beständigen Wandels des Dao. Konsequent dem Gedanken des Wandels verpflichtet, propagiert das ‚Zhuangzi‘ aber auch die Auffassung, dass das ‚Goldene Zeitalter‘ vergangen ist, also Rückschau nicht lohne, sondern der Einzelne das Leben genießen solle, so lange, wie es dauere. Das Werk konnte durchaus als Einweisung in den Hedonismus gelesen werden, denn universale Harmonie soll am ehesten erreichbar sein, wenn jedermann seine Wünsche erfülle, da alle Wünsche und Sehnsüchte organischer Teil der Natur und des Dao seien. Jede Art und Weise, emotionale und physische Wünsche zu unterdrücken, bedeute hingegen einen Bruch mit der Harmonie der Natur und sei deshalb zu vermeiden.

Aus den frühen Schriften des Daoismus ergibt sich also eine Tendenz zur Leere und Selbstvergessenheit, die natürlich diametral einer Auffassung vom individuellen Seelenheil entgegensteht, wie dies etwa die monotheistischen Religionen Christentum und Islam anstreben. Andererseits lassen sich ihnen auch Tendenzen der chinesischen Kultur zur Lebensbejahung des Einzelnen ablesen. Als der Daoismus als Religion seine besondere Gestalt gewann,602 das war in der späten Zeit der Han-Dynastie (23–220 u. Z.), konnten deshalb auch gewisse Lehren und Techniken der Lebensverlängerung beziehungsweise des Strebens nach Unsterblichkeit einwurzeln und hier sogar ihre für China stärkste Ausprägung erlangen.603 Begriffe für langes Leben (shou, changsheng) waren schon auf Bronzeinschriften der Zhou-Zeit begegnet; mit ihnen war die Erwartung verbunden, dass menschliche Wesen bei Beachtung bestimmter physikalischer Praktiken ihre volle Lebenskraft entfalten und einen frühen Tod vermeiden können. In der Zeit der ‚Streitenden Reiche‘ (403–221 v. u. Z.) erschien dann der Ausdruck chengxian, „ein Unsterblicher werden“, der eine Transformation des Leibes und den Gewinn einer transzendenten Existenz bezeichnet. ‚Langes Leben‘ und ‚Unsterblichkeit‘ als Ziele chinesischer Lebensgestaltung und Religion müssen also auseinandergehalten werden.604 Die Jünger des Daoismus wollten vor allem die Unsterblichkeit erlangen: „Diese Änderung des Zustandes, diese Transzendenz, wurde gleichgesetzt mit der Erlangung des Dao durch Vereinigung mit ihm.“605

Die Daoisten gingen für den Gewinn der Unsterblichkeit bei den fangshi, „Meistern der Methoden“, in die Lehre, die neben Astrologie und Wahrsagerei vor allem die Herstellung von Lebenselixieren betrieben.606 Diese Experten der Unsterblichkeit lebten mindestens seit dem 4. vorchristlichen Jahrhundert an der chinesischen Meeresküste; sie wussten von Bergen, wo die „Unsterblichen“ weilten und Kräuter für die Überwindung des Todes heranzogen. Differenzierte Urteile über die verschiedenen Methoden gab der „Meister, der die Einfachheit umarmt“, namens Ge Hong (283–343 u. Z.) ab.607 In seinem Buch ‚Baopu zi‘ ordnete er Divination und Magie als minder wirksame Mittel ein, die Unheil durch Dämonen und Geister nicht zu bannen vermöchten, während Kräuterpillen zur Lebensverlängerung beitrügen. Die verbreiteten Atemtechniken, Gymnastiken und bestimmte Sexualbräuche waren nach Ge Hong der Alchemie und verschiedenen Arten der Meditation unterlegen.608

Es waren also Praktiken, durch die die Daoisten aller Zeiten das Ziel ihres Lebens zu erreichen suchten. Allerdings darf dieses Streben nicht mit Begriffen des modernen Individualismus missdeutet werden: „Die Theorie des Daoismus akzeptierte keine Dichotomie zwischen dem ‚Selbst‘ und dem ‚Anderen‘. Im Gegensatz zu ihren Kritikern (…) gründete die daoistische Selbstkultivierung niemals in einem Glauben, dass jedes menschliche Wesen ein abgetrenntes, geschlossenes und individualisiertes ‚Selbst‘ ist, das größeren Wert hat und mehr Aufmerksamkeit verdient als das, was sich außerhalb solcher Einheiten befindet. Die Daoisten glaubten vielmehr, dass das ‚Selbst‘ einer Person nicht verstanden oder erfüllt werden kann ohne Bezug auf andere Menschen und ohne den breiteren Rahmen von Wirklichkeiten, in den alle Menschen auf natürliche und geeignete Weise eingefügt sind. Es ist diese grundsätzlich holistische Perspektive, die daoistische Ideen und Praktiken von dem meisten unterscheiden, was in anderen chinesischen Theorien gelehrt wird, ganz zu schweigen von anderen Ländern in Asien oder anderswo.“609

