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Bindungstypen Warum Frauen so oft an Gestörte geraten – und Männer an Psychopathinnen

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Warum wir uns gerade in die Menschen verlieben, die uns so offensichtlich nicht guttun

Der Unterschied zwischen »kompliziert« und »zu kompliziert«

Einige kennen vielleicht diese oft ganz unerwarteten Momente, in denen sich der Blickwinkel ändert, mit dem man auf sein Leben schaut. Sie verschieben die Perspektive und lassen einen Dinge sehen, die man bisher gar nicht wahrgenommen hatte. Wie eine Geschichte, die sich vollständig verändert, wenn man ihr nur ein kleines Detail hinzufügt. Wenn man so will, wurde Ende August meiner Geschichte ein solches Detail hinzugefügt. Durch eine Begegnung, durch die ich mein Liebesleben der vergangenen Jahre mit vollkommen neuen Augen sah. Ich verstand nicht nur, warum ich mich so oft in Frauen verliebte, die mir nicht guttaten und denen ich nicht guttat – mir wurde auch klar, dass sich das endlos fortführen würde, wenn ich bestimmte Dinge nicht endlich korrigierte.

Es war eine dieser viel zu warmen Nächte des letzten Sommers, die die Hitze des Tages nicht abkühlten. Es war gegen elf. Ich hatte mich gerade von einer Frau verabschiedet, mit der ich ein Date hatte, und machte einen nächtlichen Spaziergang die Kastanienallee hinunter. Als ich den Prater passierte, blickte ich zur Buchhandlung auf der gegenüberliegenden Straßenseite und hatte plötzlich das unwirkliche Gefühl, neben der Zeit zu sein. Das menschenleere Geschäft war hell erleuchtet, die hohen Glastüren waren weit geöffnet, obwohl es schon seit Stunden geschlossen sein musste. Ich überquerte die Straße und betrat das Geschäft, in dem mein Bekannter Hannes, der dort arbeitet, ein Regal neu einrichtete. Wir begrüßten uns und er erklärte mir, dass er nur außerhalb der Öffnungszeiten die Ruhe dazu fand. Neben ihm stand ein Mann mittleren Alters, den ich nicht kannte. Er hieß Lukas, war nicht unsympathisch und erzählte, dass er ebenfalls zufällig vorbeigekommen war. Hannes holte uns drei Bier aus dem hinteren Teil des Ladens. Wir stießen an und unterhielten uns, während wir hin und wieder zu den Passanten sahen, die neugierig in das Geschäft blickten und mein nicht unangenehmes Gefühl verstärkten, irgendwie außerhalb der Zeit zu sein. Ein Gefühl, das die kommende Stunde vorwegnehmen sollte, in der ich mich fühlte, als würde ich neben mein Leben treten und es mit einem unvoreingenommenen Blick betrachten.

Als Hannes mich fragte, woher ich gerade kam, sagte ich: »Von einem Date.« Bevor Hannes etwas erwidern konnte, fügte ich hinzu: »Von einem Tinder-Date.«

»Verstehe«, lachte Lukas. »Und, wie wars?«

»Na ja«, sagte ich und erzählte, dass sie eine dieser Frauen war, die den Fotos auf ihrem Profilbild kaum ähnelten. »Wär sie nicht von selbst auf mich zugekommen, hätte ich sie gar nicht erkannt.«

»Sie ist also gut in Photoshop«, sagte Hannes.

»Politisch korrekter kann man es wohl nicht ausdrücken«, lachte Lukas, wandte sich zu mir und fragte: »Seht ihr euch wieder?«

»Ich glaub nicht«, sagte ich. »Ich habe gerade eine Trennung hinter mir und bin eigentlich noch gar nicht bereit für eine Beziehung.«

»Verstehe«, sagte Lukas. »Und wie lange wart ihr zusammen?«

»Na ja, zusammen«, erwiderte ich gedehnt, bevor ich entschieden weitersprach. »Ich würde das, was wir da kultiviert haben, nicht wirklich als Beziehung bezeichnen. Das war eher …«, ich suchte einen Moment lang nach den passenden Worten, bevor ich aufgab und sagte: »Es war kompliziert.«

»Michael mag es ja kompliziert«, sagte Hannes. »Aber das war nicht kompliziert, das war zu kompliziert.« Er wandte sich zu mir. »Ist dir das schon mal aufgefallen? Du verliebst dich ausschließlich in Frauen, bei denen es kompliziert ist. Es ist fast so, als würden dich nicht die Frauen anziehen, sondern die komplizierten Umstände, in denen sie sich gerade befinden. Manchmal denk ich wirklich, du verliebst dich eher in Konstellationen als in Menschen. Je aussichtsloser, desto besser. Wenn es zu einfach ist, verlierst du sofort das Interesse. Ganz ehrlich: Ich wünsch dir wirklich, dass du dich in eine Frau verliebst, auch wenn es einfach ist.«

»Aber genau das wünsch ich mir doch auch«, entgegnete ich.

Hannes erwiderte diesen Satz mit einem skeptischen Blick, der auch erzählte, dass er mich für einen Menschen hielt, der einem solchen Konzept vollkommen verständnislos gegenüberstand. Ich verstand seinen Blick. Meine Liebschaften der letzten Jahre gaben ihm schließlich recht.

