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II. Überblick

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Forschungsüberblicke

Noch ein Buch über historische Kontroversen zum Nationalsozialismus? In der Tat: Wenn dieser Band mehr als das Füllen einer ansonsten auffälligen Lücke gerade in einer Reihe mit dem Titel „Kontroversen um die Geschichte“ sein soll, so bedarf dies einer Erläuterung. Denn mit den mittlerweile weit verbreiteten und fast schon zu Standardwerken der NS-Forschungsliteratur gewordenen Arbeiten etwa Ian Kershaws (23), Ulrich von Hehls (16), Wolfgang Wippermanns (49) oder aber und vor allem mit Klaus Hildebrands in sechster Auflage erst 2003 erschienener Gesamtschau „Das Dritte Reich“ (18) liegen Werke vor, die in kaum mehr zu überbietender Detailfülle und Präzision die Geschichte der Erforschung des NS-Staates dokumentieren und luzide beschreiben. Im Falle Ian Kershaws genügt sich die Darstellung von „Geschichtsinterpretationen und Kontroversen im Überblick“ sogar nicht einmal selbst, sondern wird viel mehr zur Grundlegung und Verteidigung der eigenen Forschungsposition genutzt.

Dies alles und vor allem Letzteres soll und will der vorliegende Band nicht leisten. Seine Grundintention ist streng an den von den Herausgebern vorgegebenen Zielen dieser Reihe orientiert: Er richtet sich an Studierende, die sich für Lehrveranstaltungen vorbereiten, an Examenskandidaten, die Prüfungen zu absolvieren haben, an Lehrerinnen und Lehrer, die einen problemorientierten Geschichtsunterricht vorbereiten, an historisch Interessierte, die Klarheit über die oft nicht leicht zu durchschauenden Auseinandersetzungen der Historiker gewinnen wollen. Deshalb ist er konsequent stark didaktisch orientiert. Dies hat eine Reihe sehr gewichtiger Konsequenzen.

Darstellungsziel

1. In diesem Band kann und soll kein Anspruch auf Vollständigkeit in der Darstellung der Forschungsentwicklung zum Nationalsozialismus erhoben werden. Dies wäre nicht nur mit der Grundintention der Reihe nicht vereinbar, es kann, wie die neueste Auflage von Klaus Hildebrands Standardwerk „Das Dritte Reich“ anschaulich zeigt, auch mit dem Medium „Buch“ fast nicht mehr geleistet werden. Denn die rapide voranschreitende und hoch differenzierte NS-Forschung in all ihren Verästelungen und Seitenwegen erfassen zu wollen, bedingt einen Darstellungsstil und ein bibliographisches Nachweissystem, das sich zunehmend abträglich auf die Lesbarkeit und angesichts des unvermeidlich hohen Abstraktionsgrades auch auf die Verstehbarkeit des Gesagten zumindest für den Anfänger oder „Einsteiger“ auswirken muss. Aus diesem Grunde wird im Folgenden nahezu vollständig auf die Darlegung von Forschungsentwicklungen verzichtet. Dies bedeutet, dass eine große Zahl von Werken, die dem professionellen NS-Forscher ganz selbstverständlich zu Grundlagenwerken der NS-Forschungsliteratur geworden sind, oft nicht einmal genannt und eine Anzahl von Subthemen gar nicht berührt werden, die gleichwohl für unser modernes Verständnis des Nationalsozialismus von Bedeutung sind. Der vorliegende Band nutzt den ihm zur Verfügung gestellten Raum ganz konsequent dazu aus, sich fast ausschließlich auf wirkliche historische „Kontroversen“ über den Nationalsozialismus zu konzentrieren.

Begriff „Kontroverse“

2. Was aber sind „wirkliche Kontroversen“ über die Geschichte des Nationalsozialismus? Wie sind sie von der Forschungsentwicklung und den dabei allenthalben stattfindenden Streitereien und Auseinandersetzungen der Historiker zu unterscheiden? „Nicht jede Kritik, nicht jede scharfe Rezension, nicht jede Meinungsdifferenz und auch nicht jede Revision einer älteren Ansicht sollten freilich als ‚Kontroverse’ – als ‚Historikerkontroverse’ – bezeichnet werden. Genauso wenig sollte man darunter persönliche Rivalitäten oder gar Feindschaften verstehen, wenngleich persönliche Momente bei Kontroversen durchaus eine Rolle spielen können. Ebenso wäre es falsch, in jedem politischen Skandal den Anlass zu einer Historikerkontroverse zu sehen“ – meint Hartmut Lehmann und fügt hinzu, dass sich die Geschichtswissenschaft bislang gar nicht in hinreichendem Maße und theoretisch fundiert mit diesem eigentlich alltäglichen Ereignis der geschichtswissenschaftlichen Arbeit auseinandergesetzt hat (28, S. 9 f.). Dies ist zweifellos zu bestätigen: Eine ganz trennscharfe und womöglich noch allgemein konsentierte Definition, was eine historische Kontroverse ist und was nicht, gibt es bis heute nicht.

Wohl aber existieren einige Anhaltspunkte, die es ermöglichen, mit Blick auf die NS-Forschung Auswahlkriterien zu beschreiben, mit denen eine Eingrenzung des hier behandelten Stoffes möglich wird. Nach Konrad Repgen müssen drei Momente zusammenkommen, damit man eine Auseinandersetzung unter Historikern als „Kontroverse“, Repgen nennt es „Kampf“, bezeichnen kann: „Erstens muss der Widerspruch zwischen den Thesen und Antithesen erheblich sein. Es darf nicht nur um Nuancen gehen. […] Ein zweites, inhaltliches Moment tritt hinzu: es muss sich der Sache nach, um einen bedeutenden Gegenstand des Streites handeln. Kämpfe entstehen nicht um Quisquilien. Dafür sind die Historiker zu friedliche Leute. Und selbst wenn sie es nicht wären, würden sie wegen gelehrter Kleinigkeiten kein großes Publikum finden können; denn dies, und damit sind wir beim Dritten, gehört auch zu einem Kampf: die Auseinandersetzung darf sich nicht allein im Elfenbeinturm der Fachzeitschriften und Akademieabhandlungen abspielen; sie muss, wenigstens zum Teil, vor den Augen der Öffentlichkeit ausgetragen werden“ (36, S. 304).

