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DAS EIGENHEIMBRAUEN
ОглавлениеEine Warnung
Drei Dinge sollte ein Mann jemals getan haben, um rechtschaffen von seinem Leben Zeugnis ablegen zu können, hieß es früher. Das eine ist ein Bier selber zu brauen, die anderen beiden habe ich jetzt grad nicht parat. Der Ursprung dieses Brauchs läßt sich unverweilt bis in graue Germanenzeit verfolgen. Neigte die Frau des Familienoberhauptes, niedergestreckt von den häuslichen Verrichtungen, endgültig zum Siechtum, dann mußte der Gatte mitunter einen Sud selber ansetzen, bis haus- und ehefräulicher Ersatz erschaffen war.
Heutzutage ist das Eigenheimbrauen heterodox motiviert, beispielsweise weil die Leute gern aus reiner Langeweile wieder fleißig sein wollen oder den Jean Pütz in sich entdeckt haben. Außerdem macht Bierselbermachen genausoviel Freude wie … wie … Kuchenselberbacken, wie Marmelade-, Wurst- oder Kinderselbermachen.
Geschwind sind auch Ratgeber in Buchform (Hlatky/Reil: Bierbrauen für jedermann. Stocker-Verlag, Graz 1995; Klawunn/ Grunau: Bier selbst gebraut. Verlag Karin Schulz, Göttingen 1994; Krause: Bierbrauen. Südwest-Verlag, München 1995; Vogel: Bier aus eigenem Keller. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart 1993; Hanghofer: Bier brauen nach eigenem Geschmack. BLV Verlagsgesellschaft, München 1999) und Händler zur Stelle, die ganze Scharen Ahnungsloser im Drang bestärken, das Reich der ungenießbaren Getränke um einige Pfützen zu vergrößern. Die Freunde sparen schon mal auf einen Blindenhund, die Ratgeber nicht mit Prahlereien: Weit über fünfzigtausend Exemplare will der Stocker-Verlag angeblich von seiner Broschüre abgesetzt haben.
Vor dem Abzweig in die Subsistenzwirtschaft hat der Gesetzgeber jedoch ein riesiges Warnschild mit dem vollen Wortlaut des Deutschen Biersteuergesetzes (BierStG) zum Auswendiglernen aufgestellt. Diesem vollen Wortlaut ist unter anderem zu entnehmen, daß Bierbrauen im eigenen Haushalt genehmigungspflichtig sei. Nein: ist. Und jetzt kommt’s: Steuerfrei eigenheimgebraut werden dürfen fünfundzwanzig (25) Liter monatlich. Vorausgesetzt, man braut nicht monatlich, oder die gebraute Biermenge überschreitet nicht zweihundert Liter jährlich. Moment, halt, stopp, noch mal, wie jetzt? Fünfundzwanzig Liter auf den Monat sind nicht steuerpflichtig, legt der Eigenheimbrauer entweder mindestens einen Monat pro Jahr Pause ein. Braut er nur 24,99 Liter pro Monat, entfällt diese lästige Unterbrechung. Oder er braut monatlich, aber aufs ganze Jahr besehen nicht mehr als 199,99 Liter. Oder er braut gänzlich geheim.
Egal ob der Eigenheimbrauer 24,99 oder fünfundzwanzig Liter einbraut und monatlich oder mit einem Monat Unterbrechung oder ob er es beim einmaligen Erlebnis beläßt, dem zuständigen Hauptzollamt ist in jedem Fall, möglichst vorab, Meldung zu erstatten. Mit Dienstgrad, Name, Datum, Rand plus avisierte Menge und Bierart – als wüßte das jeder vorher detailliert genau. Getränkekreationen außerhalb des Geltungsbereichs Deutscher Reinheitsgebote (Obst- und Gemüseapplikationen, Reis-, Mais-, Hafer-, Hirsezusätze) fallen nicht unter diese Regelung. Der Gesetzgeber vertritt zudem die Ansicht, die Rohstoffe mögen nicht gemeinsam von den Händlern vertrieben werden, und wenn doch, dann solle der ausdrückliche Hinweis unterbleiben, man könne mit dem Malzhefehopfentriumvirat Bier daheim brauen.
Zum Eigenheimbrauen benötigt der Gelegenheitsbraumeister Leitungswasser, Bierhefe, Hopfen und Malz (siehe hierzu Gelbe Seiten des Telefonbuches). Das Malz – zirka sieben Kilogramm auf fünfundzwanzig Liter Endprodukt – zerkleinert (schrotet) er in der Kaffeemühle, bis sich das Plastikgehäuse zielstrebig von selbst verkohlt. Anschließend maischt er im vom Nachbarn geborgten Zwanzig-Liter-Windeltopf ein (vorher gut ausspülen), womöglich in einer mit »eng« nur entfernt realistisch beschriebenen Stehkombüse. Er schleppt dieses Monstrum von Topf – drin blubbert bedrohlich eine haferflokkenbreiähnliche Pampe – zirka tausendmal zwischen Bad und Küchenzelle hin und her, um durch Mischen verschiedener Anteile dieser Suppe bestimmte Temperaturen zu erzielen. Einen viehisch galoppierenden Kreuzschaden handelt er sich gratis ein. Dann neunzig Minuten kochen und die Hopfenkrümel unterheben. Schließlich glaubt er in seiner Babybadewanne das am besten geeignete Gefäß zur Gärung der exzeptionell übelriechenden, nicht minder zähen Plempe gefunden zu haben. Aufsässige Nachbarn entziehen ihm im Handumdrehen ihre Gunst, weil sie vermuten, er hätte eine Fischbüchse aus dem Kambrium geöffnet. Es braucht auch nicht viel Unachtsamkeit, und sein Wirken gleitet still in Experimente auf dem Gebiet der wilden Gärungen ab. Darauf freut sich allenfalls sein Ausguß. Sonst Blindenhund. Klappt es trotzdem nach drei Monaten kalter Reifung im Keller – hier empfiehlt sich der Winter –, wird er die Früchte seiner Mühen schmecken und neuartige sensorische Sensationen erleben. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, daß sich seine Zunge an kulturhistorisch determinierte, recht eng gesteckte Grenzen des geschmacklichen Wohlbefindens erinnert. Die einschlägige Ratgeberliteratur behauptet das blanke Gegenteil, daher ist ihr pädagogisch-didaktischer beziehungsweise demagogisch-dialektischer, um nicht zu sagen demonstrativ-paläontologischer Wert alles andere als unumstritten.
NACHTRAG: Insgesamt sechsundzwanzig Liter eines rübensaftdunklen, schwach rezenten, schwer genießbaren Lagerbieres waren Ergebnis meiner dreimonatigen Bemühungen: Rudolfs Selbstgebrautes (4,3 %). Schwer genießbar zum einen, weil der saubere Herr Besserwisser sich nach den Einsatzschlüsseln der ältesten Beispielstädter Brauordnung von 1475 gerichtet hatte, zum anderen, weil er die ungleich höhere Bitterstoffkonzentration modernen Turbohopfens in Relation zur damals eingesetzten Rohware sträflich außer acht gelassen hatte. Dumm einfach. Aber bei den anderen meckern. Stoppt Bierversuche!
Ein 26-Liter-Faß! Nicht weitersagen.