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Kapitel 2 Nicht Freund, nicht Feind

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D.S. Gallager, APS-Kreuzer, Registernummer 71

Sie waren auf der Suche. Auf der Suche nach dem APS-Kreuzer D.S. Nanjing, der vom Feind erobert worden war und nun eingesetzt wurde, um einen Frieden zwischen der Menschheit und den insektoiden Norsun zu verhindern. Beim Überfall auf eine Welt der Norsun war die Nanjing von der D.S. Remington gestellt worden. Die Negaruyen waren mit dem Schiff entkommen, dennoch war das Gefecht ein Erfolg. Die kleine Mutter Narret, Herrin der angegriffenen Welt, hatte anerkannt, dass die Menschen nicht für den Überfall verantwortlich waren und in ihrem Volk einen Waffenstillstand durchgesetzt. Mehr noch… Sie hatte bei der großen Mutter aller Norsun erreicht, dass die Sky-Navy im Hoheitsgebiet der Insektoiden nach dem Feind suchen durfte. Nun waren rund fünfzig APS-Kreuzer, fast ein Viertel des Flottenbestandes, im Weltraum unterwegs, um die Nanjing endlich zu finden, mit dem Ziel, sie zurückzuerobern oder sie zu vernichten.

Auch die D.S. Gallager gehörte zur APS-Klasse. Die Assault-Patrol-Ships waren das Rückrat der Sky-Navy und Captain Frank Keller gehörte fraglos zu ihren erfahrensten Captains. Die Gallager befand sich derzeit im Grenzgebiet zwischen dem menschlichen Direktorat und dem Herrschaftsgebiet der Norsun. Natürlich gab es keine wirkliche Grenze. Lediglich Sternensysteme, die man beanspruchte. Genau dies machte einen Konflikt im Weltraum so unübersichtlich und gefährlich. Es gab keine Grenze, die man befestigen und verteidigen konnte. Ein Gegner konnte jederzeit und überall auftauchen. Die Sky-Navy war auf das Äußerste beansprucht, um das Direktoratsgebiet zu bestreifen. Überwiegend waren es kleine Patrouillenboote vom Typ der Langstrecken-FLVs, deren tetronische Augen und Ohren den Raum absuchten. Entdeckten sie eine mögliche Gefahr, dann lag es an der Kommandoebene der Streitkräfte, Gegenmaßnahmen einzuleiten und Trägerschlachtschiffe, Kreuzer oder Kampftruppen in Marsch zu setzen.

Frank Keller saß im Kommandosessel auf der Brücke, die sich im vorderen Drittel an der Oberseite des Kreuzers befand. Von seinem Sitz aus konnte er die Arbeitsplätze der Brückenbesatzung überblicken und den ungehinderten Ausblick in den freien Raum genießen, den die großen Panoramascheiben aus Klarstahl ermöglichten. Im Gefecht wurde die Brücke allerdings in den Rumpf eingefahren und durch ihre Panzerung geschützt.

Der Kreuzer war soeben in die Nullzeit gegangen und kam nun am Ende des Sturzes heraus. Schlagartig wechselten die Sternbilder und an der Backbordseite wurde ein roter Riese sichtbar. Sofort begannen die Scanner und Sensoren zu arbeiten, während auf dem Schiff bedingte Gefechtsbereitschaft herrschte.

Im Weltraum gab es, entgegen der beliebten SciFi-Holos in den Medien und den Phantasien der Geschichtenerzähler, kaum die Möglichkeit, ein Schiff überraschend anzugreifen. Die Annäherung zweier Schiffe auf Gefechtsentfernung nahm, selbst bei maximaler Überlichtgeschwindigkeit, etliche Stunden in Anspruch. Zeit genug, ein Schiff in Ruhe für den Kampf vorzubereiten. Ausnahmen gab es allenfalls, wenn man ein stationäres Ziel anflog, dessen Position und relative Geschwindigkeit im Raum exakt bestimmt werden konnten. Doch das war ein äußerst schwieriges Manöver und zudem riskant. Kein Captain war darauf aus, sein Schiff mit einem Hindernis kollidieren zu lassen. Beim Austritt aus dem Sturz galt die Kampfbereitschaft also eher „natürlichen“ Gegnern, wie Asteroiden und Kometen, die unerwartet die Flugbahn auf kürzeste Distanz kreuzten.

„Sturz vollzogen“, meldete der traditionell als Rudergänger bezeichnete Pilot. Sein Kopf bewegte sich unmerklich unter dem Virtual-Reality-Helm. Die Hände lagen entspannt auf dem Joystick der Steuerung und den Schaltungen der Armlehne. „Wenn mich meine Augen nicht trügen, Sir, dann sind wir genau auf dem Punkt aus dem Sturz gekommen“, fügte er weniger formell hinzu.

