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Kapitel 2-Der Mann
ОглавлениеDunkelheit und Kälte hatten die Wärme der Sonne vertrieben und griffen mit ihren Klauen nach der einsamen Gestalt, die sich in die Wälder verirrt hatte. Ein Mann im mittleren Alter. Nichts machte ihn besonders. Weder seine Größe, noch seine Statur. Sein Haar lag ohne große Unruhe auf seinem Kopf und seine Augen blickten gespannt auf das kleine Etwas, das sich auf einen Stock gespießt über dem Feuer drehte. Das hagere abgezogene Gerippe eines Eichhörnchens. Mehr hatte der Wald ihm nicht gegeben. Keine Beeren, Wurzeln oder auch nur einen Vogel war der Wald bereit gewesen, ihm zu schenken um den Hunger zu stillen. Nur den winzigen Nager hatten die Götter ihm gegönnt. Er war kein Überlebenskünstler und bei den Göttern kein guter Krieger. Eigentlich war er Bänker in Devon, der größten Stadt der freien Länder im Osten und benannt nach den Göttern. Durch die massiven Bergformationen der Rabenberge sicher vor der Invasionswut der Reiche. Und wo war er nun gelandet?
Er hatte die Wahl, ob er nach Osten fliehen sollte, in das Niemandsland, wo es laut diversen Abenteurern Monde lang kein Leben geben sollte, oder gen Westen über die Berge in die Königreiche wo ihn immerhin Zivilisation erwartete. Er hatte ein paar Kontakte in den Reichen jenseits der Berge. In Worgu und in Cent kannte er Kaufleute und andere Halsabschneider, die er sogar als Freunde bezeichnen würde - und das war in seiner Branche schon mehr als viele andere hatten. Er hoffte nur, dass sie sich auch an ihn erinnern würden, wenn er plötzlich vor ihrer Türe stehen würde, irgendwo in den fremden Ländern, die die freien Täler und deren Bewohner meistens mieden. Außer natürlich, wenn es die Chance gab Geld zu verdienen. Das Glitzern des Goldes konnte die Menschen so manche Feindschaft vergessen lassen und eher zweckmäßige Freundschaften schließen lassen. Freundschaften, die ebenso schnell wieder zerbrachen, wenn mal eine Rate nicht zeitig genug gezahlt werden konnte.
Dies änderte aber nichts daran, dass die Lebensweise und Mentalität sich hinter den Bergen grundlegend von der in den Tälern unterschied. Wie Tag und Nacht, wie zwei Seiten einer Münze, eine völlig andere Welt. Dennoch wollte er sein Glück in den fremden Ländern versuchen. Viele Alternativen hatte er nicht, auch wenn es sehr schwer werden würde als Devoner, als Ausländer und Fremder in den Reichen.
Das Volk könne nicht selbst über sich bestimmen, war der Tenor der Abscheu aus dem Westen. Der einfache Bauer dürfe nicht über ganze Städte regieren, auch wenn die Menschen ihn gewählt hatten. So argumentierte einst ein Kaufmann aus Zadrezan, den er zum Geschäftsessen eingeladen hatte und nach ein paar Dutzend Gläsern und politischen Diskussionen die Fassung verloren hatte. Der Bänker musste zugeben, dass ihm diese sogenannten freien Wahlen nicht zusagten, aber ein König oder Imperator, der auf Lebenszeit herrschte, ebenso wenig.
Die Bauern, die an die Macht wollten, versprachen den Menschen Geld und Essen im Überfluss, Gerechtigkeit und Gleichheit; ein Traum für die armen Menschen und ein Alptraum für die Reichen. Anders als die Armen wussten die Reichen sich aber zu helfen und verhinderten auf die ein oder andere Weise immer wieder, dass die Volksvertreter ihre Versprechen erfüllten.
Aber auch, wenn die Reiche die Selbstbestimmung des Volkes nicht billigten und er einem König, Imperator oder wem auch immer dienen müsste, sah er Möglichkeiten im Westen. Er war schließlich ein gewiefter Händler, Kaufmann und Bänker. Einen solchen konnte jeder gebrauchen, vor allem Herrscher, die viel Reichtum besaßen und noch Reicher werden wollten. Jeder Reiche wollte noch Reicher werden, das war so in der Natur verankert. Genau wie jeder essen musste. Und wenn es eines zu genüge im Westen gab, waren es reiche Adelige. Seine Entscheidung fiel dementsprechend logischerweise auf den Westen und die Reiche. Obwohl der Winter bereits an die Tür klopfte und seine eisigen Arme bald über die Freien Täler legen würde, blieb ihm keine Wahl, er musste einen Pass erreichen. Einen Pass über die Berge, die Berge über die der Frost bald erbarmungslos hereinbrechen würde. Vor seiner überstürzten Abreise hatte er sich so gut wie möglich erkundigt. Selbst im Sommer gab es nur drei, höchstens vier Pässe, die offen waren. Die Lebensadern des Handels. Und so kurz vor dem Winter riet ihm jeder davon ab, die Pässe zu benutzen. Es gab Gerüchte über Winde, die mit solcher Macht durch die Schluchten jagten, dass, so erzählten Händler und Reisende, Mann und Pferd zu Eis erstarrten, so wie sie standen oder saßen. Hunderte Eisskulpturen säumten die Wege und gaben ihre Opfer nie mehr frei. Eis und Schnee herrschten den gesamten Mondlauf über, über die Schluchten und gaben der Sonne somit keine Chance, die Lebewesen zu befreien. Eine Aussicht, die ihm alles andere als Mut machte. Die Möglichkeit eine Passage auf einem der Handelsschiffe im Süden zu buchen und direkt nach Cent zu gelangen, klang im ersten Moment verlockend. Luxuriös und einfach, und mit besserem Essen als hier. Aber auch zu offensichtlich. Da würden sie ihn suchen. Denn das war der Weg, den verzogene und mit zu viel Geld gesegnete Städter wählen würden. So begrenzte sich seine Wahl, wohin er gehen konnte. Die Pässe sollten zwar noch offen sein, aber auch hier musste er vorsichtig sein. Die Schergen der Kaste hatten ein hohes Sümmchen auf seinen Kopf ausgesetzt. Und selbst, wenn er es selbst kaum glauben konnte, das er die Pässe nahm - die Gefahr bestand, dass sie auch hier auf ihn warteten. Es musste vorsichtig sein.
