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Kapitel 3 Ein aufstrebendes Land

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Der Gouverneur hatte die nicht ungefährliche Reise auf sich genommen, um die neue Stadt Denver City zu besuchen. Kutsche und Eskorte waren dem Smoky Hill Trail gefolgt, der entlang der neuen nördlichen Grenze des Indianergebietes verlief. Ihre Ankunft war telegrafisch übermittelt worden und der Bürgermeister von Denver City veranstaltete das, was man durchaus als „großen Bahnhof“ bezeichnen konnte. Ein Reiter war vor der Stadt postiert worden, um rechtzeitig Bescheid zu geben, sobald sich die kleine Kolonne näherte. Daraufhin versammelten sich viele der Bewohner an der Hauptstraße. Eine Kapelle spielte fröhlich auf und es gab höflichen Beifall für den Gast, der die Bedeutung der aufstrebenden Stadt durch seinen Besuch betonte.

Denver City war erst 1858 gegründet worden und hatte sich in kurzer Zeit die Goldgräberstadt Auraria, mit ihren sechshundert, in der Mehrzahl mexikanischstämmigen, Goldsuchern, einverleibt, so dass die Stadt nun, zum Ende des Jahres 1864, 4.653 Einwohner zählte. Sie wuchs rasch weiter und dehnte sich aus. Es bestand daher großer Bedarf an Wohnraum und die meisten Häuser wurden hastig aus dem reichlich vorhandenen Holz der umliegenden Wälder errichtet.

Ursprünglich hatte man zum Unionsstaat Kansas gehört, doch im Februar 1861 war das Colorado-Territorium gegründet und John Evans zu seinem ersten Gouverneur ernannt worden. Der Verwaltungssitz war inzwischen von Colorado City nach Golden verlegt worden, aber es gab schon jetzt Bestrebungen, Denver City zur künftigen Hauptstadt eines neuen Unionsstaates Colorado zu machen.

Dies war der eigentliche Grund, aus dem der ehrenwerte Gouverneur John Evans diese Fahrt auf sich genommen hatte. Die Bedeutung von Denver City und die seiner Einwohner wuchs. Sie würden sich als wertvolle Wählerstimmen erweisen. Immerhin brachte es das neue Territorium insgesamt auf gerade einmal rund 27.000 Wähler. So war Evans durchaus geneigt, sich die Sorgen der Stadtbewohner und ihres Town Mayors anzuhören.

Die Stadt lag inmitten von Bergen und Wäldern, war jedoch über die umgebenden Täler und Pässe gut zu erreichen. Eine ganze Reihe von Seen unterschiedlicher Größe speiste eine Vielzahl von Bächen. In dem großen Tal gab es Weiden und Grasland und in den Wäldern eine Menge Wild, welches jedoch die Nähe der Menschen zunehmend zu meiden begann.

Natürlich ließen Gouverneur und Town Mayor es sich nicht nehmen, angemessen patriotische Reden zu führen, dann spielte erneut die Kapelle auf und Gouverneur Evans musste eine kleine und wohl vorbereitete Stadtführung über sich ergehen lassen. So beeindruckend die Umgebung der Stadt auch sein mochte, auf Denver City selbst traf dies nicht zu.Auch wenn man entlang der Mainstreet zweigeschossige Bauten mit Vordach und Balkon fand, die mit denen anderer Städte konkurrieren konnten, fehlte es mancher Fassade der knapp eintausend Häuser noch an Farbe. Was Evans auffiel, das war die ungewöhnlich hohe Zahl an Läden, kleinen Hotels, Barbershops und Saloons. Sie waren der Tatsache geschuldet, dass Denver City die Anlaufstelle für die zahlreichen Goldsucher war, die noch immer in den umgebenden Tälern und Bergen ihr Glück zu finden hofften.

