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Entwicklungen in der Medizin

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In der Medizin ging die traditionelle ganzheitliche Sichtweise mit der naturwissenschaftlichen Wende in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verloren. Damals gewann ein physikalistisches Krankheitsverständnis unter dem Einfluss der Zellularpathologie von Rudolf Virchow und der energetischen Physiologie von Hermann von Helmholtz die Oberhand und verlagerte den Schwerpunkt der Krankheitslehre auf anatomische Strukturen und physikalisch-energetische sowie biochemische Vorgänge. In der Folge entstand eine positivistische Annäherung an Patienten und ihre Krankheiten, die auf das Messbare zentriert war.

Auch in der Psychiatrie entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine stärkere Nähe zu der zunehmend naturwissenschaftlich orientierten Medizin. Sie stellte eine Abwendung von der metaphysischen Orientierung der naturphilosophisch ausgerichteten romantischen Psychiatrie dar und rückte die biologische Erforschung psychischer Erkrankungen in den Vordergrund. Diese Wende ist mit Wilhelm Griesinger verbunden, der als Vertreter der materialistischen Psychiatrie gilt. Er forderte, Geisteskrankheiten als Gehirnkrankheiten zu erforschen. Vor diesem Hintergrund hatten die aufkommende Psychoanalyse und das psychodynamische Denken, für die romantische Psychiater wie Carl Gustav Carus gleichsam den Boden bereitet hatten, in der Psychiatrie lange keine Chance.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die anthropologische Medizin. Sie ist eine Reaktion auf die naturwissenschaftliche Ausrichtung der Medizin der Moderne. Sie rückt den einzelnen Menschen, sein Schicksal, sein Erleben und seine Geschichte in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung. Ihr Programm ist eine allgemeine psychosomatische Orientierung mit dem von Viktor von Weizsäcker formulierten Ziel, verstärkt wieder »das Subjekt in die Medizin einzuführen«5. Unter dem Einfluss der Psychoanalyse verstand er Krankheiten als pathologische Selbstverwirklichung, die ihren Sinn in der Biografie des Betroffenen findet.

»Psychosomatisch« in diesem allgemeinen Sinne bezeichnet die grundsätzliche ärztliche bio-psycho-soziale Orientierung. Sie wird auch als ganzheitliche Medizin bezeichnet. Diese Orientierung ist darum bemüht, seelische, soziale und körperliche Aspekte des Krankseins zu integrieren und bei der Behandlung von Kranken gleichrangig zu beachten. Sie kennzeichnet eine aufgeklärte ärztliche Einstellung, die – zumindest als Ideal – den Umgang mit allen Patienten prägen sollte. Damit erhält auch die Psychologie als Psychotherapie einen festen Platz in der »Körpermedizin«.

Psychotherapie und Psychosomatik

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