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Stiftungen für Götter und Ahnen
ОглавлениеDie älteste Schicht des Stiftungswesens datiert aus einer Zeit, in der Götterwelt und Menschenwelt noch ungeschieden waren.1 Mit den Göttern fanden Lebende und Tote in der Einheit des Kosmos ihren Platz und hielten diesen in gegenseitiger Verpflichtung in Gang.2 Trotzdem waren Götter und Ahnen beziehungsweise Tote die ersten Adressaten von Stiftungen. Wenn Stiftungen den Götterkult und besonders die Ahnenverehrung förderten, könnte dies deshalb auf eine Vernachlässigung beider in der täglichen Praxis schließen lassen oder auch der Ausgestaltung und Aufwertung der Kulte gedient haben. So hat man einerseits gemeint, die Sorglosigkeit nachlebender Familienangehöriger beim Totenkult habe die „Institution der Stiftung“ ins Leben gerufen,3 während andere argumentieren, das Aufkommen der Stiftungen spiegele einen Mentalitätswechsel wider, bei dem „das Gefallen am Luxus sowie die Sensibilität für andere“ von Bedeutung gewesen seien.4 Tatsächlich gab es zweifellos eine dilatorische Praxis des Kultes für Tote oder Götter, ohne dass dies schon gleich eine Abwendung vom Kosmosdenken bedeutet hätte.5
Die ersten Stiftungen hat die Wissenschaft in Mesopotamien und in Ägypten nachgewiesen.6 Die Überlieferung zum Götterkult in Babylonien ist hier besonders wichtig, weil sie das Motiv der Dauer, das für Stiftungen konstitutiv war, verständlich macht. Seit den sumerischen Stadtstaaten des frühen 3. Jahrtausends wird den Fürsten beziehungsweise Königen das Epitheton „Versorger der Gottheit N.“ oder „Versorger des Tempels N.“ beigelegt. Die regelmäßige Zuwendung von Speisen und Getränken an die Götter dekretieren „für alle Zeit“ königliche Verfügungen auf steinernen Inschriften.7 Seit dem Reichsgründer Hammurapi (1793–1750 v. u. Z.) war Marduk vom Stadtgott zum obersten Gott des Landes aufgestiegen und sein Tempel zur Ablieferungsstelle für Speisen und andere Lebensmittel aus dem ganzen Land geworden.8 Zweimal täglich hatten ihn Priester und andere Tempelangehörige zu verköstigen. Diese Pflicht beruhte auf der Anschauung, dass das Menschengeschlecht die Götter speisen müsse, um die Welt zu erhalten.9 Was alle altorientalischen Mythen in dieser oder jener Weise erzählen, bezieht das Weltschöpfungsepos ‚Enuma elisch‘ aus dem ausgehenden 2. Jahrtausend eben auf Marduk. Bevor Himmel und Erde existierten, habe es so viele miteinander konkurrierende Götter gegeben, dass sich die jüngeren gegen die älteren erhoben und in dem Kampf auch unbesiegbar erscheinende Ungeheuer erschaffen wurden. Der junge Marduk habe angeboten, für die Götter zu kämpfen, sich aber ausbedungen, im Falle seines Sieges oberster der Götter und auf Dauer deren König werden zu können. Dies habe Zustimmung gefunden. Nach seinem Sieg sei Marduk der Schöpfergott der Welt geworden und habe den Menschen geschaffen, der „von nun an durch seiner Hände Arbeit für den Unterhalt der Götter“ zu sorgen hatte.10 Die Erschaffung des Menschen habe also die Götter von den Sorgen um ihre Subsistenz befreit.
In der Forschung ist gezeigt worden, dass die Tiere, die ein König dem Gott seiner Stadt, seines Landes oder des Reiches opferte, nicht nur aus allen Gegenden seiner Herrschaft stammen sollten, sondern den drei kosmischen Bereichen des orientalischen Weltbildes entsprachen: „Schafe und Stiere stehen für die Erde, die Vögel für den Himmel und die Fische für den Ozean, der die Erde umgibt und über den sich die Erde wölbt. Mit der Darbringung dieser Tiere wird der höchste Gott ernährt und ‚besänftigt‘, indem er getragen wird von der Lebenskraft des gesamten Kosmos in seiner vertikalen Ordnung: Himmel, Erde, Ozean.“11 Nach den Verwaltungsurkunden, die schon aus dem 21. Jahrhundert v. u. Z. stammen und bis ins späte 7. Jahrhundert reichen, hatten Amtleute, Militärs und Städte aus dem ganzen Reich den König für die Götterspeisung zu beliefern; dabei kam das Schlachtvieh keineswegs nur aus den umfangreichen Herdenbeständen des Staates und der Tempel. Es handelte sich also offenkundig um eine Abgabe oder Steuer aller Reichsbewohner.