Das Kriterium der Öffentlichkeit ist auch für Hartmut Lehmann von besonderer Bedeutung, und zwar in dem Sinne, dass „Historikerkontroversen sich dadurch auszeichnen, dass in ihnen nicht eigentlich über das debattiert wird, was scheinbar im Vordergrund der Kontroverse steht, dass also hinter der strittigen Sachfrage andere strittige Komplexe stehen, die in der Kontroverse nicht ausdrücklich thematisiert werden, obwohl sie für Inhalt, Verlauf und Ergebnis der Kontroverse von großer Bedeutung sind“ (28, S. 10 f.). Im Falle der geschichtswissenschaftlichen Kontroversen um den Nationalsozialismus trifft dies freilich für fast jede Auseinandersetzung zu, weil nahezu jede Interpretation zugleich auch etwas über Kontinuitäten oder Diskontinuitäten zur gegenwärtigen Gesellschaft, zu ihrem Selbstverständnis, zu ihrer Stellung gegenüber der eigenen, in diesem Fall denkbar düsteren Geschichte aussagt. Ganz grundsätzlich hat Edgar Wolfrum mit seiner Arbeit über „Geschichtspolitik“ (50) den Nachweis erbracht, wie sehr gerade Geschichtsbilder von zeithistorischen Ereignissen immer in Abhängigkeit von aktuellen gesellschaftlichen Befindlichkeiten und Positionen zu sehen sind.

Für unseren Zusammenhang ist daher noch wichtiger als das Kriterium der Öffentlichkeit jene Typologie von Historikerkontroversen, die Lutz Niethammer, vielleicht in unglücklicher Wortwahl, in der Sache aber sicher zutreffend entworfen hat. Niethammer unterscheidet die „Arbeit am Mythos“ von dem „Legendenkiller“ und den „methodischen Innovationskonflikten“, die er „Horizontverschiebung“ nennt (34). Die „Arbeit am Mythos“ bezeichnet einen Konflikt, der sich durch eine „Reinterpretation gesellschaftlicher Ursprungsmythen“ ergibt, welcher durch ein sich wandelndes gesellschaftliches Selbstverständnis hervorgerufen wird. Die Debatte um den „deutschen Sonderweg“ könnte man zum Beispiel hierunter subsumieren. Demgegenüber entsteht der „Legendenkiller“ aus einer gängigen, womöglich lange tradierten Forschungsmeinung, die plötzlich angezweifelt und durch historische Beweisführung in ihr Gegenteil verkehrt wird. Ob sich die neue Interpretation durchsetzt, hängt ganz entscheidend von den Argumenten ab, mit denen sie vorgetragen wird und ob der „Legendenkiller“ eine „Kontroverse“ wird, hängt von der Reaktion derjenigen ab, die die traditionelle Ansicht vertreten. Die „Horizontverschiebung“ ist demgegenüber ein mehr innerwissenschaftlicher Methodenstreit, ein Innovationskonflikt, bei dem es um die Akzeptanz und praktische Anwendbarkeit neuer Erkenntnisse geht.

Fraglos sind solche Definitionsversuche, erst recht Typologisierungen wie die Niethammers, in höchstem Maße anzweifelbar und reizen zur Kritik. In unserem Zusammenhang lässt sich aus diesen Ansätzen aber immerhin ein Kriterienkatalog ableiten, anhand dessen die hier vorgenommene Auswahl transparent wird: in diesem Band der „Kontroversen um das Dritte Reich“ soll es um historische Debatten, Streitigkeiten, Gegenpositionen und dergleichen mehr gehen, die im Sinne der Repgen’schen Definition tatsächlich über deutlich akzentuierte, sehr gegensätzliche Positionen geführt worden sind und zugleich von erheblicher Bedeutung für das historische Verständnis des „Dritten Reiches“ waren. Sofern diese Auseinandersetzungen eine mehr oder minder große Öffentlichkeit erreicht haben, rücken sie damit geradezu automatisch in das Blickfeld der hier vorgelegten Betrachtung. Allerdings sollen im Sinne Hartmut Lehmanns politische Skandale nur dann berücksichtigt werden, wenn aus ihnen eine allgemeinere historische Auseinandersetzung hervorgegangen ist. Der „Skandal“ um den ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Filbinger (22) und seine Beteiligung an Todesurteilen der Wehrmachtsjustiz ist also als solcher ebenso wenig berücksichtigt wie der angebliche Skandal um die Rede des Bundestagspräsidenten Jenninger (40), auch wenn beide Ereignisse von Historikern aufgegriffen und in ihren Bezügen zu historischem Geschehen kontrovers erörtert wurden.

Mit Schärfe geführte Auseinandersetzungen über relevante Themen der NS-Geschichte sind, dem Verständnis Niethammers folgend, in unserem Zusammenhang zu behandeln, wenn sie sich als Gegenpositionen zur vorherrschenden Forschungsmeinung darstellen, aber auch, wenn sie sich als eine Gegenposition zu einem gängigen, bis dato weit verbreiteten Geschichtsbild verstehen, gleichsam einen „Paradigmenwechsel“ in Bezug auf bestimmte Themen der NS-Geschichte anzeigen.

