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Kapitel 7-Der Betrug

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Heulend zog der Wind über die endlose Steppe der freien Täler. Das Gras wiegte sich im Wind und tanzte in dessen Takt. Die Sonne konnte sich nur noch mühsam gegen die immer dichter werdenden tiefschwarzen Wolken behaupten, die sich wie ein Amboss am Himmel auftürmten und alles andere überragten. Es war so etwas wie eine Vorwarnung der Götter. Eine Art letzte Warnung für die Menschen, bevor ihr gnadenloser Zorn losbrechen würde. In den freien Tälern waren Unwetter nichts Ungewöhnliches. Meistens entstanden die schwarzen Kolosse irgendwo weit über den Steppen und zogen gen Westen, Richtung Rabenberge. Hin und wieder schafften die Stürme es, auch die Berge zu überqueren und wüteten dann in den Reichen. Aber zumeist prallten die Wolken am massiven Stein der Berge ab und kamen zurück. Während ihres ersten Marsches über die Täler zeigten die Unwetter den Menschen einen Vorgeschmack ihrer göttlichen Kraft und wenn sie es nicht über das Gebirge geschafft hatten zeigten sie ihre Wut darüber erneut in den Tälern. Alte Legenden erzählten, dass die Unwetter lebendige Wesen wären. Und ihr Zorn über das eigene Versagen müssten die Freien Täler ertragen.

Eine nette Kindergeschichte, die Serox schön öfter gehört hatte. Aber wenn er etwas in den Wintern, die er in den freien Tälern nun lebte, gelernt hatte, war es, dass die Unwetter keine lebenden Wesen waren. Monster ja, aber keine lebenden. Im Schatten der Wolken beschleunigte er seinen Ritt und hielt weiter auf Devon zu. Die größte Stadt der freien Täler lag auf einer kaum sichtbaren Erhöhung inmitten der Freien Täler. Bereits einen Tagesmarsch entfernt war die Stadt zu erkennen. Zuerst nur schemenhaft, aber je näher man den Grenzen der Stadt kam, desto schärfer bildeten sich die Konturen heraus. Ein Gewirr aus Mauern und Dächern, zwischen denen die engen Straßen der Stadt wie kleine Lebensadern wirkten.

Er war nicht der einzige reisende, der sich Devon näherte. Dutzende Wagen und Kolonnen rumpelten die marode Straße entlang und hielten auf die Stadtgrenzen zu. Serox war nur einer von Dutzenden.

„Auch wegen den Wahlen hier?“, fragte ihn ein älterer Mann auf dem Bock einer Kutsche.

Serox schüttelte den Kopf. „Bin kein Devoner.“

„Karboner oder Permer?“

„Nein.“

„Na dann solls mir egal sein! Können keine Steinköpfe hier gebrauchen während der Wahlen.“

Serox sagte nichts.

„Das sind die wichtigsten Wahlen seit mehreren Wintern, musst du wissen!“, fuhr der alte Mann fort. „Dellu könnte die Wahlen tatsächlich gewinnen. Er ist einer von uns! Jemand, der weiß, wie es ist, draußen in den Ebenen zu leben und zu arbeiten. Keiner wie Letos, der mit seinem gepuderten Arsch im warmen sitzt!“ Der alte Mann spuckte aus. „Hast du von Dellu schon gehört?“

„Nein.“

„Ein guter Junge! Kommt aus Corens. Das ist eine der Mienenstädte. Einen halben Mond östlich von hier, direkt bei einer dieser verfluchten Kohlegruben.

Serox schaute zum Alten herüber. „Siehst nicht aus wie ein Mienenarbeiter.“

Der alte Mann lachte. „In meinem Alter nicht mehr, Fremder. Ich war es. Mein ganzes Leben lang. Vom Vater geerbt, der es vom Großvater geerbt hat. Familientradition.“

Serox musterte den alten Mann genauer. Er schätzte ihn auf etwa siebzig Winter. Die Schultern eingefallen und selbst im Sitzen war der Buckel nicht zu übersehen. Klare folgen der harten Arbeit in den Gruben.

„Siehst nicht aus wie ein Kohlenmensch.“

„Weil ich so alt bin?“

Serox sparte sich eine Antwort.