Wie ernst diese Pflicht genommen wurde, zeigen zwei Briefe eines Assur-Priesters an einen neuassyrischen König: „Der heutige 5. Kanunu ist von der Stadt Talmusu zu bestreiten. Nichts wurde geliefert. Ich habe (dennoch) für das Leben des Königs, meines Herrn, das Opfer vor Assur [und den Göttern des] Königs, meines Herrn, dargebracht.“ „[An den König], meinen Herrn: [Dein Diener D]adi. [Heil], dem König, meinem Herrn. Mögen Nabù und Marduk den König, meinen Herrn, segnen! Zwei Rinder und 20 Schafe, Opfergaben des Königs, die die Stadt Diquqina zu erbringen hat, sind nicht geliefert worden. Der König, mein Herr, möge dieser Angelegenheit nachgehen. (…) Es sind nun [x] Jahre, dass sie nicht geliefert haben. Die haben das eingestellt. Der König, mein Herr, sollte seine Soldaten [dort hinschicken].“12
Die Anforderung der Dauer bei der Stiftung dürfte also ursprünglich auf dem Mythos beruht haben, dass die Menschen für den ständigen Unterhalt der unsterblichen Götter zuständig waren.13 Trotz der allgemeinen Abgabenverpflichtung, die (im Neuassyrischen Reich) auch die Königin, den Kronprinzen, hohe Angehörige des Tempels und Palastes sowie einflussreiche Familien im Umkreis des Herrschers einschloss,14 blieb Raum für stifterliche Initiativen. Aus Lagasch, einer der wichtigsten sumerischen Stadtmonarchien, stammt schon die Inschrift eines ‚Tonnagels‘ (‚Clay nail‘) im örtlichen Tempel.15 Sie berichtet davon, dass König Enmetena (um 2400 v. u. Z.) dem Gott Enlil (von Badtibira) eine fromme Landschenkung aus dem Erbe seiner Vorfahren gemacht habe.16 Die Gabe eines solchen Immobilienvermögens berechtigt ohne Zweifel zum Schluss auf eine Stiftung, sei es, dass die Erträge für die Opfer, sei es, dass sie für Priester oder anderes angestelltes Personal aufgewandt wurden. Das Zeugnis ist gewiss eine der ältesten urkundlich überlieferten Stiftungen Mesopotamiens; es beglaubigt nicht nur den Stiftungsakt und tradiert den Stifternamen, sondern es belegt auch ‚privaten‘ Grundbesitz als Quelle der Gabe. In einer anderen ausdrücklich überlieferten Götterstiftung gibt der babylonische König Maruttasch um 1300 „dem Gotte Marduk, seinem Herrn, (…) für immer und alle zukünftigen Tage“ bestimmte Felder gegenüber der Hauptstadt.17
Etwa derselben Periode wie die Götterstiftungen im Zweistromland gehörten auch die Ahnenstiftungen am Nil an.18 Opfergaben für die Ahnen hatten die Funktion, diese im Totenreich oder Grab zu versorgen und den Lebenden gewogen zu stimmen, nicht aber, wie in späteren religiösen Systemen, ihre Lage in einem separierten Jenseits zu verbessern. Die Intensität, mit der sich die Ägypter mit ihren Vorfahren verbunden fühlten, kommt eindrucksvoll in einer Reihe von Briefen an die Toten zum Ausdruck, die schon aus der Zeit des Alten Reiches (ca. 2600–2200) stammt. In einem dieser Schreiben beklagt sich beispielsweise eine Witwe bei ihrem verstorbenen Ehemann, welchen Nutzen eigentlich die von ihr sorgsam verrichteten Totenrituale brächten, wenn ihr die Vorfahren nicht in einem Konflikt um ihre Tochter beistünden?19 Ebenso aus dem Alten Reich sind Ahnen- beziehungsweise Totenstiftungen überliefert, sei es von Königen, sei es von ‚Privatleuten‘. Mentale Grundlage war ein tiefes Vertrauen in die unzerstörbare Weltordnung; das den Kosmos und die Gesellschaft durchziehende Prinzip war nach Jan Assmann die Ma’at, die als ‚Ordnung‘ der Welt im Gegensatz zum ‚Chaos‘ galt.20 Im Mittelpunkt dieser Ordnung stand der König, der sie erschaffen hatte und bewahrte und auch die Beamten des Reiches in diesem Sinne in seinen Dienst nahm. Der König galt zwar als Herr und ‚Eigentümer‘ des ganzen Landes, was aber „die Fähigkeit von Privatpersonen, Eigentum zu erwerben und darüber zu verfügen“, nicht behinderte.21 Manche Stifter schlossen förmliche Verträge mit den Totenpriestern ab, um den Zweck ihrer Gaben an Ländereien, Sklaven und anderen Gütern für ihren Totenkult abzusichern.22 Natürlich waren in Ägypten auch die Götter selbst Adressaten der Totenkultstiftungen.23