Der Town Mayor hatte eine offene Kutsche bereitgehalten, so dass sie die Stadtrundfahrt bequem genießen konnten. Zwei Reporter, eine kleine Gruppe aus Zivilisten und Soldaten, sowie ein früherer Mountain Man gehörten zu seiner Begleitung. Gouverneur Evans schätzte zwar nicht die rustikale Kleidung und Redeweise des einstigen Fallenstellers, aber durchweg dessen Kenntnisse über das Land und seine Bewohner.

„Die Hoffnungen auf reiche Goldvorkommen in den Bergen und Flüssen scheinen sich nicht zu bestätigen“, legte Evans den Finger in die weit offene Wunde der Stadtbewohner. „Das könnte Ihrer schönen Stadt schaden, Town Mayor.“

„Die Geologen sind sicher, dass es in der Gegend reichlich Silber gibt“, hielt der Angesprochene dagegen. „Doch im Grunde spielt das für die Bedeutung von Denver City nur eine untergeordnete Rolle. Bedenken Sie unsere geografische Lage, Gouverneur, und denken Sie an die Zukunft.“

Evans wusste durchaus, worauf sein Gesprächspartner anspielte. „Sie denken an Denver City als Verkehrsknotenpunkt?“

„Zwei wichtige Siedlerrouten führen durch unser Gebiet, Sir. Der Santa-Fe-Trail im Süden und der Oregon-Trail im Norden. Sehr viel wichtiger ist jedoch der Ausbau der Eisenbahnen. Es gibt ein wachsendes Schienennetz der privaten Gesellschaften. Eine unmittelbare Folge der Siedlerströme und, vor allem, des Krieges. Züge bedeuten Truppen und Nachschub für unsere Armee, doch vor allem Waren und Güter für die Siedlungen, die künftig entstehen werden.“

„Sie scheinen sich sehr sicher zu sein, Town Mayor.“

„Ich habe einen guten Freund bei der Kansas Pacific Railroad, Mister Evans. Sie will ihr Schienennetz von Kansas City nach Denver City ausbauen. Von hier wird eine Verbindung zur Union Pacific Railroad entstehen. Die Bedeutung von Denver City wird wachsen, Gouverneur, und keineswegs abnehmen.“

„Das mag so sein“, räumte Evans ein. „Wobei natürlich viel davon abhängt, wie sich der Krieg entwickelt.“

„Mit der Schlacht von Gettysburg haben wir in diesem Jahr den Wendepunkt des Krieges erreicht“, meldete sich der Major zu Wort, der die kleine Militäreskorte der 1st Colorado Volunteer Cavalry befehligte. „Zudem ist Vicksburg gefallen. Der Mississippi befindet sich nun in unserer Hand und die Konföderation ist in zwei Teile gespalten. Nein, Sir, ich hege keinerlei Zweifel am verdienten Sieg der Union.“

Der Bürgermeister fand es befremdlich, dass sich der Offizier so ungefragt in ihre Unterhaltung einschaltete, doch er verzichtete darauf, seinen Unmut zu zeigen, da der Gouverneur dem Mann zulächelte. Immerhin, so dachte sich das Stadtoberhaupt, gehörten auch Soldaten der Wählerschaft an. Zudem war die Armee der einzige Garant für Sicherheit vor den Indianern.

„Lee ist ein schlauer Fuchs“, meinte Evans. „Er wird es unseren Generälen nicht leicht machen.“

Der Town Mayor seufzte. „Dieser Krieg muss endlich enden, Sir. Bruder gegen Bruder, Vater gegen Sohn, alte Freunde, die sich gegenseitig umbringen … Es gibt kaum eine Familie, die von diesem Leid verschont bleibt. Mein Ältester dient in der zweiten Colorado-Freiwilligenkavallerie in der Armee von General Grant. Ich sorge mich jeden Tag um ihn.“

Das Thema machte Evans verlegen und so versuchte er, es zu wechseln. Mit einer ausholenden Bewegung wies er um sich. „Im Vertrag von 1861 haben wir die Cheyenne und Arapahoe zurückgedrängt, aber mir kommt immer wieder zu Ohren, dass sie Schwierigkeiten machen. Überfälle auf Ranches, Postkutschen und dergleichen …“

