Читать книгу Pferdesoldaten 03 - Der Pfad der Comanchen - Michael Schenk - Страница 6
Kapitel 4 Grand Forks
ОглавлениеGrand Forks lag an der Einmündung des Flusses South Fork in den Red River. Die Siedlung war vor fünfzehn Jahren gegründet worden und der Fleiß ihrer Bewohner sorgte dafür, dass sie allmählich wuchs. Die Gegend bot gute Voraussetzungen. William Gordon, der Gründer des kleinen Ortes, hatte den Standort mit Bedacht gewählt. Es gab reichlich Trinkwasser und in den Flüssen Fisch, vor allem jedoch ließ sich die Wasserkraft für den Betrieb einer kleinen Getreidemühle und eines Sägewerkes nutzen. Gordon nutzte die Kenntnisse einer Reihe von Deutschen und Iren, die einst zu seinem Treck gestoßen waren und einen wirklichen Zugewinn für die Gemeinschaft bedeuteten.
Hier gab es reichlich Holz und saftige Weiden, auf denen die Pferde und Rinder gediehen. Die Gemeinde konnte sich selbst versorgen und erwirtschaftete sogar einen bescheidenen Überschuss, mit dem der nun 63-jährige William Gordon Handel trieb.
Grand Forks bestand aus über siebzig Häusern mit fast einhundert Familien. Man konnte an ihnen genau verfolgen, wie sich der Ort entwickelt hatte. Die älteren Gebäude waren massive Blockhäuser, die neueren, dank des Sägewerks, aus zugeschnittenen Brettern gefertigt. Bei Letzteren gab es auch hölzerne Vorbauten mit Überdachung. Inzwischen war eine kleine Kirche entstanden, der ganze Stolz von Father John Peabody und es gab eine Townhall, welche die Bezeichnung Stadthalle allerdings kaum verdiente. Der zweigeschossige Bau wurde als Bürgermeisterei, Versammlungsraum und Schule genutzt. Bürgermeister William Gordon, der „Town Mayor“, war meist jedoch im General Store der Familie Kleinschmitt zu finden, von dem aus er seinen Handel betrieb. Inzwischen war eine richtige Schule in Bau. Man plante auch die Errichtung einer kleinen Feuerwache. Seit dem Waldbrand vor drei Jahren, der Grand Forks glücklicherweise verschonte, sparte man das Geld zusammen, um eine der modernen Löschspritzen zu erwerben.
Man lebte am Rand des Comanchengebietes und in der angespannten Lage der letzten Jahre war dies kein geringes Risiko. Der nächste größere Armee-Stützpunkt war Fort Belknap und dieses lag fast hundert Meilen entfernt im Südosten. William Gordon achtete daher sehr streng darauf, dass man den Indianern mit Respekt und Fairnis begegnete.
Bislang gelang es, den Frieden aufrecht zu erhalten. Immer wieder kamen einzelne Krieger oder kleine Gruppen nach Grand Forks und trieben dort Handel. Sie brachten Felle, Pelze und auch indianische Stickereien in den General Store der Familie Kleinschmitt. Diese riefen stets den alten Gordon, der den Wert der Sachen einschätzte und den Indianern, im Gegensatz zu vielen anderen Händlern, einen fairen Preis machte. Gordon verkaufte oder tauschte Glasperlen, Mehl, Zucker und Kaffee, Tabak, Munition und auch Gewehre. Es waren überwiegend ältere Waffen aus dem amerikanisch-mexikanischen Krieg, aber hin und wieder war auch eine moderne dabei. Gute Messer aus erstklassigem Stahl waren bei den Comanchen sehr beliebt. Gordon wusste, dass ein solches Messer für die Indianer ein wichtiges Hilfsmittel darstellte.
Es gab Indianer, die nach Feuerwasser verlangten, doch hier war eine Grenze, die Gordon nicht überschritt. Nicht alleine, weil man wusste, dass die Indianer keinen Alkohol vertrugen und dann leicht aggressiv werden konnten, sondern weil Grand Forks tatsächlich eine Gemeinde von Abstinenzlern war. Gordon und Peabody waren tief religiös und erachteten Alkohol als Sünde. Eine große Enttäuschung für jene Reisenden, die hier Rast machten und auf ihren üblichen Whiskey hofften.
