Читать книгу Pferdesoldaten 03 - Der Pfad der Comanchen - Michael Schenk - Страница 4

Kapitel 2 Garnisonsleben

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Fort Belknap war in vielerlei Dingen ungewöhnlich.

Dies betraf Form, Baumaterial, Aufgabe und Stärke seiner Garnison. Von oben betrachtet besaß es die Grundform des Viertels einer Torte. An der Spitze dieses Tortenstücks lagen die Unterkünfte der Kompanien und ihrer Offiziere. Der Kreisbogen erstreckte sich vom Norden zum Westen. Im Norden lagen die Quartiere der höheren Offiziere, im Westen, wo der Bogen endete, die Ställe und Korrals für die Reittiere und Gespannpferde. Es gab weitläufige Gärten für Gemüse und eigene Getreidefelder, eine Bäckerei, einen großen Store und sogar ein Gebäude für Billard. In der Mitte des „Tortenstücks“ lag der Paradeplatz.

Das Fort bestand seit November 1851 und Lieutenant-Colonel Freeman hatte fast alle Gebäude aus behauenem Naturstein errichten lassen. Für Militärposten an der Grenze zum Indianergebiet ein ungewöhnlicher Aufwand, war Holz doch wesentlich leichter verfügbar.

Es gab keinerlei Befestigungen. Keine Mauer und keine Palisade, nicht einmal einen Wachtturm. Fort Belknap war nicht eigentlich als Fort, als Befestigung angelegt, sondern als Garnison. Niemand wäre so verrückt gewesen, sich mit dieser anzulegen. Im Jahr 1856 waren hier eine Batterie Feldartillerie, ein Regiment Infanterie und ein volles Regiment Kavallerie stationiert.

Das Fort lag direkt am Brazos River, nahe der aufblühenden Stadt Newcastle und war die nördlichste Anlage einer Reihe von Stützpunkten, die sich vom Rio Grande bis zum Red River erstreckte. Sie schützten eine der alten Handelsrouten, die zum Wesentlichen aus dem sogenannten Santa Fe Trail bestand, und die texanische Grenze gegenüber Comanchen und Kioways.

Die Armee hatte einen schweren Stand bei der Sicherung der Grenze, zumal immer wieder Trecks von Händlern oder Siedlern zu eskortieren waren. Die mannigfaltigen Aufgaben waren mit Fußtruppen nicht zu bewältigen. Die drei berittenen Regimenter, die 1st und 2nd U.S.-Dragoons und das Regiment of Mounted Riflemen, waren hoffnungslos überfordert. Mit knapp 2.100 Berittenen sollte die Army Präsenz gegenüber den Indianern zeigen. Alleine das Volk der Comanchen schätzte man auf über 100.000 Stammesmitglieder, wobei man von 25.000 Kriegern ausging. Doch neben den Comanchen gab es noch eine Vielzahl anderer indianischer Völker. Der Überfall der Comanchen auf die Stadt Austin hatte den Kongress schließlich davon überzeugt, dass man es bei Indianern mit gefährlichen Gegnern zu tun hatte und so bewilligte man im Jahr 1855 die Aufstellung zweier weiterer berittener Regimenter – die 1st und 2nd U.S.-Cavalry.

Es gab einen wesentlichen Unterschied zwischen einem Reiter der Dragoons und einem der Cavalry. Dragoner waren für den Kampf zu Pferde und zu Fuß vorgesehen und daher mit Revolver, Säbel und einem Karabiner bewaffnet, so erbärmlich letzterer auch sein mochte. Kavallerie sollte hingegen ausschließlich zu Pferde kämpfen und ihre Bewaffnung beschränkte sich daher auf Revolver und Säbel.

Die 2nd U.S.-Cavalry war am 28. Mai 1855 in Louisville, im Unionsstaat Kentucky, aufgestellt worden. Schon am 27. September des gleichen Jahres marschierte sie in einer Stärke von 750 Mann nach Fort Belknap. Regimentskommandeur war Colonel Albert Sidney Johnston, sein Stellvertreter Lieutenant-Colonel Robert Edward Lee. Zu den drei Majoren der Truppe gehörte auch Matt Dunhill, ein bewährter Captain der U.S.-Dragoons, dessen Versetzung zur Kavallerie mit der Beförderung zum Major verbunden worden war.

Matt Dunhill war ein schlanker und hochgewachsener Mann von 43 Jahren. Sein Haupthaar wurde allmählich ein wenig schütter. Umso dichter wirkte der Dragonerbart, der seine Oberlippe zierte und nachts sorgfältig von einer Bartbinde geschützt wurde. In den letzten Jahren wurde Matt vielleicht ein wenig eitel, doch das mochte auch daran liegen, dass er seit neun Jahren mit der nun 36-jährigen Mary-Anne verheiratet war. Ihr Sohn Mark war gerade acht Jahre alt. Das Leben hatte sich für Matt Dunhill verändert, denn er trug nun nicht mehr nur die Verantwortung für sich selbst und seine Truppe, sondern auch für seine Familie. Eine Verantwortung, der er nicht immer so gerecht werden konnte, wie er sich dies als Ehemann und Vater wünschen mochte. Die dienstlichen Verpflichtungen gingen nun einmal vor und hierzu gehörte auch, dass er und seine Familie in den vergangenen Jahren bereits dreimal in andere Stützpunkte umgezogen waren. Vieles befand sich im Umbruch, auch in der Armee, und diese nahm nur wenig Rücksicht auf die Befindlichkeiten des Einzelnen.