„Hah! Manchmal schenken die Götter einem eben doch ein wenig Glück. Wenn man es denn so nennen mag.“

Serox nickte. Er wusste, wie die Arbeit der Kohlemenschen in den Gruben aussah. Von morgens bis abends mit Spitzhacke und Schaufel die Erde umpflügen, um nach dem schwarzen Gold der Freien Täler zu suchen. Einmal in den Gruben gelandet, blieben die Arbeiter oft ihr restliches Leben dort. Söhne folgten auf die Väter und Töchter sogar auf die Mütter. Man konnte von Glück reden, den vierzigsten Winter in den Gruben zu erleben. Der alte Mann vor ihm war eine sehr seltene Ausnahme.

„Dellu ist ein guter Junge“, nickte der Alte und spielte an seinem lichten Bart herum. „Er weiß, was wir brauchen in den Gruben, was die jungen brauchen. Er wird uns helfen, da bin ich mir sicher. Er wird die Clans bändigen. Ich weiß es.“ Ein Lächeln huschte über seinen Mund.

„Kinder, die in den Gruben arbeiten?“, fragte Serox.

Der Alte nickte weiter, doch jetzt mit einem anderen Blick auf den Augen. „Sechs. Vier Söhne und zwei Enkel.“ Er hielt kurz inne. „Es waren mal Neun.“

Serox schwieg.

„Dellu wird alles besser machen.“ Wieder war ein wenig Hoffnung in den Augen des Mannes zurückgekehrt. „Er muss.“

„Ich wünsche dir viel Glück“, sagte Serox und rammte seine Fersen in die Flanken des Pferdes, um den Ritt zu beschleunigen. In der Entfernung hörte er noch ein heiseres „Lebe wohl!“ doch er dreht sich nicht herum. Zu oft hatten ihm hoffnungsvolle Menschen erzählt, dass die kommende Wahl die wichtigste Wahl seit langem wäre, dass jemand alles verbessern würde. Das Leid beenden. Ein neuer starker Ratsvorsitzender, der Frieden und Harmonie brachte. Genug zu Essen, Arbeit die einen nicht umbrachte und Häuser. Wohlstand für jeden. Schwachsinn. Wie er nur allzu gut wusste.

Alle paar Winter hielten die Freien Städte ihre berühmten Freien Wahlen ab. Immer wieder aufs Neue ließen sich Männer zur Wahl stellen, die den Menschen eine Utopie versprachen. Und immer wieder aufs Neue veränderte sich rein gar nichts. Alle wussten es zwar, aber niemand sprach es aus. Jeder hielt an dem glauben fest, dass tatsächlich jemand ihre Leiden beenden würde. Aber die Freien Städte waren politisch tief gespalten und zerstritten. Auf der einen Seite standen die gewählten Räte. Männer mit unhaltbaren Versprechungen von Frieden und Wohlstand an das Volk. Und auf der anderen die Familienclans. Dynastien von stinkreichen Familien, denen so gut wie alles gehörte und die die wahre Macht innehatten. Denn die Clans bestimmten darüber, wer Arbeit fand und wo es Arbeit gab. Ohne die Clans gäbe es die Gruben nicht. Und die Gruben waren für das gemeine Volk die einzige Möglichkeit Arbeit zu finden . Und wenn sich jemand für die Gruben verpflichtete, gehörte er den Clans. Denn die Clans kontrollierten so gut wie alles und formten sich die Räte oft selbst so wie sie es wollten. Aus den so bissigen Ratsherren wurden so schnell dressierte Schoßhunde. Und falls es doch jemand wagen sollte, seine Stimme gegen die Clans zu erheben oder sie zu betrügen, endete er schnell in irgendeinem Massengrab. Unentdeckt und für immer verschollen. Oder in einem Jutesack befestigt am Sattel eines Pferdes.