Die Entstehung des Stiftungswesens ist in Ägypten aufs Engste mit der Entstehung eines differenzierten Staatswesens verbunden gewesen.24 Die Könige der 1. Dynastie (ca. 3000 bis ca. 2800 v. u. Z.) pflegten noch alle zwei Jahre das Land zu durchziehen, Recht zu sprechen und durch ihr Erscheinen die allgemeine Ordnung zu garantieren; man sprach vom ‚Horusgeleit‘ und bezog sich damit auf die kosmische Gottheit Horus, die in ihrer universalen Zuständigkeit die Institution des Königtums widerspiegelte.25 Neben Horus, der bald Reʿ genannt wurde, bestanden lokale Gottheiten, die ohne professionelle Priesterschaft von den jeweiligen Bewohnern im personellen Wechsel versorgt worden sein dürften.26 Bei seinen Reisen zog der König die Abgaben ein, von denen er mit seinem Hof lebte. Seit der 2. Dynastie (ca. 2800 bis ca. 2700 v. u. Z.) verschwand das ‚Horusgeleit‘ allmählich und die Abgabe wurde, bald auch jährlich, als Steuer des ganzen Landes an den Palast abgeführt.27 Hier bildete sich neben der Zentralverwaltung eine eigene Wirtschaftsanlage aus, die für den König persönlich bestimmt war; für das Stiftungswesen war es ein erster entscheidender Schritt, dass diese Verwaltung ad personam über den Tod des Pharao hinaus bestehen blieb und sein Grab zu versorgen hatte.28 Weiter diversifizierend, wurden Magazine für die Königsgräber von solchen für die Gräber der höchsten Beamten getrennt; es herrschte nämlich die Auffassung, dass die Könige für die Leute ihrer Zeit auch im Tod in alle Ewigkeit weiter sorgen müssten.29 Ein Wandel trat ferner dadurch ein, als am Ende der 2. Dynastie (um 2700 v. u. Z.) das Reich in ein oberägyptisches Gebiet und Unterägypten mit der alten Residenz Memphis zerfiel. Die hier regierenden Könige unterlagen so entscheidend, dass nicht einmal ihre Namen in die Annalen des Reiches aufgenommen wurden. Nach der Interpretation von Wolfgang Helck musste diese damnatio memoriae, der auch die Gräber der ‚Gegenkönige‘ zum Opfer gefallen sein dürften, ihre Anhänger in eine schwere Sinnkrise stürzen, denn die Erhaltung der Leiche des Königs war für die Versorgung seiner Leute in alle Ewigkeit die entscheidende Voraussetzung: „Wurde die Leiche zerstört, sorgte niemand mehr für die Toten ihrer Zeit, und sie starben den zweiten Tod durch Hunger und Bedrückung. So war es also für die von ‚ihrem‘ König ‚Versorgten‘ (…) von größter Bedeutung, dass der König in seiner Gestalt weiterlebte. Daher wird die Mumifizierung weiterentwickelt, aber es wird auch das Grab des Zoser [Pharao Djoser, 3. Dynastie] in die besser zu sichernde Umgebung der Residenz verlegt, es wird ‚für die Ewigkeit‘ aus Stein errichtet und endlich durch immer stärker wachsende Monumentalität unangreifbar gemacht.“30 Die jetzt notwendig werdende Durchorganisierung des ganzen Lebens führte dazu, dass „eigentlich erst ein ägyptischer ‚Staat‘ und auch eine ‚Wirtschaft‘ entsteht. Nicht nur muss die Bevölkerung für die Arbeiten im Steinbruch wie beim Bau der Pyramidenanlage herangezogen werden. Es ergibt sich daraus nämlich einmal der Zwang zur Registrierung der Bevölkerung zu ihrer Versorgung während der Bauarbeiten (…). Gleichzeitig aber steigt die Nachfrage nach ausgebildetem Personal: Facharbeitern, Schreibern, Planern, Verwaltern, ‚Vorgesetzten‘ jeglicher Art, sprunghaft in bisher nicht geahnte Höhen.“31 Mit der Bindung an die Versorgung des toten Königs werden die betreffenden Personen – und im Laufe der Herrscherwechsel werden es immer mehr ihrer Art – der übrigen Wirtschaft und der Verfügung des amtierenden Königs entzogen. Die Lebensmittelversorgung des Reiches musste deshalb neu organisiert werden. Es entsteht die Domänenwirtschaft und damit die eigentliche wirtschaftliche Grundlage des königlichen Stiftungswesens: „Die alte ‚Wirtschaftsanlage‘ des Königs verschwindet, dafür werden in der Provinz Güter gegründet, die in strafferer Organisation Lebensmittel an den Hof zur Verteilung an die Arbeiter und Spezialisten produzieren. Da diese Spezialisten aber nun ebenfalls nach ihrem Tod vom ‚König ihrer Zeit‘ abhängen, steigert sich der Anspruch an diesen König, so dass die neu gegründeten Güter zu seinen Totenstiftungen werden. Durch die Neugründung weiterer Güter der Nachfolger ist bald die gesamte Bevölkerung in diesen Gütern durchorganisiert, wodurch die alte Dorfwirtschaft zugunsten einer straff organisierten Staatsdomänenwirtschaft verschwindet.“