Liebe ist Liebe, Drama ist Drama, und Leid ist Leid

Unvermittelt musste ich an ein Gespräch denken, dass ich nur wenige Tage zuvor geführt hatte. Ich saß mit Jo, meinem Nachbarn, auf dem Balkon, als er mir erzählte, dass sich seine Ex-Freundin gemeldet hatte. Zu dem Zeitpunkt war ihre Trennung anderthalb Jahre her.

»Ach«, sagte ich. »Und, was wollte sie?«

»Sie hat gefragt, ob wir uns mal wieder treffen wollen.«

»Aha. Und du hast hoffentlich Nein gesagt.«

»Na ja«, sagte Jo langsam.

»Was genau meinst du denn mit ›Na ja‹?«, fragte ich und spürte, wie sich meine Augen verengten.

»›Na ja‹ heißt, dass wir uns am Freitag sehen.«

Gott!, dachte ich.

Mein Nachbar ist ein sensibler Mensch, der weder die Beziehung noch die Trennung von seiner Ex-Freundin gut verkraftet hat. Obwohl sie jetzt schon eine Weile her war, war er meiner Einschätzung nach erst am Anfang des Verarbeitungsprozesses. Denn die Frau bestimmte unsere Gespräche immer noch. Es war also keine gute Idee, sich mit ihr zu treffen. Gar keine gute Idee.

»Na wundervoll«, rief ich. »Die Wunde hat sich noch nicht mal richtig geschlossen und du willst sie jetzt noch mal so richtig schön aufreißen. Wie ein Messer, das man in der Wunde noch mal umdreht, damit sie sich nicht schließt.«

»Ich weiß«, sagte mein Freund und warf mir einen hilflosen Blick zu. »Ich hab auch schon meinen Psychiater angerufen.«

Ich hatte schon angesetzt, um etwas zu erwidern, aber meine Gedanken stoppten praktisch, als mich diese Information erreichte. Ich sah ihn einen Moment lang schweigend an, weil ich ja auch nicht wusste, was ich überhaupt dazu sagen sollte.

»Wenn man vor dem Treffen mit einer Frau erst einmal seinen Therapeuten konsultieren muss, sollte man vielleicht überdenken, ob man sich überhaupt auf ein Treffen einlassen möchte«, sagte ich, bevor ich mit einem leichten Lachen hinzufügte: »Na, zumindest haben wir dann nach dem Treffen wieder ein Gesprächsthema für die nächsten Monate.«

Mein Nachbar erwiderte mein Lachen, allerdings in einer nervösen und auch irgendwie mechanischen Version. Ein gespieltes Lachen, dem man anmerkte, wie künstlich es war.

Scheiße!, dachte ich. Es würden lange Monate werden.

Obwohl ich seine Ex-Freundin nur aus Erzählungen kannte, habe ich die Trennung in unzähligen Gesprächen quasi miterlebt. Wir sprachen so viel darüber, dass es sich manchmal beinahe so anfühlte, als wäre ich mit ihr zusammen gewesen. Wir sprachen jeden Tag über sie, und mit jeder neuen Geschichte lernte ich einen Menschen ein bisschen besser kennen, der mir sehr unsympathisch war. Und mit jeder neuen Geschichte steigerte sich meine Antipathie.

Wenn sich eine Ex-Freundin nach längerer Zeit wieder meldet, neigt man ja schnell dazu, die gemeinsame Zeit zu verklären. Aber hier gab es nichts zu verklären. Beide hätten das Ende ihrer Beziehung als Befreiung empfinden müssen. Als ein Aufatmen, das nach diesem Psychoterror, dem sie sich gegenseitig zwei Jahre ausgesetzt hatten, eigentlich immer noch anhalten müsste.

Aber was soll ich sagen: Ich selbst kenne den Unterschied zwischen dem rationalen Blick, den man aus der Sicherheit der Distanz hat, und der Irrationalität der Gefühle, wenn es einen selbst betrifft, ja nur zu gut. Wenn ich verliebt bin, muss ich mich immer noch zwingen, den unbedarften Teenager in mir zu ignorieren, der das alles zum ersten Mal erlebt. Von ihm kommen keine guten Ratschläge. Er ist beratungsresistent. Darum zählen unter solchen Umständen die Ratschläge anderer nicht, die aus der nötigen Distanz einen Überblick haben, der mir fehlt, um gesunde Entscheidungen treffen zu können.

»Ich liebe sie immer noch«, sagte mein Nachbar trotzig. »Und ich will wieder mit ihr zusammen sein.«

»Überleg doch mal bitte kurz, wonach du dich da sehnst«, rief ich und hob meine Hand zu einer abwehrenden Geste. »Denk mal bitte daran, worüber wir in den letzten Monaten immer und immer wieder gesprochen haben. Das war eine Beziehung, die nur aus Drama und Leid bestanden hat.«

»Wir hatten eben eine dramatische Liebe«, sagte mein Nachbar und sah mich plötzlich entschlossen an. »Liebe ist immer auch Leid.«

»Nein«, entgegnete ich bestimmt. »Liebe ist Liebe. Drama ist Drama. Und Leid ist Leid. Das sind vollkommen verschiedene Dinge.«

Es gibt ein berühmtes Zitat des Schauspielers Liam Neeson, mit dem er sich nach dem Tod seiner Frau, der Liebe seines Lebens, in einem Onlinepost geäußert hat.

