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Kapitel 3 Ein perfekter Plan
ОглавлениеZentrale der Sillara-Gerrun
Die Zentrale der Sillara-Gerrun lag vorne im Äquator der Bugkugel. Ihr Raum war großzügig bemessen und folgte mit seiner leichten Krümmung jener der Außenwand der 400-Meter-Kugel. Von außen gesehen wirkte die Hülle eines Hantelschiffs nahezu nahtlos und schimmerte in seidigem Grün. Nur die mächtigen Triebwerksöffnungen an Bug und Heck sowie die entlang des Mittelteils verlaufenden Verbindungsgänge hoben sich davon ab. Man konnte keine Sichtluken oder sonstigen Öffnungen erkennen, obwohl es diese natürlich gab. So bestand die Außenwand der Zentrale aus einer einzigen riesigen Panoramascheibe, die allerdings nur von innen transparent war.
Desara-dal-Kellon, Primär-Kommandantin der Streitkräfte der verborgenen Welt, war nochmals an Bord der Sillara-Gerrun gekommen, um sich vom erfolgreichen Abschluss der Vorbereitungen zu überzeugen. Während sie auf die Meldung der Verantwortlichen wartete, legte sie die Hände auf dem Rücken ineinander und genoss den großzügigen Ausblick in den Weltraum, der sich vor ihr ausbreitete.
Desara war, selbst für menschliche Begriffe, eine sehr attraktive Frau, wenn man einmal darüber hinweg sah, dass sie, wie alle Negaruyen, an Stelle einer Nase zwei schmale senkrechte Atemschlitze besaß und ihre hellblauen Augen silberne Pupillen aufwiesen. Ihre Attraktivität und ihr hoher Rang machten es ihr leicht, sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtspartner zu finden, die sich stets erhofften, mit der Gunst der Befehlshaberin in der Hierarchie der verborgenen Welt aufzusteigen. Desara genoss solche Intimität durchaus, band sich jedoch niemals in einer festen Beziehung, denn ihre Liebe galt ausschließlich der Flotte und ihrer Heimatwelt. So wirkte sie auf ihre Untergebenen oftmals kalt und unnahbar, obgleich sie durchaus leidenschaftlich sein konnte. Vor allem im Bezug auf jene, welche eine Gefahr für die verborgene Welt darstellten. Sie hasste die insektoiden Norsun und sie war entschlossen, auch die Menschen mit all ihrer Kraft zu bekämpfen. Ein Bund dieser beiden Völker konnte den Jahrhunderte alten Krieg zwischen den Insektoiden und den Negaruyen endgültig zu Gunsten der Norsun entscheiden. Desara wusste nur zu gut, dass dies die Auslöschung ihres Volks bedeuten würde.
Seit Jahren beobachteten die Negaruyen die Ausbreitung der Menschheit im Weltraum und die Ähnlichkeit zwischen ihren Rassen hatte es ermöglicht, einige wagemutige Negaruyen genetisch so zu manipulieren, dass sie unter Menschen nicht auffielen. Diese Patrioten, von den Negaruyen als Infiltratoren bezeichnet, vermittelten ihnen regelmäßig wertvolle Erkenntnisse über die Kultur und Technik des Feindes. Für Desara gab es keinen Zweifel daran, dass die Sky-Navy und Sky-Cavalry des menschlichen Direktorats zu den gefährlichsten Gegnern gehörten, denen sie sich bisher gegenübergesehen hatten. Es lag an der großen, auch charakterlichen Ähnlichkeit, die Negaruyen und Menschen verband. Eine sehr ähnliche Denkweise, Schläue und Entschlossenheit, wie die Primär-Kommandantin es immer wieder empfand.
Zudem waren die Waffen der Menschen überaus effektiv. Seit Hunderten von Jahren entwickelten die Norsun und die verborgene Welt immer wirkungsvollere Energiewaffen und so waren Schutzfelder und Hüllenpanzerung der Schiffe darauf ausgerichtet, diese Gefahren abzuhalten. Die Menschen verwendeten jedoch Projektilwaffen, deren Geschosse jede Panzerung zertrümmerten. Einst hatte auch die verborgene Welt über solche Waffen verfügt und sich dagegen zu schützen vermocht, doch nun musste man dies erst wieder erlernen. Inzwischen rüstete man die Flotte mit Schnellfeuerkanonen und Sprengprojektilen aus, doch all dies verschlang Zeit und es verschlang Ressourcen. Ressourcen bot der Weltraum im Übermaß, doch das galt nicht für Zeit und diese spielte gegen die verborgene Welt. Während die Eier legenden Norsun ihre Truppen und Schiffsneubauten in atemberaubendem Tempo vermehren konnten, geriet die verborgene Welt immer mehr ins Hintertreffen.