Im Lauf der 4. Dynastie (ca. 2600 bis ca. 2500 v. u. Z.) traten die Dörfer und Güter der königlichen Totenstiftungen immer mehr auf Kosten der ‚staatlichen‘ Güter hervor; Pharao Snofru, der Erbauer bedeutender Pyramiden, stattete seinen Totentempel beispielsweise mit ca. 100 Dörfern aus, von denen im Durchschnitt etwa vier auf einen Gau des Landes entfielen.32 Nicht alle Könige konnten jedoch so viele Felder mit ihren Erträgen ihren Totentempeln zuweisen. König Schepseskaf, der letzte Pharao der 4. Dynastie, musste erst den Tempel seines Vorgängers und Vaters Mykerinus fertigstellen und stiftete dort für den ewigen Priesterdienst ein Opfer.33 Derselbe Mykerinus hatte aber den Kult der Reichsgöttin Hathor mit der Stiftung von zwei Aruren Ackerland für Priester(pfründen) in Tehne gefördert.34 Offenbar waren solche Götterstiftungen in Ägypten erst eine Folge der königlichen Totenstiftungen und zunächst noch auf die Götter des Palastes beschränkt; erst am Ende der 5. Dynastie (ca. 2300 v. u. Z.) wurden auch die Provinztempel in größerem Ausmaß bestiftet.35 In den etwa vier Jahrhunderten zwischen Snofru und Pepi I. nahm der Anteil der Tempelfelder, die für den Götterkult bestimmt waren, langsam auf Kosten der Güter für die königlichen Totentempel zu.36
Anfänge königlicher Totenstiftungen in Ägypten: Stufenpyramide des Königs Djoser von ca. 2700 v. u. Z. in Sakara
Im Totenkult ging es nicht nur um den König in seiner Pyramide; neben seiner Mumie mussten auch seine Statuen vor der Pyramide rituell gespeist werden.37 Mit dem Kult der Statuen, die für den König selbst standen, konnten die Totenstiftungen dezentralisiert werden. Besonders seit der 6. Dynastie (ca. 2300 bis ca. 2200 v. u. Z.) ließen die Pharaonen in den Tempeln der Provinz Kapellen für einen Statuenkult errichten, die wirtschaftlich dem betreffenden Tempel angeschlossen waren.38
Von Anfang an scheint es zu den Pflichten des Königs gehört zu haben, seinen Dienern ein würdiges Begräbnis mit angemessenem Totenkult zu sichern; das galt zweifellos besonders für seine Beamten.39 Trotzdem gibt es ein frühes Zeugnis für eine ‚private‘ Stiftung; es steht am Übergang von der 3. zur 4. Dynastie (ca. 2600 v. u. Z.) „völlig isoliert“.40 Ein Mann (Beamter) namens Mṯn hat darin über väterliches und mütterliches Erbe sowie über Einkünfte aus verpachtetem Königsland verfügt.41 Das väterliche Erbe wandelte er offenbar in eine Totenkultstiftung für sich selbst um; der König scheint ihm seinen Grabbau geschenkt, aber auch vor Ort selbst Stiftungen gemacht zu haben. Mṯn hatte also privates Eigentum, wenngleich seine Totenstiftung in amtlicher, besitzrechtlicher und kultischer Hinsicht in engster Abhängigkeit vom König als seinem Herrn stand. Ähnlich liegt der Fall bei einer Verfügung des K3-m-nfrt aus der 5. Dynastie, der sein Grab im Friedhofsbezirk der Chephren-Pyramide fand.42 „Als er noch auf seinen Beinen lebte (…) und den Hofdienst verrichtet(e) für den König jeden Tag“, habe der Beamte die „Stiftungs-Totenpriester“ auf das Totenopfer zu seinen Gunsten verpflichtet. Weder sie noch ihre Kinder, Geschwister oder Nachkommen sollten die für die Opfer übertragenen Güter entfremden, sondern in Erbfolge Ackerland, Leute (Sklaven) und Sachen für den Kult an seinem Grab verwenden. Wiederholt hebt K3-m-nfrt hervor, dass ihn der König für seine Totenopfer materiell versorgt hatte.43 Das Einkommen der Totenstiftung sollte „gleichzeitig für die Durchführung der Riten wie auch für den Unterhalt der Totenpriester“ dienen.44