Wege zur Unsterblichkeit wurden auch durch eine reiche Überlieferung von Biographien der „Unsterblichen“ vermittelt.610 Auf dem Weg zur mystischen und transzendenten Vereinigung mit dem Dao ist der Aufstieg in den Himmel zu Lebzeiten am günstigsten; der so Beglückte wird in die Luft erhoben und verschwindet, oft begleitet von verschiedenen Geistern, in den Wolken. Die zweite Variante besteht in der Befreiung vom Körper und Wiederauferstehung nach einem vermeintlichen Tod; dabei bleiben oft die Kleider im Grab zurück oder der Leib des unsterblich Gewordenen wird durch bestimmte Gegenstände substituiert, etwa einen Talisman, einen Bambusstock oder ein Schwert.611 Dem Unsterblichen wurde die Fähigkeit zugeschrieben, zu fliegen, in die Ferne zu streifen und zu helfen; oft wurden sie mit Bergheiligtümern als Orten ihrer Divination in Verbindung gebracht. Sie konnten für besondere Zwecke den Körper eines Tieres annehmen, bestimmte Gegenstände mit sich in die Lüfte entführen, sich aber auch in verschiedenen Gestalten vervielfältigen oder an mehreren Orten zugleich sein; sie waren in der Lage, Kontrolle über Gegenstände und Lebewesen aller Art auszuüben und besonders die guten und bösen Handlungen von Tieren und Geistern zu beherrschen. Schließlich verfügten sie über Heilkräfte und die Fähigkeit, die Zukunft vorauszusagen. Besonders mit der zuletzt genannten Kunst spielten sie für Herrscher, die ihre Dynastie begründen oder legitimieren wollten, eine wichtige Rolle in Staatsangelegenheiten.612

Jedem Menschen wohnen nach chinesischem Denken zwei Typen von Lebensenergie inne, die oft als ‚Seelen‘ verstanden werden, hun und po. Hun leuchtet hell und bewegt sich frei in den Lüften, po ist dagegen dunkel und schwer; hun repräsentiert Geist, Bewusstsein und Intelligenz, po steht für physische Natur und körperliche Kraft. Beim natürlichen Tod entweicht hun in den Himmel, po kehrt zur Erde zurück; seit der frühen Zhou-Zeit ist dieser Ort auch als Unterwelt beschrieben. Zuerst errichtete der Adel Schreine für Opfer an die hun; die Gaben dienten dem Wohlergehen der Ahnen ebenso wie dem ihrer lebenden Nachkommen. Das dämonische po dagegen besänftigte man durch aufwendige Begräbnisse und Grabmäler, um es von der Wiederkehr im Diesseits abzuhalten. Bei der späteren Ausbreitung des adligen Kultes für hun und po auf andere Schichten vermehrte sich die Zahl des hun auf drei und des po auf sieben. Die fangshi entwickelten Methoden, um beide Arten der ‚Seelen‘ zu kontrollieren.613

Als Wohnsitz der Toten erwähnt das ‚Baopu zi‘ (um 320 u. Z.) zum ersten Mal den Berg Fengdu, der zu einer Art chinesischem Fegefeuer wurde.614 Im Fengdu, angeblich im nördlichsten Teil des Universums gelegen, sollten sich die „Sechs Himmel“ befinden, wo die Daoisten alle verderbenden Energien lokalisierten. Diese Welt des Todes wurde durch eine riesige Verwaltung geordnet, mit Palästen, Residenzen, Büros und Gerichtshöfen. Dort wurden Aufzeichnungen über die Toten geführt und von Zeit zu Zeit überprüft. Tugendhafte Verstorbene wurden von hier in himmlische Paradiese geführt, während Sünder in „Erdgefängnisse“ gesperrt wurden, die in tiefen himmlischen Höhlen eingegraben waren. Im Fengdu verwalteten die Toten sich selbst; an der Spitze der Hierarchie stand der Nördliche Kaiser namens Beidi. Auch wenn es sich um einen Gerichtshof für Verstorbene handelte, war er mit Juwelen und Perlen reich ausgestattet und sogar eine besondere Reissorte soll dort gediehen sein; erst unter buddhistischem Einfluss wandelte sich Fengdu zu einem Ort der Qualen und des Schreckens für tote Sünder.

Im Daoismus müssen verschiedene Strömungen und Schulen mit ihren je besonderen Schrifttraditionen unterschieden werden. Ein Grundmotiv dieser Religion(en) war die ‚Selbstheiligung‘, also die Sorge des Einzelnen für sich selbst; repräsentativ für diese Haltung war das ‚Shangqing‘, das ins 4. Jahrhundert zurückging und sich in einem besonderen Ensemble von Lehren und Praktiken manifestierte.615 Unsterblichkeit wird hier nicht mehr wie noch im ‚Baopu zi‘ physisch und körperlich, sondern als eine spirituelle Qualität aufgefasst, die weniger durch Rituale und direkte Appellationen an göttliche Wesen als durch Gebete, Gesänge, die Versenkung in heilige Schriften und die visuelle Vergegenwärtigung von Geistern und Himmlischen erreicht werden sollte. Verinnerlichung war also der innovative Zug des ‚Shangqing‘ und dessen Errungenschaft für den Daoismus überhaupt. Unsterblichkeit galt als eine ‚private‘ Angelegenheit ohne Intervention menschlicher Vermittler, gestützt womöglich aber auf göttliche Helfer, die dem Gläubigen die Schlüssel zu himmlischen Palästen übergeben konnten. Letztes Ziel der Anhänger war, als Unsterblicher in der Leere zu weilen, wo aber ewige Jugend und übernatürliche Kräfte verheißen waren, mit denen sich die ganze Welt steuern ließ. Das erstrebte Dasein wurde zugleich als eine Transzendenz beschrieben, die jenseits des Dualismus von Leben und Tod, des Seins und des Nichtseins, der Helle und der Dunkelheit lag. Die Gläubigen hofften, dass ihre Namen in den von göttlichen Wesen geführten Listen des Lebens (shengji) geführt würden. Das Heil konnte man auch nach dem Tod erlangen und dabei von einem unteren Rang der Unsterblichen, des ‚Verwalters der Unterwelt‘, zu einem himmlischen Unsterblichen aufsteigen.