Einen halben Tagesritt entfernt lag die nächste Gemeinde. Ruckerford war einige Jahre jünger, begann Grand Forks jedoch allmählich, hinsichtlich der Einwohnerzahl und Ausdehnung, zu übertreffen. Größtenteils war dies dem Umstand zu verdanken, dass die jüngere Siedlung direkt an der Überlandlinie der Postkutsche lag, die dem alten Santa Fe Trail folgte. In Ruckerford pausierten gelegentlich Frachtzüge und Siedlertrecks. Aus diesem Grund gab es auch eine Poststation, ein Telegrafenbüro und sogar einen Sheriff.
Der Kontakt zwischen beiden Gemeinden war freundschaftlich. Man war Nachbar und teilte die Gefahr des Indianergebietes. Die guten Kontakte zwischen Grand Forks und den Comanchen waren bekannt. Gelegentlich suchte Sheriff Curtland den Rat von Town Mayor Gordon, wenn er befürchtete, dass Indianer in einen Vorfall verwickelt waren.
An diesem Tag ritt Sheriff Samuel Curtland mit einem seiner Deputies nach Grand Forks. Curtland war groß und hager, und obwohl er erst in den mittleren Jahren war, wirkte sein Gesicht von Wind und Wetter gegerbt. Er hatte sein Leben als Cowboy im Sattel verbracht, doch nach einem schweren Sturz, bei dem er sich einen Arm brach, konnte er das Lasso nicht mehr richtig schwingen. Man wählte ihn eher zufällig zum Sheriff von Ruckerford und es zeigte sich, dass dies zu beiderseitigem Vorteil war. Curtland war kein heißblütiger Mann. Er verstand es zu vermitteln und sich durchzusetzen.
Die beiden Gesetzeshüter folgten der bescheidenen Hauptstraße von Grand Forks. Aus der Townhall konnten sie die Stimmen von Kindern hören, die gerade dabei waren, ein Gedicht auswendig zu lernen. In der Stadt waren nur wenige Männer zu sehen. Die meisten gingen der täglichen Arbeit auf den Feldern, den Weiden oder beim Holzeinschlag nach.
Curtland trabte zum General Store, wo er absaß und die Zügel des Pferdes um den Holm legte. Sein Begleiter blieb bei den Tieren, während Curtland die zwei Stufen des Vorbaus hinauf ging und dann den Laden betrat.
Wie die Bezeichnung General Store schon besagte, gab es hier fast alles, was man zum Leben im Westen benötigte. Lebensmittel, Kleidung, Stoffe, Haushaltsgerät, Werkzeuge und sogar drei Gläser mit Süßigkeiten. Bonbons, Zuckerstangen und Lakritze stellten eine stete Versuchung für die älteren und jüngeren Kunden dar. Was man im Store der Familie Kleinschmitt nicht fand, konnte man aus einem der Versandhauskataloge bestellen.
„Guten Morgen, Sheriff Curtland“, grüßte die 13-jährige Juliane artig und machte einen Knicks. „Wollen Sie zu meinem Pa oder zu Mayor Gordon?“
„Morgen, Kleines.“ Curtland reckte sich. „Es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn ich mit beiden reden könnte.“
„Warten Sie, Sheriff, ich hole sie. Sie sind hinten im Lager.“
Curtland folgte dem Mädchen mit den Blicken und lächelte. Die langen blonden Zöpfe waren mit dunkelblauen Schleifen gebunden. Die kleine Juliane war adrett wie immer. Aber die Deutschen schienen ohnehin einen eigenen Hang zu Sauberkeit und Ordnung zu haben. Selbst der Spucknapf am Verkaufstresen war blitzsauber und auf Hochglanz poliert.
Curtlands Blick fiel auf eine Reihe Konservendosen, die in einem der Regale standen. Dosenpfirsiche aus Virginia? Die gab es nicht einmal in Ruckerford. Wie war der alte Fuchs Kleinschmitt an die Dosen gekommen?
Hinter dem Tresen war ein Waffenständer. Alte und neue Musketen und Gewehre. Eines davon war eine Volcanic. Ein Unterhebelrepetierer mit fünfundzwanzig Schuss. Die extreme Feuergeschwindigkeit hatte der Waffe zu ihrem Namen verholfen. Die ersten Patente hatte ihr Erfinder schon 1848 angemeldet und die Waffe weiter verbessert. In der Feuerrate kam ihr keine andere Waffe nahe, dennoch würde kein erfahrener Westmann sie erwerben. Bei ihr gab es keine Papierpatrone. Die Treibladung war in die Aushöhlung des Geschosses integriert und dementsprechend schwach. Auf wenige Meter Entfernung war sie schon nicht mehr in der Lage, eine Holzbohle zu durchschlagen. Eine gute Waffe, wenn es galt, Indianer zu erschrecken, und ein erbärmliches Mittel, wenn es galt, den Feind auch zu töten. Gordon würde wohl auf einen unerfahrenen Neusiedler oder Reisenden hoffen, dem er das Ding andrehen konnte.