Hoch im Norden über die Berge, das war seine Chance, seine einzige Chance. Hier in der Wildnis sollte es auch Pässe geben, die kaum genutzt wurden, erzählte man ihm. Versteckt vor neugierigen Augen, die ihn nicht sehen sollten, der direkte Weg nach Joglu. Von dort wäre es ein Leichtes, nach Worgu zu reisen und neu zu beginnen. Jetzt saß er am Fuße der Rabenberge und starrte in die kleine Flamme des Feuers, das leise vor sich hin knisterte. Wenn er die Berge überschritten hätte, hätte er Joglu erreicht. Dort könnte er zumindest eine Zeitlang untertauchen und wenn es wieder Sommer wurde, würde er in Richtung Süden weiterziehen. Erstmal aber den Aufstieg schaffen. Das Glück war noch auf seiner Seite. Trotz seiner weit nördlichen Route, ließ der Frost auf sich warten. Ungewöhnlich zu dieser Zeit, wo er doch sehr nah an der Grenze wanderte, wo das Eis den gesamten Mondlauf über die Erde und das Wasser bedeckte. Beschweren wollte er sich aber auf keinen Fall, der Aufstieg würde auch ohne Frost und Schnee schwer genug werden und die Verführung eines offenen Passes würde ihn locken. Und dieser Verführung durfte er nicht verfallen, unter keinen Umständen, dies wäre sein sicherer Tod.
Er drehte das magere Eichhörnchen weiter über dem Feuer und beobachtete, wie die eben noch rosafarbene Haut immer dunkler wurde und Blasen warf. Viel Fleisch war nicht zu finden an dem kleinen Tier, aber das lag wohl in der Natur der Eichhörnchen, dass ein ausgewachsener Mann nicht satt werden konnte von einem dieser mickrigen Nager. Aber mehr blieb ihm nicht übrig, Vorräte hatte er keine mehr. Zu verschwenderisch war er gewesen. Zum Frühstück Fleisch, mittags Fleisch und abends Fleisch hatten seinen prallgefüllten Rucksack in nur fünf Tagen geleert. Aber was sollte er tun? Der Hunger war schließlich da und er wollte Essen, wenn er Hunger hatte. Er war es gewohnt alles im Überfluss zu haben. Und jetzt saß er hier am Fuße der Berge, ohne Nahrung, zitternd vor Kälte und starrte auf das Eichhörnchen. Das grausame Schicksal der Götter.
„Du müsstest eine Wildschweinkeule sein!“, beschwor er das tote Tier, das sich über der Flamme drehte. „Mir wurde versprochen, dass hier so viel Wild rumläuft, dass man nur die Hand austrecken muss! Und alles was ich kriege, ist ein verfluchter Nager!“, schimpfte er mit niemanden und verlor die Hoffnungen, die er sich gemacht hatte, erfolgreich als Jäger die Wälder zu durchqueren.
Seine Quellen hatten nicht Unrecht. Die Wälder des Nordens, vor allem am Fuße der Rabenberge, waren voll mit jeglichen Wild. Wildschweine, Hirsche, wilde Rinder, alles was man sich wünschen konnte, lebte hier in Herden mit hunderten von Tieren. Aber auch Waldmonster, große echsenartige Wesen, die alles fraßen, was sie finden konnten, lebten hier weit im hohen Norden und lagen auf der Lauer. Man musste vorsichtig sein nicht auf dem Speiseplan dieser Bestien zu landen. Aber selbst ohne die Gefahr der Monster benötigte man sogar in einem vollen Wald wie diesen ein gewisses Talent für die Jagd, ein Talent, welches dem Banker komplett fehlte. Denn gesehen hatte er keine dieser monströsen Herden. Er war es gewohnt, sein Fleisch fertig gegrillt, geschmort oder gekocht serviert zu bekommen. Nie musste er mit Bogen und Speer auf die Jagd gehen oder ein Tier selbst töten. Selbst das kleine Eichhörnchen über dem Feuer war Zufall gewesen, eine glückliche Fügung. Er hatte es auf einem der unzähligen Äste der unzähligen Fichten im Wald gesichtet. Frech fraß das kleine Tier sich just in diesem Moment an einem Fichtenzapfen satt. Es hatte ihn geradezu damit verhöhnt, dass es was zu fressen hatte, er aber nicht. Aus Wut und Verzweiflung hatte er einen Stein vom Boden gesammelt, diesen Richtung Nager geworfen, und getroffen. Das Tier war tot zu Boden gefallen, wo der Banker es triumphierend aufgehoben und vor Freude gar einen kleinen Tanz aufgeführt hatte.