»Jeder sagt, Liebe tut weh, aber das ist nicht wahr«, sagt er. »Einsamkeit tut weh. Ablehnung tut weh. Jemanden zu verlieren, tut weh. Neid tut weh. Jeder verwechselt diese Dinge mit Liebe, aber in Wahrheit ist Liebe das Einzige auf der Welt, das all den Schmerz verdeckt und einem wieder ein wundervolles Gefühl gibt. Liebe ist das Einzige auf dieser Welt, das nicht wehtut!«

Diese Sätze haben eine starke Wirkung auf mich. Immer wenn ich sie lese, entdecke ich aufs Neue die tiefe Wahrheit in ihnen. Neeson ist mir in diesen Sätzen so nah und vertraut, dass ich ihn Liam nennen möchte.

»Es ist nicht die Liebe, die die Dinge verkompliziert«, sagte ich zu meinem Nachbarn. »Es sind die Menschen. Mit ihren Neurosen, Unsicherheiten und beschädigten Egos. Liebe hat nichts damit zu tun.«

Mein Nachbar warf mir einen zweifelnden Blick zu, während meine Worte in unser Schweigen hallten, und ich muss zugeben, dass ich ihn ja verstand. Meine entschiedenen Sätze erzeugten auch in mir einen Widerstand. Denn obwohl ich die tiefe Wahrheit erkenne, sehen meine Erfahrungen vollkommen anders aus. Denn auch ich habe Liebe immer mit Drama, Kampf und Leid verbunden.

Es gibt einen Zwiespalt, der sich durch meine Liebesbeziehungen zieht. Obwohl ich mich danach sehne, dass sich eine Liebesbeziehung wie selbstverständlich ergibt, dass die Gefühle zwischen zwei Menschen, die sich sympathisch sind, ganz natürlich wachsen, verliere ich schnell das Interesse, wenn ich einer Frau begegne, mit der sich die Dinge zu einfach ergeben.

Frauen, die sich außer Reichweite befinden, ziehen mich an.

Nehmen wir meine Ex-Freundinnen. Die meisten meiner Beziehungen entstanden aus einer aussichtslosen Situation. Meine erste Freundin zweifelte, weil sie sich nach den Verletzungen ihrer letzten Beziehung gerade keine neue vorstellen konnte, die zweite befand sich noch in der Trennungsphase mit ihrem Ex-Freund, die dritte nahm an, in einer glücklichen Beziehung zu sein, um sich dann doch immer bei mir zu melden, weil sie mich treffen wollte.

Mit meinen Ex-Freundinnen zusammenzukommen, war immer mit einem kräfteraubenden Prozess verbunden. Die Frauen, die mich interessierten, haben immer gezweifelt. Ich habe lange Zeit angenommen, dass Leid dazugehören muss, wenn ich mich um eine Frau bemühe. Es war eine romantische Idee. Ich dachte, dass es meinen Gefühlen Würde gab. Ich verstand Leid als Ausdruck der Größe meiner Gefühle. Je mehr Leid ich investierte, desto wertvoller erschienen sie mir. Je mehr ich im Kampf um eine Frau litt, desto wertvoller wäre die Liebe, die dann entsteht.

Ich habe mich oft gefragt, worin die Gründe dafür liegen. Einer dieser Gründe könnte sein, dass ich die großen Romane von Dostojewski zu früh gelesen habe. Damals war ich zu jung, um diese Bücher zu verstehen, ich fühlte sie eher. Vor allem ihre Liebesgeschichten beeindruckten mich.

Und wahrscheinlich haben sie mich geprägt. Vielleicht empfand etwas in mir diese Romane praktisch als Vorbereitung darauf, wie Menschen miteinander umgehen, wenn sie etwas füreinander empfinden. Ihr Verhalten war eine Art Code, den man entschlüsseln musste. Man musste da durch, wenn man eine Frau für sich gewinnen wollte.

So gesehen waren meine Liebesbeziehungen die Wiederauflagen dieser Liebesgeschichten. Wir waren zu Figuren eines Dostojewski-Romans geworden, was erst einmal elegant klingt, es dann aber ganz und gar nicht ist. In seinen Romanen verhalten sich die Liebenden nämlich ausgesprochen verhaltensauffällig. Wenn man so will, kultivieren sie die Liebe von Menschen mit masochistischen Borderlinepersönlichkeitsmerkmalen. Obwohl ihre Gefühle füreinander sehr tief sind, verletzen sie sich unablässig. Ununterbrochen lösen Euphorie und Leid einander ab. Man liest das und denkt: »Um Gottes willen, was stimmt denn mit den Leuten nicht?«

Ich war damals siebzehn, ein Alter offenbar, in dem einen Romane so stark beeinflussen können, dass man sie schnell auf die eigene Wirklichkeit überträgt. Heute weiß ich, dass es ein dramaturgisches Mittel ist, um die Spannung nie abklingen zu lassen. Bei mir hat es funktioniert: Ich fieberte mit. Obwohl ich es unzumutbar fand, wie Dostojewskis Liebende miteinander umgingen und wie sie sich gegenseitig verletzten, beeindruckten mich ihre Gefühle. Sie schienen durch das Drama sehr tief zu werden. Offensichtlich habe ich mich auch in meinen Liebesgeschichten daran orientiert. An einem dramaturgischen Mittel.

Mir fiel plötzlich ein, dass mein Nachbar genau jetzt, während ich in der Buchhandlung stand, mit seiner Ex-Freundin in einer Bar saß und litt. Weil er nicht auf meine Ratschläge gehört hatte, hatte er sich auf das Treffen eingelassen und lieferte sich ebenfalls einem dramatischen Mittel aus.