Desara-dal-Kellon war fest entschlossen, ihrer Welt die erforderliche Zeit zu verschaffen, um gegen den Feind bestehen zu können.
Schon mehrfach hatte sie es versucht. Sie hatte ein Menschenschiff erobert und mit diesem Welten der Norsun angegriffen, um so Feindschaft zwischen den beiden Völkern zu säen. Der so vielversprechende Plan war misslungen. Ebenso der Versuch, eine der wichtigsten Raumbasen der Menschen zu vernichten. Doch das hatte sich immerhin nicht als absoluter Fehlschlag herausgestellt. Man hatte wertvolle Daten und Dutzende Leichen von Menschen erbeutet. Letztere waren von besonderer Bedeutung für eben jenen Plan, der nun umgesetzt werden sollte, um Menschen und Norsun endlich in Feindschaft zu trennen.
Nachdenklich blickte die Primär-Kommandantin hinaus. Das Hantelschiff wurde von zwei Schiffen ihrer Flotte begleitet. Beide besaßen die typische Walzenform der Negaruyen und ihre Rümpfe schimmerten im gewohnten kräftigen Blau. Dort allerdings endete ihre Ähnlichkeit und beide Schiffe hätten kaum unterschiedlicher sein können.
Desara-dal-Kellon hatte sich das mächtige Schlachtschiff Korondaar als Flaggschiff erwählt. Es war siebenhundertdreiundzwanzig Meter lang und durchmaß an der schmalsten Stelle immerhin einhundertundvier Meter. Gemessen an einem 1200-Meter-Schlachtschiff der Norsun, das demgegenüber eine Gesamtlänge von dreitausendsechshundert Meter vorwies, erschien die Korondaar wohl eher als Zwerg, dennoch konnte sie es an Kampfkraft mit mindestens zwei feindlichen Schiffen gleichzeitig aufnehmen. Vor allem seitdem man den neuen Zersetzer entwickelt hatte. Seine Projektile bestanden aus Sporen, die sich an die Hülle der Norsun-Schiffe legten, alle Metalle zersetzten und sich dabei noch rasend schnell vermehrten. Bislang hatte der Feind noch keine Möglichkeit der Abwehr gefunden und befallene Schiffe wurden auf einer hierfür ausgesuchten Welt zurückgelassen. Sofern sie überhaupt noch in der Lage waren, diese zu erreichen.
Desaras zweites Schiff, die Sirandaar, maß nur einhundertdreiundsiebzig Meter in der Länge und wies einen maximalen Durchmesser von fünfundzwanzig Metern auf. Sie gehörte zu den leichten Kreuzern und war als Schleichschiff eine Besonderheit. Sie konnte sich optisch tarnen und ihre Strahlungen abschirmen, so dass sie für einen Gegner praktisch unsichtbar wurde. Allerdings konnten die Triebwerke, auf kürzere Entfernung zu einem Gegner, nicht entsprechend getarnt werden, so dass eine Schleichfahrt nur mit abgeschalteten Antrieben möglich war. War der Feind hingegen einige Millionen Kilometer entfernt, blieb die volle Manövrierfähigkeit erhalten. Dies war ein wesentlicher Faktor für das Gelingen von Desara-dal-Kellons neuem Plan.
Das Licht in der Zentrale der Sillara-Gerrun war gedämpft. Die wichtigsten Arbeitsstationen der Norsun waren jetzt von Negaruyen besetzt. An anderen blieben die zahlreichen Kristallfelder, welche die Insektoiden für ihre Anzeigen benutzten, dunkel. Es befand sich nur eine Rumpfbesatzung an Bord, denn das alte Schiff sollte keine komplizierten Manöver vollziehen oder gar kämpfen, sondern lediglich noch ein letztes Mal durch die Nullzeit-Schwingung gehen.