„Ah, Sie bewundern mein bestes Stück, Sheriff Curtland?“
Curtland wandte sich zur Seite und sah William Gordon und Albert Kleinschmitt, die durch die offene Tür des Lagerraumes eintraten. Gordon hielt Stift und Buch in Händen, die er nun auf den Tresen legte, um dem Besucher die Hand zu reichen. Der Bürgermeister und Händler trug einen grauen Anzug mit Weste, die sich ein wenig über dem Bauchansatz spannte.
„Die Volcanic?“ Curtland grinste. „Da kann ich ja gleich mit einem Stock um mich schlagen. Ich verlasse mich lieber auf meinen alten Colt Paterson und meinen Hawken-Vorderlader.“
„Eine gute Jagdwaffe“, räumte Gordon ein, „aber längst überholt. Sie sollten sich einen der modernen Hinterlader für Papierpatronen besorgen. Ich hätte da…“
„Nichts für ungut, Mister Gordon, aber es kommt nicht darauf an, schnell zu schießen, sondern darauf, gut zu treffen.“
„Gelegentlich auf beides, Sheriff, gelegentlich auf beides.“
Der deutschstämmige Ladenbesitzer stellte drei Gläser auf den Tresen und schenkte aus einer Flasche mit tiefbraunem Inhalt ein. Kleinschmitt war jetzt fünfundvierzig Jahre alt und man sah ihm an, dass er einst als Schmied gearbeitet hatte. „Wir sollten jetzt erst einmal anstoßen, Gentlemen.“
Curtland blieb nichts anderes übrig, wollte er nicht unhöflich sein. Dieser verdammte Kräutersaft mochte ja ausgesprochen gesund sein, doch er enthielt kein Quäntchen Alkohol. Der Sheriff leerte das Glas mit einem Zug, um es hinter sich zu haben, doch zu seinem Bedauern schenkte Winter sofort nach.
„Was führt Sie zu uns, Sheriff?“, kam Gordon nun zur Sache.
„Ein Rindvieh.“ Curtland bemerkte das Erstaunen der beiden. „Ein totes Rindvieh.“
„Das sicher nicht einfach tot umgefallen ist“, brummte Kleinschmitt, „sonst hätten Sie sich nicht den weiten Weg gemacht.“
Curtland nickte und schlug den Schoß seiner Jacke zurück. Das hoch sitzende Halfter des Paterson wurde sichtbar. Der Sheriff zog zwei Gegenstände aus der Innentasche hervor und warf sie auf den Tresen. „Das haben wir bei dem toten Rind gefunden.“
Es handelte sich um eine Pfeilspitze und ein mit Glasperlen besticktes Band.
Gordon runzelte die Stirn. „Haben Sie auch den Schaft des Pfeils dabei?“
„Äh, nein. Spielt das eine Rolle?“
„Ganz gewiss.“ Der Bürgermeister von Ruckerford nahm die Pfeilspitze in die Hand und begutachtete sie ausgiebig. „Sehen Sie, Sheriff, bei einem Jagdpfeil steht die Spitze senkrecht zur Befiederung, bei einem Kriegspfeil waagrecht. Hängt mit der Anordnung der Rippen bei Tier oder Mensch zusammen.“
„Damit der Pfeil leichter zwischen die Rippen dringt“, assistierte Winter.