Und nun saß er vor dem kümmerlichen kleinen Ding - die Freude längst vergessen - welches aufgespießt auf einem Stock über dem kleinen mit Mühe entfachten Feuer brutzelte. Immerhin an Zunder und Feuerstein hatte er gedacht. Auch wenn das Entfachen der Stöcke ihn fast den halben Abend gekostet hatte, saß er nun stolz vor einer kleinen Flamme und konnte das Tier braten. Roh würde er das Tier nicht runterbekommen, da war er sich absolut sicher.
Der Wind war in den letzten Händen immer stärker geworden und hatte eisige Luft aus dem Norden mit sich gebracht. Das kleine Feuer konnte nur unter größter Anstrengung am Leben gehalten werden und wäre ohne die etwas geschützte Nische, in die er sich gezwängt hatte, schon lange erloschen. Die kleine Vertiefung im Boden bot dem Mann aber auch nur wenig Schutz. Wenigstens hatte er einen massiven Felsen im Rücken, sodass sich niemand von hinten anschleichen konnte, hoffte er. Es gab genügend Geschichten und Legenden über die Nördlichen Wälder, von ihren Monstern und Menschenfressern. Trolle, Schrate, Ghule und wissen die Raben was sich hier noch alles rumtreiben sollte. Gesehen hatte er bisher noch nichts von alledem. Das größte Wesen, das er gesichtet hatte, war ein Wildschwein gewesen das schnell die Flucht ergriffen hatte, als es den Banker witterte. Was würde er darum geben, wenn das geflohene Wildschwein nun über dem Feuer brutzeln würde und nicht der lausige Nager.
Leise knisterte das Feuer weiter vor sich hin und spendete dem Banker ein wenig Licht in den ansonsten stockfinsteren Wäldern aus denen bedrohliche, fremdartige Geräusche kamen. Knirschen und Schreie, die ihn noch kleiner und unauffälliger in der Nische werden ließen und Stapfen. Er wusste nicht, woher oder von was diese Geräusche kamen und wenn er ehrlich war, wollte er es auch gar nicht wissen. Der Wald sollte ihn weiter ignorieren und in Ruhe lassen, dann würde er auch den Wald in Ruhe lassen.
Immerhin war sein Abendessen jetzt fertig. Er nahm das kleine verkohlte Etwas aus dem Feuer und untersuchte sein Meisterwerk aufmerksam.
„Verkohlt… Wie ich es mag, sehr gut, Barn.“, begutachtete der Banker namens Barn den missglückten Bratversuch. Wäre er nur öfters in seiner eigenen Küche gewesen, um den Köchen einen Blick über die Schulter zu werfen, wenigstens um zu lernen, wie man ein verdammtes Ei brät, aber selbst die einfachsten Dinge konnte er nicht. Von Kindesbeinen an war er behütet und verwöhnt worden, nur darauf getrimmt Banker zu werden und mit Geld zu arbeiten. Aus wenig Geld viel Geld machen, das konnte er, aber kein verfluchtes Spiegelei braten. Ein wenig musste er lachen wegen dieser Ironie. Geld brachte ihm hier oben in den Wäldern nichts. Das Eichhörnchen würde kein Geld nehmen und sich dann selbst braten, da half nur, selbst Hand anzulegen.
Barn lehnte sich zurück und schaute in den klaren Himmel.
„Nun gut, etwas essen muss ich“, brabbelte er vor sich hin und biss in den kleinen Nager, nur um das Gesicht zu verziehen. So musste Kohle schmecken und riechen, ein Kohlehörnchen hatte er hier vor sich, der Fleischgeschmack nicht mehr erkennbar und trotzdem aß es das verkohlte Tier fast vollkommen auf.
Mit der Hilfe eines kleinen Stöckchens puhlte er noch nach den letzten Resten, die sich zwischen seinen Zähnen versteckt hatten und lehnte sich erneut zurück gegen den Fels. Laut schmatzend versuchte er, irgendwie den verbrannten Geschmack in seinem Mund loszuwerden. Bis in die letzten Ecken zwischen seinen Zähnen hatte sich die verbrannte Haut gesetzt und ließ ihn spucken.
„Raben. Schmeckt das widerlich“, nahm er einen großen Schluck Wasser, um seinen Mund auszuspülen und die jetzt schwarz gewordene Flüssigkeit auszuspucken.