Desara wandte sich kurz um, als einige Gardisten erschienen, welche die Leichen von Menschen trugen, von denen die meisten in die Uniformen der Sky-Navy gekleidet waren. Die Gardisten sprachen leise miteinander. Nicht aus Respekt vor den Toten, sondern um ihre verehrte Primär-Kommandantin nicht zu stören. Sorgfältig wurden die Leichen an den unbesetzten Arbeitsstationen drapiert.
Desara nickte beifällig. Die Gardisten waren sorgfältig instruiert worden und wussten, worauf es ankam. In der Zentrale, im Laborbereich und an einigen wenigen anderen Positionen würde man nun die Überreste der Menschen drapieren. Wer immer sie fand, sollte den Eindruck bekommen, dass diese Menschen das Norsun-Schiff geflogen hatten. Die Täuschung musste nicht perfekt sein. Sie musste nur lange genug anhalten, damit die Norsun keine Zeit mehr fanden, sich gegen Wahnsinn und Tod zu wehren.
Wahnsinn und Tod, in Form einer Seuche. Die scheinbare Schuld der Menschen daran würde die Feinde aufeinanderhetzen.
Ein leise zirpendes Geräusch und eine blinkende Kristallscheibe machten Desara auf die Kommunikationskonsole aufmerksam. Die dortige Negaruyen konzentrierte sich auf eine eintreffende Meldung, sah kurz zu ihrer Befehlshaberin hinüber, bevor sie das recht einseitige Gespräch beendete. Sofort wandte sie sich Desara ganz zu und legte die Fingerspitzen der linken Hand zum Ehrensalut an die linke Schulter. „Ehrenwerte, die Lebensbewahrerin hat sich aus dem Labor gemeldet und berichtet, dass alles bereit ist. Die Ehrenwerte kann mit der Räumung des Schiffs beginnen. Natürlich mit Ausnahme des Flugpersonals“, fügte sie rasch hinzu.
„Teile der Primär-Frau mit, dass ich mich selber vergewissern will“, entschied Desara.
Diese Mission war zu wichtig und sie durfte keine Kleinigkeit übersehen, sollte alles gelingen. So überaus fähig die Lebensbewahrerin, Primär-Frau Helena, auch war, Desara hatte durch lange Erfahrung gelernt, dass es stets besser war, sich nicht ausschließlich auf das Urteil anderer zu verlassen, so kompetent diese auch sein mochten.
Sie gab ihren beiden Leibgardisten einen Wink.
Nur wenig später standen sie im Laborbereich des Schiffs. Auch hier lagen inzwischen die Leichen von Menschen. Drei von ihnen trugen sogar geschlossene Infektionsschutzanzüge, die aus dem damals eroberten menschlichen Kreuzer D.S. Nanjing stammten. Zwei anderen hatte man die schlichten Anzüge von Technikern übergestreift.
Die Arbeitsstationen, Instrumente und Tische des Laborbereiches waren beleuchtet, doch sobald die Negaruyen das Schiff verließen, würde man die Energie herunterfahren. Auf einem der Bildschirme war die grafische Darstellung einer Gen-Sequenz sichtbar. Drei sezierte Suffries lagen auf einem Tisch. Die Heizelemente des Raums waren bereits abgeschaltet und allmählich wurde es kalt. Vor den Atemöffnungen der Anwesenden bildete sich feiner Nebel.
Primär-Frau Helena war eine der führenden Biologinnen und Virologinnen der verborgenen Welt. Sie fror sichtlich und zog sich gerade einen leichten Raumanzug über, da sie das Wrack nun endlich verlassen wollte. Was sie darüber dachte, dass Desara ihre Arbeit nochmals überprüfen wollte, war ihrem unbewegten Gesicht nicht zu entnehmen.