Auf menschlichen Beistand setzte im Unterschied zum ‚Shangqing‘ die Schule der „Orthodoxen Einheit“, Zhengyi.616 Ihr Ursprung lag bei einer dramatischen Offenbarung für den Transzendenzsucher Zhang Daoling617 im Jahr 142 u. Z.; diesem erschien der vergöttlichte Laotse618 auf dem Berg Heming, der einen neuen Bund zwischen den wahren Göttern des Daoismus und dem Volk schließen wollte. Der Vorgang gilt geradezu als Geburtsstunde des Daoismus als geordnete Religion, in der den Priestern die führende Stellung zukommen sollte.619 Zentrale Lehre in der Frühzeit der Bewegung war die Abwendung von Blutopfern für die traditionellen Götter und der gleichzeitige Verzicht der religiösen Führer auf finanzielle Entlohnung ihrer Dienstleistungen: „Die Götter essen und trinken nicht, der Meister nimmt kein Geld.“620 Die Priester wurden als „Dämonensoldaten“ (guibing) und „Weinzuteiler“ (jijiu) bezeichnet und hatten die Aufgabe, von den Anhängern die jährliche Getreidesteuer einzusammeln, „Sozialstationen“ (yishe), die von diesen Einnahmen unterhalten wurden, zu leiten und andere öffentliche Angelegenheiten wie den Straßen- und Brückenbau zu regeln. Sie leiteten drei Versammlungen im Jahr, bei denen die Gläubigen ihre Sünden bekannten, über Geburten, Todesfälle und Heiraten berichteten und ein gemeinsames Mahl eingenommen wurde.621 Seit dem 6. Jahrhundert und bis zur Gegenwart setzte sich der daoistische Klerus als Beruf mit ritueller Spezialisierung durch, der eine langwierige Ausbildung in der Tradition des Dao verlangte und sich von einfacheren Kultpraktiken abgrenzte. Die Priester, daoshi, erlangten ihr Amt häufig als Sohn oder auch Tochter eines daoshi.622 Die berufliche Spezialisierung und ständische Abgrenzung führte dazu, dass es eine daoistische Laienbewegung eigentlich nicht gab: „In der westlichen Wissenschaft bezeichnen wir nur den Priester (dao-shi) als Taoisten, den das Wissen um die göttliche Natur des Menschen und die entsprechenden religiösen Methoden auszeichnet, mit denen er dieses Wissen für das Gemeinwesen, für Staat und Gesellschaft, wie auch für Individuen und nicht zuletzt für sich selbst nutzen kann.“623 Die Schule erkannte die „Himmelsmeister“ als religiöse Führer an, die sich ebenso auf Zhang Daoling zurückführten und ihre Sukzession lückenlos bis ins 20. Jahrhundert nachweisen können.624

Die Leistungen der Daoisten für Staat und Gesellschaft wurden allgemein anerkannt, insbesondere auch die ihnen zugeschriebene Kraft zur Heilung, die auf ihre Spiritualität zurückgeführt wurde. Am Hof der Tang-Dynastie (618–907 u. Z.) berichtete darüber ein Daoist in seiner Enzyklopädie ‚Perlenbeutel aus den Drei Höhlen‘ am Beispiel bestimmter Persönlichkeiten: „Der Taoist Ren Dun lebte zurückgezogen in den Jahren 307–313 am Berg Mao-shan in Kiangsu, wo er die Substanz ‚Rote-Mineralien-Paste‘ selbst verwendete. Wenn er unter das Volk ging, hatte er stets die religiösen Verhaltensregeln und Schriften bei sich, um das Volk anzuleiten. Trotz großen Zulaufs hat sich noch kein würdiger Schüler gefunden. – Du Gui stand in der Tradition des Zheng-yi-Taoismus. Er hatte sich schon früh der Organisation und den Registern des Himmelsmeisters angeschlossen, um im Volk zu helfen. Innerlich und äußerlich von integrer Art, hat er nicht nach Almosen getrachtet. Schließlich hatte er sich einen Amtssitz eingerichtet, von wo aus er den Menschen half. Als der Vorsitzende Minister Lu Na im Alter von 40 Jahren an einem Tumor erkrankte, hat er zu Du Gui gesagt, dass in seiner Familie nur kurzes Leben vererbt werde und zum Lebensende immer solche Geschwüre kämen. Du Gui aber hat die Gefahr für das Leben des Lu Na durch eine Gebetspetition an die Gottheiten und durch ein Medizinpulver beseitigt. Lu Na wurde, wie von Du Gui prophezeit, 70 Jahre alt. – Liu Ning-zhi hat auf der Südseite des Berges Heng gelebt, wo er Medizinen einsammelte und konsumierte. Er hatte das ‚Tao der guten Einwirkung der Himmelsmeister auf das Volk‘ erhalten und ausgeübt. Zusammen mit seiner Frau, die über die gleichen Mittel verfügte, hat er dem Volk in Not geholfen, wobei ihm wundersame Wirksamkeit beschieden war (…). – Der Taoist Wang Zhong-fu hatte sich von klein an der Sache der göttlich Unsterblichen gewidmet. Er hatte sich über 40 Jahre lang in Atemtechniken und diätetischen Praktiken geübt, ohne besondere Ergebnisse. Sein Sohn dagegen war nach achtzehn Jahren erfolgreich und fuhr am hellen Tage in den Himmel auf. Später hat dann die Vollkommene vom hl. Berg des Südens [Wei Hua-cun, Nan-yue zhen-ren] Wang Zhong-fu davon unterrichtet, dass sein Misserfolg durch Krankheiten, durch Mangelerscheinungen im ‚Palast des Hirns‘ verschuldet worden war. Jener hat dieses Problem gelöst und war dann ebenfalls nach achtzehn Jahren erfolgreich und avancierte zum Stand eines Vollkommenen des heiligen Berges der Mitte [Song-shan]. Dort steht er dem Büro der Neun Himmel vor.“625