Morgen würde er den Aufstieg starten und diese verfluchten Wälder hinter sich lassen, endlich wieder was Richtiges essen und den Hunger, der ihn plagte vergessen. Seinen Plan umsetzen und ein neues Leben weit weg von den Freien Tälern beginnen, um seiner Vergangenheit zu entkommen. Und er war fest entschlossen, diesen Plan erfolgreich zu Ende zu bringen. Auch wenn seine Füße brannten, seine Beine pochten und seine Schultern wund gescheuert vom Rucksack waren. Er war einfach kein Abenteurer, der sein ganzes Leben in der Wildnis verbrachte, das merkte er täglich mehr. Er war Banker, und kannte nichts anderes als seine Schreibstube, wo er Menschen Geld verlieh oder sie um ihr letztes Geld brachte. Das war sein Leben, eine warme Stube und kein Wald, der ihn umbringen wollte. Nochmals spülte er seinen Mund mit Wasser durch und spie die nicht mehr ganz so dunkle Flüssigkeit aus.
„Nach dem Abendessen, schlafen und Kräfte sammeln“, scherzte er und warf die kleinen Knochen des Nagers in das Feuer, um danach den Mantel enger um sich zu ziehen. Verträumt schaute er noch einige Augenblicke in die tänzelnde Flamme, bis die Müdigkeit ihn besiegte und er einschlief.
Der nächste Morgen kam schneller, als es ihm lieb war und weckte ihn mit seiner gnadenlosen Kälte. Halb durchgefroren und mit schmerzenden Gliedern erwachte er, immer noch im kalten menschenfeindlichen Wald. Langsam und steif wollte er sich aufrichten und bewegte dafür langsam seine Gelenke, die leicht knackten, als er sich lockerte.
„Bleib sitzen, Barn…“ Eine tiefe und raue Stimme erklang vom Felsen, der ihm als Unterschlupf diente. Barn sprang panisch auf und suchte die Quelle dieser Stimme. Sein Blick wanderte erschrocken gen Himmel zum Felsvorsprung über ihn, seinen Dolch sicherheitshalber schon im Mantel suchend, entdeckte er niemanden. Doch woher kam die Stimme?
„Und den Dolch lass auch im Mantel, wäre gesünder.“ Die Stimme war nun hinter ihm. Langsam drehte Barn sich um und entdeckte einen Mann.
Durchschnittlich groß, aber von kräftiger Statur und scheinbar wohl genährt. Barn stockte beim Anblick der großen Narbe, die sich von der Kopfmitte quer über das Gesicht bis zum Hals und vermutlich auch zur unter der Kleidung verdeckten Brust zog. Wie säuberlich mit einer Feder und Tinte gezogen schien diese Narbe wie eine Art makabre Kriegsbemalung. Scheinbar war es dieser auch zu verschulden, dass der Mann eine Glatze hatte. Trotz der Kälte trug er keine Kapuze oder ähnliches.
Barn wich einen Schritt zurück und spürte den Felsen hinter sich. In der Falle, kein Ausweg.
Der Unbekannte hockte vor der Glut, die vom kleinen Feuer übrig war und rieb seine Hände in der aufsteigenden Wärme; der wütende Blick auf Barn gerichtet.
„Du bist weit gekommen, viel weiter als ich es dir zugetraut hätte. Ich bin ein wenig beeindruckt.“
Barn antwortete nicht, sondern beobachtete den ihm unbekannten Mann genau. Aus seiner Tasche fischte der Mann ein Stück Dörrfleisch und fing an daran rumzukauen.
„Weißt du“, schmatze der unbekannte Mann, „ich dachte eigentlich es wird einfach. Die Hartkorn Brüder bezahlen mehr als großzügig, aber durch die gesamte verfluchte Ödnis des Nordens zu marschieren? Was hattest du hier vor?“
Die Hartkorns hatten ihn also doch gefunden. So weit nördlich in der Wildnis, Barn bestens geplanter Plan war zu Ende und zerstört, noch bevor er überhaupt richtig umgesetzt werden konnte.
„Hör zu, Kopfgeldjäger, ich zahle dir das Doppelte von dem, was die Hartkorns dir versprochen haben! Ich schwöre es auf alle Götter, mögen die Raben mich sonst holen“, ging der Banker direkt in die Offensive und wartete auf eine Antwort.
Der Kopfgeldjäger kaute nur weiter an seinem Dörrfleisch herum und schien ihn zu ignorieren.
„Wir sind doch beides erwachsene Männer und das Geld, das ich den Hartkorns schulde, werde ich auch zurückzahlen! Ich brauche nur etwas mehr Zeit“, fuhr er diplomatisch fort.
„Etwas mehr Zeit brauchst du.“ Der Kopfgeldjäger spuckte ein Stück Knorpel in die Glut. „Ich glaube davon hattest du mehr als genug, oder? Und mir das Doppelte der Hartkorns zahlen zu wollen, das halte ich für ein Gerücht. Mehr als den alten Mantel besitzt du doch nicht mehr.“
Barn versuchte sich selbstbewusster hinzustellen, um das Schicksal wieder zum Guten zu wenden. „Ja, so ist es im Augenblick, aber bald werde ich dich bezahlen können. Hilf mir, die Rabenberge zu überqueren und sobald wir in Joglu sind, werde ich das Geld auftreiben! Das wird ein Kinderspiel.“
Der unbekannte Kopfgeldjäger stutzte kurz beim Kauen und blickte Barn ausdruckslos an.