Wie der Pharao um die Grabplanung seiner Beamten besorgt war, zeigt eine eindrucksvolle Inschrift, die der Sohn eines ‚Palastleiters‘ verfasst hat. Danach habe Mykerinus seinem Vater das Grab geschenkt und für den Bau alle nötigen Handwerker abgestellt.45 Hier wie auch sonst war zunächst der Palast selbst für den Totenkult der königlichen Leute verantwortlich; bald wurden aber Totengüter zugewiesen, also mit königlicher Hilfe auf ewig bestimmte Stiftungen geschaffen.46 Eine besondere Form der Förderung, die sich für beide Seiten als vorteilhaft erwies, war die ‚Umlaufzuwendung‘: „Die Könige stifteten Zuwendungen an einen Tempel mit der Auflage, einen Teil der Zuwendung einer dort aufgestellten Königsstatue zukommen zu lassen oder der Kapelle einer Königin. Von da aber konnte er wiederum einen Bruchteil einem hohen Beamten im Leben wie besonders im Tod für seine Opferstelle am Grab zukommen lassen.“47 Zuerst wurde also der Lebensunterhalt des Beamten (teilweise) aus den Erträgen der Stiftung zugunsten des Königs (seiner Statue beziehungsweise der Königin) finanziert, nach dem Tod des Amtsträgers wurden diese für Totenopfer zu dessen Gunsten verwendet. „Solche Umlaufstiftungen werden besonders dort vorgenommen worden sein, wo ein Untergebener geehrt werden sollte, der sich dann als ‚versorgt bei seinem Herrn‘ bezeichnen konnte.“48 Insbesondere, wo Beamte in den Provinzen mit der Verwaltung des Staatsgutes oder königlicher (Toten-)Tempelgüter betraut waren, lag es nahe, dass an sie dann auch Anteile der Güter selbst übergingen, so dass sie selbstständig Totenstiftungen für sich errichten konnten.49 Die Ablösung vom engen Zusammenhang mit der Verfügungsgewalt des Königs zeigt sich daran, dass sich königliche Grabstiftungen für seine Beamten seit der 5. Dynastie meist nur noch auf die Ausstattung, nicht aber mehr auf den eigentlichen Grabbau bezogen.50 Ein Beamter der Zeit betont, dass er sein Grab „in einem Monat errichtet“ habe, und fügt hinzu: „Ich schuf dieses Grab wirklich aus meinem Besitz (…) und ich nahm nichts von anderen weg.“51 Am Ende der 6. Dynastie konnten auch Privatstatuen im Tempel durch Umlaufopfer versorgt werden.52 Trotzdem scheint der Aufschwung von Privatstiftungen, der in der 5. Dynastie zu beobachten war, zunächst nicht angedauert zu haben. Besonders in der zweiten Hälfte der 6. Dynastie zeichne sich wieder „eine Tendenz zur Betonung der königlichen Oberhoheit“ wie in der 4. Dynastie ab, wurde in der Forschung betont. Die privatrechtliche Situation habe also während des Alten Reiches geschwankt.53
Charakteristisch für die Epoche dürften deshalb eher zwei Stiftungen Pepis I. und Pepis II. gewesen sein. Der eine engagierte sich für die Pyramidenstadt (-städte) seines fernen Vorgängers aus der 4. Dynastie, Snofru, in Dahschur. In einem Edikt wies er einen unbekannten Beamten an, die Pyramidenstadt durch ewige Befreiung von Steuern und anderen Lasten sowie die Erträge bestimmter Ländereien zu begünstigen54: „Die Majestät befahl für ihn [Snofru] die Exemtion dieser Pyramidenstadt vom Ausführen irgendwelcher Arbeit des Königshauses, (vom Ausführen) irgendwelcher Steuer für irgendeine Verwaltung der Residenz, (vom Ausführen) irgendeiner Verpflichtung (zur Arbeit) aufgrund der Anordnung irgendwelcher Leute und (vom Ausführen) verpflichtungsgleicher (Arbeit) aufgrund der Anordnung irgendwelcher Leute in alle Ewigkeit (…). Die Majestät befahl die Verteilung jeglicher Ackeranteile dieser Pyramidenstädte entsprechend der Verteilungsbestimmung für diese Pyramidenstädte. (…) Nicht aber sollst du geben irgendwelches Land, Priestereinkommen oder Eigentum an irgendwelche Leute, die in einer anderen Pyramidenstadt ansässig sind (…).“55 Als Zweck seiner Maßnahmen benannte Pepi I. ausdrücklich Opfer für den toten Snofru, der hier offenkundig selbst als Gottheit gedacht ist: „Die Majestät tat dies für den Schutz der Pyramidenstädte von diesen Angelegenheiten, so dass Priesterdienst, Monatsopfer und Gottesopfer verrichtet werden in diesen Pyramidenstädten [für] den König von Ober- und Unterägypten Snofru in den (beiden) Pyramiden Ḫew-Snfrw auf Befehl [zugunsten von] Leben, [Wohlergehen und Gesundheit des] Königs von Ober- [und Unterägypten Mrjre,], er lebe [ewiglich].“56 Die Stiftung Pepis für seinen ferngerückten Vorgänger sollte also auch ihm selbst zugutekommen.57
