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Janis hing im Griff der beiden Wachmänner wie ein Kleid an einer Wäscheleine. Ihre Füße baumelten gerade mal ein, zwei Zentimeter über dem Boden. Fast hätte sie die Fliesen berühren können. Sie fühlte sich wie in Trance, verwirrt, weil sich ihre Träume in abgewandelter Form zu wiederholen schienen. Ihr Widerstandsgeist, wenn sie denn überhaupt einen besaß, begann sich aufzulösen. Irgendwie war ihr das eigene Schicksal langsam egal. Hauptsache, es entschied sich endlich, was es wollte.

Die Männer schleppten sie durch so viele verschiedene Zimmer, dass sie die Orientierung verlor und, wenn sie es denn gewollt hätte, nicht mehr von allein den Weg zurück in ihre Zelle gefunden hätte. Schließlich klopfte einer der beiden an die Tür eines Raumes mit der Aufschrift »BEFRAGUNG« und öffnete sie, ohne eine Antwort abzuwarten.

Das Zimmer war fensterlos und nicht sehr groß. Seine Einrichtung karg. Nur das Nötigste. Ein einfacher Holzstuhl mit Gurten an den Armlehnen und den Stuhlbeinen dominierte die eine und ein schwerer Schreibtisch aus Eiche die andere Hälfte des Raumes.

Janis ließ sich, ohne sich dagegen zu wehren, an den Stuhl fesseln. Die beiden Wachen postierten sich martialisch stramm hinter dem Schreibtisch. Es schien Janis eine Ewigkeit, bis sie hörte, wie sich hinter ihr die Tür öffnete und jemand eintrat.

Sie drehte den Kopf, so weit es ging, und schaute einem kleinen, auffällig korpulenten Mann in schwarzem Talar und weißer Allongeperücke dabei zu, wie er, ob seines Übergewichts hörbar schnaufend, die paar Meter zu seinem Platz hinter dem Schreibtisch zurücklegte und sich erschöpft in seinen Drehsessel fallen ließ. Er wartete, bis sich sein Puls etwas beruhigt hatte, und legte die mitgebrachte Aktentasche vor sich auf den Tisch. Diese Anstrengung einmal hinter sich gebracht, nahm er kurz die Perücke ab, wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Glatze und setzte den schulterlangen Kopfschmuck wieder auf seinen Platz.

Er nahm schweigend einen Akt mit der Bezeichnung UES1/0 aus der Tasche und öffnete ihn. Trotz der schweren Hornbrille auf seiner Nase las er über die Gläser hinweg. Dabei formte er die Lippen zu einem Kringel. Durch das kleine Loch, das sich so bildete, stieß er ab und an Luft aus und schüttelte den Kopf, als könnte er nicht glauben, was er da sah.

»Warum bin ich hier? Was haben Sie mit mir vor?« Janis wagte es, die quälende Ruhe zu unterbrechen.

Der fette Beamte sah über den Akt und warf ihn dann achtlos vor sich hin auf den Schreibtisch. Nun nahm er sehr langsam die Brille ab, klappte ebenso langsam den einen und danach noch langsamer den anderen Bügel zusammen und legte sie sorgsam dazu. Er lehnte sich etwas vor und sprach in übertrieben ruhigem Tonfall:

»Ich werde ihm nun erst einmal die Spielregeln erklären. Damit wir uns klar verstehen.« Er gab den Wachen ein Zeichen, indem er seinen Zeigefinger etwas krümmte, woraufhin sich die beiden aus ihrer statuenhaften Stellung lösten und sich neben Janis postierten. So konnten sie eine erneute Subordination der Gefangenen unterbinden oder sofort bestrafen.

»Hier stelle ich und ausschließlich ich die Fragen. Es ist hier, um auf diese meine Fragen zu antworten. Wahrheitsgemäß. Nichts weglassend und nichts hinzufügend.«

Janis wollte etwas erwidern, doch schon spürte sie die Hand der einen Wache auf ihrer Schulter und sie ließ es bleiben.