„Danke, das habe ich mir schon gedacht“, knurrte Curtland. „Können Sie mir wenigstens sagen, von wem der Pfeil stammt?“
„Ich kann Ihnen sagen, von wem die Stickereien stammen.“ Gordon legte die Pfeilspitze ab und ließ das Band durch die Finger gleiten. „Das ist das Schmuckband einer Comanchenfrau. Südliche Stämme, da bin ich mir sicher.“
„Einer Frau? Kein Krieger?“
„Einer Squaw, Sheriff, ganz gewiss.“ Gordon ließ das Band sinken und sah Curtland forschend an. „Jetzt lassen Sie mich einmal raten… Man hat das tote Rind gefunden und jetzt vermuten alle, dass die Comanchen dahinter stecken, nicht wahr?“
„Sie sagten ja gerade selbst…“
„Ich sagte, dass es das Band einer Squaw ist, Sheriff. Nehmen Sie Ihre Frau mit auf die Jagd? Ich jedenfalls nicht und die Indianer tun das ebenfalls nicht. Es sei denn, sie sind mit einer großen Gruppe auf Büffeljagd. Dann haben sie gelegentlich ihre Squaws dabei, damit diese die erlegten Tiere schnell zerlegen. Sie sollten einmal sehen, wie geschickt eine Comanchin mit ihrem Feuerstein-Messer umgehen kann. Sehen Sie sich das Band einmal genauer an.“
„Habe ich, verdammt.“
„Dann haben Sie auch gesehen, dass es nicht versehentlich abgerissen und heruntergefallen ist. Es wurde ganz normal geöffnet. Was mir beweist, dass man es absichtlich zurückgelassen hat.“
„Und aus welchem Grund?“
„Verdammt, Curtland, Sie sind doch sonst nicht begriffsstutzig. Jemand will, dass die Leute in Ruckerford sauer auf die Comanchen sind.“ Gordon prüfte die Stickereien nochmals. „Genauer gesagt, auf den Stamm vom alten Ketumsee. Ich kenne diese Arbeiten recht genau. Gelegentlich werden sie uns hier angeboten, wenn Leute vom Stamm Ketumsees hier vorbei kommen.“
„Dann stecken also keine Indianer hinter dem toten Rind?“
„Das habe ich nicht gesagt.“ Gordon kratzte sich im Nacken. „Es gibt ja auch andere Stämme, auch wenn die sich selten in diese Gegend verirren. Da gibt es ziemliche Rivalitäten.“
Mister Kleinschmitt nickte. „Habe ich selbst erlebt, Sheriff. Hier trafen einmal zufällig zwei Gruppen verschiedener Stämme aufeinander, und ich schwöre Ihnen, Sheriff, die mochten sich überhaupt nicht. Das waren damals Leute von Ketumsee und Osagen.“
„Dann gibt es natürlich auch Weiße, denen nicht am Frieden gelegen ist“, fügte Gordon hinzu. „Weiße, denen jeder Vorwand recht ist, um wieder Indianerunruhen anzufachen. Auch das gilt es zu bedenken, Sheriff.“
Curtland seufzte. „Dann könnte jemand also ganz gezielt falsche Spuren gelegt haben, um uns auf Ketumsee zu hetzen?“
„Ich kenne den alten Ketumsee, Sheriff. Der würde nie zulassen, das seine Leute ein Unrecht begehen.“
„Verdammt. Und was soll ich nun meinen Leuten sagen?“
„Das, was ich auch Ihnen gesagt habe“, brummte Gordon.
Curtland seufzte erneut. „Jedenfalls wird es angebracht sein, die Augen offen zu halten.“
„Das ist niemals verkehrt“, stimmte Gordon zu.
„Hallo, Mister Curtland.“ Agnes Kleinschmitt kam in den Laden und der Sheriff lüftete höflich seinen Hut. „Ich bin schon Ihrem netten Deputy begegnet. Sie bleiben doch zum Essen, nicht wahr? Sie können doch nicht mit leerem Magen zurückreiten.“
Curtland und sein Begleiter nahmen das Angebot dankend an.
Am frühen Nachmittag machten sie sich auf den Rückweg. Sie würden gegen Abend in Ruckerford eintreffen. Sie ritten gerade über einen bewaldeten Hügel, als sie hinter sich das Geräusch von Schüssen hörten.
„Verdammt.“ Sie zügelten die Pferde und sahen in Richtung von Grand Forks.
Sie hatten einen guten Überblick über das Tal, in dem die Siedlung lag.
„Oh, du Allmächtiger“, ächzte der Deputy. „Indianer.“
Es mochten zweihundert oder auch dreihundert berittene Indianer sein, die wie eine Welle durch das Tal fluteten und zweifelsohne Grand Forks zum Ziel hatten. Die Glocke der kleinen Kirche begann zu läuten.
„Wir müssen ihnen helfen.“ Der Deputy zog das Gewehr aus dem Scabbard am Sattel.
„Das müssen wir“, stimmte Curtland zu und legte die Hand an den Zügel des Begleiters. „Aber es hat keinen Zweck, jetzt dort hinunter zu reiten und sich abschlachten zu lassen. Wir müssen nach Ruckerford und Hilfe holen.“
Sie wandten die Pferde. Für eine kurze Weile hörten sie Schüsse und Geschrei und sie trieben ihre Pferde an, als sei der Teufel persönlich hinter ihnen her.