Читать книгу Der Pilsener Urknall - Michael Rudolf - Страница 6

VORWORT

Оглавление

Finden zwei Kohlenstoffatome, fünf Wasserstoffatome und eine OH-Gruppe zusammen, entsteht C2H5OH. Das ist weder wässerig, noch spielt Kohle eine maßgebliche Rolle. Ein guter Stoff ist es allemal. Seine großartigsten Wirkungen beruhen auf einem ausgeklügelten Verdünnungssystem (mit Wasser) und einem aufrechten Solidarpakt mit den Partnern Hopfen, Malz und auch Hefe. Das Ergebnis heißt Bier, ein »aus Malz, Hopfen, Hefe und Wasser durch Gärung gewonnenes, moussierendes alkoholisches Getränk«, wie in jedem Kinder- und Jugendlexikon nachzulesen wäre.

Bier ist des Deutschen liebstes Getränk – nach dem Kaffee und dem Mineralwasser. Nicht zu Unrecht. Schließlich schmeckt gutes Bier vorzüglich, und in Maßen genossen wirkt es zudem äußerst bekömmlich. Bier ist außerdem eine ideale Konservierungsform für die wertvollsten Getreidebestandteile, die noch dazu in gelöster, also leichter resorbierbarer Form zur Verfügung stehen. Da wären Kohlehydrate, Ballaststoffe, organische Säuren, ein Riesenkatalog an essentiellen und einige nicht-essentielle Aminosäuren. Über dreißig Mineralstoffe und Spurenelemente. Man denke: Mit einem Liter Bier stillt der Erwachsene in etwa fünfundsechzig Prozent seines Tageshungers auf Vitamin B3, dreiunddreißig Prozent auf Vitamin B6 und zwanzig Prozent auf Vitamin B2. Hinzu kommen kleinere Mengen an Vitamin A, D, E und H. Weiterhin wichtig die Mineralstoffe: Seine Magnesiumration deckt der Mensch zu fünfundvierzig Prozent, seinen Kaliumbedarf zu zwanzig Prozent. Natrium, Calcium, Zink, Eisen, Fluor und Phosphorsäure nicht zu vergessen. Außerdem unterstützt Bier die Kochsalzausscheidung und kann bei Nierenbeschwerden hilfreich zur Hand gehen. All dies bildet die petrifizierte Grundlage dafür, daß Wissenschaftler gesunden Personen gerne eine tägliche Ration von 0,5 Liter (Frauen) bis 0,75 Liter (Männer) Bier verordnet sähen. Rein prophylaktisch. »Risikoarme maximale Trinkmenge« nennen sie das. Schwindelfrei nach Paracelsus: Laßt eure Nahrungsmittel Heilmittel und eure Heilmittel Nahrungsmittel sein.

Für das Erschmecken dieses Heilmittels hat sich der Körper etwas Besonderes einfallen lassen und die Zunge fein säuberlich in Zonen aufgeteilt: Die Zungenspitze ist für den süßen Geschmack zuständig, also für Export, Märzen, Bock und die malzigen Aspekte der jeweils anderen Sorten. Die Flanken nehmen sauren und salzigen Geschmack wahr, die Charakteristika der Weizenbiere, Altbiere und Rauchbiere. Und ganz hinten rezipiert die Zunge die goldwerten Bitterstoffe. Eine sonnenklare Domäne des Pilseners und des Kölsch, im allgemeinen zuständig auch für den Nachtrunk aller Vorgenann ten.

Grundvoraussetzung für diesen sensorischen Segen ist ein singuläres Kompositum aus Malz, Hopfen, Wasser und Hefe. Kaum vorstellbar, wieviel Unterschiedliches, Interessantes und partiell Unnachahmliches aus dem unscheinbaren Rohstoffquartett gezaubert werden kann.

Trotzdem ist der bundesdeutsche Bier-pro-Kopf-Verbrauch unverändert im freien Fall, und die Brauereien haben nichts Besseres zu tun, als zu stänkern. Schuld sind immer die anderen: wahlweise die Überalterung der Bevölkerung, die notorisch mißratene Jugend oder das Wetter. Dieser höchst gefährlichen Mischung aus Ignoranz und Selbstüberschätzung bin ich als »Bier-Papst« (dpa), »Biergegenpapst« (BILD), »Bierscharfrichter« (tz München) und »kritischer Bierfreund« (Michael Rudolf) im »Pilsener Urknall« auf der Spur. Ich trinke den ältesten Bierverkostern hinterher und unternehme Ausflüge in die mitteleuropäische Lebensmittelgeschichte. Diese Ausflüge führen zwangsläufig in die Abgeschiedenheit belgischer Klosterbrauereien, wo das brautechnische Mittelalter am segensreichen Werk zu beobachten ist. Und diese Ausflüge führen zum Ort des Pilsener Urknalls, von wo aus die Verbreitung des modernen Bieruniversums 1842 ihren Anfang nahm.

Mit diesem Basiswissen ausgerüstet, reise ich zu den Gestirnen der heutigen Bierwelt. Mühelos ist das Bayerische Reinheitsgebot entzaubert, Münchens längst überholter Status als Bierhauptstadt dokumentiert und die hilflose Bierwerbung ausgelacht. Ich berichte von meinen TV-Erlebnissen und von meinen Abenteuern als Ghostwriter für einen Brauereichef.

Das ist aber nur zum Anwärmen. Ich möchte vor allem zeigen, wo Schönes, Richtiges und Wichtiges lauert und wovon nicht nur passionierte Bierfreunde wissen sollten: Das Schwarzbier, die reaktivierte Gose, unser geliebtes Weizenbier, die Kreuzberger Hanfbrauer, die ihr Getränk nicht Bier nennen dürfen, aber trotzdem Biersteuer entrichten müssen, werden über den grünen Klee gelobt. Die heiligen Zentren des Vollbierparadieses in der Fränkischen Schweiz werden inspiziert und Ehrenurkunden für die letzten Kommunbrauereien der Oberpfalz stenographiert.

Kurz gesagt: »Der Pilsener Urknall« steckt die Reiserouten auf der Landkarte für einen freundlichen und verständigen Biertourismus ab.


Der Pilsener Urknall

Подняться наверх