„Ja glaub mir, Kopfgeldjäger! Bei diesen verdummten Joglu kann man mit ein wenig Geisteskraft ein Vermögen machen! Ich meine, du kennst doch die Geschichten über die Joglu, ein jeder kennt sie drüben in den Reichen.“
„Geschichten? Nein, erzähle mir welche.“ Der unbekannte verlagerte sein Gewicht so, dass er sichtlich bequemer hockte.
Barn schaute sichtlich verwirrt drein, aber die Mine des Glatzköpfigen war unverändert. Sollte er dem gedungenen Mörder tatsächlich Geschichten erzählen? Hier im mörderischen Norden in den eiskalten Wäldern? Barn hätte sich bessere Orte vorstellen können, wo er Geschichten erzählt; vor einem warmen Kamin zum Beispiel, in einem Gasthaus oder noch besser in einem Bordell, während ein junger Bursche ihn mit der Zunge verwöhnte. Ein niemals in Erfüllung gehender Traum hier im Nichts zwischen all den Bäumen. Angestrengt durchsuchte er sein Gedächtnis nach einer Geschichte. Irgendwann hatte ein Worgunischer Händler doch mal etwas über die Joglu erzählt; er selbstkannte die Joglu nur aus Büchern. Gesehen hatte er noch keinen, geschweige denn, dass er jemals in Joglu war. Alles nur Gerüchte. Er räusperte sich unsicher, als ihm die Worte desKaufmannes aus Worgu wieder einfielen. „Natürlich, natürlich. Wo fange ich an?“ Er rieb sich durch sein Gesicht und hockte sich ebenfalls hin. Seine Beine brannten dabei schmerzhaft auf, sodass er wieder aufstand und sie ausschütteln musste.
„Meine liebste Geschichte! Selbst hier in den Tälern erzählte man es sich!“ Eine Lüge, doch wen interessierte es? „Die vielen Geschichten, dass Joglufrauen so haarig wie Schafe sein sollen, kennst du sicher. Man erzählt sich, dass die Joglu in kalten Nächten Schafe mit ins Stroh nehmen und dann, wenn den Mann die Lust überkommt...“ Er räusperte sich „... auf du weißt schon was, kann er aufgrund der Haare Schaf von Frau nicht unterscheiden. Und was passiert dann?“ Eine kurze Unterbrechung. „Der Mann vögelt das Schaf!“ Barn lachte deutlich überspitzt und gespielt schallend los, irgendwie versuchend den Kopfgeldjäger mit Humor zu umgarnen. Wie es aber schien, ohne Erfolg. Der Glatzköpfige starrte weiter in die Glut und verzog keine Miene. Hatte er ihn überhaupt gehört? Oder hatte er einfach keinen Humor? Denn auch wenn Barn sein Lachen gekünstelt hatte – eine Technik, die er in den Wintern als Bänker perfektioniert hatte – fand er die Geschichte äußerst amüsant.
„Nicht für Späße aufgelegt? Ich mag solche Geschichten. Völker, die aus eigener Dummheit kurz davor stehen auszusterben. Sie haben es verdient. Gibt es überhaupt noch Städte in Joglu? Ich will es für uns doch hoffen, irgendwie müssen wir ja Geld machen, oder?“
Plötzlich eine Reaktion des Gedungenen. Er starrte Barn direkt in die Augen.
„Aus eigener Dummheit ausgerottet?“
„Sicher. Was denn sonst? Zweimal binnen weniger Winter gegen Worgu zu den Waffen zu greifen. Dummheit nenne ich das. Worgu ist groß und mächtig. Das weiß man selbst hier. Nicht umsonst danken wir den Göttern für die Berge.“ Er zeigte auf das Gebirge über ihnen. „Der Wall der freien Täler.“
Und das war keine Lüge. Die Reiche waren gefürchtet in den Freien Tälern. Mit ihrer Gier nach mehr Land und Reichtum war es für viele nur eine Frage der Zeit, bis ihr gieriger Blick gen Osten ragte und die Täler ein Teil der Reiche werden sollten.
„Gegen das große Königreich Worgu im Westen? Das mächtige Königreich?“
„Absolut, mein Freund. Mächtig ist das richtige Wort. Und die Joglu haben ihre Lektion im letzten Krieg gelernt. Zu tausenden wurden ihre Truppen abgeschlachtet! Diese barbarischen Nordländer.“ Barn beobachtete den Fremden ganz genau, der erneut keine Reaktion von sich gab. Er kaute weiterhin am Dörrfleisch rum und blickte wieder in die Glut, Barn traute sich, einen Schritt näher zu kommen und dann noch einen. Bis er schließlich direkt neben dem Kopfgeldjäger war und sich hinhockte.
„Haben wir eine Abmachung mein Freund? Du begleitest mich in den Westen und ich zahle dir ein Vermögen!“ Barn reichte ihm die Hand und setzte sein bestes Grinsen auf.
„Barbarische dumme Nordländer, zu Tausenden abgeschlachtet“, nuschelte der Fremde vor sich hin.