Zusammen mit dem restlichen Tross erreichte Serox den Stadtrand Devons. Anders als in vielen anderen Städten begrüßte Devon seine Besucher nicht mit prunkvollen Bauten, einer Wehrmauer oder einem massiven Tor. Nein. Devon begrüßte Reisende mit den nach Pisse und Scheiße stinkenden Slums. Selbst zusammengezimmerte Holzverschläge, oft nicht größer als ein Hühnerstall waren Unterkunft für ganze Familien. Direkt davor die Gräben, die bei Regen immer wieder überliefen und die Hütten der Bewohner mit Unrat fluteten. Und dazwischen verdreckte Kinder, die hoffnungslos die Reisenden beobachteten und vielleicht von einem besseren Leben träumten. So plötzlich die Verschläge der Slums in der Ebene aufgetaucht waren, tauschten sie ihre Plätze dann auch gegen größere massive Bauten. Alten verfallende Hütten mit abgeplatzten Verkleidungen und löchrigen Dächern. Das Gildenviertel der Devoner Unterstadt. Einst mit der Absicht erbaut, dem gemeinen Volk eine bezahlbare und warme Unterkunft zu bieten, hatten die Diebesbanden die vergilbten und ungepflegten Gebäude besetzt und nutzten sie als ihre Hauptquartiere. Von hier aus schwärmten die Langfinger der Gilden aus wie eine Schwarm Wespen auf der Jagd. Immer mit dem selben Auftrag. So viel zu stehlen wie sie tragen konnte. Jeder, der über die Straße ritt oder wanderte, wurde binnen weniger Augenblicke von Scharen an angeblichen Waisenkindern umringt. Mit den wildesten Geschichten versuchten die Waisen die Geldbeutel der Reisenden zu lockern. Wer mit zu wenig Münzen am Abend eines Tages heimkehrte, wurde verprügelt. Und da die wenigen Münzen, die Reisende den Kindern gaben – oft nicht ausreichend um der Prügel zu entgehen – verschwand hin und wieder ein ganzer Geldbeutel aus der Hand seines Besitzers. Mit etwas Pech verschwand sogar ein Finger, falls es jemand wagen sollte sich zu wehren. Die Slums und die Gildenviertel waren fest in der Hand der Diebesgilden. Nach außen hin waren die Banden den Stadthaltern natürlich ein Dorn im Auge und wurden öffentlich angeprangert. Serox wusste aber sehr genau, dass die Diebesgilden im Geheimen die wichtigste Armee der Räte und Clans waren. Die Stadthalter bezahlten die Banden fürstlich, damit diese den Clans das Leben so schwer wie möglich machten und auf der anderen Seite bezahlten die Clans andere Diebesbanden um den Stadthaltern das Leben so schwer wie möglich zu machen. Ein Teufelskreis entstand aus dem es kein Entkommen gab und der in den Slums fast schon einem Krieg gleichkam. Die Mitglieder der jeweiligen Banden erschlugen sich gegenseitig und kämpften für den, der sie besser bezahlte. Es war nichts Ungewöhnliches daran, wenn eine Bande mehrfach den Auftraggeber wechselte. Am Ende waren den Bandenchefs nur die Münzen in ihren Beuteln wichtig. Wer sie füllte oder wie viele dafür tot in der Gosse landeten war egal.

Dankbarkeit oder so etwas wie Treue hatten die Burschen sowieso nicht zu erwarten. In offiziellen Verlautbarungen waren die Diebesbanden geächtet, jede von ihnen. Jeder gefangene Dieb, egal für wen er kämpfte, hatte drei Chancen. Wenn die Wachen ihn das erste Mal festnahmen, wurde der Dieb öffentlich auspeitscht. Beim zweiten Vergehen verlor er eine Hand und zu guter Letzt erwartete ihn den Strang. Selbstverständlich wurde dies von beiden Seiten als Sieg des Gesetzes dargestellt. Ein Triumph für Recht und Ordnung in Devon. Es handele sich schließlich nur um einen weiteren Dieb, der zu den Raben geschickt wurde. Und es hieß nicht ohne Grund: „Nur ein Toter Dieb ist ein guter Dieb“.

Hoch über den Köpfen aller anderen ritt Serox langsam die breite Hauptstraße entlang. Irgendwann würde die Schlagader der Stadt ihn in die reiche Oberstadt Devons führen. Vorbei an den stinkenden Slums und eingefallenen Häusern der Gildenviertel, über die rauen Händler und Wohnviertel der Unterstadt verbesserte sich das Leben der Menschen mit jedem Finger. Aber noch war er im Gebiet der Diebesbanden, und deren Soldaten waren überall zu sehen. Auch wenn sie für ihn kein Ärgernis waren. Der große schwarze Hengst und das breite Schwert schreckten die meisten Halbwüchsigen ab. Und falls jemand übermutig werden sollte, reiche ein gezielter Tritt, um den Jungen in die Flucht zu schlagen.

Er schaute wieder gen Himmel. Das Unwetter ließ weiter auf sich warten. Nur wenige Regentropfen erreichten den Boden und nach dem Wind zu urteilen würden die Wolken Devon hinter sich gelassen haben, bis sie ihre Last abwarfen. Auch die vielen anderen Reisenden, die auf der bereiten Hauptstraße Devons unterwegs waren, kümmerten sich wenig um das Wetter. Sie lebten ihr ganzes Leben in den Tälern und wussten daher genau, wann es Zeit war Schutz zu suchen oder nicht.