Ich machte einen skeptischen Laut und hob meinen Blick. Lukas, der Bekannte von Hannes, sah mich interessiert an und unterbrach meine Gedanken.

Sobald die Jagd eröffnet ist

»Was mochten denn die Frauen so an dir, in die du dich verliebt hast?«, fragte er.

Ich musste einen Moment lang überlegen, bevor ich antwortete.

»Mir haben Frauen oft gesagt, dass ihnen an mir gefällt, dass ich sie mitreiße, meine Euphorie«, sagte ich. »Ich verliebe mich ja wirklich selten, aber wenns dann doch mal passiert, ist das wie ein Rausch.«

»Verstehe«, sagte Lukas.

Er schien kurz nachzudenken, dann begann er, Fragen zu stellen. Viele Fragen. Er ließ mich meine Liebesbeziehungen der letzten Jahre vor ihm ausbreiten. Es war seltsam, mich einem Menschen, den ich kaum kannte, so weit zu öffnen. Vielleicht lag es daran, dass Lukas die richtigen Fragen stellte, oder daran, dass man sich Fremden eher öffnet.

Es war ein langes Gespräch, in dem ich mich besser kennenlernte, in dem mein fest gefügtes Bild über mich selbst aufbrach und ich mich in einem anderen Licht sah.

Irgendwann unterbrach Lukas mich und sagte entschieden: »Du bist also ein ängstlicher Bindungstyp.«

»Wie bitte?«, fragte ich.

»Es gibt vor allem drei Bindungstypen«, sagte er. »Den sicheren, den ängstlichen und den vermeidenden – und du bist offensichtlich ein ängstlicher.«

Ein ängstlicher Bindungstyp?, dachte ich hilflos. Ängstlich klang ja eher beunruhigend.

Bevor Lukas ansetzte, um fortzufahren, fiel mir ein, was meine Ex-Freundin Maxi meiner Ex-Freundin Vivian erzählt hatte, als sich die beiden kennengelernt hatten. Ich war gerade mit Vivian zusammengekommen, und Maxi wollte sie offensichtlich darauf vorbereiten, was da auf sie zukam. Maxi ist eine von den Frauen, die Menschen anhand ihres Sternzeichens erklären.

»Michael ist ja im Jahr des Hasen geboren«, sagte sie in bedeutungsvollem Ton. »Und du weißt ja, dass Hasen Fluchttiere sind.«

Vivian warf mir einen entsetzten Blick zu. Wir waren gerade erst zusammengekommen, unser Ende schien uns noch unmöglich, aber Maxis Analyse klang wie eine Prophezeiung, die dieses Ende bereits vorwegnahm. Zudem war es die Prophezeiung meiner Ex-Freundin, also einer Frau, die mich sehr gut kannte. Was soll ich sagen, obwohl ich Maxi unterbrach, um Vivians fassungslosen Blick mit einigen einlenkenden Sätzen zu beruhigen, hat sich ihre Prognose erfüllt. Wenn ich ein Fluchttier war, hatte meine Flucht aus der Beziehung mit Vivian knappe zwei Jahre gedauert. Und das klang wirklich beunruhigend.

Allerdings stellte sich heraus, dass Lukas etwas vollkommen anderes meinte als Maxi. Er meinte überraschenderweise das Gegenteil, was es aber auch nicht unbedingt besser machte.

»Du bist ein Jäger«, sagte er und betonte das letzte Wort mit einem irgendwie satten Unterton.

»Ein Jäger?«, wiederholte ich skeptisch. »Also ganz ehrlich, wenn es eine Eigenschaft gibt, die man definitiv nicht auf mich anwenden kann, dann ist es die, dass ich ein Jäger bin. Man glaubt das vielleicht nicht, aber ich bin ein schüchterner Typ. Ich könnte nie eine Frau einfach so ansprechen, ich habe dann immer das Gefühl, mich ihr aufzudrängen. Wenn ich es zusammenrechne, habe ich in meinem Leben vielleicht fünf Frauen angesprochen. Ich bin auch kein Flirter. Ich lerne Frauen am besten kennen, wenn sich ein Gespräch ganz natürlich ergibt.« Ich dachte kurz nach, bevor ich hinzufügte: »So gesehen bin ich anscheinend wirklich ein ängstlicher Bindungstyp.«

»Du verstehst das falsch«, sagte Lukas. »Das ›ängstlich‹ bezieht sich darauf, dass dein Bindungsmuster von Verlustangst geprägt ist. Ängstliche Beziehungstypen sind Menschen, deren Jagdinstinkt nur aktiviert wird, wenn sie sich Mühe geben müssen. Bei Menschen, bei denen es zu einfach ist, verlieren sie schnell das Interesse. Die Prägung ihres Bindungsverhaltens ist, dass sie sich Liebe erkämpfen müssen.«

»Oo-kay?«, sagte ich gedehnt.