Unter solchen Prämissen scheiden für die folgende Darstellung eine Vielzahl von Nuancierungen, Perspektivenverschiebungen und historischen Korrekturen aus, die in den vergangenen 60 Jahren beinahe täglich vorgenommen worden sind. Übrig bleiben die harten Interpretationsgegensätze und charakteristische Wandlungsprozesse des Geschichtsbildes, die man auch als schwer wiegende Perspektivenverschiebungen bezeichnen könnte.

Sie sind der Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen, und zwar ganz unabhängig davon, ob sie von manchen Historikern heute als „überholt“ oder „erledigt“ angesehen werden. Denn zum einen kann ein Beitrag zur Historiographie eines so bedeutenden Themas wie des Nationalsozialismus sich per se nicht auf vermeintlich oder momentan Relevantes beschränken, wenn er nicht in kürzester Zeit selbst als überholt gelten will. Zum anderen haben aber gerade auch bei den Kontroversen um den Nationalsozialismus längst totgesagte Debatten eine erstaunliche Überlebensfähigkeit bewiesen. Man denke nur an die „Reichstagsbrandkontroverse“, die nach Jahren des allgemeinen Überdrusses an diesem Thema und der offenbar nicht wirklich entscheidbaren Sachlage in jüngster Zeit eine kaum für möglich gehaltene Renaissance erlebt hat und mit einem eigenen Internet-Diskussionsforum (182) nun doch wieder recht lebendig erscheint.

„Argumentationsgeschichte“

3. Wenn schon der Verzicht auf die Darstellung der Forschungsentwicklung und die Konzentration auf eigentliche „Kontroversen“ den vorliegenden Band charakterisieren, so ist auch die Form, in der diese Kontroversen erklärt und erläutert werden eine besondere. Anders als bei den gängigen Darstellungen zum Thema, die sich angesichts des Umfangs und der Komplexität des Themas durch ein notwendigerweise hohes Abstraktionsniveau auszeichnen, wird im Folgenden versucht, den mit der thematischen Einengung gewonnenen Raum durch eine möglichst ausführliche und anschauliche Darlegung der gegensätzlichen Standpunkte zu nutzen, damit gerade dem Informationsbedürfnis desjenigen gedient wird, der sich dem Thema ohne vertiefte Spezialkenntnisse nähert. Als Ziel dieses Buches könnte man also eine Art „Argumentationsgeschichte“ der NS-Forschung benennen. Dies bedingt eine Vielzahl von Zitaten und Hinweisen, die auf den Kern der Auseinandersetzung aufmerksam machen. Bei der Anführung der einschlägigen Literatur wurde darauf geachtet, dass, wo möglich, vorrangig Aufsätze oder Kurzdarstellungen angegeben werden, die oftmals prägnanter als monographische und dann wieder stärker ausdifferenzierte Ausarbeitungen die Sichtweise und Position der Diskutanten erkennen lassen.

„Inneres Gefüge“ des Dritten Reiches

4. Schließlich ist aber auch bei einer so eingeschränkten Darstellung von Kontroversen um den Nationalsozialismus nochmals eine thematische Auswahl zu treffen. Sie ist unter der Maßgabe erfolgt, Kontroversen, die sich um das „innere Gefüge“ des Dritten Reiches entwickelt haben, besondere Beachtung zu schenken. Denn das gesamte, im engeren Sinne historische Ringen um ein angemessenes Verständnis der Geschichte des Dritten Reiches führt immer wieder auf die Kernfrage zurück, was im Innersten diese Diktatur möglich machte, was sie zusammenhielt und zu den bekannten ungeheuren Verbrechen führte. Kontroversen um das „innere Gefüge“ des Dritten Reiches zu betrachten, führt also trotz der dadurch erfolgten thematischen Reduktion in das eigentliche Zentrum des Forschungsinteresses.

Dies wird schon deutlich, wenn man sich den Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 näher vor Augen führt. Nach dem deutlichen Stimmenverlust, den die NSDAP in den Reichstagswahlen des November 1932 hatte einstecken müssen (Absinken von 37,3% auf 33,1% der Stimmen), war diese Ernennung, die Hitler ja nicht zuletzt einem Intrigenspiel nationalkonservativer Kräfte um den ehemaligen Reichskanzler v. Papen verdankte, keineswegs eine historische Notwendigkeit (9, S. 2). Man mag daher zu Recht die Frage stellen, ob der zeitgenössische, aber vor allem in den 1950er Jahren gebräuchliche Terminus „Machtergreifung“ wirklich treffend ist, ob nicht vielmehr von „Machtübertragung“ (so die marxistische Diktion, vgl. 49, S. 61), von „Auslieferung“ (so Heinrich August Winkler, vgl. 47 I, S. 535ff.) oder gar „Machtfreigabe“ (9, S. 19) zu reden wäre. Auch die Zusammensetzung der Regierung Hitler, in der ja neben dem Reichskanzler lediglich Wilhelm Frick mit dem Innenressort und Hermann Göring als Minister ohne Geschäftsbereich die nationalsozialistische Sache vertraten, Hitler mithin dem sozialrevolutionären Drängen seiner eigenen Anhängerschaft ebenso entsprechen musste wie er die nationalkonservativen Koalitionäre nicht verprellen durfte, werfen die Frage nach den Antriebskräften auf dem Weg in die Diktatur auf.

Aus diesem Grunde ist die Kontroverse um den Fragenkomplex „Adolf Hitler: Starker oder schwacher Diktator?“ an den Anfang dieses Bandes gerückt worden, ergeben sich aus den so unterschiedlichen Antworten darauf doch auch sehr unterschiedliche Sichtweisen sowohl auf die weitere Etablierung und Absicherung der NS-Herrschaft, als auch für die Beschreibung und Deutung der Verbrechen des NS-Staates an den Juden und anderen diskriminierten Gruppen. Der Bedeutung dieses Verbrechens gemäß und weil eugenische und antisemitische Maßnahmen ja auch sofort und im Zuge der Machtsicherung einsetzten, ist der Fragenkomplex „Holocaust: Plan oder Entwicklung?“ als zweiter Darstellungsteil angeschlossen worden, dem dann die Frage nach dem Funktionieren der NS-Herrschaft im dritten Kapitel folgt.