Kompliziert ist eine Pepi II. alias Neferkaree zugewiesene Doppelstiftung im Min-Heiligtum von Koptus. Der Pharao der späten 6. Dynastie hat hier eine Statue seiner selbst „aus asiatischem Kupfer, Farbpasten und Gold“ aufstellen lassen, der er den Namen verlieh „triumphierend ist der König von Ober- und Unterägypten Neferkaree“ und die er mit einem Königs- beziehungsweise Gottesopfer ausstattete. Bereits zu Lebzeiten hat Pepi demnach eine Stiftung für sich als Gott errichtet. Außerdem gab er „drei Aruren Ackerland im Zwei-Falken-Gau (…), das jährlich überschwemmt wird“, für eine Stiftung namens „Min bestärkt Neferkaree“; dieses Ackerland sollte „als festes Opfer für alle Tage zusätzlich [zu] den Riten für die Feste“ dienen.58
Während in Ägypten die Totenstiftungen überwiegen, lassen sich in China gut Ahnenstiftungen im engeren Sinne beobachten. Als Schlüsselbegriff für ‚stiften‘ gilt hier gongyang – wörtlich übersetzt: „Nahrung darbringen“ –, der sich „im ursprünglichen chinesischen Kontext auf die Versorgung der Eltern im Alter bezog, im weiteren Sinn aber auch Speiseopfer an Ahnen und Gottheiten bedeutet“.59 Zum chinesischen Staatskult gehörte dementsprechend neben der Verehrung himmlischer und chthonischer Mächte durch den Herrscher oder seine Beauftragten der Ahnenkult des jeweiligen Herrscherhauses.60 Seine klassische Ausprägung hat der chinesische Ahnenkult in der Zeit der Westlichen Zhou-Dynastie (ca. 1050–771 v. u. Z.) erfahren und als solcher Modellcharakter bis in die Gegenwart bewahrt.61 Den Praktiken der Zhou-Periode lag die Annahme zugrunde, dass „die Geister verstorbener Vorfahren über außergewöhnliche Kräfte verfügen. Man glaubte, dass die Ahnen ihren Kindern und Kindeskindern prinzipiell wohlgesonnen seien, ja ihnen zu Wohlstand und Ansehen verhelfen konnten; jene wiederum mussten sich die Gunst der Ahnen durch korrekte und pünktliche Verrichtung der Opferriten immer wieder von Neuem verdienen. Vorfahren und Nachkommen lebten somit in einer Symbiose miteinander, in der die Lebenden ihre Ahnen durch Speiseopfer, und jene ihre Nachkommen durch Einwirken auf die Naturkräfte am Leben erhielten.“62 Die Opfer wurden durch rituelle Mahlzeiten vollzogen, bei denen sich ein Familienmitglied im Ahnentempel aufstellte und die Ahnengeister ein menschliches Wesen als Medium benutzten. Der Familienälteste hatte in ritualisierter Sprache den Ahnen vom Wohlbefinden sowie von der Tugendhaftigkeit ihrer Nachfahren zu berichten. „Durch ein Orakel erfuhr man die Antwort der Himmlischen; ihr Segen und Beistand war die zu erwartende Belohnung für das Festhalten an den überkommenen Sitten und Riten.“63 Bronzene Speisegeräte, die wohlhabenden oder gar aus Herrscherdynastien stammenden Toten mit ins Grab gegeben wurden, waren mit Inschriften ausgestattet, die diese Wechselbeziehung von Toten und Lebenden dokumentieren. Als Aufenthaltsort der Ahnen, von dem sie temporär in die Welt der Lebenden zurückkehren konnten, ist durch Inschriften die Umgebung des höchsten Himmelsgottes bezeugt,64 andere Quellen verweisen auf ein Totenreich oder eine „Dunkle Stadt“, möglicherweise wurde aber auch das Grab selbst als letztmöglicher Wohnort der Toten verstanden.65 Jedenfalls bildeten die Sphären von Lebenden und Verstorbenen eine Einheit, die beiden Zonen waren durchlässig und der Pflicht zum Erinnerungskult hier entsprach die Aufgabe der Memoria dort.66 Mit Stiftungen konnte der Mechanismus von Gabe und Gegengabe bekräftigt werden.