Mary-Anne hatte sich überraschend schnell an das Leben als Soldatenfrau gewöhnt. Sie klagte nicht, wenn ihr Captain mit seiner Kompanie ausrückte, blickte der verschwindenden Abteilung mit erzwungenem Lächeln hinterher und strahlte förmlich, wenn sie Matt gesund zurückkehren sah. Unverzagt legte sie in jedem Fort oder Camp kleine Beete für Kräuter und Gemüse an, in der Hoffnung, die Früchte ihrer Arbeit auch ernten zu können. Häufig war dies nicht der Fall, so dass sie gelegentlich scherzhaft meinte, es lohne kaum, die Kisten und Koffer auszupacken, da sicher schon der nächste Marschbefehl geschrieben sei. Doch sie klagte nicht, liebte Matt von Herzen und widmete sich der Erziehung des kleinen Mark.

Die Beförderung ihres Mannes zum Major gab ihr die Hoffnung, dass er nun nicht mehr so oft hinaus musste. Ein Major rückte nur mit großen Abteilungen aus. Patrouillen und Eskorten waren die Sache von Captains und Lieutenants. Matt würde nun mehr mit Papier, als gegen die Indianer kämpfen.

Das Abendessen war bereit. Mark saß in dem kleinen Wohnzimmer und beschäftigte sich mit einem Buch. Sein Gesicht war hoch konzentriert und seine Lippen formten gelegentlich die Worte, die er las. Er war ein guter Schüler, vielleicht auch, weil seine Mutter gelegentlich in der kleinen Schule des Forts aushalf. Hier wurden alle Kinder der Offiziere und einfachen Soldaten in einer gemeinschaftlichen Klasse unterrichtet.

Mary-Anne hatte frische Limonade zubereitet. Wasser, mit etwas Zitrone und einer Spur Zucker, um den Geschmack abzurunden. Sie füllte das Getränk in zwei leere Flaschen und trug sie auf die kleine Veranda des Hauses hinaus. Boden und Überdachung bestanden aus Holz, die stützenden Säulen hingegen aus gemauerten Steinen. Mary-Anne hatte Haken in die Querbalken schlagen lassen und dort mit Wasser gefüllte Krüge aufgehängt. Krüge, die groß genug waren, so dass sie die Flaschen mit der Limonade hinein stellen konnte. Die Verdunstung würde dafür sorgen, dass das Getränk gekühlt wurde. Matt würde sich über diese Erfrischung freuen, denn der Tag war heiß gewesen und er hatte viele Stunden in der Sonne gestanden und der Ausbildung zweier Kompanien beigewohnt. Eigentlich war er überfällig, denn es war schon seit einiger Zeit Dienstschluss. Aber wie so oft würden die Offiziere wieder zusammensitzen und die Ereignisse des Tages besprechen.

„Wo bleibt Dad?“ Mark kam auf die Veranda. „Ich habe Hunger.“

Mary-Anne strich ihm über die Haare und lächelte. „Du hast recht, wir sollten jetzt essen, sonst wird noch alles kalt. Dein Vater hat sicher wieder einmal etwas mit dem Colonel zu bereden.“

„Dad redet ziemlich oft mit dem Colonel“, stellte der Achtjährige fest.

„Ja, das tut er. Weißt du, Mark, dein Vater ist nun einmal ein sehr erfahrener Offizier und war bei den Dragoons. Die meisten Offiziere im Regiment sind neu oder kommen von anderen Waffengattungen und so hören sie sich an, was dein Dad ihnen zu erzählen hat.“

„Die Dragoner sind besser als die Kavallerie.“

„Wie kommst du denn auf diese Idee?“ Sie lachte und schob ihn durch die Tür ins Wohnzimmer.

„Ich habe gehört, wie Dad das zu einem anderen Offizier gesagt hat.“

„Er hat das aber gewiss nicht so gemeint, junger Mann. Unser Kavallerie-Regiment hat noch keinerlei Erfahrung und muss sich diese erst erwerben. Dein Dad hilft dabei, dass die zweite Kavallerie ganz bestimmt das allerbeste Regiment überhaupt wird.“

Sie aßen und Mary-Anne blickte immer wieder auf die kleine Kaminuhr. An diesem Tag wurde es wirklich sehr spät.

„Ich bleibe auf, bis Dad da ist“, meinte Mark.

„Morgen ist Schule, junger Mann. Aber du kannst im Bett noch etwas lesen. Er kommt bestimmt früh genug, um dir noch eine gute Nacht zu wünschen.“

Der Junge wusch sich, zog sein Nachthemd über und legte sich dann mit einem Buch ins Bett. Keine halbe Stunde später war er eingeschlafen. Mary-Anne gab ihm einen sanften Kuss, legte das Buch zur Seite und zog dann die Tür zu seinem Zimmer zu.

Sie hatte das Essen warm gestellt, dennoch begann es zunehmend abzukühlen. Allmählich machte sie sich nun doch Gedanken. Wenn es derartig spät wurde, dann musste etwas vorgefallen sein. Gab es Befehle für das Regiment? Sollte es zum ersten Mal ausrücken?

Sie hörte den diensthabenden Trompeter das Signal „To the Quartiers“ blasen. Das Hornsignal befahl die Soldaten in ihre Quartiere.

Nach Dienstschluss waren die Soldaten ihren jeweiligen Vergnügungen nachgegangen. Sie spielten Karten, würfelten oder suchten das Store auf, in dem auch Alkohol ausgeschenkt wurde. Alkohol war ein beständiges Problem von Offizieren und Mannschaften. In Fort Belknap war davon nicht viel zu bemerken, denn die Ausbildung hielt die Männer zu sehr auf Trab und der Fortkommandant hatte sehr strikte Auflagen für den Ausschank erlassen. Doch in den abgelegenen Forts und Camps war Mary-Anne schon manchem Mann begegnet, welcher der Trunksucht zu verfallen drohte.