Kaum war die Macht „erlangt“, ging die Regierung Hitler schon an die Umsetzung der zentralen eugenischen wie antisemitischen Kernpunkte des Parteiprogramms. Mit dem so genannten „Judenboykott“ vom 1. April 1933 und dem „Berufsbeamtengesetz“ vom 7. April 1933 wurde die aktiv antisemitische Grundstimmung der Parteibasis, deren Aktionismus zunächst inopportun erschien, kanalisiert. Nur aus rein taktischen Erwägungen und weil die Resonanz auf diese unzivilisierten Grobheiten in der deutschen Bevölkerung nicht den Erwartungen entsprach, wurden solche Maßnahmen in den Folgemonaten abgeschwächt, bis sie 1934/35 dann fast zum Erliegen kamen, ohne dass sich freilich dadurch das antisemitische Grundklima irgendwie geändert hätte. So war der Erlass der berüchtigten „Nürnberger Rassegesetze“ im September 1935 vor allem wieder dem Druck der Parteibasis sowie einiger führender Personen aus der Spitze des NS-Machtapparates geschuldet. Joseph Goebbels spielte hier eine wichtige Rolle und er war es auch, der die Pogrome gegen jüdische Mitbürger am 9. November 1938 initiierte, die eine weitere Eskalationsstufe darstellen. Mit dem Krieg schließlich setzten weitere Verschärfungen ein über Ghettoisierung und Deportationsvorhaben (zum Beispiel nach Madagaskar) bis hin zur tatsächlichen Vernichtung jüdischen Lebens in den berüchtigten Konzentrationslagern des Ostens. Betrachtet man nur diese grob gezeichnete Eskalierung, so wird schnell deutlich, dass die Frage nach den Antriebskräften einer solchen Politik, nach ihren Ursachen und Wendepunkten, aber auch nach der Rezeption dieses Vorganges in der deutschen Bevölkerung von ganz zentraler Bedeutung ist und sehr unterschiedlichen Interpretationen Raum gegeben hat. Flankiert wurden diese Maßnahmen mit „rassehygienischen“ Initiativen wie sie in dem am 14. Juli 1933 erlassenen „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ bereits sichtbar geworden waren. Die „T4“-, „Euthanasie“-Aktionen zu Beginn des Krieges stellten auf diesem Gebiet eine weitere mörderische Eskalationsstufe dar.

Gleichzeitig mit der Entfaltung der eugenischen und antisemitischen Politik der neuen Reichsregierung wurde deren Machtsicherung vorangetrieben. In der Flut einschlägiger, die Macht Hitlers und seiner Partei begründender Gesetze und Verordnungen, die 1933/34 ergingen, ragen die folgenden heraus: die so genannte „Brandverordnung“ vom 28. Februar, die der Exekutive weitgehende Ausnahmerechte verschaffte, das „Ermächtigungsgesetz“ vom 24. März 1933, das die genuine Funktion des Reichstages, Gesetze zu erlassen, zugunsten der Regierung aufhob und schließlich der „Röhmputsch“ vom 30. Juni 1934, mit dem die Judikative zugunsten eines Notrechtes des „Führers“ eingeschränkt wurde. Insbesondere die „Reichstagsbrandverordnung“ und der ihr ursächlich zugrunde liegende Brand des Reichstages am 27. Februar 1933 haben dabei das besondere Interesse der Forscher gefunden. Dies kann kaum verwundern, wenn man bedenkt, welch weit reichende Folgen eine sichere Identifikation der Urheber dieses Brandes für das Gesamtverständnis des Dritten Reiches hätte. Wäre die schon zeitgenössische Vermutung, Nationalsozialisten hätten den Brand gelegt, zu erhärten, würde dies doch die Vorstellung von der Usurpation der Macht durch Hitler wesentlich befördern. Im gegensätzlichen Falle hingegen kommt den führenden nationalkonservativen Eliten in der Nähe Hitlers wie der Gesellschaft insgesamt eine wesentlich höhere Mitverantwortung für die Nutzung dieser historischen Gelegenheit zur Abfassung eines regelrechten „Diktaturparagraphen“ zu.

Diese Grundsatzfrage hat das historische Arbeiten immer wieder beflügelt und im Laufe der Jahre zu kritischen Nachfragen über die Haltung der staatsnahen Institutionen wie wichtiger Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens geführt. So ist etwa schon früh über die konstitutive Rolle der öffentlichen Verwaltung für das Funktionieren des NS-Staates nachgedacht worden, die rein äußerlich durch das „Berufsbeamtengesetz“ des Jahres 1933 und das Deutsche Beamtengesetz des Jahres 1937 definiert ist. Aus den hier festgelegten Selektions- und Disziplinierungsmitteln wie auch aus der 1935 eingeführten „politischen Beurteilung“ der Beamten hat die Beamtenschaft nach 1945 den ihr verbliebenen Handlungsspielraum beschrieben und sich als Opfer des totalitären Zugriffs der neuen Machthaber gesehen. Ganz Ähnliches gilt für die Wehrmacht, die nach dem „Röhmputsch“ in ihrer Eigenschaft als „Waffenträger der Nation“ gesichert war und die größte potentielle Gefahr für den Bestand des NS-Staates hätte darstellen können. Zwar gab es in der Wehrmacht ähnlich wie in der Koalitionsregierung Hitlers selbst eine Reihe von Schnittmengen mit den politischen Vorstellungen der Hitlerpartei etwa in der Frage der Revision des Versailler Vertrages und der Wiederaufrüstung, doch blieben nationalkonservative Vorbehalte gegen den „Führer“ der sozialrevolutionären Bewegung stets erhalten, die Hitler noch 1944 für das gegen ihn erfolgte Attentat verantwortlich machte. Andererseits ist nicht zu übersehen, dass das Militär unter Führung des Reichskriegsministers Werner von Blomberg auffallend rasch im Sinne der Hitlerpartei indoktriniert wurde und politische Postulate in den Alltag des Soldaten eindrangen. Ob die Blomberg-Fritsch-Krise des Jahres 1938 und die vollständige Übernahme des Oberbefehls durch Hitler vor diesem Hintergrund als ein wirklicher Wendepunkt anzusehen sind, in dessen Zusammenhang am Ende auch die Wehrmacht zum Opfer der nationalsozialistischen Machtusurpation geworden ist, ist daher in Frage gestellt und heftig diskutiert worden.

