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Von eisigen Anfängen und falschen Schlüssen

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Meine ersten Wochen als Werber waren ziemlich schrecklich. Ich hatte eine riesige Hemmschwelle, bei fremden Leuten zu klingeln. Nicht gerade die Top-Voraussetzung für jemanden, der hauptberuflich von Tür zu Tür geht, um Spenden zu sammeln. Vielleicht hätte ich mir das vorher überlegen sollen. Anfangs musste ich nur bei den anderen aus dem Team mitlaufen und zuschauen. Aber dann kam der Tag, an dem ich ganz alleine vor der verschlossenen Tür stand. Todesmutig drückte ich den Knopf, zählte einundzwanzig, zweiundzwanzig und dachte „Schade, keiner da. Bloß weg hier.“ Ich hätte niemals gedacht, dass es mir so schwerfallen könnte, an fremden Türen zu läuten. Aber es half nichts. Ich brauchte diesen Job dringend. Ich gab mir schließlich einen Ruck und wählte ein Haus, das irgendwie harmlos und nach Familienidylle aussah. Blaue Haustür mit Glaseinsatz inklusive Dekoherzen an langen Seidenbändern. Daneben ein Schild auf dem stand, dass hier Birgit, Rainer, Laura und Kevin wohnen, die keine Werbung wünschten. Ich stellte mich in Positur, hielt die grüne Mappe wie ein Schutzschild vor meine Brust, atmete tief ein und drückte auf die Klingel. Nichts passierte, ich hielt die Luft an. Plötzlich brüllte eine Frauenstimme von drinnen: „Kann vielleicht mal einer aufmachen?“ „Mann Mama! Ich chatte grade!“, schrie eine Jungenstimme zurück. „Frag Laura!“ „Wie übertrieben scheiße bist du denn?“ „Hallo Laura“, denke ich. Wussten Sie übrigens, dass mittlerweile „übertrieben“ das „end-“ abgelöst hat? Als ich mit dem Job anfing, war bei den 10- bis 17-Jährigen alles „endlecker“, „endkacke“, „endgeil“. Heute ist es „übertrieben lecker“, „übertrieben kacke“ oder „übertrieben übertrieben“. „End-“ fand ich irgendwie klarer. Bei beispielsweise „übertrieben aufgebitcht“ weiß man nicht so recht, ob es jetzt positiv oder negativ ist. Aber als ich mit pochendem Herzen vor der Tür stand, war ich überzeugt, dass sich hier weder Kevin noch Laura irgendwelche Umstände machen brauchten. „Ich kann auch einfach wieder gehen“, dachte ich. Aber da war es schon zu spät. Die Tür ging auf und vor mir stand eine Frau Ende vierzig. Sie war klein und ein bisschen untersetzt. Über ihre Schulter hing ein Trockentuch und ihr hellblaues T-Shirt hatte ein paar Wasserspritzer vom Spülen abgekommen. Sie roch nach Scheuermilch und ein bisschen nach Bratkartoffeln. Das machte sie mir gleich sympathisch. Ich mag Bratkartoffeln mit kross gebratenen Zwiebeln. Leider hatte ich das Gefühl, dass sie mich nicht so schnell in ihr Herz schließen würde, wie ich ihren Bratkartoffelgeruch.

Sie wirkte abgehetzt und leicht wütend. Kein Wunder, Laura und Kevin hatten sich schließlich wie die Erdmännchen in ihre Löcher verkrochen und das mit lautem Türknallen noch unterstrichen. „Ja?“, sagte sie nur knapp und schaute mich mit großen fragenden Augen an. Es waren ganz veilchenblaue Augen. Schade, dass sie mich so grimmig anstarrten. Aber ich konnte wohl schlecht sagen „Mensch Birgit, du hast verdammt schöne Augen. Aber wenn du mich weiter so böse anstierst, mache ich mir gleich in die Hosen.“ Also begann ich, mit Müh und Not, meinen Eisbrecher-Spruch aufzusagen, der aber bei der arktischen Kälte an Birgits Haustür so rein gar nichts bewirken wollte. Wahrscheinlich mochte sie Eis echt gerne. Deshalb wunderte ich mich nicht, dass ich von Birgit nur ein mitleidiges Seufzen bekam, gefolgt von einem Kopfschütteln und dem Knallen der Tür. Mit Kevins und Lauras war das innerhalb von drei Minuten die dritte Tür. Wie deprimierend. Das Ganze wiederholte sich in der ersten Zeit wieder und wieder. Ich bekam einfach keinen Fuß in die Tür. Jedes Mal stand ich da wie nicht bestellt und nicht abgeholt. Ich stammelte und stotterte, jeder Logopäde hätte sich die Finger nach mir abgeleckt. Vor lauter Unbehagen hämmerte ich mir ständig die Kugelschreibermine in meine Handfläche. Das tat ganz schön weh. Und mein Verschleiß an Kugelschreibern war in diesen ersten Wochen bestimmt zweistellig. Mein bester Freund und Hobbypsychologe riet mir, die Angst einfach mal herauszuschreien. Wenn das nicht helfen würde, könnte ich „die Angst auch tanzen“. Ich probierte es direkt mit Schreien. Dadurch wurde ich so heiser, dass ich die nächsten Tage wegen Stimmbandreizung krankgeschrieben war. Ich jubilierte! Ein Glück, dass Übung zwar nicht den Meister macht, aber wenigstens meine Hemmungen abbaute. So kriegte auch ich irgendwann die Kurve und brachte nach einiger Zeit an der Tür sogar ganze Sätze heraus. Außerdem entwickelte ich langsam, aber sicher ein feines Näschen für die verschiedenen Leute, ihre Situation, ihre Problemchen und Probleme. In der folgenden Zeit horchte ich in eine Menge Haushalte hinein, hörte lustige, langweilige und noch langweiligere Geschichten und fand mich manchmal plötzlich in den kuriosesten Situationen wider. Eben noch am Gartentor, jetzt schon auf der Showbühne! So saß ich nach ein paar Minuten bei einer Papa-ist-der-Chef-Tasse Kaffee am Küchentisch und diskutierte über die Erderwärmung. Oder die fünf in Bio. Ich probierte Sauerkraut mit Kassler und nahm kochend heiße Kartoffeln vom Herd. Ich half, Wohnzimmermöbel zu verrücken, begutachtete verstopfte Abflüsse im Badezimmer, streichelte widerwillig grimmige Katzen oder würgte trockenen Sandkuchen lächelnd in mich hinein. Ich hörte mir Geldprobleme, Erziehungsprobleme und Eheprobleme an. Nickte verständnisvoll, wenn es um Hundehaufen im Vorgarten ging und echauffierte mich gekonnt über die neue Gesundheitsreform. Ich aß mit Windpocken geplagten Kindern Salzstangen, beäugte so manche Gürtelrose und verpasste nie meinen Einsatz zur derzeitigen Wetterlage. Ich muss zugeben, es gefiel mir. Und damit auch kamen auch die ersten Unterschriften.

Zwischen Türen und Angel(n)

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