„Bist du Serox?“, stand plötzlich ein magerer Junge mit verkrustetem Gesicht und schiefen Zähnen vor ihm.

„Wer will das wissen?“

Die Junge wirbelte ungeduldig umher. „Die Hartkorns“, füsterteüsterte er beinahe.

„Dann ja.“

„Du sollst zur Silberklinge kommen. Sie warten bereits auf dich“, sagte der Junge und verschwand zwischen den anderen Reisenden so schnell wie er aufgetaucht war.

Serox schnaubte leise. Es wunderte ihn nicht, ddassdie Hartkorns bereits auf ihn warteten. Sicherlich wussten die drei Brüder bereits seit mehreren Händen davon, dass er kam. Irgendwelche Kinder, die für eine Handvoll Schokolade jeglichen Botengang erledigten, fanden sich immer. Und Kinder beachtete keiner, wenn sie nicht gerade einen Beutel vom Gürtel schnitten. Eine sichere und günstige Quelle für Informationen und zum Verteilen von Nachrichten.

„Zur Silberklinge also“, murmelte er und bog in eine der engen Seitengassen ein, die in die dunklen Eingeweide Devons führten. Er kannte das Wirtshaus und seinen Wirt. Und er mochte beides irgendwie. Denn jemand wie er fiel überall auf, nur in der Silberklinge nicht. Das nutzte er gerne aus. Schön öfter war er zwischen dem anderen Pack, das dort rumlungerte untergetaucht. Immer wieder eine willkommene Ruhe.

In den Seitenstraßen herrschte deutlich wenige Verkehr als auf der Hauptstraße. Kaum einer der Reisenden verirrte sich in die enge und dunkle Gasse. Zumindest keiner der Reisenden, der nicht irgendwie untertauchen musste. Vorbei ein vermoderten Türen und Fassaden ritt Serox auf die Silberklinge zu, welche am Ende einer Sackgasse lag. In großen geschmiedeten Buchstaben war der Name des Gasthauses weithin sichtbar. Auch wenn die Buchstaben eher rostbraun als silberglänzend waren. Vor der Tür der Silberklinge lungerten wie immer die ersten zwielichtigen Gestalten herum. Ihre Augen richteten sich sofort auf Serox, als er vom Pferd steig und seinen Rücken lockerte. Auch Serox genügte ein kurzer Blick, um zu erkennen, dass es sich eine Gruppen Prügelknaben vor der Silberklinge gemütlich gemacht hatte.

Die Prügelknaben waren so etwas wie die Soldaten der Diebesbanden, die sich das Gasthaus als eine Art Kaserne ausgesucht hatten und auf Befehle oder Chancen warteten. Wo die Waisendiebe versagten, kamen die Prügelknaben zum Einsatz. Mancher Händler war irgendwann gewitzt genug zu lernen, Wachen zu bezahlen. Große breite und grobschlächtige Männer, die ihre Waren und Geldbeutel beschützen sollten. Gegen die Waisendiebe sicherlich ausreichend. Viele unterschätzten aber die Prügelknaben. Denn selbst drei oder vier erfahrene bezahlte Söldner hatten ihre Probleme, gegen ein Dutzend Prügelknaben, die wie ein Rudel hungriger Wölfe aus dem nichts über sie herfielen und mit Knüppeln auf alles und jeden einprügelten. So schnell sie über die Karawane herfielen, so schnell waren die Prügelknaben dann auch wieder verschwunden. Es waren trotz ihres geringen Alters gut ausgebildete Jungs.

Serox nahm den Jutesack vom Sattel des Pferdes und ging Richtung Eingang der Silberklinge. Das gute Dutzend Prügelknaben beobachtete ihn weiter.

„Eh, Mann!“, rief einer der Prügelknaben.

Serox ignorierte ihn.

„Eh Mann! Ich gesagt! Meine dich Glatzkopf!“

Serox bleib stehen und sah den Prügelknaben an. „Mich?“

„Dich, genau!“

Keinen geraden Satz sprechen können, aber eine große Klappe haben, dachte Serox, als der höchstens sechszehnwintrige Junge auf ihn zukam. Seine Kameraden grinsten dabei dämlich und zeigten ihre Knüppel.