»Außer ausführlichen und den Tatsachen folgenden Antworten erwarte ich mir unbedingte Kenntnisnahme und Befolgung meiner Anordnungen. Sonst nichts. Keine Zwischenfragen und keine anderweitigen Unterbrechungen meiner Rede. Dies hier ist keine Diskussionsveranstaltung. Ist das klar?«

Ehe Janis überhaupt antworten konnte, wiederholte er in doppelter Lautstärke:

»IST DAS KLAR?«

»Ja«, kam es kleinlaut von Janis zurück.

»Gut. Dann kann ich ja endlich mit der Befragung beginnen.«

Er lehnte sich überlegen in seinem Stuhl zurück und faltete die Hände vor seinem Bauch, als wollte er beten.

»Name?«

»Janis«

»Janis. Ist das alles? Janis?«

»Das ist alles, woran ich mich erinnern kann.«

»Was ist es? Woher kommt es? Warum ist es hier?«

»Es?«

»Na ES, das Subjekt, das behauptet, den Namen Janis zu tragen!« Er deutete auf sie!

»Ah, ich! Das würde ich selber gerne wissen! Ich habe keine Ahnung. Ich werde hier gegen meinen Willen festgehalten …!«

»Gegen seinen Willen?« Er zog eine seiner buschigen schwarzen Augenbrauen hoch, um seine Überraschung ob dieser Behauptung zu unterstreichen. »Gegen seinen Willen?«, wiederholte er lauter und schrie dann so laut, dass Janis in ihrem Sessel zusammenfuhr.

»ES HAT DIE BARRIERE DURCHBROCHEN! ES HAT DIE GRENZE ÜBERSCHRITTEN! SO ETWAS DARF NICHT SEIN! DAS IST NICHT VORGESEHEN! Da ist sein Wille zweitrangig. Es ist, wie es bei uns so schön heißt, ein UES, ein unerwünscht eingewandertes Subjekt. Das erste, soweit ich mich erinnern kann, und das letzte, soweit es in meiner Macht steht, die Wiederholung eines solchen unerhörten Falles zu verhindern. Solange ich, Roderich Richter …«, er nahm das Messingschild, in das sein Titel und Name eingraviert war, vom Schreibtisch und fuchtelte damit vor Janis’ Nase herum. »… so lange ich in dieser Stadt das ehrenwerte Amt des Richters innehabe, der über den Dingen stehend, unparteiisch für Gerechtigkeit sorgt, solange ich hier zu entscheiden habe, wird so etwas kein zweites Mal vorfallen!«

»Ich würde ja gerne zurückgehen, wenn ich denn nur wüsste, wo das ist! Meine Erinnerungen sind völlig ausgelöscht.«

»JA, WAS DENKT ES SICH EIGENTLICH? Hier kann es nicht einfach rein und raus spazieren, wie es ihm gefällt. Hierher einzudringen muss Konsequenzen haben. Ernste Konsequenzen.« Nun wandte er sich an die Wachen.

»Davor hat die Partei immer gewarnt. Niemand wollte es glauben, aber genau davor hat die Partei und allen voran unser Parteiführer Zuchtwerker immer und immer wieder gewarnt. Wenn einmal die Barriere von Fremden durchbrochen ist, dann wird das eine Überflutung nach sich ziehen und unsere Welt das nicht überstehen, wenn wir uns nicht vehement dagegen zur Wehr setzen. Lassen wir nur eine rein, dann werden sie alle kommen. Das können wir uns nicht leisten. Daher dürfen wir in diesem Fall nicht weich werden.« Er war in der Zwischenzeit aufgestanden und hatte, um seinen Worten noch mehr Gewicht zu verleihen, begonnen, wild mit den Armen zu gestikulieren.

»Bringt dieses Subjekt zurück in seine Zelle!«, befahl er. »Dort wird es warten, bis wir eine Entscheidung gefällt haben. Ich habe genug von ihm. Ich werde mich mit dem Parteiführer beraten. Die Befragung ist beendet. Mehr will ich gar nicht wissen!«

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