Mary-Anne trat auf die Veranda hinaus und blickte zu dem Bereich hinüber, in dem sich die Kommandantur und die Quartiere der höheren Offiziere befanden. Endlich erkannte sie Matt, der rasch näher kam und sie endlich in die Armee schloss.

„Tut mir Leid, Liebes, aber der Dienst…“

„Es wird besser, wenn das Regiment in den Einsatz geht“, entgegnete sie verständnisvoll, wobei ihre Bemerkung nicht ohne Hintergedanken war.

„Das wird so rasch wohl nicht der Fall sein“, bestätigte er ihre Hoffnung. „Colonel Sibley hat angekündigt, dass das Regiment erst mit neuen Karabinern ausgerüstet werden soll.“

„Ich dachte, die Cavalry bekommt keine Karabiner.“

„Scheinbar hat man seine Meinung geändert. So gut die neuen sechsschüssigen Revolver auch sind, der Pfeil eines indianischen Kriegsbogens fliegt weiter.“ Matt sah das leichte Erschrecken in ihrem Gesicht und küsste ihre Wange.

Mary-Anne war nicht nur sehr hübsch, sondern auch gebildet und engagiert. Ihr war rasch bewusst geworden, wie sehr sich das Leben der einfachen Soldatenfamilien von dem der Offiziersfamilien unterschied. Sie versuchte deren Los zu erleichtern. Ein Soldat verdiente nicht viel und war er verheiratet, dann musste seine Frau jede Arbeit annehmen, damit man über die Runden kam. Putzarbeiten, Näharbeiten, Wäsche oder Backen für die Garnison brachten wertvolle Cents und doch langte es oft vorne und hinten nicht. Nicht selten lag dies daran, dass die Ehemänner beim Spiel verloren oder zu viel von ihrem Sold vertranken.

Mary-Anne hatte eine schmiedeeiserne Sitzgruppe mit in die Ehe gebracht. Einen kleinen Tisch, zwei Stühle und eine besondere Bank, deren kleine Kufen leichte Schaukelbewegungen erlaubten. Matt genoss es, am Abend mit seiner Frau auf der Bank zu sitzen und mit ihr über die Ereignisse des Tages zu plaudern.

„Mark schläft bereits“, berichtete sie. „Oder er tut doch zumindest so.“

„Er ist ein guter Junge.“ Matt war stolz auf den Achtjährigen und sah gerne darüber hinweg, wenn dieser doch einmal über die Stränge schlug.

Die Kinder im Fort wurden tagsüber unterrichtet, doch ab dem späten Nachmittag dachten sie sich immer wieder einen Schabernack aus. Meist waren es harmlose Späße, aber in der letzten Woche hatten sich ein paar der größeren Jungen ein paar Schläge mit dem Stock eingefangen, da sie Kletten unter die Sättel einiger Kavalleristen geschoben hatten.

„Lass uns hineingehen“, schlug sie vor. „Ich habe dein Essen warm gestellt.“

„Ich habe noch keinen Hunger“, erwiderte er verlegen.

Ihr Blick wurde skeptisch. „Dann beschäftigt dich etwas, Matt. Immer wenn du keinen Hunger hast, dann machst du dir um etwas Gedanken.“

Matt zuckte mit den Schultern und zog sie erneut etwas enger an sich. „Nun ja, das Regiment ist praktisch fertig ausgebildet und du weißt, wie dringend man es entlang der Grenze benötigt. Ich denke, dass Sibley bald Befehle für uns bekommen wird. Wahrscheinlich wird man einige der Kompanien auf die Forts verteilen.“

„Ich habe mich daran gewöhnt, dass wir wie eine Indianerhorde herumziehen“, sagte sie lächelnd. „Aber für Mark ist es schwierig. Hier hat er Freunde und wer weiß, wie es in einer anderen Garnison aussieht. Es gibt nicht überall Familien.“

„Ich weiß.“ Manchmal konnte Matt noch immer nicht fassen, mit ihr verheiratet zu sein.

Er hatte sie während einer Patrouille in Louisiana kennengelernt und sich sofort in die Tochter eines wohlhabenden Händlers verliebt. Das war kaum verwunderlich, denn die junge Frau war hübsch, intelligent und heiß begehrt. Sehr viel überraschter war Matt von der Tatsache, dass sie seinem Werben nachgegeben hatte. Ihr Vater war nicht begeistert, da Mary-Anne in eine vermögende Familie hätte einheiraten können und somit das zivilisierte Leben in einer Stadt genossen hätte. Stattdessen war sie mit Matt Dunhill vor den Altar getreten, damals noch ein einfacher Captain. Nein, Mister John Jay Jones hatte sich Besseres erhofft, doch zwei Faktoren führten zu seiner Zustimmung: Mary-Annes feststehender Entschluss und die Liebe des Vaters zu seiner Tochter. Obwohl es Matt widerstrebte, musste er allerdings akzeptieren, dass „JJJ“ seiner Tochter eine stattliche Mitgift zugestand.