Nicht unberücksichtigt bleiben kann bei der Gleichschaltung oder eben Selbstgleichschaltung der wichtigsten staatstragenden Institutionen der Aufbau eines bis dahin nie gekannten Repressionsorgans, der Geheimen Staatspolizei, die vielen zum Symbol der gewaltsamen Unterwerfung der Gesellschaft geworden ist. Tatsächlich hatte sich der NS-Staat neben der von Heinrich Himmler betriebenen Übernahme der Polizeigewalt in den Ländern bis hin zu seiner Ernennung als „Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei“ am 17. Juni 1936 schon Ende April 1933 in dem von Hermann Göring ausgebauten Geheimen Staatspolizeiamt (Gestapa) einen staatspolizeilichen Apparat von vorher nie gekannten Ausmaßen geschaffen, der in dem am 27. September 1939 gegründeten Reichssicherheitshauptamt (RSHA) schließlich eine Verschmelzung parteilicher und staatlicher Ämter erfuhr. Die Brutalität und Menschenverachtung dieses Geheimdienstes, insbesondere gegen Ende des Krieges, war weithin bekannt. Ob freilich die Angst vor einer in der Volksmeinung „allwissenden und allmächtigen“ Gestapo Hitlers Reich zusammengehalten hat, mag angesichts der Defizite in dem Polizeiapparat wie auch angesichts der notorischen Denunziationsbereitschaft der Bevölkerung zu fragen sein.

In jedem Fall wird man konstatieren müssen, dass bereits nach ein, zwei Jahren nationalsozialistischer Herrschaft gesellschaftliche Freiräume in Deutschland erheblich minimiert waren. Die Parteien waren nach ihrer raschen Auflösung im Juni/Juli 1933 ebenso verschwunden wie die ehemals so mächtigen Gewerkschaften, denen schon im Mai 1933 ein Ende bereitet worden ist.

Allein in der Privatwirtschaft mochte man sich zunächst noch einer gewissen unternehmerischen Freiheit wegen sicher fühlen, brauchte Hitler doch die Industrie, um scheinbar einen Wirtschaftsaufschwung, tatsächlich aber die deutsche Aufrüstung zu bewerkstelligen. Ein Beleg für die Interessenidentität der Wirtschaftsführer mit den Nationalsozialisten oder eher ein Beleg für die politische Unerfahrenheit der Unternehmer? Mit der Einführung des Vierjahresplanes 1936 und erst Recht mit dem Beginn des Krieges schwanden jedenfalls die Handlungsspielräume der Wirtschaftsführer rasant.

Eine begrenzte Freiheit beanspruchten auch noch die Kirchen. Die katholische Kirche versuchte ihren Freiraum durch das Konkordat vom 20. Juli 1933 zu sichern, einem höchst umstrittenen Vertrag, der in der Tradition jener völkerrechtlichen Vereinbarungen stand, mit denen die Päpste seit jeher die Rechte der Kirche zu wahren gesucht hatten. Dieser Versuch scheiterte, Vertragsverletzungen und Hetzkampagnen gegen katholische Priester und Ordensleute waren bald schon an der Tagesordnung. Dagegen wehrte sich Papst Pius XI. im März 1937 mit der berühmten Enzyklika „Mit brennender Sorge“.

Die Situation der Evangelischen Kirche war noch ungleich schwieriger. Die Spaltung der evangelischen Christen in einen deutsch-christlichen Teil, der den am 27. September 1933 in Wittenberg gewählten nationalsozialistischen Reichsbischof Ludwig Müller anerkannte, und einen bekennenden Zweig, ausgehend von Martin Niemöllers Pfarrernotbund, der sich auf das Evangelium berief und an den Glaubenswahrheiten, die im Mai 1934 in Barmen formuliert worden waren, festhalten wollte, drohte die evangelische Christenheit in Deutschland zu zerreißen. Wieviel Anpassung und Kooperation einerseits und Widersetzlichkeit und Unangepasstheit andererseits diese Situation hervorgerufen hat, ist bis heute umstritten. Ob überhaupt die Begriffe „Kirchenkampf“ und „Widerstand“ die historische Situation zutreffend beschreiben, ist daher zunehmend gefragt worden.