„Kostet Eintritt!“

„Das.“

„Was?“

„Das kostet Eintritt.“

„Hab gesagt!“

Serox stöhnte. Seine Rüstung und sein Schwert schreckten vielleicht die Waisendiebe ab, aber Prügelknaben ließen sich davon nicht beindrucken. Vor allem kein Dutzend von ihnen.

„Hör zu, Junge. Lass mich einfach durch. Ich werde erwartet, und man sollte die Personen nicht warten lassen, die auf mich warten“, sagte Serox.

„Geschäfte zu tun?“, fragte der Junge und grinste.

Serox nickte. „Ja.“

„Dann Eintritt zahlen zu du hast. Hast genug Münzen sicher.“

Serox schaute dem Jungen starr in die Augen. Immer noch grinste der Junge dämlich und zeigte dabei die drei Zahnlücken. Langsam machte er Serox wütend. „Lass mich einfach durch, Junge. Ich will dir nicht wehtun.“

Der Prügelknabe lachte. „Wir sind dreizehn!“

Serox ignorierte den Fakt, dass sie nur zwölf waren und packte den Jungen am Kragen, zog ihn zu sich und hob ihn ein Stück vom Boden. So plötzlich wie Blitz standen die restlichen Prügelknaben auf und umkreisten Serox. Die Knüppel hielten sie dabei fest in ihren Händen.

Der Junge vor Serox grinste weiter. „Wir mehr sind. Du zahlen musst!“

„Ich…!“

„Serox!“ Eine Weibliche Stimme, rau und alles andere als freundlich rollte über die Knaben und Serox hinweg. „Hör auf mit dem Theater und komm rein, sag ich!“

„Jara“, sagte Serox und ließ den Knaben wieder herunter.

„Und ihr Bastarde verschwindet, sag ich!“

„Aber er kein Eintritt zahlen!“, rief der Anführer der Bande wütend.

„Willst du das mit den Hartkorns klären, sag ich?“

Die Augen des Jungen und die der anderen wurden groß, als sie Namen Hartkorn hörten.

„Nein.. Nein… Gehen wir, Jungs!“

„Neue Türsteher?“, fragte Serox, als die Gruppe verschwunden war.

„Wären sie gerne, sag ich!“

„Grüß dich, Jara“, sagte Serox zu der rauen großen und muskulösen Frau vor ihm.

„Jaja. Komm rein, sag ich“, winkte sie ab und verschwand durch die Tür.

In der Taverne war es dunkel und muffig. Dazu lag noch der schwere Geruch nach Erbrochenem und abgestandenem Bier in der Luft. Serox rümpfte seine Nase. Die meisten Gäste hatten ihre Köpfe auf ihren Armen gebettet und schliefen den vorabendlichen Rausch aus. Nur um danach direkt weiter zu saufen. Die meisten Anwesenden verbrachten ganze Tage in der Schenke. Sie schliefen hier und wachten hier auch wieder auf, nur um den nächsten Becher vor ihnen immer wieder aufs Neue zu leeren. Manche, um geschehenes zu vergessen und andere einfach nur aus Spaß. Er wollte gar nicht wissen, wieso mancher sich hier zu Tote soff. Nur um danach von Jara oder einem ihrer Burschen in den nächsten Kanal geworfen zu werden und als Rattenfutter zu enden.

Wortlos folgte Serox Jara, die ihn durch die unsortiert stehenden Tische der Taverne in ein Hinterzimmer der Taverne führte.

„Nosch eihn Bia!“, sabberte einer der Betrunken und griff nach Jara.

„Schlaf deinen Rausch aus, sag ich!“, schlug Jara die Hand des Mannes weg und ging unbeeindruckt weiter. Die Zeit als Gastwirtin hatte Jara über all die Winter gezeichnet. Sie war eine große, muskulöse, braunhaarige und raue Schönheit. Sie wirkte fast wie eine Piratin, oder die Anführerin einer Söldnergruppe. Ihre Gesichtszüge waren rau und die Oberarme hätten manchen männlichen Holzfäller vor Neid erblassen lassen. Aber trotzdem hatte sie ihre Weiblichkeit behalten. Ihr Busen zeichnete sich klar und wohlgeformt ab und ihre Hüfte schaukelten bei jedem Schritt hin und her. Sehr zum Wohlgefallen manch eines männlichen Besuchers der Taverne. Serox erinnerte sich noch genau an einen seiner ersten Besuch in der Silberklinge. Unbeholfen und besoffen hatte irgendein alter Sack ihr unter den Rock gefasst und als Antwort die Prügel seines Lebens kassiert. Jeder in den Slums Devons wusste, dass man sich nicht mit Jara anlegen sollte, nicht mit der Wirtin der Taverne Zur Silberklinge. Der alte Mann bis dato aber nicht. Sein Pech. Und das der Schweine, die ihren Stall mit dem Alten teilen mussten, nachdem Jara ihn eigenhändig dort hineingeworfen hatte.