Seit den Anfängen des religiösen Daoismus wurden Tempel errichtet und gebraucht; sie wurden als „Hotel“ bezeichnet, weil die „Weinzuteiler“ dort den (laikalen) Gästen ihre Schuldbekenntnisse abnahmen und Heilkontrakte mit den Göttern aufsetzten; später wurde die Bezeichnung aber fast vollständig von guan verdrängt, was „Observatorium“ oder „Belvedere“ bedeutet. In diesem Wort kommt die doppelte Blickrichtung zwischen dem Priester und den Gottheiten zum Ausdruck: „So wie der Taoist bei seinen Ritualen, bei Petitionen an die Gottheiten und meditativen Reisen zu den Sternpalästen der Gottheiten nach oben schaut, zum Himmel, so schauen die Gottheiten durch ihr ‚Observatorium‘, den Tempel, nach unten in die Welt der Menschen.“626 Es gab Observatorien der Gottheiten in himmlischen Sphären und solche auf Erden. Ihre Lage wurde als „Glücksorte“ bezeichnet, an ihnen begegneten sich der Mensch und die transzendenten Götter. Auch unabhängig von Priestern und Ritualen konnten die Gläubigen diese Stätten in ihrer Hoffnung auf Heil und Rettung aufsuchen; Gesellschaft und Staat waren zum Unterhalt der Tempel verpflichtet. Eine Schrift über ‚Die Gründung von Tempeln‘ schrieb vor: „Was die Verteilung und Anlage solcher göttlicher Wohnstätten auf Erden betrifft, Orte und Gebäude unterliegen alle strengen Regeln. Generell eignen sich sechs Arten von Lokalität für ihre Anlage, und zwar Berge, Städte und Vorstädte, Paläste und ihre Seitengebäude, Dörfer, einsame Orte und belebte Orte. In allen Fällen bedarf es der materiellen Unterstützung und der Patronage des Kaisers und der lokal Mächtigen sowie der Begleitung der Konstruktion und deren Erhaltung durch die höchsten Beamten der Verwaltung. Die Ordination taoistischer Priester und Nonnen, das Management und die materielle Unterstützung solcher Einrichtungen gehört zu den allerersten ‚guten Taten‘, die zu vollbringen sind.“627 Tatsächlich belegen zahlreiche Inschriften, dass die Kaiser und andere Mächtige ebenso wie buddhistische Klöster auch daoistische Tempel errichteten oder förderten; die oft sehr umfangreichen Texte belegen Schenkungen zur Wiederherstellung ruinierter oder den Ausbau bescheidener Anlagen, aber auch die Überlassung umfangreicher Ländereien und „Haushalte“.628 Zweifellos handelte es sich hier um Stiftungen, wenngleich es künftiger Forschung überlassen bleiben muss, das quantitative Verhältnis beider Vergabeformen zu ermitteln.

Einen nachhaltigen Wandel löste im religiösen Leben Chinas die Rezeption des Buddhismus, besonders des Mahāyāna, seit dem 2. Jahrhundert aus.629 Die Lehren von den Wiedergeburten, den Höllenqualen und vom Verdiensterwerb sowie – seit dem 4. Jahrhundert – das Eindringen des Mönchtums haben auch den Daoismus tiefgreifend verändert.630 Die indische Lehre vom Vergeltungsmechanismus führte dem Einzelnen die Folgen seiner guten und bösen Taten vor Augen und lockerte seine familiären Verantwortlichkeiten; die Ahnen, von denen er nach alter chinesischer Überlieferung Hilfen und Wegweisungen erwartet hatte, wurden nun, in die Höllen verbannt, selbst seiner Hilfen bedürftig, um ihr transmortales Heil zu finden.631 Priestern und Mönchen wuchs die Aufgabe zu, durch religiöse Kulthandlungen, Rezitationen und Bußwerke Verdienste zu erwerben, die sie auf andere, besonders auf Verstorbene, übertragen konnten.