„Wir werden unsere Zweisamkeit verschieben müssen“, flüsterte sie. „Da kommt Daddy Lee. Wenn er so spät am Abend zu uns kommt, dann will er sicher etwas Wichtiges mit dir bereden.“

Matt beobachtete den schlanken Offizier, der sich langsam näherte. Lieutenant-Colonel Robert Edward Lee war sicherlich ein ganz besonderer Mann. Er hatte seine Karriere im Corps of Engineers begonnen und war, für seine Leistungen im Ingenieurwesen während des amerikanisch-mexikanischen Krieges, belobigt worden. Man machte ihn zum Superintendent der Militärakademie von West Point und gab ihm endlich, im Jahr 1855, das ersehnte Feldkommando. Nun war er stellvertretender Kommandeur der 2nd U.S.-Cavalry und erwies sich als Offizier, der von Vorgesetzten und Untergebenen gleichermaßen hoch respektiert wurde. Aufgrund seiner fürsorglichen Art wurde er gelegentlich, wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand, als „Vater des Regiments“ bezeichnet.

Selbst Matt Dunhill empfand Lee gegenüber nicht nur Respekt. Lee strahlte eine Wärme und Freundlichkeit aus, die es schwer machte, ihn ihm nicht eine Vaterfigur zu sehen. Zugleich war er ein überaus fähiger Offizier, der auch unnachgiebige Härte zeigen konnte, wenn dies erforderlich wurde.

„Guten Abend, Misses Dunhill. Guten Abend, Mister Dunhill.“ Lee grüßte freundlich und zeigte jenes Lächeln, mit dem er jedermann für sich einnehmen konnte und mit dem er so manches Wortduell geschlichtet hatte. „Ich bedauere sehr, dass ich so spät noch störe, aber ich würde gerne noch ein paar Worte mit Ihrem Gemahl wechseln, Misses Dunhill.“

Mary-Anne erwiderte mit ihrem bezaubernden Lächeln. „Darf ich Ihnen etwas Limonade anbieten, Mister Lee? Ich habe sie frisch zubereitet.“

„Das wäre sehr freundlich, Misses Dunhill. Es war ein heißer Tag und die Nacht verspricht sehr schwül zu werden.“

Mary-Anne mochte Lee. Für ihn musste der Dienst besonders schwer sein. Lee war schon viele Jahre verheiratet, doch im Jahr 1850 war seine Frau an rheumatischer Arthrose erkrankt und konnte ihren Gatten daher nicht zu seinen Dienstorten begleiten. Seine Frau lebte in Arlington, Virginia, und die beiden waren einander von Herzen zugetan. Man wusste, dass es eine rege Korrespondenz zwischen den Eheleuten gab.

Mary-Anne verschwand im Haus, und Matt und Lee setzten sich auf die Veranda. Die junge Frau zog sich wieder zurück, nachdem sie die Limonade gebracht hatte. Bis dahin tauschten die beiden Offiziere Belanglosigkeiten aus, doch nun kam Lee auf das zu sprechen, was ihn offensichtlich beschäftigte.

„Wie Sie bereits gehört haben, sollen wir Karabiner für unser Regiment bekommen. Nagelneue Sharps, wie sie schon bei den Dragoons eingesetzt werden. Bei unseren hat man eine Verbesserung durchgeführt. Man muss kein einzelnes Zündhütchen mehr aufsetzen, sondern es gibt einen automatischen Zündhütchensetzer, der beim Spannen des Hahns ein Zündhütchen auf das Piston der Waffe schiebt. Das nennt sich, wenn ich mich recht erinnere, Maynard Primer. Jedenfalls stand das so in der Ankündigung der Waffenlieferung. Nun, Mister Dunhill, Sie kommen ja von den Dragoons. Haben Sie Erfahrung mit der Sharps?“

„Mit dem Karabiner? Ja, Sir. Diese Erfindung von Maynard ist mir allerdings unbekannt.“

„Hm. Immerhin gehören Sie zu den erfahrenen Offizieren im Regiment und ich würde es begrüßen, wenn Sie morgen die Waffen in Empfang nehmen und sie genauestens auf dem Schießstand prüfen. Es wäre nicht sehr erfreulich, wenn wir mit Karabinern ausrücken, die nicht für den Felddienst taugen.“

„Selbstverständlich, Sir, ich werde mich darum kümmern.“

„Sehr schön, Mister Dunhill. Nun, dann will ich Sie nicht länger von Ihrem verdienten Dienstschluss abhalten. Grüßen Sie Ihre reizende Frau nochmals von mir und danken Sie ihr in meinem Namen für die vorzügliche Limonade.“

„Das werde ich tun, Sir.“

Der Lieutenant-Colonel hatte den richtigen Zeitpunkt abgepasst. Während er sich langsam entfernte, blies der diensthabende Hornist das Signal „to extinguish lights“, welches dazu aufforderte, alle Lichter zu löschen. Natürlich mit Ausnahme jener, die für den Wachdienst erforderlich waren.

„Und? Was lag Daddy Lee auf dem Herzen?“ Mary-Anne stellte das Essen auf den Tisch.

Matt hatte eigentlich keinen Hunger, aber er aß etwas, um seine Liebste nicht zu enttäuschen. „Ich soll morgen die Waffenlieferung überprüfen.“

Sie setzte sich zu ihm und sah ihn forschend an. „Weil du die meiste Kampferfahrung hast, nicht wahr?“

„Ich bin hier nicht der Einzige mit Kampferfahrung.“

„Ich habe das Gefühl, dass ihr bald zum ersten Mal ausrücken werdet.“

Er lächelte sie an und schwieg. Er hatte die gleiche Vorahnung.