„Exakt, mein Freund. Die Götter waren Zeuge.“
Seine Hand war weiterhin zum Fremden gerichtet, um die Abmachung abzuschließen. Der Kopfgeldjäger ließ seinen Blick zur Hand schweifen und spuckte den kümmerlichen Rest Dörrfleisch aus. Seine Hand wanderte zu seinem rechten Hosenbein, wohl um das Fett abzuwischen, wie Barn naiverweise glaubte.
Sein Talent hatte er also nicht verloren, er konnte überzeugend sein und Geld war das einzige, das noch überzeugender war als er. Und dazu ein kräftiger Mann, der mit dem Schwert umgehen konnte, kam ihm äußerst gelegen, ein Aufpasser, der für ihn die grobe Arbeit erledigen würde. Das Schicksal war endlich wieder auf seiner Seite. Er lächelte dem Fremden weiter zu, abwartend, wann er denn endlich einschlagen würde, um den neuen Deal zu beschließen. Da, jetzt!
Der kräftige Arm des Fremden zuckte, er schlug ein. Oder vielmehr gesagt er schlug etwas ab.
„Was?“, stammelte Barn und realisierte nicht was geschehen war. Verwirrt blickte er auf seine am Boden liegende und zuckende Hand; der Stumpf spuckte Blut wie ein Drache das Feuer, färbte den Boden vor ihm rot und ließ die Glut ein letztes Mal zischen, bevor sie verdampfte und als kleine Rauchwolke endete.
Barn brüllte einen endlosen Moment schmerzerfüllt auf, seine Kehle drohte zu explodieren.
„Meine Hand! Du verdammter! Meine Hand!“
Er versuchte aufzustehen, doch dies verhinderte der Fremde mit einem mächtigen Schlag in Barns Gesicht. Mit Rotz und Blut verschmiertem Gesicht ging er zu Boden, den blutenden Stumpf gegen seine Brust gepresst. Jämmerlich jammernd, als er am Boden lag und versuchte sich mit den Füßen vom Fremden wegzuschieben. Dieser stand emotionslos über Barn und beobachtete ihn wie ein Jäger seine Beute ansah, bevor er sie tötete. Wie eine Schlange vor der Maus, bevor sie zubeißen würde...
„Wilde Barbaren!“ Es folgte ein schwerer Tritt gegen Barns Flanke. „Verdummte Joglu!“ Ein weiterer Tritt folgte.
Barn spuckte Blut auf den Boden und rang angestrengt nach Luft. Der Fremde ließ ihm keine Zeit zum Luftholen und trat mehrmals weiter zu. Barn hörte und spürte wie seine Rippen brachen und er meinte sogar zu fühlen wie seine Organe rissen.
„Bitte…“, stöhnte Barn unverständlich und erbrach sich. Er hatte nichts im Magen, das er erbrechen konnte, außer dem mickrigen Eichhörnchen. Dies kümmerte seinen Magen jedoch wenig und er entleerte alles, was sich darin befand. Die Säure brannte auf seiner Zunge und in seiner Kehle; der saure Geschmack verband sich mit dem Geschmack des Blutes. Beides würgte er heraus und tränkte den Boden damit. Der Kopfgeldjäger packte ihn am Kragen und zog ihn hoch.
„Du Stück Scheiße! Zu Tausenden wurden die Joglu abgeschlachtet, sagst du? Weil sie dumm waren, sagst du? Ich werde dich jetzt abschlachten, was sagst du dazu?“
Die Augen des fremden Mannes glühten vor Hass wie die Glut neben ihm, aber seine Stimme war merkwürdig ruhig. Mit Schwung warf er Barn wieder zu Boden.
„W… wi….wieschou?“, krächzte Barn hervor.
Der Kopfgeldjäger fing laut an zu lachen. „Wieso? Ich bin Joglu, du Bastard! Ich war dabei!“ Ein weiterer Tritt folgte, diesmal zwischen die Beine Barns. Das leise Quieken war kaum noch zu vernehmen.
Der Kopfgeldjäger hockte sich neben den schwer atmenden Barn. „Weißt du, ich wollte dich eigentlich schnell erledigen. Du hast ein paar Arschlöchern Geld gestohlen. Diese Arschlöcher haben mich Arschloch beauftragt, dich Arschloch zu töten. Du verstehst, alles Arschlöcher, aber du hast nun darum gebettelt das ich`s langsam tue. Und das werde ich du Bastard!“
„Biiiideeee…“, war das letzte Wort, das Barn in seinem Leben noch hervorbringen würde.
„Womit fangen wir an, Herr Barn? Vielleicht mit deinen Fingern?“ Der Joglu grinste widerlich und zog einen kleinen, merkwürdig stumpf aussehenden Dolch aus seinem Stiefel.
„Ich glaube, das werden wir tun.“ Barn versuchte etwas zu sagen, das Blut verhinderte jedoch, dass er klare Wort bilden konnte und nur ein undefinierbares Blubbern kam aus seinem Mund hervor.
„Und wenn du die Raben triffst, sag ihnen, dass Serox dich schickt!“ Dies waren die letzten Worte, die Barn, ehemals reicher Bänker und Kaufmann aus Devon, in Ungnade gefallen, da er Geld stahl, in seinem Leben hören würde.
