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DER VOLLKOMMENE BIERBRAUER

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Dr. Heinrich Knaust ermittelt

Dr. Heinrich Knaust wurde 1521 oder 1524 in Hamburg geboren und starb nach 1577 in Erfurt. Ein bewegtes Leben soll er geführt haben. Ausgedehnte Reisen führten ihn durch ganz deutschsprachig Mittel- und Nordeuropa. Das Biographisch-Bibliographische Kirchenlexikon (Band IV) schreibt seiner Autorschaft stolze zweiundsiebzig Titel zu. Unterweisende Publikationen wie Hüt dich für Auffborgen und Schulden (1567) und Fewrzeug Gerichtlicher Hendel und Ordnung (1558) füllten seine Honorarkasse ebenso wie die erbauliche Klag-Rede vom Glauben eines frommen Pfarrherrns (1544) oder die warnende Epistel Gegen und wider die Spitzbuben (1571). Aber der mythisch besetzte Außendienstmitarbeiter und Vater der »Kritischen Biertheorie« verschriftete auch seine Biertestergebnisse. Sie erschienen unendliche 267 Jahre vor dem Pilsener Urknall unter dem tentakeligen Titel: Fünff Bücher von der Göttlichen vnd der Edlen Gabe, der philosophischen hochthewren vnd wunderbaren Kunst, Bier zu brawen. Auch von Namen der vornempsten Biere in gantz Teudschlanden vnd von derer Naturen, Temperamenten, Qualiteten Art vnd Eigenschafft, Gesundheit vnd vngesundheit, Sie sein Weitzen= oder Gersten=, Weisse oder Rotte Biere, Gewürtzet oder vngewützet. Auffs newe vbersehen vnd in viel wege vber vörige edition gemehrt vnd gebessert. Durch Herrn Heinrich Knausten, beider Rechten Doctor. Getr. zu Erffurdt durch Georgium Bawman 1575.

Seine beiden Doktorhüte mag er hochwahrscheinlich auf dem Trödelmarkt erstanden haben, und die Neider reden ihm nach, er sei stets hochverschuldet und äußerst geltungssüchtig gewesen. Die bereits gut zweihundert Jahre später edierte, teils rabiat abbreviierte, teils gehörig durcheinandergebrachte Taschenbuchausgabe mit dem nicht mehr so unübersichtlichen Titel Der vollkommene Bierbrauer. Oder kurzer Unterricht alle Arten Biere zu brauen, wie auch verdorbene Biere wieder gut zu machen, auch alle Arten von Kräuter=Bieren. Nebst einem Anhang von Methsieden. Frankfurt und Leipzig, zu haben bey Carl Wendlern, 1784, erlebte Dr. Knaust leider nicht mehr. Wie auch?

Auf viel Unwesentliches beschränkt, beginnt das erste Kapitel seines Longsellers mit Ursprung und Geschichte, das zweite Kapitel überblickt die allgemein übliche Rohstoffsituation. Kapitel drei begutachtet die technologischen Seiten der Bierbereitung. Kapitel vier befaßt sich mit dem Unterschied des Bieres. Im fünften Kapitel ist einiges zu den gebräuchlichsten Kräuterbieren zu erfahren. Das sechste Kapitel taxiert die wichtigsten deutschen Biere seiner Zeit. Kapitel sieben behandelt die Mängel des Bieres und zahlreiche Gegenmaßnahmen, während das achte Kapitel sich, welchem Juckreiz auch immer folgend, ausführlich dem Metsieden widmet. Metsieden, hm.

Nach Dr. Knausts und seiner Vorbilder These sollen ehedem »Osiris und seine Schwester, die Isis, in Welsch- und Deutschland gewesen« sein, »die das Bierbrauen erfunden haben … sonderlich die Isis, die zur Zeit Herculis Alemanni heraus in Schwabenland kommen … und alle ihre Künste liberaliter communiciret habe«. Ingesamt, wie Dr. Knausts Ausführungen komfortabel zu resümieren wären, steckte aber der grundgütige, allmächtige und allweise Gott dahinter, der aus gnädiger Güte, Müdigkeit und Vorsorge dem Menschengeschlecht das gute Bier gab, damit es zur Erhaltung dieses zeitlichen Lebens an nichts mangeln und gebrechen sollte. Punkt! Das beste Bier, so Knaust, sei »etwas alt, wohl und genug verjohren, lauter und hell, [welches] schönen Jäst oder Schaum giebt, braunroth an der Farbe, nicht dick und trübe, zängerlicht, und so eine (nehmlich das weiße Bier) angenehme Schärfe mit sich führet«. Für dieses hehre Ziel dienen dem vollkommenen Brauer erstens »ein gut Malz. 2. Ein guter Hopfen. 3. Ein gut Wasser, und dessen nicht zu viel. 4. Ein guter Himmel oder Luft. Und dann 5. ein rechtschaffener, erfahrner, fleißiger und getreuer Bräumeister, der an ihme nicht erwinden lasse, und das seinige fleißig beobachte«.