Erster bedeutender Niederschlag der buddhistischen Einflüsse im Daoismus war das Corpus der ‚Lingbao‘-Texte, das vor allem auf Lu Xiujing (406–477) zurückging.632 In einer der ersten seiner Schriften wird erzählt, wie angeblich der „Transzendente Herzog“ Ge Xuan am 11. Februar 240 seinen 32 Schülern erzählte, welche Mühen er für den Aufstieg zu den höchsten Himmeln und zum Hof der höchsten Götter hatte aufwenden müssen. Bemerkenswert ist, dass Ge Xuan dabei die buddhistische Lehre von der Seelenlosigkeit (noch) nicht rezipiert hatte, sondern bei wiederholten Wiedergeburten die Persistenz seines Selbst vorausgesetzt hat: „Ich könnte bis zum Ende des Tages über die Vergehen und Verdienste sprechen, die Verwandlungen und die verschiedenen Leiber, die ich in meinen früheren Existenzen angenommen habe, und trotzdem hätte ich nicht alles erzählt. Aber da ihr es wissen wollt, kann ich einen Teil davon erzählen: In alter Zeit wurde ich als ein reicher Mann geboren, aber ich schenkte den Armen keine Beachtung, unterstützte nur die Starken und unterdrückte die Schwachen. Als ich dann starb, geriet ich in die Erdgefängnisse. Dann wurde ich als gewöhnlicher Mensch geboren – ohne Vermögen und kränklich, verwaist und ohne Unterstützung. In dieser Zeit dachte ich: ‚Was habe ich in den vergangenen Leben getan, um solches erleiden zu müssen? Und welches Verdienst haben die anderen in ihren früheren Leben erworben, dass sie solches Glück und Vermögen erworben haben?‘ Ich entschied mich dafür, gute Werke zu tun, verstand aber nicht, weshalb, so dass meine Sorge schwer auszudrücken war. Als ich starb, stieg ich in die Hallen der Gesegneten auf und wurde in einer wohlhabenden Familie wiedergeboren. Es fehlte nicht an Schätzen und es gab nichts, was ich mir nicht hätte wünschen können, aber trotzdem war ich gewalttätig gegenüber unseren Sklaven und Dienern, und als ich starb, ging ich [wieder] in die Erdgefängnisse ein. Dort litt ich unter den mir abverlangten Diensten und den Schlägen in den ‚Drei Büros‘, bis meine Fehler zu ihrem Ende kamen. Ich wurde dann als ein niederer Beamter geboren, der auf den Atem von anderen zu achten hatte und jede Art von Dienst tun musste. Für jede Art von (Selbst-)Bewegung wurde ich geschlagen. Ich arbeitete mich durch alle Arten von Schmutz und die Asche [gesellschaftlicher Unordnung] und machte die Erfahrung aller Arten von Leiden. Dann dachte ich: ‚Was hast du in früheren Leben für Verbrechen begangen, dass du ein so kleiner Beamter geworden bist?‘ Erneut verwandte ich deshalb meine eigenen Güter darauf, den Armen zu helfen und respektvoll den Daoisten zu dienen, indem ich Weihrauch und Öl spendete. Mein einziger Wunsch war, in einer wohlhabenden Familie geboren zu werden. Ich starb und wurde in die Gefilde des Segens aufgenommen, wo meine Kleidung und meine Nahrung auf natürliche Weise dargeboten wurden. Später wurde ich als angesehene Person wiedergeboren, aber wiederum schlachtete ich die unendliche Fülle des Lebens hin, ging auf die Jagd und fischte. Als ich starb, betrat ich [erneut] die Erdgefängnisse. Dort lernte ich die Berge der Messer und die Bäume der Klingen kennen, als ich in einem großen Fass gekocht wurde, sowie das verzehrende Feuer. Alle der fünf Leiden widerfuhren mir. Einmal, als meine Vergehen zu Ende gekommen waren, wurde ich als Schwein und dann als Schaf wiedergeboren, um alte Beschwerden [gegen mich] abzuzahlen. Dann wurde ich als Mann niederen Standes geboren, extrem verachtenswert, stinkend und abscheulich. Ich betrog und beraubte andere ihrer Güter, niemals zahlte ich ihnen etwas zurück, und starb und betrat die Erdgefängnisse. Dann wurde ich als Ochse wiedergeboren, um Menschen mit meiner Arbeit zu entlohnen und mit meinem Fleisch zu ernähren. Danach gewann ich wieder menschliche Gestalt als eine Person von mittlerem Wert, die über fast ausreichend genug Vermögen verfügte[, um mich selbst zu unterhalten]. In dieser Zeit dachte ich über verdienstvolle Werke nach. Ich unterstützte ständig die Daoisten, verehrte die Schriften und hielt die Vorschriften ein. In Demut ordnete ich mich niedriger als die anderen ein und gab den Leidenden und Bedürftigen Almosen. In allem folgte ich dem Dao. Wann immer ich von einem Verdienst hörte, folgte ich ihm. Im Alter von 80 Jahren starb ich und stieg direkt zu den Herbergen der Gesegneten auf, wo ich Nahrung und Kleidung von der himmlischen Vorratskammer erhielt. Daraufhin wurde ich in einer adligen Familie geboren, wo ich in kriegerischer Tapferkeit ausgebildet wurde und tötete und Krieg führte. Wiederum war ich voller Verehrung gegenüber den Daoisten und hielt im Glauben an dem letzten Gesetz fest. Als ich starb, betrat ich die Erdgefängnisse und war drauf und dran, mich bitter zu beschweren, als der Höchste eine Anweisung schickte und sagte, ‚obwohl dieser Mensch durch Mord und Kriegführung gesündigt hat und in die Erdgefängnisse hinabgestiegen ist, hat er zu Lebzeiten doch am Glauben an das Gesetz festgehalten und das Dao verehrt. Er gab auch den Bedrängten. Ich wünsche nun, dass ihm, nachdem er befragt und bestraft worden ist, erlaubt wird, in die Hallen des Segens aufzusteigen, und [er] mit den Gütern des himmlischen Vorrats ausgestattet wird.