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Vorwort

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Es klingelt. Mal laut, mal glockenhell, mal sanft, mal schrill, mal nervtötend. Es gibt eine Menge Möglichkeiten, um jemanden aus dem Sessel zu klingeln. Oder aus dem Bett, aus der Wanne oder vom Klo. Es könnte ja der Nachbar sein, der endlich sein sperriges Riesenpaket abholen kommt. Oder die Müllabfuhr, die sonst nicht den stinkenden Biomüll mitnimmt. Oder der Schwiegervater, der seinen Akkubohrer wiederhaben will. Es gibt mehr als genug Gründe, warum wir in Windeseile die Hose hochziehen, den letzten Bissen in den Mund stopfen, einen kurzen Blick in den Spiegel werfen und zur Tür zu hechten. Und das alles, um enttäuscht feststellen zu müssen, dass es sich nur wieder um einen aufdringlichen Werber handelt, der einem Abos für Tina, Bella oder Laura oder eben den Wachtturm unterjubeln will. Ich habe das schon tausendmal miterlebt. Nicht, weil mein vertrockneter Vorgarten eine solche Endzeitstimmung ausstrahlt, dass er scharenweise Zeugen Jehovas anlockt. Auch nicht, weil ich so gerne Kreuzworträtsel in Frauenzeitschriften löse oder den Fransenbob von Carmen Nebel mal nachstylen möchte. Sondern weil ich derjenige bin, der beherzt auf Ihre Klingel drückt. Und bei dessen Anblick Sie vor Enttäuschung bestimmt schon mal dicke Backen gemacht haben.

Seit sechs Jahren gehe ich als Werber von Haus zu Haus und sammele Spenden für eine große Natur- und Umweltorganisation, die regionale Projekte wie Biotope oder Naturschutzgebiete unterstützt. Klar, dass auch ich manchmal als gemeine Drückerkolonne beschimpft werde, obwohl ich mich dann doch frage, ab wie vielen Personen man wohl als Kolonne durchgeht. Sie müssen wissen: Ich bin immer allein unterwegs. Und sehe mit meinen 32 Jahren auch eigentlich ganz harmlos aus. Sportlich, 1,83 Meter groß, mit vom Wetter gebräunter Haut und leicht grauen Schläfen. Mittlerweile denke ich, dass mir die grauen Haare an der Tür ein bisschen in die Karten spielen, weil sie so was Reifes, Vertrauenerweckendes ausstrahlen. Gerade bei Frauen ein wesentlicher Punkt. Als ich jedoch bei der Organisation anfing, war ich nicht nur der Älteste, sondern auch der Einzige mit grauen Haaren. Also entschied ich, die Schläfen zu färben, um jünger zu wirken. Dieser Versuch ging leider mächtig in die Hose. Ich muss zugeben, ich habe das Ganze sehr großzügig aufgetragen. Viel hilft viel. In meinem Fall verhalf es mir zu braun getönten Ohren und misstrauischen Blicken der Leute. Abgesehen von braunen Ohren gibt es ein paar Kleinigkeiten, die an der Tür gut ankommen. Regel Nummer eins: ein strahlendes Lächeln. Deshalb esse ich in der Pause nichts, was sich unbemerkt zwischen meine Vorder- und Schneidezähne mogeln könnte, um dann spinatgrün den Leuten ins Gesicht zu springen. Regel Nummer zwei: Passend zu den blendend Zähnen trage ich ein schneeweißes Shirt mit dezentem, grasgrünem Organisations-Logo. Dazu eine blaue Jeans. Nicht dunkelblau, nicht hellblau, am besten mittelblau. Und abschießend nicht ganz so ausgelatschte Sneakers. Das finden besonders die älteren Damen immer „total flott“. Wenn es draußen kalt wird, ziehe ich eine Wolljacke an. Meine ist grau meliert, das ist neutral und nicht zu dunkel. Mützen, Kapuzen und Regenschirme sind für Werber tabu. Ein leidiges Thema, gerade wenn es im Herbst wie aus Kübeln gießt oder bitterkalt ist. Aber einem gesichtslosen Mann mit dunkler Kapuze macht niemand die Tür auf. Also lasse ich an eisigen Regentagen Tropfen um Tropfen in meinen Kragen laufen, während ich warte, bis mir jemand öffnet. Natürlich haben viele Häuser auch Vordächer. Aber oft halte ich einen höflichen Abstand von drei Metern, das kommt immer besser an. Sie können sicher verstehen, dass mir in solchen Situationen eine schnelle klare Absage tausend Mal lieber ist, als im strömenden Regen zu stehen und mit den Leuten zu diskutieren, ob ich als Einzelperson per definitionem als Drückerkolonne durchgehe oder nicht. Manchmal sehe ich auch durch den Glaseinsatz in der Haustür, wie die Bewohner einfach im Flur stehen bleiben und mich beobachten. Ohne die Tür zu öffnen. Dann grinse und winke ich, aber meistens rennen die Glaseinsatz-Abchecker dann einfach weg. Einmal habe ich an einem Haus geklingelt und sah durch den Glaseinsatz in der Haustür, wie sich der Bewohner hinter dem Garderobenschrank versteckte. Was bleibt einem da anderes übrig, als laut von draußen gerufen: „Sie können auch gerne über die Sprechanlage mit mir sprechen. Die hängt doch genau neben dem Bild mit den komischen Segelbooten.“ Auch wenn mir Sprechanlagen das Leben an der Tür schwieriger machen, habe ich vollstes Verständnis für sie. Aber ohne meine sanftmütige Wolljacke und mein entwaffnendes Lächeln muss ich mich hier ganz und gar auf meine Stimme konzentrieren. Das heißt: Deutlich, freundlich und nicht aufdringlich. Weil aber das Werben über Sprechanlagen generell immer schwierig ist, kassiere ich hier auch eine Menge Abfuhren. Da gibt es Standardsätze wie „Nein ich habe kein Interesse“. Oder: „Nein danke, ich mache schon genug für meinen Garten.“ Neulich hat sich über eine Sprechanlage eine Frau gemeldet. Ich fragte sie, ob sie bei der großen Unterstützungsaktion für den Landkreis mitmachen wolle. Darauf sie: „Tut mir leid, ich kann grad nicht aufmachen, ich stehe unter der Dusche.“ Oft spreche ich auch mit Anlagen mit Migrationshintergrund, das geht dann so: „Guten Tag, ich bin vom Verein ‚Schöne grüne Welt‘. Wir machen hier im Landkreis eine große Unterstützungsaktion ...“