„Bleibst du länger, sag ich?“, fragte Jara, als sie den Schankraum verließen und durch die dreckige Küche in den hinteren Bereich des Hauses gingen.

„Mal schauen. Wenn die Hartkorns das zahlen, was sie versprochen haben vermutlich nicht.“ Antwortet Serox der sich in der Küche umsah. Er war zum ersten Mal in diesem Bereich der Silberklinge und hätte im Nachhinein doch lieber auf das ein oder andere Essen verzichtet.

„Wie viel, sag ich?“

„Tausend.“

„Schilling, sag ich?“

„Kronen“, antwortete Serox.

Jara blieb stehen und drehte sich um. „Tausend Kronen, sag ich?“ Ihre Augenbrauen zuckten hoch.

„So hieß es.“

„Was hat der Kerl gemacht? Ihre Mutter vergewaltigt, sag ich?“ Jara schüttelte den Kopf und ging weiter.

„Geld gestohlen. Ein Betrüger, mehr nicht“, sagte Serox und folgte Jara durch einen kleinen Innenhof in einen separaten Teil der Silberklinge.

„Dann bist du ein reicher Mann, sag ich.“

Serox entgegnete darauf nichts. Aber sie hatte Recht. Mit Eintausend Devonischen Kronen wäre er ein reicher Mann. Ein reicher Mann, der sich noch gar keine Gedanken darum gemacht hatte, was er mit seinem Reichtum anstellen würde.

„Wir sind da, sag ich“, sagte Jara, als sie eine unscheinbare Tür im Innenhof erreichten. „Ich bin im Schankraum, sag ich“, sagte Jara und verschwand im Gang, aus dem sie eben noch gekommen waren.

Serox öffnete die Tür und ging hinein. Drei Männer mittleren Alters saßen an einem Tisch und tranken Bier. Alle drei - unverkennbar Brüder - trugen die gleiche Weste und den gleichen lächerlichen Hut. Nur zwei kleine Kerzen auf dem Tisch gaben dem Raum etwas Licht, die Ecken lagen vollkommen in der Dunkelheit verborgen.

Serox verkniff sich ein Lachen. Er hatte für die lächerlich aufgeblasene bunte Kleidung, die in den reichen Gesellschaften der großen Städte zurzeit modern war, nichts übrig. Eher fand er sie lächerlich. Und diese hässlichen Hüte auf den Köpfen der Hartkorns waren mit das lächerlichste, was er seit langem gesehen hatte. Eine Mischung aus Vogelnest und Zylinder, geschmückt mit bunten Federn und glänzenden Steinchen. Am liebsten hätte er losgelacht.

„Ah. Unser Kopfgeldjäger“, sprach der Linke. „Wir haben auf dich gewartet“, führte der mittlere fort. „Hast du was wir verlangt haben?“ vollendete der rechte.

Serox verzog das Gesicht. Was für Witzfiguren, dachte er, während die drei kleinen Männer ihm ein falsches Lächeln zuwarfen.

„Setz dich.“ Der Linke. „Wir haben keine Eile.“ Der Mittlere. „Lass uns reden.“ Der Rechte.

Serox legte den Jutebeutel ab und setzte sich auf den für ihn bereitgestellten Stuhl. Vor ihm auf dem Tisch stand ein schäumender voller Bierkrug. Am teuren Glas liefen kleine Wasserperlen herab. Das Bier musste eiskalt sein. Mitte bestätigte mit einem kurzen Kopfnicken, dass der Krug für ihn bestimmt war. Durstig war er ohne Frage, weshalb er sich schnell einen großen Schluck gönnte. Es war immer noch die gestreckte Plörre, die Jara auch den anderen Gästen servierte. Ein richtiges Bier war er den Hartkorns also nicht wert. Gut zu wissen.

„Also“, begann Links. „Wir glauben.“ Mitte. „Du hast etwas für uns?“, sagte Rechts.