Matt Dunhill erwachte mit den Klängen der „Reveille“. Wie üblich war Mary-Anne schon auf und bereitete den Morgenkaffee zu. Das Frühstück würde Matt in der kleinen Offiziersmesse einnehmen. Als Mark aus seinem Bett stieg, war sein Vater schon fertig angekleidet. Wie üblich prüfte Mary-Anne den Sitz der Uniform. Es war noch nicht lange her, dass Matt erstmals den Rock eines Majors angezogen hatte. Als Linienoffizier zeige die lange Uniformjacke jetzt zwei Reihen Knöpfe und nicht nur die einzelne von Offizieren im Kompanie-Rang. Das neue Tschako, die Albert-Cap, gefiel ihr allerdings weniger. Es war steif, verjüngte sich ein wenig nach oben und besaß einen breiten und eckigen Mützenschild. Oben auf der Krone war vorne ein kleiner Stoffball, das sogenannte Pompom, in der gelben Farbe der Kavallerie befestigt. Mary-Anne hatte die alte weiche Mütze mit der flachen Krone adretter empfunden. Dafür schimmerten jetzt aber die Eichenblätter eines Majors auf den schmalen Schulterstreifen, die an schmale rechteckige Kästchen erinnerten.

Matt legte die rote Schärpe aus Seide zweimal um die Taille und verknotete sie an der linken Hüfte, wo die beiden schweren Quasten herunterhingen. Mary-Anne half ihm, den neuen Waffengurt umzulegen. Er war nun nicht mehr weiß, sondern aus geschwärztem Leder und wurde mit einer rechteckigen Schließe fixiert, die den amerikanischen Adler mit der Schriftrolle zeigte. Das umgebende Eichenlaub war versilbert. Das neue Koppelschloss trugen nun alle Kavalleristen, gleich welchen Ranges. Auch die Uniformknöpfe waren neu, fast halbkugelig in ihrer Form, und trugen den Adler.

„Du siehst sehr präsentabel aus“, stellte sie zufrieden fest.

„Keinesfalls so präsentabel wie du.“ Sie umarmten und küssten sich kurz, dann verließ Major Dunhill das Haus. Wenig später verkündete der „Roll Call“ den Beginn des morgendlichen Appells. Erst danach würde es Frühstück geben und jeder Soldat war froh, wenn die Tagesbefehle nach dem Appell möglichst kurz gehalten wurden.

Das Regiment trat ohne Pferde an und bot ein prachtvolles Bild, während die Unteroffiziere die Reihen ausrichteten und die Kompanieoffiziere die Vollzähligkeiten feststellten. Alle Männer trugen die Hosen in „preußischem“ Blau über den Schuhen, dazu die langen Dienstjacken, welche bis zur Mitte des Oberschenkels reichten. Bei Unteroffizieren und Mannschaften waren die, spitz nach oben verlaufenden, Manschetten in Gelb gehalten, ebenso die kurzen Stehkragen. Bei Paraden wurden gelbe Epauletten auf den Schultern befestigt. Die Albert-Caps der Soldaten zeigten ebenfalls den gelben Pompom, waren jedoch zusätzlich am Mützenrand gelb gefasst. Das schwarze Lederzeug glänzte wie die Messingknöpfe und die Säbel, die an den linken Hüften am Koppel eingehängt waren.

Die Offiziere meldeten die Vollzähligkeit der angetretenen Kompanien. Niemand fehlte, dennoch konnte man eigentlich nicht von wirklicher Vollzähligkeit sprechen, denn überall fehlten noch Mannschaften und Offiziere. Colonel Johnston hoffte, dass diese noch rechtzeitig eintrafen, bevor das Regiment in einer größeren Aktion gefordert wurde. Das Land entlang der Grenze war unruhig und eigentlich erwartete man täglich den Einsatzbefehl. Bislang beschränkten sich die Aktivitäten der 2nd U.S.-Cavalry jedoch auf Ausbildung und einen Patrouillendienst, der festen Zeiten folgte und auf die nähere Umgebung beschränkt war.

Man präsentierte die Säbel, während die Fahne zum Signal „To the Colors“ am Mast empor stieg, dann überließ Colonel Johnston es Lieutenant-Colonel Lee, die Tagesbefehle zu verlesen. Die Kompanien waren erleichtert, als sie wegtreten durften und strebten dem Frühstück entgegen.

Die Zusammensetzung des Frühstücks würde sich für Mannschaften und Offiziere kaum unterscheiden. Frisch gebackenes Brot, Rührei und Speck, Marmelade und der starke Armee-Kaffee. Sonntags oft Pfannkuchen mit Sirup. Allerdings gab es Unterschiede in der „Bewirtung“. Mannschaften und Unteroffiziere aßen in der Messe-Baracke an langen Tischen und Bänken, deren Holz weiß gestrichen war. Das Geschirr war aus Zinn und es herrschte Selbstbedienung an der Ausgabe.

Bei den Offizieren ging es vornehmer zu. Dort gab es gepolsterte Stühle. Auf den Tischen lagen weiße Leinentücher. Einige Soldaten dienten als „Messe-Steward“ und trugen auf oder schenkten Kaffee nach. Hier waren die Wände mit einigen Gemälden und Erinnerungsstücken verschönert, denn die Offiziers-Messe diente auch als Aufenthaltsraum jener Offiziere, die keinen Dienst hatten. Es gab eine gewisse Rangordnung. Die Linienoffiziere, also vom Major aufwärts, benutzten einen Tisch am Kopfende des Raumes, die Kompanieoffiziere verteilten sich an den übrigen.

Major Matt Dunhill hatte am Vorabend nicht viel gegessen und war hungrig. So langte er ordentlich zu. Gedämpftes Geraune herrschte, denn die meisten Offiziere unterhielten sich während des Frühstücks. Johnston und Lee gehörten zu jenen, die sich lieber auf das Essen konzentrierten. Matt war daher ein wenig überrascht, als sich Lee unvermittelt an ihn wandte.