Damit ist bereits ein weiterer Fragenkomplex angesprochen, der den Gegenstand eines weiteren Kapitels bildet: der Widerstand gegen die NS-Herrschaft. So deutlich in den letzten 60 Jahren unsere Kenntnis über Widerstandsgruppen und Einzelakteure gewachsen ist, so drängend ist die Frage nach den Kategorien und Kriterien solchen „Widerstandes“ geworden und ebenso die Bedenken darüber, ob und in wieweit dieses Verhalten als „vorbildlich“ angesehen werden kann. Zwar hat der politisch linke Widerstand gerade in den ersten rund drei Jahren der NS-Diktatur den politisch wohl bedeutendsten Gegenpol zur etablierten Diktatur dargestellt und auch danach noch einen hohen Blutzoll erbracht. Neuere Studien haben aber die Zersetzung der Arbeitermilieus deutlich aufzeigen können, auf denen dieser Widerstand fußte und sie haben auch die Rücksichtslosigkeit dokumentiert, mit der die kommunistische Führung ihre Anhänger in einen lebensgefährlichen und aussichtslosen Kampf befohlen hat. Ebenso wissen wir heute um das mutige Widerstehen zahlreicher katholischer wie evangelischer Pfarrer und Gläubiger, doch lässt sich kaum übersehen, dass Widerstand im engeren, politisch gemeinten Sinne zu keinem Zeitpunkt ein Anliegen der Kirchen war. Und auch der letzte Höhepunkt der Geschichte des deutschen Widerstands, das Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944, erscheint uns heute offenbar ungleich weniger als „Aufstand des Gewissens“, als der es noch unmittelbar nach dem Krieg bezeichnet worden ist. Denn viele der Attentäter waren in den nationalsozialistischen Unrechts- und Verbrechensstaat verstrickt oder teilten einzelne politische Positionen mit den Nationalsozialisten. Ihre Zukunftsvorstellungen nehmen sich oft wenig demokratisch aus. Allerdings fragt sich, ob mit solchen Überlegungen die Handlungsoptionen eines Widerständlers in der etablierten totalitären Diktatur wirklich hinlänglich erfasst werden können, ob nicht viel mehr ein Wort Vaclav Havels zu bedenken ist, der das Leben in einer Diktatur als das „Leben in der Lüge“ bezeichnet hat.

Auf Lügen und Propaganda baute ja Hitlers ganzer Staat, sogar in der Kriegführung. Der II. Weltkrieg war ein völkerrechtswidriger Eroberungs-und Vernichtungskrieg. Schon der Überfall auf Polen war mit zahllosen Verbrechen, insbesondere mit der Ermordung der polnischen Intelligenz verknüpft. In Russland fand diese Art der Kriegführung mit dem Wissen und z. T. auch der Billigung der Wehrmachtsführung ihren Höhepunkt. Parallel dazu aber war der Krieg auch ein militärisches Ereignis, das von Mythen und Legenden überwuchert war, deren wissenschaftliche Aufarbeitung im vierten Kapitel dieses Bandes wenigstens angeschnitten wird.

Zu diesen von der nationalsozialistischen Propaganda genutzten falschen Vorstellungen gehört wohl an erster Stelle die so genannte „Blitzkriegslegende“: Nach dem erfolgreichen Überfall auf Polen im September 1939 war es ja in der Tat für fast alle Zeitgenossen überraschend, wie im Vergleich zum I. Weltkrieg rasch und problemlos die Wehrmacht einen militärischen Sieg nach dem anderen einfahren konnte. Kaum war Polen besiegt, wurden Dänemark und Norwegen bezwungen. Dass aber auch Frankreich, Belgien und die Niederlande 1940 so schnell niedergeworfen werden konnten, hatten auch Hitler und die Wehrmachtsführung nicht vorausgesehen. Sie rechneten mit einem viel langwierigeren Krieg. Trotzdem entstand die Vorstellung, Ursache dieses Siegeslaufes sei ein neues Kriegsführungskonzept, der „Blitzkrieg“, den gar Hitler selbst erfunden habe. Erst im Juni 1941 beim Angriff auf Russland sollte sich dieses angeblich neue Konzept als Fehlschlag erweisen und den Untergang des Dritten Reiches einleiten. Es ist deshalb schon bald die Rede von einem „Präventivkrieg“ gegen den gefährlichen sowjetischen Diktator Stalin gewesen, der Deutschland aufgezwungen worden sei, um dem gefährlichen russischen Angriff zuvorzukommen: eine Vorstellung, für die es freilich, so zeigen es die Diskussionen, wenig Tatsachenmaterial gibt.

So wie das Dritte Reich und sein inneres Gefüge also Gegenstand vielfältigster historischer Nachfragen geworden ist, so ist auch die Frage nach der Art und Weise, wie das NS-Regime und seine Verbrechen von den Deutschen „bewältigt“ worden ist, bis heute höchst umstritten. Zunächst hatten ja die deutschen Behörden keine Möglichkeit, sich dieser Verbrechen und ihrer Aufarbeitung anzunehmen. Es war der internationale Militärgerichtshof in Nürnberg, der seine Zuständigkeit entfaltete, dann aber auch die zahlreichen militärischen und zivilen Gerichte der Siegernationen, die Verbrechen von Deutschen in ihren Staaten und gegen ihre Staatsbürger aburteilten. Erst durch das „Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ vom 5. März 1946 bekamen deutsche Behörden Autorität zur „Bewältigung“ der Diktatur zugestanden. Doch die im Rahmen der Entnazifizierung abgeurteilten 1654 „Hauptschuldigen“ in der amerikanischen Besatzungszone etwa, erscheinen nicht gerade als ein Ausweis einsichtiger „Vergangenheitsbewältigung“. Ähnlich mag man die Bemühungen um eine „Wiedergutmachung“ des nationalsozialistischen Unrechts verstehen, die zunächst mit erheblichem Druck der Alliierten in Gang gebracht werden mussten. Immerhin aber kam 1952 das Wiedergutmachungsabkommen mit Israel zustande und 1957 wurde ein Entschädigungsgesetz erlassen, in dessen Folge bis 1986 insgesamt 75 Milliarden DM ausgezahlt worden sind. Eine ambivalente Bilanz also, die sich ebenso für das Gebiet der gesellschaftlichen Auseinandersetzung ziehen lässt. Kein Wunder, dass eine solch schwierige Sachlage sehr unterschiedliche Interpretationen des historischen Geschehens bedingt hat, deren wichtigste Argumente im letzten Kapitel dieses Bandes vorgestellt werden.