Serox nickte und warf den Jutesack über den Tisch vor die Brüder. Das Blut war inzwischen geronnen, was dem Sack eine dunkelrote Färbung gab. Polternd landete der Sack direkt vor Rechts. Rechts öffnete den Knoten und sah neugierig in den Sack, bis er sein Gesicht angewidert verzog.

„Das stinkt“, war Rechts' richtige Schlussfolgerung.

„Nun.“ Serox zuckte mit den Schultern. „Wir waren mehrere Tage unterwegs. Euer Freund hat es weit in den Norden geschafft. Hätte er nicht überall Rast gemacht, hätte er es bis in die Reiche schaffen können.“ Er nahm noch einen Schluck Bier. Obwohl es nur die verdünnte Plörre war, genoss er den kühlen herben Geschmack.

„Aber er.“ Links. „Hat.“ Mitte. „Es nicht“, sagte Links und zog denn Jutesack an sich heran. Das getrocknete Blut verschmierte das helle Holz des Tisches.

„Dann lasst uns sehen“. Wieder Links „Ob wir hier wirklich“ Erneut Mitte. „Unseren Freund Barn haben“, führte Rechts mal wieder für Mitte zu Ende. Links grinste Serox weiterhin an, bis er damit begann, den Kopf aus dem Jutesack zu ziehen und zu begutachteten. Der saubere Schnitt am Hals war nach dem langen Ritt eher schwarz als blutrot und auch die Haut hatte sich blass grau gefärbt. Der Mund und die Augen waren aber noch so wie zuvor. Ängstlich.

„Hm“, stöhnte er. „Ich weiß nicht“, sagte Mitte. „Ist das wirklich Barn?“, fragte Rechts.

Serox stoppte beim Trinken und stellte das Glas zurück auf den Tisch. „Der Kopf ist nicht verwest. Natürlich ist das Barn“, antwortete er zornig.

„Ich hatte Barn anders in Erinnerung.“ Links.

„Eine größere Nase.“ Mitte.

„Und dicker.“ Rechts. Sagten sie wieder der Reihe nach und schauten gleichzeitig Serox an.

„Was wollt ihr mir damit sagen?“ Serox Muskeln spannten sich im gesamten Körper an. Wut überkam ihn und seine Instinkte schlugen Alarm. Diese Drecksäcke mit ihren lächerlichen Westen und Hüten wollten ihn tatsächlich betrügen.

„Dass dieser Kopf jedem gehören könnte.“ Links.

„Ein armer Bauer vielleicht?“ Mitte.

„Vielleicht versuchst du uns übers Ohr zu hauen.“ Rechts.

Tausend Kronen waren einfach zu viel, um wahr sein. Er hätte hellhörig werden müssen bei dieser Summe. Kein Kopf war tausend Kronen wert. Keiner! Egal, was der Kopf getan hatte. Serox hatte sich vom Geld blenden lassen. Dumme Sache, sehr dumm. Er hätte es besser wissen müssen. Wann war er so naiv geworden?

Er grunzte und blickte die drei Männer an. Im Kopf rechnete er aus wie schnell er sie erreichen könnte. Sie hatten alles geplant. Bis ins kleinste Detail. Der dunkle Raum, die Abgeschiedenheit in der Taverne, keine Zeugen. Sogar die Distanz zwischen ihnen war genauestens berechnet. Sie saßen weit genug entfernt, dass er sie mit dem Schwert nicht erreichen konnte, aber gleichzeitig auch nahe genug, dass es ihm nicht direkt aufgefallen war. Raben, verfluchte er sich und schaute sich unauffällig um. Da! Da war etwas in der Ecke. Eine Bewegung. Da war tatsächlich jemand.

Verfluchte Raben, verfluchte er sich doppelt. Wie konnte er das übersehen haben? Er hatte sich zu sicher gefühlt. So viel Dummheit. Wie konnte ihm das passieren? Der unbekannte wartete sicher nur darauf, dass er sich irgendwie bewegte, um mit einem Kreuzbogen oder ähnlichem zuzuschlagen. Keine gute Ausgangsposition für ihn. Absolut nicht. Er überlegte und lehnte sich zurück. Er musste etwas Zeit gewinnen. Wenigstens ein paar Augenblicke. „Ihr wollt also nicht zahlen?“

Er nutzte die Zeit, um sich einen Plan auszudenken wie er hier wieder lebend herauskommen würde. Jede Eventualität musste eingeplant werden, jeder Variable berechnet. Einfach kopflos loszustürmen würde ihn das Leben kosten.

Alle drei Brüder stutzten auf. „Wollen nicht?“ Links.