Wie in anderen Stiftungskulturen der Alten Welt bildeten Götter- und Ahnenstiftungen auch in Griechenland und Rom die Urtypen von Stiftungen. Werke dieser Art zugunsten des Götterkultes begegnen in Griechenland seit dem frühen 4. Jahrhundert. Ein Zeuge seiner eigenen Stiftung für das Artemisheiligtum in Ephesos war der Historiker Xenophon, bezogen auf den Ort Skillus bei Olympia um 400 v. u. Z.: „Scholle der Artemis geweiht! Wer sie innehat und bebaut, soll den Zehnten jedes Jahr als Opfer darbringen; aus dem Überschuss ist das Heiligtum in Stand zu halten; richtet jemand dies nicht aus, wird er der [Rache der] Göttin anheimfallen.“67 Stiftungen für die Toten erscheinen seit dem 3. Jahrhundert v. u. Z. Nach einer inschriftlich überlieferten Urkunde hatten etwa Agasikles und Nikagora der Bürgerschaft von Kalaureia Geld und ein Stück Ackerland für eine Stiftung zugunsten der Götter und ihrer selbst vermacht. Nachdem die Verwalter „den Zins von dem Geld und die Pacht von dem Grundstück eingetrieben“ hatten, sollten „sie hiervon dem Poseidon ein ausgewachsenes Opfer und Zeus, dem Erretter, ein ebensolches darbringen“; ferner sollten sie noch „einen Altar (…) errichten vor den am Rathause stehenden Statuen der Stifter; das Opfer soll jährlich veranstaltet werden, wie es auf der Säule geschrieben steht; auch alles andere sollen sie möglichst schön besorgen.“68 Noch ausführlichere Bestimmungen bietet das Testament eines römischen Bürgers aus Langres (in Gallien), der dem Völkerstamm der Lingonen angehörte.69 Laut dem um 100 u. Z. datierenden Dokument hat der Testator einen Grabbau (cella memoriae) errichtet und Anweisungen zur Ausstattung, zur Stiftungsverwaltung und zum Totengedenken gegeben. Die cella sollte durch einen Anbau (exedra) ergänzt werden, in dem eine Sitzstatue des Initianten aus Marmor oder Bronze aufzustellen war; vor dem Denkmal sollte ein Bett errichtet werden, an den beiden Seiten des Grabes waren Steinbänke vorgesehen. Für die Tage, an denen das Gebäude geöffnet sein würde, sollten Decken und Kopfkissen, aber auch Mäntel und Unterkleider bereitliegen, damit sich die Besucher zum Totenmahl lagern könnten. Vor der cella musste nach der Vorschrift des namentlich unbekannten Testators ein hervorragend gemeißelter Altar für seine Gebeine aufgestellt werden. Die Aufsicht über die Grabstätte, zu der auch Seen und Obstgärten gehörten, war zwei Freigelassenen anvertraut, denen auch finanzielle Mittel zur Instandhaltung der Anlage überlassen wurden. Zu ihrer Unterstützung sah der Stifter drei Kunstgärtner mit Lehrlingen vor; falls einer von diesen stürbe, sollte ein Nachfolger bestimmt werden. Zum Lohn waren für jeden Gärtner 60 Scheffel Weizen im Jahr eingeplant, die der Erbe des Testators namens Aquila und dessen eigene Erben auszahlen sollten. Die Grabanlage selbst war ausschließlich für den römischen Bürger selbst bestimmt; nachdrücklich wendet er sich gegen jede Zweckentfremdung durch eine weitere Bestattung. Aquila und den Nacherben werden empfindliche Geldstrafen zugunsten der civitas Lingonum angedroht, falls sie diese Vorschrift nicht einhalten sollten. Schließlich regelt der Testator genau den ihm zu widmenden Totenkult. Mit der Ausrichtung des Begräbnisses und der Leichenfeiern betraute er neben seinem Neffen Aquila drei andere Männer, unter ihnen einen weiteren Freigelassenen. Für die Zeit nach der Bestattung legte er regelmäßige Feiern am Grabe fest. Seine Freigelassenen insgesamt, aber auch Aquila, sollten alljährlich bestimmte Geldzahlungen zum Erwerb von Esswaren und Getränken leisten. Diese Lebensmittel waren für die periodischen Opfer vor der cella memoriae bestimmt und sollten an der Grabstätte verzehrt werden. Die Freigelassenen hatten ferner jährlich wechselnde „Kuratoren“ für den Totenkult zu wählen, die sechsmal im Jahr die sacra am Grabe begehen sollten. Die ersten dieser curatores hat der Testator noch selbst bestimmt.