»Wer so geprägt ist, dass er sich Liebe erst einmal verdienen muss, nimmt an, er müsse beweisen, wie liebenswürdig er ist«, fuhr Lukas fort. »Er wird viel investieren, viel Energie aufwenden, um die geliebte Person für sich zu gewinnen – und er wird genießen, dass er sich beweisen kann.«

Ich sah Lukas irritiert an. Ein Fremder beschrieb die emotionalen Details meines Liebeslebens, als würden wir uns schon seit Jahren kennen. Wenn ich mich verliebt habe, war es wie ein Rausch. Ich filterte und überhöhte die Eigenschaften der Frauen, die uns zu einem perfekten Liebespaar machten. Es gibt ein berühmtes Zitat von Kurt Cobain, das er einem Song von Neil Young entnommen hat. Ein Zitat, das klingt, als hätte er die romantischen Beziehungen meines Lebens im Blick gehabt, als er es schrieb: »It’s better to burn out than to fade away.« Es ist besser auszubrennen, als zu verblassen. Vielleicht beschreibt das meine Gefühlskarriere im Laufe meiner Liebesbeziehungen am besten. Meine Gefühle wuchsen nicht langsam, wurden stärker, tiefer und beständiger. Ihr Wert entstand nicht in der Zeit. Sie waren plötzlich da und brannten so leuchtend, dass sie alle beeindruckten, die sie sahen. Einschließlich mich. Dann brannten sie schnell aus, bis nichts mehr übrig blieb. Sie waren nicht darauf angelegt, Bestand zu haben.

»Du musst dir klarmachen, wie sehr deine Gefühle mit deiner Verlustangst zusammenhängen«, fuhr Lukas fort. »Solange du dir einer Person nicht sicher bist, wird dein Bindungssystem aktiviert. Und sobald dein Bindungssystem aktiviert wird, das ja von der Angst bestimmt wird, die Frau zu verlieren, kreisen alle Gedanken um ein einziges Ziel: die Nähe zum Partner herzustellen. Dann ist dein Denken, Handeln und Fühlen davon bestimmt, sie an dich zu binden. Unbedingt. Und je mehr sie zweifelt, desto attraktiver erscheint sie dir. Und dieser Stresszustand, in dem du nur noch an die geliebte Person denkst, in dem du sie und deine Gefühle für sie idealisierst, in dem du mit Strategien und Taktiken versuchst, sie für dich zu gewinnen, diese Sucht, die ja schon etwas Psychotisches hat – das ist Verliebtheit. Dein von Verlustangst aktiviertes Bindungssystem entscheidet, in wen du dich verliebst.«

Während Lukas sprach, spürte ich, wie sich mein Blick verschob. Verschiedene Szenen der vergangenen Jahre schoben sich zu einem plausiblen Ganzen zusammen, und was sich da zusammenschob, hatte nicht allzu viel mit der großen Bedeutung zu tun, die ich meinen damaligen Gefühlen gegeben hatte. Obwohl ich sie für die große Liebe meines Lebens gehalten hatte.

Scheiße, dachte ich und sah Lukas an. Dann fragte ich ansatzlos: »Was machst du eigentlich beruflich?«

Die Frauen, um die es sich zu kämpfen lohnt

Lukas war Psychoanalytiker. Und offensichtlich waren wir hier gerade in eine Therapiesitzung geglitten. Das war nicht unangenehm, vor allem weil es sehr aufschlussreich war. Ich hing an seinen Lippen, während er mein Liebesleben aus einem anderen, ungewohnten Blickwinkel beschrieb.

Ich verstand plötzlich, warum ich mich verliebe. Das Verhalten der Frau musste ein Auslöser für meinen Jagdinstinkt sein. Sie musste zweifeln, um mein Interesse zu wecken. Das war es, was ich für Verliebtheit gehalten hatte. Ich war so begeistert von meiner Begeisterung, so verliebt in meine eigene Verliebtheit, dass ich die Frauen mitriss. Wenn ich sie nicht mehr von der Größe unserer Gefühle überzeugen musste, wenn ich nicht mehr beweisen musste, wie seelenverwandt wir waren, nahm das unserem Verhältnis die Energie. Die Dynamik. Es wurde langweilig.

»Dein Problem ist, dass das Verhalten der Bindungstypen, die gut zu dir passen würden, nicht in dein Beuteschema passt«, sagte Lukas. »Die Frauen, in die du dich verliebt hast, waren offensichtlich vermeidende Bindungstypen. Ihre Zweifel haben es kompliziert gemacht.«

»Inwiefern?«, fragte ich gespannt.

Lukas erklärte, dass der vermeidende Beziehungstyp Nähe mit dem Verlust von Unabhängigkeit gleichsetzt und darum immer wieder Distanz sucht. Er sehnt sich nach Nähe, benötigt aber Abstand, um nicht das Gefühl zu haben, sich in einer Beziehung selbst aufzugeben.

»Darum stellen Menschen mit dieser Prägung häufig die Beziehung infrage«, sagte er. »Sie sind voller Zweifel – und Zweifel aktivieren wiederum den Jagdtrieb des ängstlichen Beziehungstyps, der ja jetzt beweisen kann, dass die beiden füreinander bestimmt sind. Der vermeidende Bindungstyp wird das Begehren anfangs genießen, weil er nach Anerkennung sucht. Wenn sich jemand um ihn bemüht, erhöht das seinen geringen Selbstwert. Wenn er dann allerdings zu viel Nähe empfindet, zieht er sich zweifelnd zurück, was wiederum den Jagdtrieb des ängstlichen Bindungstyps aktiviert, der sich jetzt mehr Mühe geben muss. Das schaukelt sich immer weiter nach oben, bis einer aufgibt.«