Captain Keller war unruhig, was selten vorkam. Seine Fingerspitzen trommelten auf die Armlehne. „Nav?“

„Einen Moment noch, Sir.“ Der für Navigation und Ortung verantwortliche weibliche Lieutenant beobachtete die Anzeigen ihrer Konsole. „Bestätige Austrittspunkt am Ziel. Die aktualisierten Daten kommen herein.“

Vor Keller „hing“ das große Hologramm in der Luft, welches den Status seines Schiffes, die wichtigsten Aktionen und die Karte der nächsten Umgebung wiedergab. Die Tetronik projizierte die Katalogdaten der nächsten Umgebung. Sie gaben die bekannten Objekte und deren Daten wieder. Im Gegensatz zu vielen anderen Schiffen verfügte die Gallager bereits über den Nullzeit-Scanner, dessen Impulse ebenfalls ohne Zeitverlust arbeiteten. Diese Scanner waren noch neu und ihre Serienfertigung ging nur langsam voran, da sie eine gewisse Menge des Hiromata-Kristalls benötigten. Hiromata war selten und daher kostbar. Alles, was mit Nullzeit funktionierte, ob Antrieb, Funk oder Ortung, benötigte diesen Kristall. Die Funde waren selten, die Mengen meist gering und man unternahm gewaltige Anstrengungen, neue Vorkommen ausfindig zu machen.

„Echos zeichnen. Daten kommen rein und werden synchronisiert, Sir“, meldete die junge Frau.

„Danke, Nav.“ In der Projektion erschienen nun andere bewegliche Objekte, mit Informationen zu Größe, Masse, voraussichtlicher Beschaffenheit, Flugbahn und relativer Geschwindigkeit, in Relation zum Schiff.

„Sieben unbekannte Objekte kommen hinter dem siebten Planeten hervor.“ In der Stimme von Nav lag nun ebenfalls eine leichte Anspannung. Auf der holografischen Karte blinkten nun sieben orangefarbene Symbole. Orange stand für „nicht identifiziert und möglicherweise gefährlich“. Haig warf einen kurzen Blick auf den Captain. „Drei dicke Brocken und vier kleinere Einheiten. Definitiv künstliche Objekte.“

„Identifikation?“

„Noch nicht möglich, Sir. Die Messdaten legen allerdings nahe, dass es sich um Hantelschiffe der Norsun handelt.“

„Kurs?“

„Einen Moment, Sir. Berechnung läuft.“ Der Lieutenant brachte die Ergebnisse des laufenden Scans in Relation zur Gallager. „Paralleler Kurs mit uns. Ich berichtige. Objekte haben Kurs geändert und nähern sich uns jetzt an. Bei gleichbleibendem Kurs und Geschwindigkeit erreichen wir den Rendezvouspunkt in zwei Stunden und siebzehn Minuten.“

„Bestätigt, Nav. Ruder, wir behalten Kurs und Geschwindigkeit bei.“

Captain Keller lächelte zufrieden. „Sie haben uns erst mit einer gewissen Verzögerung entdeckt und reagiert. Das bedeutet, dass unsere Nullzeit-Scanner schneller als ihre Ortungssysteme sind. Das bestätigt die Beobachtungen, die Captain Tangaroa bereits mit der Remington machte.“

„Und es verschafft uns einen gewissen zeitlichen Vorteil im Gefecht“, fügte der Waffenoffizier hinzu.

Keller wandte sich dem Radio Operator zu. „RO, Echoimpuls abgeben.“

„Aye, Sir, sende Echoimpuls.“

„Bereitschaftsstatus erhöhen, Sir?“, fragte der Waffenoffizier sofort nach.

„Ney“, lehnte Keller mit der traditionellen Verneinung der einst „nassen“ Navy ab. „Falls es unsere neuen „Freunde“ sind, könnte das angemessen und falsch interpretiert werden. Außerdem sind wir noch weit entfernt und haben Zeit, um zu reagieren.“

Das Funkgerät strahlte den Echoimpuls ab. Im Grunde handelte es sich dabei um einen sehr kurzen Nullzeit-Morsespruch, der den Namen und die Kennung der Gallager an die Unbekannten übermittelte. Jeder menschliche Sender würde diesen Impuls mit der eigenen Kennung erwidern und sich als Freund identifizieren.