Nach der lange Zeit maßgeblichen Lehre des Rechts- und Religionswissenschaftlers Eberhard F. Bruck bildete die Erhaltung des Totenkults „das wichtigste oder jedenfalls ein treibendes Motiv“ für das römische Stiftungswesen.70 Ebenso wie im Hellenismus am Beginn des 3. Jahrhunderts v. u. Z. lasse sich in Rom um 100 u. Z. der Wandel zu einer individualistischen Einstellung im Verhältnis zum Leben nach dem Tode feststellen.71 Wie sich in Griechenland die alten Verbände der Familien und Geschlechter auflösten, sei vier Jahrhunderte später in den großen Familien der späten Republik der freiwillige Totenkult zunehmend vernachlässigt worden; der Aufstieg neuer Stände, so der equites („Ritter“), habe auch das Bedürfnis eines eigenen Totenkultes mit sich gebracht.72 Um die Familienpietät zu sichern, seien neue rechtliche Formen nötig geworden. Das Misstrauen gegen die Erben, die einst den Totenkult als wichtigste Pflicht gegenüber Eltern und Vorfahren verrichtet hätten, habe überhaupt erst zur weiten Verbreitung der Stiftungen geführt.73
Rezente Forschungen haben dieser Rekonstruktion teilweise den Boden entzogen.74 So wurde gezeigt, dass römische Stiftungen schon ins frühe erste nachchristliche Jahrhundert zurückgehen und sich nur wenige Stifter aus der senatorischen Oberschicht nachweisen lassen. Auch handele es sich bei diesen Fällen gar nicht um Totenkultstiftungen.75 Trotzdem hat eine jüngere Autorin ihre Monographie über Stiftungen der augusteischen Zeit wiederum mit „Sehnsucht nach Ewigkeit“ als leitendem Motiv überschrieben.76 Sogar bis in die Zeit der späten Republik (also bis 30 v. u. Z.) reichten Grabstiftungen nach dieser Untersuchung zurück; charakteristische Initianten und Träger waren Freigelassene.77 Die ehemaligen Sklaven erwarben zwar das Bürgerrecht, konnten jedoch keine Ämter übernehmen und nicht in den Militärdienst eintreten. „Als Bürgern zweiter Klasse waren den Freigelassenen also wichtige Wege zu Ruhm und Ansehen – den Voraussetzungen für ein Weiterleben im Andenken der Nachwelt – versperrt.“78 Um den eigenen Namen über den Tod hinaus vor dem Vergessen zu bewahren, boten sich ihnen Grabmonumente mit Stifterinschriften an, die mit ‚Grabgärten‘ ausgestattet sein konnten. Diese mochten Blumen für die Erinnerungsfeiern oder andere Naturprodukte für die Totenmähler hervorbringen. Die Weitergabe des Namens unter den folgenden Generationen wurde dadurch bewirkt, dass die Freigelassenen ihrerseits Sklaven freiließen, die den Namen ihres Patrons trugen. Auch der Geburt nach freie Bürger wie der Stifter aus Langres bedienten sich dieses Instruments einer Memorialstiftung mit Hilfe von Freigelassenen. Der Konstruktion kam der unter Augustus rechtsverbindlich gewordene Fideikommiss entgegen;79 das Stiftungsgut wurde den Freigelassenen und deren eigenen Nachfolgern auf Treu und Glauben zur Umsetzung des Grab- und Erinnerungskultes übergeben.80 Belohnt werden konnten diese, indem ihnen ebenfalls das Bestattungsrecht am Grab ihres Patrons zuerkannt wurde.