Es war bereits Abend, als Serox auf dem Rücken seines schwarzen Hengstes den dichten Wald verließ und gen Süden ritt. Sein Blick ging nach hinten zu einem Sack, der am Sattel hing. Er war immer noch überrascht, wie weit Barn es tatsächlich in den Norden geschafft hatte. Ein paar Tage mehr und er hätte es vielleicht tatsächlich ins Gebirge geschafft. Auch wenn Serox sich sicher war, dass Barn dort elendig verreckt wäre. Zu seinem Glück hatte der Banker in so ziemlich Dorf zwischen hier und Devon Halt gemacht und gerastet. Der einzige Grund, wieso Serox ihn überhaupt gefunden hatte. Zu gern hatten ihm die Dorfbewohner erzählt, dass ein verwöhnter reicher Geldsack aus den Städten durch ihre Dörfer reiste. Arrogant wie eitel, wie reiche Säcke nun mal waren. Ob Barn überhaupt darüber nachgedacht hatte, dass ein verwöhnter Sack wie er, der das erste Mal ohne Eskorte außerhalb Devons war, irgendwo am Rande der Zivilisation auffällt wie ein buntes Pferd? Serox bezweifelte, dass der Banker daran auch nur einen Gedanken daran verschwendet hatte. Die Strafe dafür hatte Barn nun bekommen. Sein Kopf reiste zurück nach Devon und der Rest lag irgendwo im Wald und diente als Futter für die Tiere. Der Boden des kleinen Jutesacks war bereits so mit seinem Blut vollgesogen das im gleichbleibenden Takt immer wieder Blutstropfen auf den Boden fielen und eine kleine kaum sichtbare Spur hinterließen.
Die dichten Wälder hinter ihm, wurden langsam immer lichter. Die vorherrschenden Nadelbäume der kalten Berglandschaft wurden immer weniger und vereinzelte Laubbäume nahmen ihren Platz ein. Die wenigen Überlebenden des Holzfällerzeitalters der freien Täler. Eine Grenze zwischen dem Gebiet, in das die Menschen in besseren Zeiten vorgedrungen waren. Die Grenze zwischen Zivilisation und Wildnis. Von dieser Grenze aus waren es etwa drei Tagesritte bis zu den großen Ebenen der freien Täler und von dieser Grenze dann nochmal etwa fünf Tage bis zu den Stadtgrenzen Devons.
Er spuckte aus bei dem Gedanken an die Stadt, während er an einer der wenigen großen Eichen vorbeiritt. Oft genug hatte er sich das Geschwafel von Reisenden anhören müssen, während er wieder mal eine ihrer Karawanen durch die Täler führte.
„Devon, die großartigste Stadt der bekannten Welt!“, priesen Händler aus Devon ihre Heimat. Die Begeisterung der Karboner Händler hielt sich bei den Jubelstürmen ihrer Händlerkollegen immer in Grenzen. Der unsichere Frieden´, der zwischen den drei großen Städten der freien Täler herrschte, war immer allgegenwärtig. Zu viele Kriege hatten die Städte gegeneinander geführt. Zu oft hatte Devon sich mit Karbon gegen Perm verbündet oder Perm mit Karbon gegen Devon, als dass es so etwas wie Vertrauen geben könnte. Die Devoner mieden die Karboner und die Karboner die Devoner. Und die Permer, aus dem Süden der freien Täler, mieden sowieso jeden Fremdling. Für die Karawanenwachen war es häufiger eine größere Herausforderung, die Händler davon abzuhalten sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen als Banditen abzuwehren.
Serox beobachtete den Himmel, an dem dunkle wie Festungstürme wirkende Wolken gen Berge zogen. Eines war klar. Hätte er Barn nicht gefunden, wäre der Banker auf ewig verschwunden. Und zwar als steifgefrorene Leiche irgendwo zwischen den Bäumen der Berglandschaft. Oder im Magen eines Tieres.
Nach einigen weiteren Fingern erreichte er die verlassenen Ruinen eines der alten Holzfällerdörfer, die einst das Gesicht der freien Täler prägten. Er schnaubte, ließ seinen Blick über die kaum noch zu erkennenden Grundrisse der Gebäude schweifen und suchte nach Anzeichen von anderen Menschen. Er entdeckte nichts, blieb aber trotzdem vorsichtig. Nicht nur er reiste durch die Täler, und nicht nur er nutzte die Ruinen der Dörfer für Nachtlager. Denn auch wenn die meisten Mauern ihm höchsten bis zu Hüfte reichten, ein wenig Windschutz war besser als kein Windschutz.
Geschickt entzündete er den Tabak und stieß entspannt den Dampf aus seinem Mund. Er hatte sein Nachtlager zwischen den verfallenen Mauern eines alten Sägewerks aufgebaut. Er vermutete zumindest, dass es ein Sägewerk war. Im Gras hatte er die verrosteten Überreste eines großen Sägeblattes entdeckt. Vollständig von Rost überzogen war es ein Überbleibsel der überhasteten Flucht der Bewohner, die sich nah an Baumgrenze neue Rodungsgebiete erschließen wollten.