„Natürlich wollen wir.“ Mitte.

„Aber du hast den Vertrag nicht erfüllt.“ Rechts.

Serox berechnete die Situation weiter in seinem Kopf. Wie gut war der Schütze in der Ecke? War es überhaupt ein Schütze? Wahrscheinlich. Der Unbekannte musste schnell zuschlagen. Wenn er ihn mit einem Schwert angreifen würde, würden wertvolle Moment vergehen, die er nutzen könnte um die Hartkorns zu töten. Nein. Da war jemand mit einer Fernkampfwaffe. Vielleicht wäre er schnell genug, dem ersten Bolzen auszuweichen und dann hätte er Zeit. Kreuzbögen waren tödlich und treffsicher aber brauchten eine halbe Ewigkeit zum Nachladen. Das wäre dann seine Chance. Erst der Schütze und dann die drei Brüder. Einer nach dem anderen. Eine andere Chance sah er nicht. Möglichst langsam und vorsichtig lockerte er sein Schwert in der Scheide. Nur Augenblicke würden ihm bleiben. Nur Augenblicke bis der Schütze den Bolzen in seine Richtung schießen würde.

„Da du aber nicht geliefert hast“, redete Links weiter.

„Und dieser Kopf jedem gehören könnte.“ Wieder Mitte.

„Wirst du keinen Lohn von uns bekommen“, grinste Rechts frech.

„Ihr macht einen Fehler“, murrte Serox in Richtung der Brüder.

„Das.“

„Glauben wir.“

„Nicht.“

Der Stuhl polterte und Serox sprang auf. Er war schon immer schnell, sehr schnell sogar, und für die Hartkorns war er deutlich zu schnell. Hunderte Male hatte er sich bereits in ähnlichen Situationen wiedergefunden. Situationen, in denen er schnell reagieren musste und auch aus scheinbar unmöglichen Positionen angreifen musste. Da sollte ein kurzer Sprung von einem Stuhl ihn nicht aufhalten können, ein Katzensprung, mehr nicht. Er fühlte sich aber komisch, seltsam, irgendetwas stimmte ganz und gar nicht. Seine Beine. Kraftlos und schlapp knickten sie weg und ließen ihn zu Boden fallen, noch bevor er überhaupt richtig aufspringen konnte. Das war kein Bolzen, dachte er, als die Kraft gänzlich aus seinen Beinen verschwand. Niemand war so schnell mit einem Kreuzbogen, nicht der beste Schütze in der gesamten bekannten Welt hätte ihn binnen eines Lidschlags so genau treffen können. Unmöglich! Das war etwas anderes. Der Schmerz war anders, er war dumpf. Was war los mit ihm?

Die Brüder lachten laut auf.

„Glaubst du.“

„Wir kommen.“

„Unvorbereitet her?“

Sein Magen brannte auf. So musste es sich anfühlen, wenn man glühende Kohlen verschluckt hatte, es brannte wie Feuer.

„Gift? Ihr Raben ich werde euch…!“, spie er Blut in ihre Richtung. Diese feigen Hurensöhne hatten ihn tatsächlich vergiftet. Das verfluchte Bier war es. Und er war darauf reingefallen. Er verfluchte sich zum dritten Mal dafür, so dumm gewesen zu sein. Mit jedem Atemzug brannte sein Körper weiter auf. Das Blut füllte seinen Mund und brachte ihn zum kotzen. Jedes seiner Organe schmerzte, glühendes flüssiges Metall breitete sich in seinem Körper aus und ließ in zuckend am Boden in seinem eigenen Erbrochenen zappeln.

Die Brüder ignorierten ihn. Ohne besonderes Eilen zogen sie ihre bunten mit Fellen besetzten Jacken an.

„Es warten.“

„Noch Geschäfte.“

„Auf uns.“

Sagten sie zu der Person in der dunklen Ecke, die sich das ganze Schauspiel regungslos angesehen hatte. Während der Todeskrämpfe erkannte Serox den drahtigen jungen Mann, der mit dem Kreuzbogen auf der Schulter in das fahle Licht schritt.

„Argil!“, keuchte Serox mit rauer und blutiger Stimme und versuchte den jungen Mann am Knöchel zu packen.

Der junge Mann stoppte nur kurz und sah Serox in die Augen, er lächelte, sagte aber kein Wort. Das letzte Bild, das Serox sah, war die Sohle von Argils Stiefel.

Das Geflüster der Raben

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