„Negativer Echoimpuls, Sir“, stellte der Funkoffizier fest. „Soll ich Kontakt aufnehmen?“

Keller tippte eine Eingabe in seine Armlehnensteuerung. Ein Teil der Brückenverglasung wurde zu einem optisch extrem stark vergrößernden Instrument. Der Bereich, in dem sich die unbekannten Objekte bewegten, wurde vergrößert. Doch die Unbekannten waren noch zu weit entfernt, um optisch identifiziert werden zu können. „Na schön, RO, spulen Sie den vorbereiteten Spruch ab. Aus in Norsun, Ein in Standard.“

Seitdem die Remington auf dem Planeten der kleinen Mutter Narret gegen die Nanjing gekämpft hatte, führten alle Suchschiffe einen neuartigen tetronischen Translator mit sich. Die kleine Mutter Narret, Herrin ihrer Welt, hatte eine Botschaft als Datei speichern lassen, um eine friedliche Begegnung zwischen den Schiffen der Menschen und denen der Norsun zu ermöglichen.

„Vorbereitete Datei wird gesendet, Sir“, kam es von RO. „Ausgehende Sendungen erfolgen automatisch in Norsun, alle eingehenden Sendungen werden in Standardidiom übersetzt.“

„Sender und Empfänger auf Brücke legen.“

„Aye, Sir. Lege Sender und Empfänger auf Brückenlautsprecher.“ Der Funker tätigte eine Eingabe an seiner Konsole. „Aktiviert, Sir.“

„Hier ist das Direktoratsschiff D.S. Gallager unter dem Schutz der kleinen Mutter Narret“, gingen die Impulse hinaus. „Wir sind Hüter des Eis und suchen den Feind, um ihn zu stechen.“

An der Schadenskontrolle lächelte der weibliche Tech-Master-Chief. Keller bemerkte ihr breites Grinsen. „Was amüsiert Sie, Tech?“

„Wir legen nun einmal keine Eier, Cap, und schlagen sie für gewöhnlich in die Pfanne.“

„Lassen Sie das die Norsun nicht hören“, erwiderte Keller und schmunzelte ebenfalls. „Die sind sehr empfindlich, was Eier angeht. Wir können uns glücklich schätzen, dass uns die kleine Mutter Narret in ihrer Botschaft als Hüter des Eis bezeichnet. Damit werden wir für alle Eierlegenden Norsun zu Freunden.“ Sein Lächeln vertiefte sich. „Wenigstens in der Theorie. Jetzt wird sich zeigen, ob sich das auch in der Praxis bewährt. Ist ja unsere erste Begegnung mit einem Norsun-Geschwader, nach den Vorfällen mit der Nanjing.“

„Falls es tatsächlich Norsun sind“, schränkte der Waffenoffizier ein.

„Wir haben Zeit, bis wir auf Gefechtsentfernung heran sind“, brachte Keller in Erinnerung. „Genug Zeit, um zu entscheiden, ob wir uns auf ein Stechen einlassen oder den Rückzug einleiten.“

„Mit Verlaub, Cap, Sie hören sich schon fast wie ein Norsun an“, spottete der Rudergänger.

„Wenn wir mit den Insektoiden kommunizieren, dann sollten wir auch ihre traditionellen Redewendungen benutzen“, antwortete Keller. „Gemeinsamkeiten schaffen Verbindungen, Ladies und Gentlemen. Unsere neuen grünhäutigen Freunde haben noch immer einen verkümmerten Stachel am Unterleib und ihre Vorfahren haben nun einmal damit gestochen.“ Er wandte sich wieder dem Funker zu. „Noch immer keine Antwort, RO?“

„Ney, Sir. Wir senden weiter und sind auf Empfang.“

Frage und Antwort waren eigentlich überflüssig gewesen, denn jeder konnte über das Lautsprechersystem der Brücke mithören. Es zeigte, dass Keller tatsächlich beunruhigt war. Doch das war ihm kaum zu verdenken. Die Menschheit drohte in den jahrhundertealten Krieg zwischen Norsun und Negaruyen hinein gezogen zu werden. Tatsächlich wäre es den humanoiden Negaruyen beinahe gelungen, dass der drohende Konflikt zwischen dem Direktorat und den Insektoiden offen ausbrach. Gegenüber dem riesigen Reich der Norsun und ihrer gewaltigen Flotte hätten die Menschen jedoch niemals bestehen können. Nun hing sehr viel davon ab, ob die Botschaft der kleinen Mutter Narret tatsächlich dafür sorgte, dass die Waffen schwiegen.