Helena deutete auf die Glaszylinder, die auf einem der Tische standen. „Das Virus ist bereit, ehrenwerte Primär-Kommandantin. So, wie ich es bereits sagte. Die einstige Suffries-Seuche ist nach deinen Wünschen modifiziert.“
„Reicht der Inhalt der Behälter aus, um eine ganze Welt zu infizieren und deren Norsun-Bevölkerung auszulöschen?“
Helena erlaubte sich ein schmallippiges Lächeln. „Selbstverständlich. Aber die Behälter sind eigentlich nur ein Köder. Eine Ablenkung, wenn du so willst, Ehrenwerte.“ Die Wissenschaftlerin bemerkte das leichte Heben der Augenbrauen von Desara und ihr Lächeln vertiefte sich. „Diese Behälter werden die Aufmerksamkeit der Norsun auf sich ziehen. Sie sind mit den alten Zeichen für biologische Gefahren gekennzeichnet und die Eierlinge werden sie mit größter Vorsicht behandeln. Doch während sie das tun, sind sie längst infiziert. Schon jetzt ist dieser Raum mit genug Viren geflutet, um die Seuche zum Erfolg zu führen.“
Desaras Pupillen zogen sich zusammen. „Schon jetzt?“
„Keine Sorge, Ehrenwerte, das Virus ist nur für die Norsun gefährlich.“
„Gut. Wie ist die Inkubationszeit?“
„Wir haben deine Daten zugrundegelegt und durch eigene Berechnungen ergänzt. Die Inkubationszeit liegt bei zwölf Stunden, die Todesrate vermutlich bei einhundert Prozent.“
„Vermutlich?“
„Bei den Göttern und Vorfahren, kein verantwortungsvoller Forscher wird dir diese Frage mit absoluter Sicherheit beantworten können“, erwiderte die Primär-Frau selbstbewusst. „Die Seuche ruft bei den Norsun zunächst Verwirrung und dann Wahnsinn hervor, verbunden mit einer immens gesteigerten Aggressivität. Als die Suffries-Seuche vor fünfhundert Jahren über die Norsun kam, haben sich die Eierlinge gegenseitig umgebracht. Sie konnten den Wahnsinn nur aufhalten, indem sie alle befallenen Schiffe und Welten ohne Ausnahme auslöschten. Es gibt jedoch bei jeder Krankheit eine kleine Anzahl jener, die gegen sie immun sind. Doch diese fallen nicht ins Gewicht, Herrin. Sie werden von den anderen getötet.“
Desara stampfte zustimmend mit dem linken Fuß auf. „So muss und wird es geschehen. Warum hast du zwölf Stunden für die Inkubationszeit gewählt?“
Helena lachte spöttisch. „Wir kennen die Neugierde der kleinen Mütter. Wenn die kleine Mutter Gerrun vom Fund eines fünfhundert Jahre alten Wracks ihrer damaligen Flotte erfährt, wird sie wissen wollen, was es damit auf sich hat. In einem persönlichen Bericht. Wir haben berechnet, dass ein Norsun die kleine Mutter innerhalb eines Zeitraums von acht bis zehn Stunden, nach Betreten dieses Wracks, aufsuchen wird. Natürlich kann man das nicht wirklich wissen, Ehrenwerte, aber eine längere Inkubationszeit erschien mir zu riskant. Die Norsun könnten die Gefahr erkennen und Gegenmaßnahmen treffen, die vielleicht einige Wenige retten. Eine kürzere Inkubationszeit führt hingegen vielleicht zu einem verfrühten Ausbruch, der ihnen ebenfalls die Möglichkeit für Gegenmaßnahmen einräumen würde. Nein, Ehrenwerte, die zwölf Stunden dürften der effektivste Zeitrahmen sein, von der Aufnahme der Erreger bis zum Ausbruch der ersten Symptome.“
„Du hast, wie schon so oft, ausgezeichnete Arbeit geleistet“, lobte Desara-dal-Kellon. „Hiermit ist es dir und den anderen gestattet, das Schiff zu verlassen und wieder auf die Korondaar zu wechseln.“ Desara aktivierte ihren Kommunikator. „Hier ist die Primär-Kommandantin. Alles ist bereit. Meinem Wunsch entsprechend wird die Sillara-Gerrun nun, bis auf die notwendigste Flugbesatzung, geräumt. Die Sirandaar wird das Schiff durch die Nullzeit zum Ziel begleiten, die Flugbesatzung übernehmen und dann aus der Ferne beobachten, wie der Tod nach der Welt der kleinen Mutter Gerrun greift.“