Die Brautechnologie faßt der Bierpionier präzise in einem Sechzehn-Punkte-Programm zusammen: »1. Wird die Frucht in der Kuffen eingeweichet. 2. Wird sie auf die Malztennen geschlagen zum Wachsen. 3. Wird es auf der Dörre gedörret. 4. Wird das gedörrte [Malz] wiederum ein wenig genetzet, und mit Wasser besprenget. 5. In der Mühle gebrochen. 6. Mit heißem Wasser gewaschen. 7. Gesotten. 8. Durch das Maischsieb geseyhet. 9. Mit dem gekochten oder gerösteten Hopfen wieder gesotten, und von den Trebern abgezogen. 10. Auf die Kühle gethan. 11. Laulichts zusammen in eine große Kuffen gelassen. 12. Der Abgang bey dem Vorlauf wiederum ersetzet und aufgefüllet. 13. Wird ihme die Hefen gegeben. 14. Lässet man es in dem Jäst gehen, verjähren, und die Hefe schieben. 15. Wann die Fässer wohl verspundet, wird es in kalte gute Keller geleget. 16. Wird es ausgeschenket und ausgezapfet.« Kommt nur darauf an, welches Bier man zapft. Alt, Bock, Export, Gose, Kölsch, Pilsener, Weizenbier – die Unterschiede sind doch gewiß immens? »Es sind mancherley Bier dann darnach sie gebräuet und zugerichtet werden, darnach schmecken sie auch. Es seynd braunlichte, schwarze oder Gerstenbiere, es seynd auch weiße oder Waitzenbiere … etliches Bier ist roth … etliche sind dicke Bier, etliche aber sind dünne … mittelmäßige Biere aber, die weder zu dick noch zu dünne sind, die thun alles mittelmäßig.« Verstanden.

Und wie lautet Ihr Serviervorschlag, Herr Knaust? »Man muß es gleich mitten in das Glas laufen lassen, so behält es seinen Jäst und gleichen Geschmack. Wann man aber das Bier an den Seiten oder Rande anlaufen läßt, es seye ein Glas oder Kanne, so schmeckt es von Stund an schaal und behält den Jäst nicht, und ist auch nicht so gut und schmackhaftig, als wann es frisch gelassen wird.« Denn der Schaum gehört zum Bier wie das Bier zum Schaum. Was aber, um alles in der Welt, ist eigentlich der Schaum? »Der Schaum ist nichts anders, als ein Haufen kleiner Bläslein.« Und woher kommen die? »Aus was Ursachen nun die Wasserbläslein entstehen, aus denen kommet auch der Schaum des Biers her; dann das Bier hat viel Fettigkeit bey sich, doch eins mehr als das andere. Wann es nun in eine Kanne oder Glas gegossen wird, so kann die Luft in einem Moment nicht alsobald heraus kommen, sondern bemühet sich nach und nach in die Höhe zu steigen, wird aber von der Fettigkeit verhindert, und muß an der superficie des Biers verbleiben. Weilen sie aber nichts desto weniger in die Höhe kommen, sich bemühen, so geschichts, daß zugleich das Bier in die Höhe gedehnet wird.« Und daher kommen die Bläslein und aus denen der Schaum? »Dahero kommen die Bläslein, und aus denen der Schaum.«

Gut. So amtiert der Normalzustand. Unterrichten Sie uns bitte über die Ursachen, warum Biere sauer werden oder verderben, Dr. Knaust. »Ursachen, daß die Bier oft sauer werden und verderben. 1. Wird oft ein Bier im Brauhause, auf den Träbern, durch Verwahrlosung sauer. 2. Oft im Sommer, wann man keine gute frische Keller hat. 3. Wann man dem Bier zu wenig Hopfen giebt. 4. Wann man dasselbe nicht satt und genugsam kochen lässet. 5. Wann es gar zu alt wird. 6. Von Donnern und Blitzen. 7. Wann es aus Regenwasser, wie etliche davor halten, gebrauet wird. 8. Wann man dasselbige nicht recht wartet. 9. Wann ein Foemina menstruata, solches entweder im Bräuhaus, oder Keller füllet, und damit umgehet, so kann es auch leidlich sauer werden.«

Interessant. Wie definiert man nun den Unterschied zwischen gutem und schlechtem Bier? »Diese Bier dauren am besten, die guten und viel Hopfen haben … es ist auch viel daran gelegen, wann man ein Bier in gute Fässer thut; wann es gute Luft und guten Keller hat, die fein tief und kühle seyn … die Biere, so in gepichten Fäßern liegen, dauern allzeit länger, als die in schlechten ungepichten Fäßern liegen, allein daß die leichtlich in den Kopf steigen denen Leuten, die ein hitzig und schwach Haupt haben. Böse Bier kommen aus böser untüchtiger Materien, Gersten, Waitzen, Habern, Rocken und Hopfen, sonderlich wann auch die bösen Brauer noch darzu kommen, und die Materien mit ihren bösen Handgriffen, Unachtsamkeit, Faulheit und andern Dingen verwahrlosen oder verderben, lassen den Mäsch anbrennen, den Rauch hineinschlagen, oder waschen die Fäßer nicht rein aus, oder lassen oben offen, daß die beste Kraft wegkommt, oder wegrauchet, und das geringste und unkräftigste in dem Faß verbleibet.« Das ist leicht einzusehen. Was aber passiert mit gefrorenem Bier? »Wer gefroren Bier trinket, der bekommt den Husten davon.«

