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Der fliegende Burger und der Schädelbasisbruch

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Thomas P. hat zwei Vorstrafen, eine davon wegen versuchten Mordes. Nicht das beste Blatt also, wenn man wie er beschuldigt wird, seinem Kontrahenten bei einer Auseinandersetzung den Schädel gebrochen und ihn so schwer verletzt zu haben. Der 38-Jährige bekennt sich vor Richterin Erika Pasching dennoch nicht schuldig: Er habe in Nothilfe gehandelt, wobei sich der über 70 Jahre alte Gerhard K. verletzt habe.

Die Geschichte spielt vor der Begegnungszone beim Einkaufszentrum Wien-Mitte im Bezirk Landstraße. Zwei Frauen und ein Kind probierten dort die fast allgegenwärtigen mietbaren E-Scooter aus. Mit zwei Gefährten waren sie unterwegs, auf einem fuhr der Bub mit seiner Tante.

„Ich bin gerade über den Zebrastreifen gegangen, als ich gesehen habe, wie der Herr die Dame samt dem Kind vom Scooter gestoßen hat“, erinnert sich der Angeklagte. „Es ist dann ein Streit zwischen dem Herrn und einer Frau entstanden, der Herr hat die Faust gehoben. Ich dachte, er wird sie gleich schlagen.“

Da P. sich zuvor einen Imbiss in einem Schnellrestaurant besorgt hatte, verwendete er das aufgemotzte Fleischlaberl als Wurfgeschoss. „Ich habe meinen Cheeseburger geworfen und bin losgerannt“, behauptet der Angeklagte. Sein Ziel sei es gewesen, sich zwischen den älteren Mann und die deutlich kleinere Frau zu zwängen und zu deeskalieren. „Ich habe den Herrn dabei sicher nicht gestoßen, maximal angerempelt. Er fiel nach hinten um und ist mit dem Kopf unglücklich auf einer Gehsteigkante aufgeschlagen“, beteuert P. gegenüber Richterin Pasching.

Die Folgen des Vorfalls waren verheerend: K. erlitt einen Schädelbasisbruch, war eine Woche stationär im Krankenhaus und leidet auch Monate später noch unter Wortfindungsstörungen und Druckgefühlen im Kopf, wie er schildert. 500 Euro Schmerzensgeld hätte der Pensionist gerne.

Davor erzählt K. jedoch eine völlig andere Version der Geschehnisse. „Ich bin aus dem Kino gekommen, es waren ungefähr 30 Leute auf dem Gehsteig.“ Plötzlich sei er leicht von einem Roller gestreift worden. Es sei nicht dramatisch gewesen, er wollte allerdings seine Auslegung der Straßenverkehrsordnung klar machen. „Was macht ihr da, ihr gehört ja auf die Straße!“, habe er sinngemäß geschrien. „Es tun ja alle“, echauffiert er sich auch vor Gericht.

Vom Scooter habe er aber niemanden gestoßen, stellt der Pensionist klar. Da auf der anderen Straßenseite die zweite Frau – die Mutter des Kindes – wartete, habe er auch ihr nochmals seinen Standpunkt dargelegt. Aber sicher nicht drohend, geschweige denn mit erhobener Faust.

Warum genau das aber sowohl die beiden Scooterfahrerinnen als auch unbeteiligte Zeuginnen und Zeugen aus den umliegenden Gastgärten so wahrgenommen haben, kann er sich nicht erklären. „Da waren sicher 30, 40 Leute herum. Wenn ich so drohend gewesen wäre, warum ist dann nicht von denen wer eingeschritten?“, wundert K. sich.

Die bedrohte Frau liefert dafür in ihrer Aussage eine mögliche Erklärung: „Die anderen haben nichts gemacht, der Herr Angeklagte hat Zivilcourage gezeigt“, lobt sie. Denn der Pensionist habe zu ihrer kopftuchtragenden Schwester auch „Schleicht’s eich in eier Land!“ gesagt, was K. wiederum bestreitet.

Der Verletzte hat das jedenfalls völlig anders wahrgenommen, wie er schildert. „Plötzlich kam der Herr dazu und sagte, ich soll die Frau in Ruhe lassen“, rekapituliert er vor Gericht. „Er hat sich auf die Seite der –“, K. stockt kurz, „– Leute geschlagen, anstatt ihnen zu sagen, dass sie nicht auf dem Gehsteig fahren dürfen.“ Daher habe er P. möglicherweise noch „Wos woin Se von mir?“ gefragt, ehe dieser ihn wuchtig weggestoßen habe. „In der Früh bin ich um neun Uhr dann im SMZ Ost aufgewacht, ohne zu wissen, wie ich da hingekommen bin.“

Die beiden Frauen und die unbeteiligten Zeugen schildern zwar alle einen lautstarken Streit und eine bedrohliche Situation, widersprechen sich aber in der Frage, ob P. den Pensionisten nun aktiv weggestoßen habe oder der auf andere Weise zu Sturz gekommen ist.

P.s Verteidiger Andreas Duensing führt im Schlussplädoyer noch aus, dass sogar ein Wegstoßen rechtlich gedeckt sei: „Mein Mandant hat Nothilfe geleistet und dazu muss er den Angriff zuverlässig vereiteln. Wenn er sich nur dazwischengestellt hätte, wäre er geschlagen worden, das kann man ja von niemandem verlangen!“

Richterin Pasching schließt sich dieser Sicht an und spricht den Angeklagten rechtskräftig frei. „Es hat für alle so ausgesehen, als ob Herr K. die Frau gleich schlagen würde“, begründet sie ihr Urteil. Dass P. sich lediglich dazwischendrängen wollte, glaubt sie ihm zwar nicht, aber auch ein Stoß ist für sie zulässig, da er das gelindeste Mittel sei, um die Situation zu klären. Es habe in weiterer Folge einen unglücklichen Verlauf genommen, aber für eine strafrechtliche Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung sei es zu wenig, meint die Richterin.

Der Taubenhasser und das Fenster zum Hof

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