„Der Waffentransport sollte im Verlauf des Vormittages eintreffen, Mister Dunhill. First-Sergeant Schmitt und Sergeant Willcox werden Sie unterstützen, ich habe allerdings auch Lieutenant Stuart hierzu abgestellt.“

„Stuart?“ Matt war kein Offizier dieses Namens im Regiment bekannt.

„James Ewell Brown Stuart, Mister Dunhill. Er hat West Point im vorigen Jahr absolviert“, erläuterte Lee. „Dreizehnter seines Jahrgangs. Hat das erste Dienstjahr bei den Mounted Rifles begonnen, aber um seine Versetzung zur Cavalry gebeten.“

„Nun, jedes Regiment ist froh, wenn es die Lücken im Offiziers-Korps oder bei den Mannschaften auffüllen kann“, meinte Matt vorsichtig.

Ein so rascher Wechsel, noch dazu zwischen den Rifles und der Cavalry, war höchst ungewöhnlich. War Stuart angeeckt? Matt hatte nun schon einige frischgebackene Lieutenants erlebt und jeder einzelne war eine eigene Herausforderung. Manche waren übermotiviert, andere eifrig, wieder andere sehr vorsichtig, da sie keine Fehler machen wollten. Die meisten waren steif und zeigten zunächst eine gewisse Arroganz, was mit der Ausbildung in West Point zusammenhing. Man hatte ihnen eingedrillt, dass sie als Offiziere das Sagen hatten und die Verantwortung trugen, und so ließen sie sich gelegentlich nur ungern auf den Rat eines erfahrenen Sergeants ein. Matt hatte Lieutenants erlebt, die ihre Männer ins Verderben führten, und andere, aus denen fähige Offiziere geworden waren.

Robert E. Lee schien Matts Befürchtungen zu ahnen. „Stuart ist letzte Nacht angekommen und ich habe mir heute Morgen seine Papiere durchgelesen. Gute Bewertungen, Mister Dunhill, auch wenn er natürlich kaum Erfahrung hat. Er wird in Captain Ackers G-Kompanie dienen. Acker ist der Einzige, der noch keinen Lieutenant hat.“ Lee ließ sich Kaffee nachschenken. „Für heute habe ich Stuart Ihnen zugeteilt.“

„Er wird mir sicher eine wertvolle Unterstützung sein, Sir“, versicherte Matt halbherzig.

Nach dem Frühstück ging es an den Arbeitsdienst. Etliche Soldaten waren für die verschiedenen Gruppen eingeteilt, denn Fort Belknap war noch längst nicht fertig. Inzwischen war die Zeit des intensiven Drills für die meisten Männer vorüber. Sie waren zu Fuß, zu Pferde und an den Waffen ausgebildet und für sie beschränkte sich der Drill auf wenige Stunden in der Woche.

Matt Dunhill wartete mit First-Sergeant Friedrich Klein, Sergeant Willcox und einem „Detail“ aus acht Privates auf die Ankunft der Waffen. Er nutzte die Zeit zu einem Plausch mit Klein. Der Deutsche hatte als Dragoner in Matts früherer Kompanie gedient und war, wie so viele andere auch, zum neuen Kavallerieregiment versetzt worden. Klein fiel der Wechsel der Waffengattung leichter, als seinem Vorgesetzten. „Was soll´s, Sir? Bei den Dragoons hatten wir einen Gaul unter dem Hintern und bei der Cav haben wir das auch. Selbst die Hornsignale sind dieselben. Wissen Sie, Sir, ich habe meinen alten Zossen ja von unserer alten Kompanie mit hergebracht. Ich schwöre Ihnen, Captain, der kennt alle Signale schon auswendig. Ich könnte beim Drill im Sattel ein Nickerchen machen und es würde keinem auffallen. Trude macht das alles alleine.“

Klein hatte Matt mit seinem früheren Rang angesprochen. Dunhill nahm ihm das nicht übel. Sie waren Seite an Seite geritten und hatten gemeinsam Blut vergossen. Das schweißte zusammen, auch wenn es Standesunterschiede gab. Klein erinnerte den Major daran, dass er es gelegentlich vermisste, mit seinen alten Dragonerkameraden hinauszureiten.

„Der Neue, Sir“, brummte Sergeant Willcox. „Stewart oder wie er heißt.“

„Stuart“, korrigierte Matt unbewusst.

Sie blickten dem neuen Second-Lieutenant entgegen, der da von der Kommandantur herüber kam. Er trug die volle Dienstuniform und sah schrecklich schneidig und, trotz seiner zweiundzwanzig Jahre, schrecklich jung aus. Sein Gesicht war glattrasiert. Stuart verzichtete sogar auf den kleinen Schnauzbart, der sich bei Kavallerieoffizieren großer Beliebtheit erfreute.

Stuart nahm vor Matt vorbildliche Haltung an, die dennoch auf seltsame Weise leger wirkte. „Major Dunhill, Sir, ich bin Lieutenant Stuart und melde mich wie befohlen zum Dienst.“

Matt erwiderte den Ehrensalut und lächelte freundlich. „Stehen Sie bequem, Mister Stuart. Colonel Lee wird Ihnen sicherlich schon eröffnet haben, dass wir auf eine Waffenlieferung warten.“

Es war ganz selbstverständlich, einen Lieutenant-Colonel als Colonel zu titulieren.