‘ Dann wurde ich als Adliger geboren, und die Vergeltungen für die Beschwerden[, zu denen ich in meinem früheren Leben Anlass gegeben hatte,] sollten über mich kommen. Als es so weit war, gelobte ich, mein Sinnen und Trachten fest auf das Dao auszurichten und Schriften und Lehren ehrfürchtig entgegenzunehmen. So übte ich Tugenden im Verborgenen, rettete die Gefährdeten und Gepeinigten, übte Verwaltung aus in Übereinstimmung mit dem Dao und bewahrte mir ein wohlwollendes Herz gegenüber allen Wesen. Ich unterstützte die Daoisten, diente meinem Fürsten in Loyalität und behandelte meine Angestellten entsprechend den Riten. Durch ständige Aufmerksamkeit vermied ich Ruhm und öffentliche Einkünfte. Auf diese Weise vermied ich [Eintreibungen] bei denen, die Beschwerden gegen mich führten [wegen der Sünden meiner früheren Leben]. Als ich die Fülle meiner Jahre gelebt hatte, starb ich und stieg zum Himmel auf. In meinem nächsten Leben war ich wieder ein Adliger. Meine Ehrerbietung und mein Glaubenseifer waren eher noch größer. Als ich aber jung war, verbrannte ich Weihrauch und gab das Versprechen ab, dass ich später mit so hoher Intelligenz wiedergeboren werden würde, dass ich die wunderbaren Gesetze verstehen könnte und so ein Daoist würde. Als ich starb, trat ich in die Hallen des Segens ein. Später wurde ich in einer Familie in den mittleren Ländern geboren und wurde ein daoistischer Meister des Gesetzes. Ich trug Talare des Gesetzes und hielt die Vorschriften ein. Als ich das Dao praktizierte, predigte ich die Schriften mit guter Einsicht. Wegen meiner Handlungen als Meister des Gesetzes wurde ich von allen verehrt. Ich gab dann ein Gelöbnis ab und sagte, ‚da ich es in diesem Leben nicht vermag, das Dao zu erlangen, wäre es das Beste, eine Frau zu sein und die Vorteile des Müßiggangs ohne Pflichten zu genießen‘. Als dann meine Lebenszeit zu Ende ging, wurde ich als Frau geboren, von schönem Angesicht und Leib, mit einer angeborenen Intelligenz und mystisch ausgezeichnet. Meine Sprache war wie Poesie. Zu dieser Zeit übte ich die Rückzüge in die Einsamkeit und rezitierte Schriften. Dann entschied ich, als ein Mann mit großem Talent und entschiedenem Willen geboren zu werden, so dass ich bis zu dem Geheimen und Leeren vorstoßen könnte. Ich wünschte, das ‚Leichte und Flüchtige‘ voll zu verstehen und als Prinz geboren zu werden, der sich mit den Daoisten vereinen könnte. Mit diesem Ziel ging ich in die Einsamkeit der Berge, erfreute mich an der Musik, nachdem ich mir die Texte vielfach vorgesagt hatte. Als mein Leben zu Ende ging, stieg ich zum Himmel auf und wurde auf natürliche Weise bekleidet und genährt. Nach einer Weile wurde ich als Erbe in einer Prinzenfamilie geboren. Ich hatte freien Zugang zu allen Palästen und folgte dem König auf dem Thron. Ich lud Daoisten ein, den würdigen Ru sowie Männer der Gelehrsamkeit, die die Rituale und die Predigt über das Dao vollbringen konnten. Ich machte Rückzüge [in die Einsamkeit] und wahrte die Ruhe. Meine liebsten Sorgen waren, dass das Königreich den Frieden kenne und das Volk die Wohlfahrt; und dass ich ehrerbietig [meinen Thron einnehme], ohne [weltliche] Affären zu haben. In dieser Zeit gelobte ich zusammen mit den Verwaltern meiner ‚Drei Ministerien‘, dass wir in unseren nächsten Leben Daoisten sein würden. Ich würde ein Einsiedler sein. Shi Daowei und Zhu Falan gelobten, [buddhistische] Mönche zu werden. Zheng Siyuan und Zhang Tai gelobten, daoistische Meister zu werden. Wir alle sehnten uns danach, in die Transzendenz aufzusteigen und über die Generationen hinauszugehen, und deshalb gaben wir es auf, das Geschäft der königlichen Regierung zu führen. Beim Tod stiegen wir sofort in den Himmel auf, wo wir in der himmlischen Rüstkammer eingekleidet und mit Nahrung versehen wurden. In meinem nächsten Leben war ich ein Einsiedler. Zhu Falan und Shi Daowei waren Mönche, Zheng und Zhang waren Daoisten. Wir alle begaben uns in die Berge, um das Dao zu studieren und die Transzendenz zu suchen. Später wurde ich der Meister von ihnen allen, indem ich meinen Willen ganz auf das ‚Große Fahrzeug‘ fixierte. Ich führte lange Rückzüge aus, setzte die Vorschriften um, rezitierte die Schriften und gab alle meine Schätze weg. Ich erwies dem großen Meister des Gesetzes meine Ehrerbietung und erhielt von ihm die großen Schriften der ‚Drei Höhlen‘ und die Rituale zur Beachtung. Indem ich gelobte, Rückzüge durchzuführen und das Dao zu praktizieren, vollzog ich Nahrungsaufnahme, Einatmen und Ausatmen [des göttlichen qi]. Da meine [karmischen] Angelegenheiten und Bedingungen noch nicht ausgeschöpft waren, durchquerte ich am Ende meiner Lebensspanne die ‚Große Dunkelheit’ und wurde in einer würdigen Familie geboren. Wiederum wurden wir Daoisten und Mönche und studierten zusammen als Meister und Schüler. Erneut erhielt ich die großen Schriften und praktizierte das Dao mit Rückzügen und den Vorschriften. Aus diesem Grund erblickten die höheren Weisen meine Taten und sandten die Vollkommenen herab, um mich zu unterrichten.“633