Jetzt verstand ich, warum alle meine Beziehungen zu Frauen, die mich interessierten oder mit denen ich zusammenkam, von Dramen geprägt waren. Ob es die Anfänge waren, in denen die Frauen zweifelten, ob sie sich für oder gegen mich entscheiden sollten, ob es das problemorientierte Erleben der Frauen war, mit denen ich zusammenkam, oder mein kompliziertes Wesen, an denen die Frauen verzweifelten. Es gab immer eine Dynamik, die unberechenbar war. Wir kamen nie zur Ruhe. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es auch gar nicht darum ging, zur Ruhe zu kommen. Dass das Dramatische das eigentliche Element war, um das meine Beziehungen zu Frauen kreisten. Streitigkeiten, Missverständnisse und Vorwürfe waren ein Mittel, um der Beziehung Lebendigkeit zu geben. Fiel das Drama weg, spürte ich etwas Schales, Ernüchterndes. Ich war überzeugt, dass sich unsere Gefühle verändert hatten. Sie waren dabei abzuflachen, weniger zu werden. Ich hatte das Gefühl, dass die Luft raus war. Die Intensität wurde durch Gewohnheiten und Routinen ersetzt. Der Alltag hatte die Kontrolle übernommen. Das Feuer war weg. Und das Feuer war es doch, worum es ging.

Ich brauchte das Drama. Ich brauchte Widerstand, an dem ich mich reiben konnte. Ich brauchte einen Zustand, in dem sich Euphorie und Leid permanent abwechselten, unterbrochen von harmonischen Ruhephasen, die aber nie lange anhielten. Die Kurven mussten weit ausschlagen, und je tiefer die Täler zwischen den Kurven waren, desto höher schlugen sie auch aus. Ich brauchte das Leid, ohne das ich die euphorischen Momente nicht so intensiv empfunden hätte.

Erich Fromm hat einmal gesagt, dass die Tiefe einer Verliebtheit vielleicht nur zeigt, wie einsam man sich vorher gefühlt hat. Verdichtet traf das auf mein Verhältnis zu den zweifelnden Frauen zu: Je tiefer das Gefühl der Verzweiflung, desto größer empfand ich die anschließende Euphorie. Obwohl ich mich nach Harmonie sehnte, brauchte ich offenbar den Kampf.

Wenn ich es zusammenrechne, habe ich mehr Zeit damit verbracht, um Frauen zu kämpfen, als in Beziehungen zu sein. Die Frauen, die mein Interesse weckten, waren ausschließlich Frauen, um die ich kämpfen musste.

»Es geht mir um Frauen, um die es sich zu kämpfen lohnt«, das war mein Argument.

Mein größter Antrieb war es, um eine Frau zu kämpfen, die zweifelte. Wenn sie sich für mich entschied, zog ich mich zurück. Als wäre der Kampf um sie das Gefühl, um das es mir eigentlich ging. Die tiefste Liebesform, zu der ich fähig war.

Und jedes neue Zeichen der geliebten Frau, die voller Zweifel war, dass sie sich doch für mich entscheiden würde, erzeugte ein Erfolgserlebnis, das die vergangenen Tage des Leidens aufwog. Und mich voller Euphorie in eine gemeinsame Zukunft blicken ließ. Bis der nächste Rückschlag kam. Als ginge es darum, einen Zustand aufrechtzuerhalten, der meinen Jagdinstinkt immer wieder aufs Neue aktivierte, sobald ich spürte, dass meine Gefühle begannen abzuflachen.

Bei Dostojewski enden Liebesgeschichten selten mit einem Happy End. Auch daran hatte ich mich offensichtlich orientiert. Ich habe lange angenommen, dass die vielen kleinen Verletzungen, die mir während des Kampfes um eine geliebte Frau zugefügt wurden, meine Gefühle nach und nach abgetragen hatten, bis nicht mehr genug übrig war. Sie waren bereits abgetötet worden, wenn sich die Frau dann doch für mich entschied.

Nach dem Gespräch mit Lukas wusste ich allerdings, dass das ein Denkfehler war.

Unerfüllte Verliebtheit ist die eigentliche Verliebtheit

Während ich gebannt Lukas’ Ausführungen folgte, spürte ich, wie sich scheinbar fest gefügte Überzeugungen lösten, um sich neu zusammenzufügen. Als hätte er ein Hindernis entfernt, das mein Leben lang den Blick auf mich selbst behindert hatte.

Aber jetzt fiel mir etwas auf.

»Dann bin ich ja beides«, rief ich. »Ich bin auch ein vermeidender Bindungstyp. Denn sobald sich eine Frau für mich entschieden hat, beginne ich nämlich zu zweifeln.«

»Das liegt daran, dass du nun mal am stärksten von der Größe deiner Gefühle überzeugt bist, wenn dein Bindungssystem aktiviert wird – und zwar weil der geliebte Mensch zweifelt«, entgegnete Lukas. »Je größer deine Verlustangst, desto größer ist auch die Illusion einer großen, schicksalhaften Liebe. Sobald du dir jedoch der Zuneigung der geliebten Person sicher bist, verliert sie an Attraktivität.«