Faschismustheorie

In diesem „Programm“ fehlen zweifelsohne einige Kontroversen, die aufgrund der vorgenannten Auswahlkriterien keine Berücksichtigung erfahren haben, aber in einer Reihe anderer Veröffentlichungen bereits in ausführlicher Weise erläutert worden sind. Der Verzicht auf eine neuerliche Darstellung dieser Positionen fällt daher umso leichter.

An erster Stelle wären hier wohl die verschiedenen zum Teil schon zeitgenössischen, teils erst in jüngerer Zeit variierten grundsätzlichen Deutungsversuche des Nationalsozialismus zu nennen, die nahezu in jeder Darstellung über Kontroversen zum Nationalsozialismus zu finden sind und fast immer das einleitende Kapitel darstellen. Im Grunde stellen Sie aber keine eigentlichen Kontroversen im oben genannten Sinne dar, vielmehr sind sie politisch-weltanschaulich abgeleitete Deutungsmuster, die konkurrierend nebeneinander stehen.

Das zeigt sich schon bei der orthodox-marxistischen Faschismustheorie (48), die als der älteste Erklärungsversuch des Nationalsozialismus gelten kann. Sie sieht im Nationalsozialismus nur eine Spielart der europäischen Faschismen der Zwischenkriegszeit und betrachtet ihn als „Agent“ im Dienste kapitalistischer Wirtschaftsinteressen, traditioneller Eliten und Reaktionäre, die sich mit seiner Hilfe des Ansturms der kommunistischen Ideologie zu erwehren suchten. Weit über ihren Entstehungszusammenhang hinaus hat diese Theorie in den Ostblockstaaten, insbesondere auch der DDR, die historische Forschung beeinflusst und in den 1960er Jahren auch im Westen revisionistische Interpretationsansätze inspiriert, wie unten im Zusammenhang mit Kontroversen über die Wirtschaft im Dritten Reich näher ausgeführt wird. Zahlreiche Spielarten dieser Grundform haben sich im Laufe der Zeit entwickelt, so unter anderem die auf Sinowjew und Stalin zurückgehende Sozialfaschismustheorie, mit der die Sozialdemokratie in völliger Verkennung der totalitär-diktatorischen Grundlagen des Nationalsozialismus den europäischen Faschismen zugerechnet wurde – mit den bekannten katastrophalen Folgen für den Zusammenhalt der sozialistisch geprägten Arbeiterklasse. Allen Ausdifferenzierungen der Faschismustheorie eigen blieb der Blick auf die vorausgesetzte enge Abhängigkeit der politischen Entwicklung von den Interessen des „Finanzkapitals“.

Totalitarismustheorie

Anders als die marxistische (aber auch andere nichtmarxistische) Faschismustheorien sieht die ebenso bereits zeitgenössisch entworfene Totalitarismustheorie den Nationalsozialismus nicht als Gegenbewegung zum Kommunismus, sondern vielmehr als eine völlig neue auf totalitäre Erfassung der Gesellschaft ausgerichtete, antidemokratische und antiparlamentarische Bewegung – in dieser Stoßrichtung daher auch dem Kommunismus wesensverwandt. In den 1950er und 1960er Jahren wurde diese Vorstellung von Hannah Arendt und Carl J. Friedrich zu einer Theorie ausgebaut, die aus der Zeiterfahrung des Kalten Kriegs verschärfende Impulse erfuhr und die Ähnlichkeiten zwischen Nationalsozialismus und Kommunismus deutlich schärfer akzentuierte. Demzufolge waren Ideologie, Einheitspartei, terroristische Geheimpolizei, Nachrichten- und Waffenmonopol sowie eine zentral gelenkte Wirtschaft die Kennzeichen solch totalitärer Regime. Die Totalitarismustheorie hat, obwohl sie ihren Kritikern lange Zeit als ein Propagandainstrument des Kalten Kriegs galt, in den letzten Jahren, besonders aber seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Osteuropa, wieder an Akzeptanz gewonnen.

NS als „politische Religion“

Eng verbunden mit der Totalitarismustheorie ist der von Eric Voegelin bereits 1938, nur wenig später dann auch von Raymond Aron unternommene Versuch, den Nationalsozialismus nicht anders als den Kommunismus als „politische Religion“ zu begreifen. Ein Versuch, der in den 1990er Jahren von Hans Maier aufgegriffen wurde. Diese Interpretation betont die überall auftretenden religiösen Momente totalitärer Diktaturen und das messianische Sendungsbewusstsein der Diktatoren. Dagegen ist eingewandt worden, dass weder Hitler noch Stalin religiös waren und der ehrwürdige Begriff der „Religion“ sich nicht als Deutungskategorie für Totalitarismen eigne. Beides sind zweifelsohne bedenkenswerte, aber auch zu entkräftende Einwände (30, S. 364f).

Auf all diese grundsätzlichen und schon alten Interpretationsrichtungen kann hier ebenso wenig detailliert eingegangen werden wie auf neuere und abgeleitete Spielarten dieser Erklärungsversuche. Zu denken wäre etwa an den von Ernst Nolte vertretenen „phänomenologisch-ideengeschichtlichen“ Ansatz oder Wolfgang J. Mommsens als „strukturell-funktional“ zu bezeichnenden Vorschlag.