„Captain, die Objekte zeichnen jetzt deutlich“, kam es von Nav. „Drei Zweikugeln der 1200-Meter-Klasse und vier Zweikugeln der 400-Meter-Klasse. Definitiv Norsun, Sir.“

Die sieben orangen Symbole wechselten zu Grün. Das entsprach den aktuellen Vorgaben für die automatische Zuordnung der Scanner, doch ob die Norsun tatsächlich „freundlich“ waren, musste sich nun erst zeigen.

Die Schiffe der Norsun hatten stets die Form von Hanteln, wobei die Kugeln durch tonnenförmige Segmente miteinander verbunden waren. Es gab Hanteln mit zwei oder drei Kugeln. Bislang hatte die Sky-Navy herausgefunden, dass Schiffe mit drei Kugeln als Träger für Truppen oder Beiboote genutzt wurden. Die sogenannten „Zweikugeln“ waren hingegen reine Waffensysteme von gewaltiger Vernichtungskraft.

„Fette Teile“, murmelte der Rudergänger. „In so einen Zwölfhunderter passt selbst eines unserer Trägerschlachtschiffe wohl drei Mal hinein.“

„Ein Grund mehr, um vorsichtig zu sein.“ Der Waffenoffizier verschränkte die Arme vor der Brust und der Blick, den er Keller zuwarf, wirkte leicht vorwurfsvoll.

„Sie lassen die Finger von den Waffen, Arms“, knurrte der Captain. „Wir sind nicht hier, um einen Krieg zu führen. Im Gegenteil, es geht darum, ihn unter allen Umständen zu vermeiden.“

„Immerhin haben wir den Insektoiden bei Regan III. ordentlich zugesetzt“, brachte der weibliche Tech-Master-Chief in Erinnerung. „Selbst solche 1200-Meter-Riesen haben gegen unsere Nullzeit-Railguns keine Chance.“

Keller schwenkte seinen Sessel leicht und hob die Stimme an. „Wir haben uns bei Regan gut geschlagen, Leute, aber lassen wir uns dadurch nicht täuschen… Diese Norsun haben wahrscheinlich mehr Schiffe, als wir Munition für die Nullzeit-Rails. Und damit Ende der Diskussion… Wir werden nichts unternehmen, was die Norsun als feindselige Handlung auslegen könnten. Wenn es knallt, dann ganz bestimmt nicht wegen uns.“

Noch immer lief die Endlosbotschaft der kleinen Mutter Narret. Keller beobachtete die sich verändernden Daten des Scanners. Auf der holografischen Karte wurde die Flugbewegung der Norsun als dünne Linie wiedergegeben.

Auch die anderen beobachteten das Hologramm. Der Lieutenant an der Waffenkontrolle räusperte sich. „Wir sind bald auf Gefechtsentfernung, Sir.“

Ein ungewöhnliches Knistern drang aus dem Lautsprecher. Bevor RO seine Meldung machen konnte, änderte die Stimme des Translators ihren Wortlaut. „Hier ist Höchst-Wort Tor-Tarap von Zweikugel Kredahir, führender Stachel der kleinen Mutter Dahira. Wir haben die Worte der kleinen Mutter Narret gehört und grüßen die menschlichen Hüter des Eis. Mögt ihr einen scharfen Stachel und eine gute Jagd haben.“

Irgendwer auf der Brücke stieß einen erleichterten Seufzer aus, während die Botschaft des Norsun-Kommandeurs wiederholt wurde.

Frank Keller hob die Hand. „RO, übersetzen Sie meine Worte in Norsun und senden Sie folgende neue Botschaft: Hier ist Captain Keller von der D.S. Gallager. Wir erwidern die Grüße und wünschen ebenfalls einen scharfen Stachel und gute Jagd.“ Er räusperte sich kurz und fuhr dann fort. „Mögen die Feinde des Eis ihr verdientes Ende finden.“

Keller nickte dem Funker zu, der den Text in den Translator eingab. Dann ging die Übersetzung an das Norsun-Schlachtschiff.

„Keine Antwort“, stellte RO fest.

„Norsun ändern Kurs“, meldete Nav nun. „Sie entfernen sich von uns.“

Frank Keller entspannte sich erleichtert.

„Mögen die Feinde des Eis ihr verdientes Ende finden…“ Der Tech-Master-Chief schüttelte lächelnd den Kopf. „Meine Güte, Cap, ich habe Sie selten so… blutrünstig… erlebt.“

Der Captain zuckte mit den Schultern. „Ein fähiger Captain passt sich fremden Kulturen an. Immerhin haben wir gerade etwas Entscheidendes gelernt: Wir mögen keine Freunde sein, aber wenigstens sind wir auch keine Feinde.“

Sky-Navy 13 - Kampf um Rigel

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