„Hä?“

„Ich sammele Spenden für verschiedene Umweltprojekte, vielleicht möchten Sie mitmachen?“

„Alter willst du??“

„Fragen, ob du für die Umwelt spenden willst.“

„Alter, warte mal … Ey Ayla Alter, isch hab doch gesagt, das is nisch für disch! Dürum yüzlum Kindergarten üzgünüm bugün, Alter, nein!“

Hm, ich Alter oder „Ayla Alter“? Leider hatte ich keine Chance mehr, herauszufinden, wem das „Nein“ galt. Aber ich nehme mal schwer an, uns beiden. Stellen Sie sich vor, jemand spricht sie in der Fußgängerzone oder an der Tür an, um Geld zu sammeln. Sie sind gerade weder in Eile, noch im Stress, noch so genervt, dass Ihnen nicht einmal eine gescheite Ausrede einfällt. Also denken Sie sich: „Meinetwegen, ist ja für einen guten Zweck.“ Während der Werber nun weiter ausholt, um Sie über die Organisation, die Mitgliedschaft und die Zahlungsmodalitäten aufzuklären, läuten bei Ihnen sämtliche Alarmglocken. Mitgliedschaft? Bankeinzug? KONTONUMMER? Kommt nicht in die Tüte. Jedenfalls nicht bei solch windigen Geschäften zwischen Tür, Angel und Schuhgeschäft. Damit Sie sich nicht direkt beim bösen K-Wort die Flucht ergreifen oder mir die Tür vor der Nase zuschlagen, gibt es im Werberwortschatz keine schlimmen Wörter wie Verpflichtung, Unterschrift, Bank usw. Stattdessen arbeitet man sich wie folgt vor: Ich sage: „Hallo! Sie kennen doch bestimmt den Verein ‚Schöne grüne Welt‘?!“ Worauf Sie dann sagen: „Jaaa? Klar!“ Das „Ja“ kommt mal mehr oder weniger überzeugend rüber. Aber wer würde schon freiwillig zugeben, dass er noch nie etwas von dieser riesigen Umweltschutzorganisation gehört hat. Also ich nicht. In den folgenden zwei Minuten versuche ich, auf Teufel komm raus, so viele Jas wie nur möglich aus Ihnen herauszukitzeln. Sie sollen nicht überlegen, grübeln, abwägen. Sondern zuhören, lächeln und nicken. Am Tag klingele ich an die 150 Mal. Ungefähr 90 Mal wird mir die Tür geöffnet. Und wenn ich acht Leute zum Mitmachen bewegen kann, gehe ich abends mit einem breiten Grinsen nach Hause. Jedem glücklichen Spender drücke ich am Schluss eine Tüte Klatschmohnsamen in die Hand. Keine Ahnung, warum es ausgerechnet Klatschmohn ist. Aber die Leute stehen drauf. Mal sehen, ob Sie es auch tun.

Zwischen Türen und Angel(n)

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