„Das war wohl kaum anders zu erwarten“, kam es von dem in Leder gekleideten Mountain Man, der neben der Kutsche ritt. „Die Indianer werden immer weiter vertrieben. Was erwarten Sie da? Dass die einfach zusehen, wie ihr Lebensraum immer weiter schrumpft?“

„Ich kann eine gewisse Verärgerung der Indianer durchaus verstehen“, gab Evans zu. „Doch das berechtigt sie nicht dazu, friedliche Weiße zu ermorden. Außerdem haben sie ihre Zeichen auf den Vertrag gesetzt und zugesichert, dass sie Frieden halten.“

Der Mann in Leder spuckte etwas Kautabaksaft auf die Straße. „Es gibt immer wieder ein paar Krieger, die sich beweisen wollen. Außerdem gibt es auch genügend Weiße und Mexikaner, die den Frieden immer wieder bedrohen, weil sie das Indianergebiet nicht respektieren oder aus reiner Mordlust. In dieser Gegend, Gouverneur, ist man schnell bereit, zur Waffe zu greifen.“

„Die Armee hat die Aufgabe, solche … Exzesse … zu unterbinden.“ Der Gouverneur warf einen raschen Blick auf den Major. „Wir haben die erste Colorado-Freiwilligenkavallerie. Während das zweite Regiment gegen die Rebellen kämpft, sichert das erste hier den Frieden.“

„So ist es, Sir“, versicherte der Major prompt. „Wir verfügen über Kavallerie, Infanterie und auch Artillerie, und bei Julesburg haben wir ein neues Camp errichtet. Ich habe unlängst mit dem Kommandeur von Fort Lyon gesprochen. Von dort aus versorgt man die Indianer mit den vereinbarten Gütern und Lebensmitteln. Der Mann, Major Wynkoop, hat mir versichert, dass der oberste Häuptling, Black Kettle, sogar die Fahne der Union über seinem Lager aufgezogen hat.“

Der ehemalige Mountain Man schnaubte leise. „Hören Sie, Major, Ihre paar Soldaten werden den Frieden nur solange halten können, wie die Cheyenne und Arapahoe sich an ihr Versprechen halten. Ich habe ein paar Jahre als Kundschafter in Fort Wise gedient und kenne Black Kettle. Er ist ein guter Mann und will Frieden, aber es gibt ein paar Unterhäuptlinge und Krieger, die anderer Meinung sind. Immerhin, so lange der Alte das Sagen hat, werden die Cheyenne wohl nicht auf den Kriegspfad gehen.“

„Der Mann hat recht“, knurrte der Town Mayor verdrießlich. „Wenn die Cheyenne und Arapahoe auf unsere Skalps aus sind, dann werden die paar Soldaten in den Forts sie nicht davon abhalten. Wir bräuchten dringend mehr Truppen, Sir, um die Roten im Zaum zu halten.“

„Jetzt sind die Roten in ihren Winterlagern“, sagte der Mann in Leder. „Da werden sie ruhig bleiben. Aber wie es dann im Frühjahr aussieht …? Wer weiß das schon?“

„Eine gewisse Demonstration der Stärke würde ihnen gewiss zeigen, dass ein Aufstand nur zu ihrer Niederlage führen kann.“ Der Gouverneur war verunsichert. Vor den Goldfunden in Colorado war das Verhältnis zwischen Weißen und Roten relativ freundlich gewesen. Aber dann strömten die Glücksritter ins Land und mit dem neuen Vertrag waren die Jagdgründe der Indianer deutlich verkleinert worden. Die gelegentlichen Übergriffe einzelner Krieger und kleiner Gruppen zeigten, dass es unter den Stämmen gärte.