Modernisierungstheorie

Darüber hinaus wäre auch an die immer wieder mit einem ganz unterschiedlichen Verständnis des Begriffs „modern“ diskutierten modernisierungstheoretischen Ansätze zu erinnern. Hierbei wird davon ausgegangen, dass die Zeitgeschichte, und darin eingeschlossen auch der Nationalsozialismus, am besten unter Modernisierungsgesichtspunkten zu interpretieren wäre, die in einer radikalen Verdrängung der traditionellen Gesellschaftsgefüge, in verstärkter Industrialisierung, Verstädterung und vor allem Verweltlichung und Rationalisierung bestünden. Und in der Tat fällt es gar nicht schwer, intendierte Modernisierungsschübe in der Geschichte des Nationalsozialismus zu identifizieren (zum Beispiel in der Propagandatechnik, in der Wirtschaftsführung und Produktion, insbesondere während des Krieges). Doch gleichzeitig ist die Dominanz archaischer, geradezu atavistischer Herrschaftsstile so unübersehbar, dass der Nationalsozialismus ebenso gut als „Antimodernisierungsbewegung“ oder gar als „Revolution gegen die Moderne“ bezeichnet werden könnte. Will man nicht schon aus diesem Grunde das Konzept der Modernisierung für untauglich zur Erklärung des Nationalsozialismus bezeichnen, so setzt sich die Sicht auf die Ambivalenz des Nationalsozialismus hinsichtlich des Modernisierungspostulates offenbar mehr und mehr durch.

Sonderwegsdiskussion

Nicht berücksichtigt sind in der nachfolgenden Darstellung auch jene zumeist innerwissenschaftlich geführten Diskussionen um den Standort des Dritten Reiches in der deutschen Geschichte, um Fragen nach Kontinuitäten oder Diskontinuitäten. Solche Diskussionen nahmen ihren Ausgang bezeichnenderweise schon bald nach dem Ende der Hitlerdiktatur, als sich mit Macht, und durch die Politik der Besatzungsmächte verstärkt, die drängende Frage erhob, wie denn jener Rückschritt in die Barbarei angesichts der so vielfach gerühmten und im Ausland über so lange Zeit beneideten politisch-kulturellen Leistungen Deutschlands zu erklären sei: ein simpler „Betriebsunfall“ oder gar etwas, das seit langer Zeit in der deutschen Geschichte angelegt war, vielleicht sogar ein „Sonderweg“, der zwangsläufig zu jener Katastrophe hatte führen müssen? Anfang der 1950er Jahre zum Beispiel propagierte der französische Deutschlandkenner Edmond Vermeil, dass der Nationalsozialismus seine Wurzeln in der obrigkeitsstaatlichen und imperialistischen Tradition Deutschlands habe, die bis in den Reichsgedanken des Mittelalters zurückzuverfolgen sei. Das entsprach dem französischen Verständnis des Nationalsozialismus, das im Preußentum die eigentliche Ursache von Hitlers Aufstieg sah und deshalb in seiner Besatzungszone neben der Entnazifizierung vor allem eine „Entpreußung“ betrieb. Solche und ähnliche Hypothesen haben bis heute immer wieder einmal Konjunktur, weil sie als Gedankenspiel und wegen mancher gar nicht zu übersehender Parallelen reizvoll sind. So ist beispielsweise auch eine direkte Linie von Luther über Bismarck zu Hitler gezogen worden oder die Gründung des kleindeutschen Reiches 1871 im Zusammenwirken mit einem gleichsam „urpreußischen“ Militarismus und Kadavergehorsam für das Entstehen des Dritten Reiches verantwortlich gemacht worden (eine irrationale, auf nationalistischen Vorurteilen beruhende Ausprägung dieser Denkweise wird nach dem britischen Unterstaatssekretär Lord Robert Vansittart auch als „Vansittartismus“ bezeichnet). All diese Kombinationen stellen aber mehr Reflexionen über den Gang der deutschen Geschichte insgesamt dar und können daher in unserem Zusammenhang zurücktreten.

„Historikerstreit“

Im weiteren Sinne wäre in solche Überlegungen auch der so genannte „Historikerstreit“ einzuordnen, der 1986 von dem Frankfurter Sozialphilosophen J. Habermas ausgehend über einige Monate hinweg größere öffentliche Aufmerksamkeit erregt hat. Denn es ging bei dieser wissenschaftlich eigentlich unfruchtbaren Auseinandersetzung um die Befürchtung, dass die von Broszat geforderte Historisierung des Nationalsozialismus und die zunehmende Betrachtung des Nationalsozialismus im Kontinuum der deutschen Geschichte wie auch im Vergleich mit anderen totalitären Regimen insgesamt die Exzeptionalität des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen nivellieren könnte, mithin „apologetische Tendenzen“ beinhalte (vgl. dazu 41). Die hochgradig politisch-polemische Debatte, die Immanuel Geiss als „Hysterikerstreit“ bezeichnet hat, hinterließ kaum einen wissenschaftlich relevanten Ertrag und wird daher im Folgenden auch nicht weiter aufgegriffen. Nach Lutz Niethammer war der Streit im Übrigen auch keine „Kontroverse“, weil „es keinen historisch bearbeitbaren Gegenstand gab, in dessen Behandlung unterschiedliche Erkenntnisinteressen hätten einfließen können“ (34, S. 79).

NS-Außenpolitik

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass auch Kontroversen um die nationalsozialistische Außenpolitik wegen des Blicks auf das „innere Gefüge“ des Dritten Reiches nicht zum Gegenstand einer eigenen Betrachtung gemacht worden sind. Gleichwohl finden sich viele strittige Positionen in jenen Kapiteln wider, die Themen mit außenpolitischen Belangen behandeln: so etwa im Kapitel über den Holocaust oder auch über die Wehrmacht und die Kriegführung. Wer gleichwohl konzise Überblicke gerade zu diesem Thema sucht, dem seien die entsprechenden Kapitel bei Kershaw oder die unübertroffene Darstellung Hildebrands empfohlen (23, Kap. 6; 18, Kap. 5).

Das Dritte Reich

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