»Weil sich meine Verlustangst reduziert.«

»Genau. Und was jetzt passiert, ist wirklich interessant«, rief Lukas mit einem gewissen Entzücken. »Sobald sich die geliebte Person für dich entschieden hat, sobald die Bindung sicher ist, verschiebt sich alles. Deine Gefühle kippen. Das Muster wird ersetzt. Und jetzt beginnt deine Bindungsangst, die Entscheidungen zu treffen. Du fühlst dich eingeengt. Die Frau, die du gerade noch als deine Seelenverwandte empfunden hast und mit der du ja eigentlich dein Leben teilen wolltest, beschränkt plötzlich deine Freiheit. Du befürchtest, zu viele Kompromisse machen zu müssen und nicht mehr der sein zu können, der du bist. Die Beziehung wird zu einer Gefahr für deine Identität. Das aktiviert dein Autonomiesystem. Du willst dich befreien. Und distanzierst dich.«

Lukas schwieg einige Sekunden, bevor er weitersprach: »Und so widersprüchlich das auch klingt: Wenn du dich von ihr trennst, hängt das interessanterweise auch mit deiner Verlustangst zusammen. Als du noch um sie gekämpft hast, war sie dir ja noch nicht sicher – und was man nicht sicher hat, kann man auch nicht verlieren. Man entfernt sie lieber bewusst aus seinem Leben, als sich der Gefahr auszusetzen, sie irgendwann einmal zu verlieren, sollte sie sich von einem trennen. Man trennt sich, um einer Verletzung aus dem Weg zu gehen.«

»Aber dann ist mein idealer Entwurf ja genau genommen die unerfüllte Liebe«, rief ich nach einer kurzen Pause.

»Inwiefern?«

»Offensichtlich ziehe ich ja den Kampf um eine Frau der Beziehung mit ihr vor. Der Prozess der Eroberung ist wichtiger als die Eroberung selbst. Ich sehne mich nach dem Zustand einer unerfüllten Verliebtheit, denn sobald die Frau sich für mich entscheidet, wird sie unattraktiv und langweilig. Meine Gefühle für sie sind ja offensichtlich auf meine Verlustangst angewiesen. Ich ziehe mich zurück, wenn ich nicht mehr kämpfen muss.«

»Nee«, sagte Lukas entschieden. »Das ist nun wirklich der falsche Ansatz. Du musst dich fragen, woher deine Verlustangst kommt, was ihr eigentlicher Ursprung ist.« Er machte eine Pause, in der er mich erwartungsvoll ansah. Als ich den Satz nicht ergänzte, sagte er: »Ihr eigentlicher Ursprung ist ein geringer Selbstwert. Warum kämpfst du denn um eine Frau? Warum ist der Kampf so wichtig? Du kämpfst um eine Frau, um deinen Selbstwert zu erhöhen, jeder Schritt auf dich zu ist ein Erfolgserlebnis, das deinen Selbstwert bestätigt. Warum ist die Verliebtheitsphase denn so verführerisch? Weil sie deinen Selbstwert bestätigt. Die Verliebtheitsphase ist eine einzige Bestätigung, auch wenn der Partner die Gefühle nicht erwidert, erhöht er dich durch die Größe der Gefühle. Verliebtheit hat nichts mit der geliebten Person, sondern nur mit dir selbst zu tun. Wenn es nicht mehr um den Menschen geht, sondern nur darum, dass er Ja sagt, geht es ausschließlich ums Ego. Es geht um die Jagd, die Eroberung. Man kämpft nicht um einen Menschen, man kämpft um seinen verletzlichen Selbstwert.«

Scheiße, dachte ich.

Warum der Singlemarkt voller Menschen ist, die nicht zueinanderpassen

Wem die bisherigen Beschreibungen irgendwie bekannt vorkommen sollten, ahnt sicherlich schon vage, dass ich damit nicht allein bin.

Es ist ja schon ein seltsamer Zufall, dass viele Singlefrauen, die ich kenne, offenbar ausschließlich gestörte Männer daten, während die meisten Singlemänner meines Bekanntenkreises ausnahmslos Dates mit psychisch äußerst instabilen Frauen haben. Einschließlich mir. Wenn man so will, daten beide Geschlechter ununterbrochen abschreckende Beispiele.

Seit dem Gespräch mit Lukas weiß ich allerdings, dass das kein Zufall ist, es gibt einen Zusammenhang. Es gibt Gründe, warum der Singlemarkt voller Menschen ist, die sich in die Falschen verlieben.

Wie ich von Lukas erfuhr, gibt es vor allem drei Bindungstypen. Der sichere Beziehungstyp hat einen starken Selbstwert, kann Konflikte konstruktiv lösen und ist meistens in Beziehungen. Der ängstliche Beziehungstyp – also ich – glaubt, dass er sich Liebe verdienen muss, und sorgt sich, ob sein Partner ihn genug liebt. Und der vermeidende Beziehungstyp hält den Partner auf Abstand. Er ist voller Zweifel und fühlt sich in der Distanz sicherer, weil er dort weniger verletzt werden kann.

Es ist erwiesen, dass sich der heutige Singlemarkt vor allem aus dem ängstlichen und dem vermeidenden Typ zusammensetzt. Beide Bindungstypen sind von Angst geprägt: der Verlustangst des ängstlichen und der Angst vor Verletzungen des vermeidenden Typs. Beide bräuchten eigentlich einen sicheren Beziehungstyp, der auf dem Singlemarkt aber kaum zu finden ist, weil er schnell dauerhafte Beziehungen eingeht.