Stuart entspannte sich. „Die neuen Waffen, ja. Sharps-Karabiner, wie ich hörte. Sollen gute Waffen sein, auch wenn ich finde, dass man als Reiter den blanken Stahl bevorzugen sollte.“

Matt Dunhill lächelte. „Haben Sie das auf der Militärakademie gelernt?“

Stuart lachte. „Wenn Sie erlauben, Sir… Haben Sie schon einmal beobachtet, wie sich eine Gruppe Freunde verhält, wenn einer von ihnen seinen Revolver zieht?“

„Ich wüsste nicht, warum man seinen Revolver ziehen sollte, wenn man von Freunden umgeben ist.“

„Nun, Sir, ich habe das einmal beobachtet, wie einer meiner Offizierskameraden seinen Verwandten seine Waffen zeigte. Als er den Colt zog, kamen alle Männer näher, weil sie neugierig waren, um was für eine Waffe es sich handelte. Als mein Kamerad den Säbel blank zog, wichen alle zurück. Eine knapp ein Meter lange Klinge ist verdammt beeindruckend, Sir.“

„Das ist sie ganz gewiss“, stimmte Matt zu. „Allerdings muss man dem Gegner auch nahe genug kommen, um sie einsetzen zu können. Ich denke, Mister Stuart, die Bedeutung der Blankwaffe wird abnehmen. Die Zukunft gehört wohl den Schusswaffen.“

Stuart zuckte mit den Schultern. „Nur ein Teil der Zukunft, Sir, denn Schusswaffen muss man nachladen und im Melee fehlt dazu die Zeit. Da ist Klingenarbeit gefragt.“

Melee… Matt Dunhill hatte schon einige Male im Nahkampf gefochten und manchen guten Kameraden bei solchen Begegnungen verloren.

„Nun, Mister Stuart, ich kann Ihnen versichern, wir waren bei den Dragoons verdammt froh, als wir die neuen Coltrevolver bekamen.“

Stuart schien etwas entgegnen zu wollen, doch da meldete sich Sergeant Willcox. „Major, da ist Bewegung am Tor. Ich glaube, die Fracht ist endlich eingetroffen.“

Sie blickten in Richtung des Tores. Von dort näherten sich drei Gespanne, die von einer Gruppe Dragoner eskortiert wurden. Es waren hochbordige und plumpe Frachtwagen, wie sie überall im Land für den Transport von Waren genutzt wurden.

„Keine Armeefahrzeuge, Sir“, kommentierte First-Sergeant Klein. „Die kommen nicht vom Arsenal, sondern wohl direkt vom Hersteller.“

„Das wäre ungewöhnlich.“ Matt Dunhill war alarmiert.

Ein Lieutenant der Dragoons führte die Eskorte und der Anblick der orangen Waffenfarbe an den Uniformen rief etwas Wehmut in Major Dunhill hervor. Der Offizier war offensichtlich von der Torwache instruiert worden, denn der kleine Wagenzug näherte sich rasch der Stelle, an der Dunhills Gruppe wartete.

„Lieutenant Galler, Company D, 2nd Dragoons“, stellte er sich vor. „Sie sind Major Dunhill, Sir? Wir haben eine Lieferung vom Benicia Arsenal für Sie. Hundertzwanzig nagelneue Sharps-Karabiner, Sir.“

Dunhill war beruhigt, dass der Transport doch aus einem der Arsenale kam. Hersteller von Waffen und Militärausrüstung lieferten diese an eines der U.S.-Arsenale, wo sie strengstens von Inspekteuren des Ordnance Department überprüft wurden, bevor sie mit dem Abnahmestempel oder Beschlagzeichen eines „Armory Inspector“ oder „Armory Sub-Inspector“ für den Truppendienst freigegeben wurden. Die Anforderungen waren dort normalerweise sehr hoch. Der Säbel eines Dragoons wurde zum Beispiel mit der Spitze in einen Schlitz im Boden gesteckt, der rund zehn Zentimeter der Klinge aufnahm. Dann wurde der Säbel zu beiden Seiten gebogen, bis sein Korb parallel zum Boden stand. Brach die Klinge oder verformte sie sich, galt die Waffe als Ausschuss. Die Karabiner, die nun für die 2nd U.S.-Cavalry geliefert wurden, waren offensichtlich ebenfalls durch die Qualitätsprüfungen eines Arsenals gegangen. Was Dunhill hingegen erschreckte, war die genannte Zahl von nur hundertzwanzig Karabinern.

„Wann kommt der Rest, Lieutenant?“, fragte Matt und musterte die drei Frachtwagen. Drei Wagen. Viel zu wenige, um ein Regiment auszurüsten. „Wir haben hier rund siebenhundert Kavalleristen, die auf ihre neuen Waffen warten.“

„Von einer Teillieferung ist mir nichts bekannt, Sir“, gab der Lieutenant unumwunden zu. „Darf ich eine Anmerkung machen, Sir?“

„Immer raus damit.“

„Wir Dragoons haben alle einen neuen Karabiner bekommen. Als Ersatz für die alten Musketoons, Sir. Damals war ein Inspekteur des Ordnance Department bei uns im Camp und der erwähnte, die Cavalry werde nur zwölf Karabiner pro Kompanie erhalten.“

„Zwölf? Für eine Kompanie von fünfundsiebzig Mann?“

„Der Inspekteur sagte, glaube ich, dass die Cav die Karabiner nur für den Wachdienst bekommt. Kavalleristen hätten Revolver und Säbel, um zu kämpfen. So hätte es der Kongress bei der Aufstellung der beiden Kavallerieregimenter beschlossen.“