Bei der Rezeption der buddhistischen Lehre mussten sich die Chinesen mit der ihnen unvertrauten Nirvāṇa-Lehre auseinandersetzen, die ihrem Konzept von einem unendlichen Leben widersprach. Wie Stephen R. Bokenkamp gezeigt hat, gelang ihnen dies bei einer Neufassung der Wiedergeburtsvorstellung: Die Autoren des ‚Lingbao‘ gebrauchten den Begriff miedu; dieser sollte bedeuten, „ausgelöscht werden, also sterben, und [ins Heil] hinübergehen“; bezeichnen sollte er jene Menschen von hoher spiritueller Qualität, während die anderen „ausgelöscht und zerstört“ würden (miehuai). Beide Vorstellungen, so Bokenkamp, implizierten eine Art der Wiedergeburt, die eine führte in die Himmel zur Koexistenz mit dem Dao, die andere zur Zusammenfügung der lebenskräftigen Teile des Körpers für eine weitere Existenz in der Welt.634

Entsprechend dem buddhistischen Bodhisattva-Ideal bieten die Texte des ‚Lingbao‘ Rituale und Vorschriften an, die das Heil für alle Lebewesen intendieren, vom Kaiser herab bis zu den „Kreaturen, die auf dem Boden kriechen und hin- und herschlängeln“.635 Theologische Grundlage der Riten und Hoffnungen war wie in Indien die Lehre von den Verdiensten durch gute Taten sowie Folgsamkeit gegenüber dem Dao (gongde).636 Verdienste erwarb der daoistische Priester und übertrug sie auf Dritte, vor allem verstorbene Ahnen. Das Hauptbuch des Rituals, die ‚Schrift über das Heil‘ (‚Duren jing‘), das dabei vorzulesen war, bezog sich aber auch auf „die unbegrenzte, universale Rettung ohne Ende“; dementsprechend richteten sich die Riten ebenfalls auf die verwaisten oder verlassenen Seelen (guhun).637 So wurden die Geister jener bezeichnet, deren Ablebens nicht ordentlich gedacht worden war. Man fürchtete ihre Rückkehr unter die Lebenden und suchte sie zu befrieden. Abgesehen von den Daoisten, also den Priestern des Dao, wuchs die Rolle des stellvertretenden Verdiensterwerbs den Mönchen zu. Das daoistische Mönchtum war unter buddhistischen Einflüssen nach Vorläufern seit dem späten 5. Jahrhundert entstanden. Im Unterschied zu den Priestern („Weinzuteilern“), die (meist) als verheiratete Haushälter lebten, entschieden sich die Mönche für ein eheloses Leben in regelkonformen Gemeinschaften; schon die ersten von ihnen vollzogen Riten für die Wohlfahrt des Reiches und engagierten sich für ein lang dauerndes Leben und Techniken der Meditation.638 Buddhistischer Einfluss manifestierte sich ebenso von Anfang an im Gebrauch der Pratimokṣa-Regeln, die die Konzepte von Karma und Wiedergeburt, die rituelle Praxis täglicher und monatlicher Gottesdienste sowie die Rezitation von Schriften für die Vermehrung der Verdienste einschloss. Typisch war ebenfalls die Gründung der Häuser durch den Kaiser, kaiserliche Verwandte oder Adlige. Nach den religiösen Schriften wurde denjenigen, die Klöster errichteten oder Spenden aufbrachten, u.a. Wohlstand, langes Leben und Gesundheit versprochen und sogar die Wiedergeburt als Kaiser oder Kaiserin, Prinz oder Adliger in Aussicht gestellt.639 Im ‚Yaoxiu keyi‘ aus dem 8. Jahrhundert heißt es etwa: „Wenn einer einen Tempel oder ein Kloster erbaut, einen Altar oder eine Kapelle, eine Schrifthalle oder eine Reinigungsstätte, eine Küche oder einen Pavillon [für die Religiosen], oder wenn er die Daoisten mit Kleidung und Mobiliar ausstattet, dann wird er in jedem Fall himmlischen Lohn in genauer Entsprechung zu seinen Gaben erhalten – und indem er zu den himmlischen Hallen emporsteigt, wird er sofort mit Kleidung und Nahrung versorgt werden. Alles, was jemand benötigt, wird ihm sofort gegeben werden, und alles, was entbehrlich ist, wird gleichzeitig gestrichen werden.“640 Die Hilfe für eine klösterliche Gemeinschaft sollte spezifische Vorteile im dies- und im jenseitigen Leben bringen: „Das Taizken ke [eine ältere der ‚Regeln für die große Vervollkommnung‘] sagt: Laikale Anhänger können eine Schenkung in Landgütern oder mit Barmitteln machen und dazu beitragen, Gemeindehallen und Gebetshäuser zu errichten. Für den Bau eines Raums aus Ziegelsteinen erhalten sie 120 Tage [an zusätzlicher Lebensdauer], für den dreier Räume 360 Tage. So wie das Verdienst zunimmt, nimmt auch die Abrechnung zu. Das Dajie jing sieht vor: Von der Gabe einer einzigen Münze in bar aufwärts wird die karmische Vergeltung 320.000 Mal so hoch sein. Von 10.000 Münzen in bar aufwärts wird die Belohnung weit jenseits aller Schätzung liegen.“641