„Fast leer“, fluchte er leise als er die Satteltasche nach seinen Vorräten durchsuchte und nichts außer dem harten unansehnlichen Zwieback fand. Er hatte nicht erwartet, Barn erst so weit nördlich zu finden; seine Vorräte gingen zu neige und im nächsten Dorf musste er so unbedingt halt machen, um genug für den Weg nach Devon zu haben.
Der schwarze Hengst stupste ihn an.
„Was?“
Das Pferd schnaubte.
„Glaubst du für dich ist hier noch was drin? Willst du den Zwieback?“ Serox hielt dem Pferd das staubtrockene Gebäck vor den Mund.
Keine Reaktion.
„Anscheinend nicht“, sagte Serox und zog einen schrumpeligen Apfel aus der Satteltasche. „Hier“, warf er den Apfel seinem Pferd zu, das davon deutlich begeisterter war als vom Zwieback. „Hätte nicht gedacht, dass er es soweit nach Norden schafft“, sagte er, während er ein kleines Stück Zwieback abbrach und in den Mund steckte. Hart wie Stein und auch ähnlich im Geschmack versuchte er das Gebäck zu lutschen bis es weicher wurde. Nach ein paar Augenblicken hatte sich so aus der steinharten geschmacklosen Substanz in seinem Mund eine breiige geschmacklose Substanz entwickelt, die er angewidert runterschluckte. Er brach ein weiteres Stück ab und schaute es sich einen kurzen Moment an, bis er unwillig auch dieses Stück in den Mund steckte und begann daran herumzulutschen. Währenddessen nahm er die dicke alte Wolldecke vom Rücken des Pferdes und breitete sie auf dem Boden aus. Mit einen leisen Stöhnen ließ er sich fallen und lehnte sich mit dem Rücken die bröcklige alte Steinmauer. Versteckt unter seinem alten Lederharnisch zog er dann einen kleinen Lederbeutel heraus. Er kippte den Inhalt in seine Hand und ein paar angelaufene Münzen fielen heraus. Abgenutzte Kupfer- und Zinkmünzen mit den unterschiedlichsten Werten und Prägungen lagen in seiner Hand. Ein alter Mann mit Schnauzer und grimmiger Miene oder ein junger Mann, dessen kindliches Gesicht auf eine etwa handflächengroßen Münze geprägt war. Es waren alles devonische Münzen, wenn er sich nicht irrte. Er konnte das Geld der freien Täler schon lange nicht mehr unterschieden. Nach jeder neuen Wahl prägten die Banken der Städte immer neue Münzen mit den Gesichtern der neuen Herrscher der Stadt und den umliegenden Dörfern. So kam es, dass es wohl an die hundert verschiedenen Münzen mit verschiedenen Gesichtern gab. Für Münzsammler ein wahrer Traum und eine schier unlösbare Lebensaufgabe, alle Münzen der freien Städte zu sammeln.
In seiner Hand lagen verteilt auf acht Münzen jetzt sechzig devonische Kronen. Nicht viel, aber für eine Nacht in einer sauberen Herberge ohne Flöhe, und ein wenig Proviant mehr als ausreichend. Seine Hand wanderte wieder in den Harnisch, um den kleinen Beutel zurückzustecken. Ein neues Stück Zwieback wanderte in seinen Mund, als er seinen Blick über das Tal vor ihm wandern ließ.
Noch befand er sich inmitten der alten Baumgrenze, die der kümmerliche Rest der einst so großen Wälder war und mit jedem Schritt, den er sich von den Ausläufern der Rabenberge entfernte, wichen die Bäume dem Gras. Dem unendlichen Grün, das alles bedeckte. Zwischen dem Nordmeer und dem Südmeer, zwischen den Rabenbergen und der Feuersenke. Alles war grün. Eine grasige Wüste, die den Großteil der freien Täler bedeckte und endlos und einschüchternd wirkte.
Die Sonne verschwand langsam hinter dem Horizont, als Serox mit einem großen Schluck Wasser aus dem Lederbeutel die letzten Reste vom Zwieback aus seinem Mund spülte und dabei eine Grimasse zog. Er legte den immer noch halbvollen Lederbeutel auf die Decke und benutzte ihn als Kopfkissen. Das Wetter schien diese Nacht mitzuspielen und er hatte freien Blick auf die langsam immer zahlreicher werdenden Sterne am Himmel. Je tiefer die Sonne sank und je weiter die Dunkelheit sich ausbreiten konnte, desto mehr Sterne erschienen. Aus wenigen wurden Dutzende, aus Dutzenden hunderte und daraus schließlich tausende oder noch mehr. Früher hatte er die Sterne öfters gezählt.
„Kann man alle Sterne zählen?“
Er schüttelte den Kopf, um die Stimme in seinem Kopf zu verdrängen. Er musste sie vergessen. Es ging nicht anders. Niemals hätte er gewollt diese Stimmen zu vergessen, aber er musste. Er fürchtete sich vor den Alpträumen. Die Träume und Nachtmahre, die unzertrennlich mit den Stimmen verbunden waren. Träume, die ihn jede Nacht verfolgten und ihm Bilder zeigten, die er nie mehr sehen wollte; brutale Bilder, die ihn sein Leben lang verfolgen würden. Jede Nacht aufs Neue, das gleiche Bild, der gleiche Traum.