Matt sah den jungen Offizier finster an, zwang sich dann aber zu einem Lächeln. Der Lieutenant war lediglich der Bote und nicht der Verursacher der Botschaft. „Also schön, Mister Galler, lassen Sie die Wagen dort vor das Depot fahren. Sie, Ihre Eskorte und die Fahrer können sich in der Messe stärken, während wir die Wagen abladen.“

„Das nehmen wir dankend an.“ Galler zögerte kurz. „Wenn Sie kurz warten… Auf dem hinteren Wagen ist ein Mitarbeiter der Firma Sharps mitgefahren. Der kann Sie in die Waffen einweisen.“

Matt verzichtete darauf, den Offizier zu rügen, da er diese wichtige Information erst jetzt gab. Galler war müde und konnte kaum die Augen offen halten. Daher verzichtete der Major auch darauf, den Dragonern zu befehlen, beim Entladen der Wagen zu helfen. Er hatte genügend helfende Hände und man sah den Dragonern und Fahrern an, dass sie einen mühseligen Weg hinter sich hatten.

Tatsächlich stieg ein hagerer Mann im Straßenanzug vom hinteren Wagen. Er trug einen kleinen Koffer und reckte sich ausgiebig, bevor er heran kam. „Piles. Jeremiah Piles“, stellte er sich vor. „Ich bin Mitarbeiter bei Robbins & Lawrence, Sir. Wir stellen die Sharps für die Army her.“

„Sehr erfreut, Mister Piles.“ Matt deutete zur Messe. „Sie können sich ruhig erst erfrischen. Es wird ein Weilchen dauern, bis wir alles abgeladne haben. Kommen Sie dann zum Depot.“

Drei Stunden später waren die Kisten geöffnet und Matt Dunhill und seine Männer nahmen die Karabiner heraus. Es waren schöne Waffen, die sich deutlich von den Karabinern und Musketoons unterschieden, mit denen Matt bislang zu tun gehabt hatte. Das dunkle Holz schimmerte seidig und die Läufe glänzten schwarz. Der Systemkasten war gebläut. Neben dem geschwungenen außen liegenden Hahn gab es eine kleine Klappe, die Lieutenant Stuart ebenfalls unbekannt war.

Jeremiah Piles erklärte die Funktion. „Das ist das modifizierte Modell 1852. Wir haben es noch ein wenig verbessert. Es wird mit Papierpatronen im Kaliber 0.52 geladen. Die Pulverladung beträgt volle 50 Grains. Damit können Sie bis zu 910 Meter weit schießen, Gentlemen. Treffsicher ist die Sharps auf rund 460 Meter. Das ist bedeutend besser, als Ihre alten Karabiner. Wir sind uns sicher, diese Leistung noch etwas erhöhen zu können. Wie Sie sehen, hat die Waffe einen Fallblock-Verschluss.“

Piles betätigte den geschwungenen Hebel, der sich unter dem Abzug entlang zog. Ein kantiger Block, mit Aussparung für die Rundung der Papierpatrone, glitt nach unten und gab die Ladekammer frei. Man konnte die Züge des Laufes sehen. „Sie nehmen eine der Patronen und führen sie in die Kammer ein. Dann legen Sie den Unterhebel wieder an den Schaft und der Block kommt nach oben. Vorne sehen sie die scharfe Schneide des Blocks. Damit wird das Ende der Papierpatrone abgeschnitten. Hier, unter dem Schaft, arretiert der Unterhebel in einer kleinen gefederten Zwinge, so dass sich der Block nicht versehentlich öffnen kann.“

Piles betätigte den Verschluss mehrfach. „Sie können mit unserer Sharps bis zu 10 Schuss in der Minute abgeben.“

Matt und die anderen waren beeindruckt. Mit den bisherigen Waffen waren allenfalls drei Schüsse in der Minute möglich, wenn man sehr geübt war, und die Reichweite lag weiter unter jener der Sharps.

„Äh, wenn Sie die Kammer geschlossen haben, pusten Sie kurz über den Block. Durch das Abschneiden der Patrone können noch Pulverpartikel in der Kehlung liegen. Es wäre wenig erfreulich, wenn diese beim Abfeuern reagieren.“

First-Sergeant Klein spannte mehrmals den Hahn. „Die Federspannung ist gut. Aber was hat es mit der Klappe auf sich, die Lieutenant Stuart da entdeckt hat?“

„Darauf sind wir besonders stolz“, versicherte Piles. „Das ist der Maynard Tape Primer.“ Er öffnete die kleine Klappe vor dem Hahn. „Hier legen Sie ein Zündband ein. Beim Spannen des Hahns wird automatisch ein Zündplättchen über das Piston gelegt. Drückt man ab, zündet der Hahn das Plättchen und trennt es vom Band ab. Hahn wieder spannen und schon legt sich das nächste Plättchen auf das Piston. (Anmerkung: Wer noch die alten Zündplättchen-Pistolen kennt, der weiß, wie das funktioniert.) Mit dieser Erfindung sparen Sie sich das Aufsetzen der üblichen Zündhütchen und deswegen können Sie auch sehr schnell feuern.“

Sergeant Willcox nahm eines der aufgerollten Zündhütchenbänder heraus. „Papier?“

Piles lächelte. „Keine Sorge, Sergeant, es ist wasserfest imprägniert.“

Matt betrachtete die Abnahmestempel des Ordnance Department. „Ich bin wirklich gespannt.“

Jeremiah Piles nahm eine Pappschachtel mit Munition. „Sie haben hier doch sicherlich einen Schießstand, nicht wahr? Gentlemen, Sie sind alle herzlich eingeladen.“

Pferdesoldaten 03 - Der Pfad der Comanchen

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