Was die liturgischen Leistungen angeht, so wurden besonders die Rezitationen hoch geschätzt. Ein Mitglied der Zhou schaffte es, das ‚Daodejing‘ zehntausendmal herzusagen und flog sogleich als himmlisches Wesen davon. Ein Angehöriger erreichte nur die Anzahl von 9.733 Rezitationen und verfehlte die Unsterblichkeit, gewann wenigstens aber magische Kräfte und die Unverwundbarkeit. Mönche (und Nonnen) konnten große Verdienste für sich selbst, ihre Familien, das Land und alle Lebewesen erwerben, indem sie täglich Kulte vollzogen, ihre Hymnen sangen und die Schriften mit besonderer Zuneigung hersagten.642 Eine besonders enge Verbindung zwischen den weltlichen und den himmlischen Wesen wurde durch Bußwerke hergestellt, die laikale Schenkungen einschlossen. Die Buße wurde entweder in den Klöstern oder im Heim des Schenkers vollzogen und verlangte stets die aktive Mitwirkung der Geber. Wenn Mönche dabei priesterliche Funktionen ausübten, also als Daoisten im engeren Sinn tätig wurden, agierten sie als Vermittler von Glück und Wegbereiter des ‚Großen Friedens‘. Falls der Ritus im Kloster stattfand, langten der Schenker und seine Familie einige Tage vorher an; alle wurden in Gästehäusern untergebracht und ließen sich im monastischen Lebensrhythmus und in den einfachen Reinigungszeremonien unterrichten. Sie führten auch zahlreiche Geschenke mit sich, die gewöhnlich auf dem Altar deponiert und beim großen Essen nach der Zeremonie verzehrt wurden. Am Tag des Ereignisses vereinten sie sich im Heiligtum mit dem Daoisten für die Kulthandlungen, an denen der Hauptschenker aktiv teilnahm und mit dem opfernden Priester zusammenwirkte. Dieser bot dem Dao Weihrauch dar, rief die Gottheiten herbei und ließ die Feiergemeinschaft Zuflucht bei den ‚Drei Schätzen‘ nehmen. Dann nannte der Priester den genauen Namen und die Herkunft der Schenkerfamilie und sprach ein ausführliches Gebet für die Sühnung und Vergebung aller ihrer Sünden. Ein solcher Gebetstext lautete etwa: „Möget ihr [o Götter] dieses Verdienst und diesen Wert annehmen und euch im Flug der Familie N. N. zuwenden, eingeschlossen all ihre neun geheimnisvollen Vorfahren und sieben Ahnen, alle Angehörigen ihrer Sippe, sei es die in der Gegenwart, sei es die früheren. Ich bitte, dass ihr vollkommen alle Vergehen verzeiht, die sie begangen haben, sei es in früheren Leben, sei es in Körpern der Gegenwart, alle ihre Akte des Ungehorsams und hässliche Taten des Bösen, ihre Millionen von Sünden und Milliarden von Übertretungen, sie alle, darum bitte ich, radiert aus und schafft Reinheit.“643

Gaben an Priester und Mönche und zweifellos auch Stiftungen dienten also im Daoismus nach Rezeption des Mahāyāna-Buddhismus mit seiner Verdienstlehre dazu, Gebete, Fürbitten und andere religiöse Leistungen zu erwirken, die dem postmortalen Heil des Spenders zugutekamen. Im Unterschied zum Buddhismus war das Endziel aber nicht das Nirvāṇa, sondern die Vereinigung mit dem Dao, in dem der Einzelne nicht verloren ging. Die religiösen Stiftungen kamen deshalb hier den ‚Stiftungen für das Seelenheil‘ sehr nahe, die wir aus dem Westen kennen, wenngleich es an einer klaren Gerichtsvorstellung und einem persönlichen Gott-Mensch-Bezug mangelte. Bemerkenswert ist diese Analogie auch deshalb, weil sie in China Ergebnis einer Hybridisierung chinesischer und indischer religiöser Traditionen gewesen ist.

Weltgeschichte als Stiftungsgeschichte

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