„Ich könnte natürlich ein drittes Freiwilligenregiment aufstellen lassen“, meinte er zögernd. „Zwar nur für einen begrenzten Zeitraum, aber das würde vielleicht ausreichen, um den Stämmen unsere Macht zu demonstrieren.“

„Ein Hundert-Tage-Regiment?“, fragte der Town Mayor nach.

„Die beste Lösung“, antwortete der Gouverneur. „Würde ich ein Regiment für ein oder drei Jahre verpflichten, dann könnte Washington versucht sein, es in den Kampf gegen den Süden zu schicken. Ein Hundert-Tage-Regiment ist jedoch für die Kriegsführung gegen die Rebellen uninteressant.“

Der Mountain Man grinste breit. „Für den Kampf gegen die Dixie-Boys würden sich sicherlich auch weniger Freiwillige finden lassen als für den Kampf gegen die Roten.“

„Was wollen Sie damit sagen?“ Die Stimme des Bürgermeisters klang leicht verärgert.

„Dass einige Leute die Rebellen für wesentlich gefährlicher halten als die Roten“, kam die lakonische Entgegnung. „Wobei ich anderer Meinung bin, Mister. Es ist etwas anderes, einem Feind in offener Schlacht gegenüber zu treten, als gegen einen Gegner zu kämpfen, der jede Schliche kennt und jede Deckung nutzt, und der überdies zu den besten Reitern gehört, von denen man jemals gehört hat.“

„Wohl kaum besser als Stuarts Rebellenreiterei“, sagte der Major verächtlich. „Und die jagen wir inzwischen zu Paaren.“

„Stuarts Dixie-Boys verspeisen die Cheyenne zum Frühstück“, knurrte der ehemalige Fallensteller. „Und wenn es sein muss, sogar auf nüchternen Magen.“

„Hundert-Tage-Freiwillige … Die Zeit reicht kaum, um die Männer zu ordentlichen Soldaten auszubilden“, gab der Gouverneur zu bedenken.

„Sie müssen auch keine besonders guten Soldaten werden.“ Der Town Mayor wippte leicht auf den Fersen und lächelte. „Es reicht, wenn die Männer reiten und schießen können und den Roten Angst einflößen.“

Der Trapper nickte. „Wenn Sie eine unerfahrene Truppe aufstellen, Sir, dann kann ich Ihnen nur raten, dass Sie auf jeden Fall einen erfahrenen Kommandeur einsetzen, damit die Leute keinen Unfug anstellen. Auch einfache Kerle werden vielleicht kämpfen können, wenn es darauf ankommt, aber sie sollten einen Boss haben, der ihnen sagt, wann ein Kampf angebracht ist und wann nicht.“

„Nun ja“, brummte Evans, „das künftige Regiment soll ja keinen Indianerkrieg entfachen, sondern ihn durch seine Präsenz verhindern, nicht wahr? Aber ich denke, ich hätte den richtigen Mann für diese Aufgabe. Ein gottesfürchtiger Mann, der die Sklaverei aus tiefster Seele hasst und sich am Glorieta-Pass bereits gegen die Rebellen bewährt hat.“

„Chivington“, entfuhr es dem Major und dem Bürgermeister gleichzeitig.

Evans nickte lächelnd. „Ein erfahrener und besonnener Mann, und dennoch mit genügend Feuer. Er hat den Tross der Konföderierten vernichtet und so dafür gesorgt, dass sie sich zurückziehen mussten.“

„Nun, dann wäre das ja wohl geklärt“, meinte der Town Mayor beruhigt. „Sie stellen die 3rd Colorado Volunteer Cavalry für hundert Tage auf und übertragen Colonel Chivington das Kommando.“

„Ich denke, damit haben wir eine gute Lösung gefunden.“ Evans lehnte sich zufrieden in die Polster der Kutsche zurück. Obwohl er gläubig und durchaus bibelfest war, ahnte er nicht, dass er schon bald den sprichwörtlichen Wolf unter die Lämmer lassen würde.

Pferdesoldaten 10 - Der Schlächter

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