Es kann aber das gute Bier manchmal ver- oder bezaubert worden sein. Was tun? »Wann man solches bemerket, und gesehen wird, daß einem ein solch gottloses Stücklein wäre bewiesen worden, so lege man nur eine abgelegte Schlangenhaut, die die Schlange selbst abgestreifet hat, unter das Faß, und werfe oben eine Schnur Corallen hinein, so wird es bald aufstoßen und jähren. Es schadet den Corallen ganz nichts, doch sollen es reine Corallen seyn, die nicht mit Schweiß, wann sie auf bloßer Haut getragen, besudelt und beschmutzet seyn.« Also ganz einfach.

Genug der Wissenschaft. Bleiben die bekanntesten Biere und ihre gebräuchlichsten Anwendungen. Hamburger Bier »machet eine schöne glatte Haut … verhütet den Stein, lindert und öfnet sanft den Leib, sonderlich wann es warm, mit frischer Butter genossen und früh Morgens getrunken wird«. Lübecker Bier sei schwachen Köpfen dienlicher, als das Hamburger, Einbecker Biere »machen den Urin ganghaftig, füllen auch das Haupt nicht also mit Dünsten … Ruppinisches Bier, sind zu Ruppin nichts besonders … zu Beitzenburg … hat es auch ein stark Bier, das sie bieth den Kärl oder beiß den Kerl, nennen, weil es die Kerl so hart auf den Kamm beißt, daß sie gar toll in dem Kopf werden … Spandauisch Bier ist fein lauter und rein … Breslauisch Bier, oder Schöps … steiget einem gewaltig in den Kopf… daß des andern Tages alles mit einem umgehet … Zerbster Bier … kann machen, daß der Urin scharf und brünstig wird, die Harnwinde verursachet, oder daß er sonsten schwerlich von dem Menschen gehet … Wittenbergisches Bier … ist ein gutes und gesundes Bier. Aber es gehet ihme zuweilen wie andern guten Bieren mehr, daß sie den alten Ruhm und Ruf verliehren, wann ihnen bisweilen der Hals allzulang gedehnet, wenig Malz und nicht viel Hopfen darzu genommen wird … deswegen man auch Spaßweiß solche Bierbräuer nur Wasserfärber zu nennen pfleget.«

Mit Kräutern und Gewürzen gibt es doch gewiß auch erstaunliche Gestaltungsspielräume? Selbstverständlich: Wermutbier macht Lust zum Essen, tötet die Würmer, löscht den Durst, macht wohl schlafen, ist gut wider Trunkenheit(!), Gelbsucht, Hauptwehe und Wassersucht. Rosmarinbier stärkt wunderlich und gewaltig Hirn und Herz, vermehrt die natürliche Hitze und ist ein bequemes Getränk für den Melancholiker. Beifußbier stärkt und reinigt die Mutter und treibt die Nachgeburt aus. Zitronenbier (Weizenbier mit Zitrone) erfreut das Herz und ist gut gegen alle Brustbeschwernis. Ysopbier tötet die Würmer, stillt das Zahnweh und das Sausen der Ohren und macht gute Farbe des Angesichts. Fenchelbier mehrt im Menschen Milch und Samen. Majoranbier vertreibt den Schwindel und macht ein gutes Gedächtnis. Himbeerbier mögen die brauchen, bei denen das Essen nicht bleiben will. Ochsenzungenbier »macht ein gut Gehirn, ob einer schon gar zum Thoren worden wäre«. Melissenbier zaubert aus traurigen melancholischen Leuten muntere und fröhliche Leute. »Wann auch jemand Blut auswirft, dem wäre solches Bier nicht undienlich.« Nämlich? Richtig: Eichelbier. Und Salbeibier nimmt das Zittern der Kniescheiben, stärkt wackelnde Zähne und fördert der Frauen Zeit.

Na, schön: Vom Reinheitsgebot ist in Dr. Knausts Standardwerk nicht ein Fitzelchen zu lesen. Und über die angeblichen Bierberühmtheiten Streckepertzel, Reyßkopff, Stampff in die Aschen, Schlipschlap, Rachenputzer, Kyritzer Mord und Todtschlag, Breypott und Mückensenffschweigt er sich ebenfalls aus. Aber daß er das inhärente Ethanol nicht einer einzigen Silbe würdigt, möchte man dem Vater der neuzeitlichen Bierhermeneutik schon ein wenig nachtragen.

Der Pilsener Urknall

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