Erschwerend kommt noch hinzu, dass sich ängstliche und vermeidende Typen durch ihre Bedürfnisse extrem anziehen. Der Singlemarkt setzt sich zu einem Großteil aus Menschen zusammen, die sich nicht guttun. Er besteht aus Menschen mit geringem Selbstwert. Wenn man so will, ist er voller beschädigter Ware.

Puh, denken jetzt sicherlich nicht wenige, das klingt aber alles ziemlich hoffnungslos. Ich weiß. Die Frage lautet also: Wie kommen wir da wieder raus?

»Wer wäre denn der beste Bindungstyp für mich?«, fragte ich und sah Lukas an.

»Natürlich ein sicherer Beziehungstyp«, erwiderte er. »Aber die sind ja meistens in einer Beziehung. Und ein sicherer Beziehungstyp als Single würde dich auch nicht interessieren. Er wäre dir zu langweilig. Du würdest immer die Person, die dir widersprüchliche Signale sendet, dem Menschen vorziehen, mit dem du eine glückliche Beziehung führen könntest.«

Ich dachte einen Moment lang nach. Dann sagte ich: »Da wäre es doch der beste Weg, eine Frau zu finden, die in einer langjährigen Beziehung ist. So gesehen habe ich nur eine Chance auf eine funktionierende Beziehung, indem ich eine andere zerstöre?«

»Theoretisch, ja«, sagte Lukas mit einem Lächeln. »Aber da greift schon wieder dein Muster: aussichtsloses Begehren, das deinen Jagdtrieb aktiviert. Komplizierter geht es nicht.«

»Okay«, sagte ich. »Wenn ich mich in eine Frau verliebe und es kompliziert wird, muss ich einen Schritt zurückgehen und mein Muster erkennen. Ich muss verstehen, warum sie mich eigentlich anzieht. Woraus die Gefühle eigentlich entstehen, die ich für Verliebtheit halte.«

Ich durfte meinen Gefühlen nicht vertrauen, ich musste sie hinterfragen. Das war der erste Schritt, aus der Schleife auszubrechen, in der ich denselben Fehler immer und immer wieder machte, ohne daraus zu lernen.

Man macht immer das Gleiche, um etwas zu erreichen, und auch wenn man immer scheitert, versucht man es weiter, weil man trotzdem ein anderes Ergebnis erwartet, dachte ich.

»Aber wenn ich verliebt bin, hinterfrage ich das ja nicht«, sagte ich.

»Das ist auch sehr schwer, vor allem wenn es immer komplizierter wird und man beginnt zu leiden«, sagte Lukas. »Sich in einer solchen Situation klarzumachen, dass diese Fehlschläge nur Symptome sind und man eigentlich die Ursachen verstehen muss, die auf der darunterliegenden Ebene liegen – das erfordert sehr viel Selbstdisziplin.«

»Aber vielleicht ist es auch viel einfacher, auch ohne diese ganze Selbstanalyse«, sagte Lukas nach einer Pause. »Das klingt jetzt drastisch, ich weiß. Aber wenn man wegen einer geliebten Person leidet, wenn man mit Freunden wochen- oder monatelang analysiert, was sie denkt, wie deren Nachrichten denn nun genau zu interpretieren sind, wenn man sich fragt, ob sie es ernst meint – dann sollte diese Person durch das Raster fallen.«

»Ist das nicht zu einfach? Man muss doch auch die Umstände berücksichtigen.«

»Eigentlich nicht. Wenn sie auf Abstand geht, wenn du endlich das Gefühl hast, dass ihr euch näherkommt, ist sie nicht die Richtige. Wenn sie dir sagt, wie toll du bist, aber nicht mit dir zusammen sein kann, weil sie gerade nicht weiß, was sie will – dann ist sie es nicht. Man muss sich doch nur fragen, ob eine geliebte Person überhaupt in der Lage ist, die Nähe und Zuwendung aufzubringen, die man sich von einem Partner wünscht. Wenn sie das nicht kann, ist sie nicht die Richtige. Aus Ungesundem entsteht selten etwas Gesundes. Es geht darum, mit jemandem zusammenzukommen, der einem guttut – und dem man selbst guttut.«

Als ich mich von Hannes und Lukas verabschiedet hatte und weiterging, spürte ich, dass die vergangene Stunde etwas mit mir gemacht hatte.

Die Kastanienallee leuchtete. Die Straßenlaternen warfen ein warmes Licht auf den Asphalt, Straßenbahnen fuhren vorbei, die Terrassen der Cafés waren voller Menschen, die ihre Gespräche in den unterschiedlichsten Sprachen führten.

Es war die perfekte Großstadtszene. So wie ich mir die Stadt, in der ich lebe, immer vorgestellt habe. Und jetzt spürte ich es. Ich war genau jetzt zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Einen kurzen Moment lang hatte ich sogar den Eindruck, als wäre diese Kulisse nur für mich aufgebaut worden. Um meine Idee von Berlin gewissermaßen. Es erinnerte an eine Filmszene. Perfekt inszeniert, alles passte. Es waren genau solche Momente, auf die es eigentlich ankam, dachte ich.

Ein Gedanke, der zu dem Gefühl passte, das die Unterhaltung in mir ausgelöst hatte. Eine Unterhaltung, die diesen Freitag zu einem Tag machte, der alle darauffolgenden Tage beeinflussen konnte. Dass ich die Chance erhielt, eine andere Version meines Liebeslebens leben zu können. Eine bessere Version.

Ich würde sie nutzen, dachte ich.

Generation Beziehungsunfähig. Die Lösungen

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