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Kapitel 6 Das Fort jenseits des Flusses

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Es gab keine Ausnahme. Alle packten mit an. Ihre Schaufeln gruben sich in den Boden, Äxte hieben in Stämme und Sägen frästen sich durch Holz, um Palisadenstämme, Stempel, Bohlen und Bretter entstehen zu lassen. Captain Sam Larner hatte den Auftrag, ein Fort zu bauen und er hatte unzweifelhaft die Absicht, diese Aufgabe bestmöglich zu erfüllen.

In den ersten Tagen waren immer wieder Siedler zum Bauplatz gekommen. Meist Kinder und deren Mütter, die neugierig waren, was die Soldaten dort machten. Inzwischen hatte Bürgermeister von Trauenstein diese Besuche jedoch untersagt, da es für die Kinder dort gefährlich sei und man die Kavalleristen nicht an der Arbeit hindern wolle. Captain Larner vermutete hingegen, dass der Graf engere Kontakte zwischen seiner Truppe und den Siedlern vermeiden wollte. Allerdings kamen die Tochter des Grafen und Pfarrer Dörner gelegentlich herüber. Der Tochter ging es um möglichen Handel und dem Geistlichen wohl um das Seelenheil der Menschen, da er die Soldaten, trotz ihres unchristlichen Berufsstandes, zu den Lämmern des Herrn zählte. Hin und wieder trieb es auch den Indianerhändler Pecos Bill in die Anlage und Captain Larner und First-Sergeant Heller, selbst ein ehemaliger Fallensteller, nutzten die Gelegenheit, um mit Bill dann über die Indianer zu sprechen.

Pecos Bill und seine Frau Little Bird vermittelten als Einzige der Stadtbewohner den Eindruck, ein echtes Interesse am Zusammenleben mit den Soldaten aufzuweisen. Auch an diesem Tag war er erschienen und erkundigte sich, ob man nicht etwas benötige. „Ich kann Ihnen Nägel, Werkzeug, Kerzen, Lampenöl, Petroleum und eine Menge anderer nützlicher Dinge zu sehr fairen Preisen anbieten“, versicherte er. „Und über unseren Schmied lassen sich ausgezeichnete Türangeln, Scharniere und sonstige Metallteile fertigen.“

First-Sergeant Jim Heller, der als ehemaliger Trapper eine Art Seelenverwandtschaft mit Bill verspürte, deutete um sich. „Für den Anfang sind wir recht gut ausgestattet, aber ich bin mir sicher, der Captain wird gerne auf Ihr Angebot zurückkommen.“

Der Händler schien erfreut, auch wenn der Besuch wieder einmal nicht zu einem Kauf geführt hatte. Er deutete auf einige der Pflöcke und Leinen. „Sind das die Mannschaftsquartiere? Sehen ziemlich groß aus.“

„Das werden richtige Kompanie-Quartiere“, erklärte Heller. „Die Zeiten, in denen sich zwei Mann ein Bett teilen mussten, sind glücklicherweise vorbei.“

Larner plante großzügig und hatte mehrere Arbeitstrupps bilden lassen. Gemeinsam mit Lieutenant Prentiss schritt er das Gelände ab, warf immer wieder einen Blick auf den gezeichneten Grundriss des Forts und verglich die dortigen Angaben mit den Pflöcken, die Mark Dunhill auf Geheiß des Captains in den Boden schlug.

Die Privates Luigi Carelani und Patrick „Paddy“ Donelson spannten Leinen, entlang derer der Graben für die Palisaden ausgehoben wurde. Hermann, ein Deutscher aus Baden, hielt die Pflöcke auf seinen Armen.

Es war Frühjahr und die Temperaturen waren angenehm. Dennoch hatte Larner „Marscherleichterung“ gestattet und keiner der Männer, auch der Captain nicht, trug Jacke oder Waffengurt.

„Nur einen Meter tief“, befahl Larner der Gruppe, welche die Gräben aushob. „Wir werden die Palisaden in Höhe des Wehrgangs mit Querstempeln versehen.“

„Das erspart uns eine Menge Buddelei“, seufzte ein Corporal, „und wir kommen schneller voran.“

Larner nickte und blickte zum östlichen Waldrand hinüber. Er war ungefähr eine Meile entfernt. Auf den anderen Seiten gab es freies Schussfeld und keine Deckung für einen potenziellen Angreifer, mit Ausnahme des hohen Grases.

Aus dem Wald waren Rufe zu hören, dann das Krachen eines stürzenden Baumes. Das Holzkommando wusste, worauf es dem Captain ankam. Dünne Stämme für die Palisaden und mittlere für die massiven Bohlen und Bretter. Larner hatte den Soldaten eingeschärft, die Stämme sorgfältig zu entrinden, damit das Holz nicht von Käfern zerfressen wurde.

In einer Lücke zwischen den Bäumen wurde ein Soldat sichtbar, der eines der Pferde am Zügel führte. Ein paar der kräftigen Quarterhorses wurden als „Rückepferde“ eingesetzt, mit denen man das gefällte Holz zum Bauplatz schleifte, wo es weiter verarbeitet wurde.

„Wir machen die Palisaden drei Yards hoch, mit einem umlaufenden Wehrgang in zwei Yards Höhe“, führte Larner aus. Am Tor und einigen der Gebäude wird er unterbrochen sein, da diese höher sind. Wir müssen eine entsprechende Anzahl an Aufgängen einplanen.“

„Stufen oder Leitern, Sir?“, erkundigte sich Prentiss.

„Erstmal Leitern. Die kann man später immer noch durch Treppen ersetzen.“

„Sir.“ Mark Dunhill blickte über die Schulter des Captains und sah Sergeant Willard an der Kochstelle winken.

Larner folgte Marks Blick. „Na schön, Mark, geben Sie Signal zum Essenfassen.“

Mark zog das C-Horn an seiner gelben Quastenschnur nach vorne und setzte es an. Der helle Klang des Signals ertönte und der junge Hornist wiederholte es einmal, strikt nach Vorschrift der Armee.

„Wenigstens haben wir mit Willard einen ganz passablen Koch“, meinte Hermann.

„Nune, iste keine Italiano“, radebrechte Luigi, „aber man kanne essen.“

Willard war kein Koch, aber er hatte eine Leidenschaft für dieses Handwerk entwickelt und da er sich darauf verstand, aus der gelegentlich sehr eintönigen Armeeverpflegung etwas durchaus Schmackhaftes zu zaubern, ließ Larner dem Unteroffizier freie Hand. Hier, in Farrington, blühte der Sergeant regelrecht auf, da er in der Siedlung frisches Obst, Gemüse und Gewürze besorgen konnte. Willard konnte große Mengen in sich hinein stopfen, dennoch war er nahezu hager.

Ringsum kamen die Arbeiten zum Erliegen. Die 56 Angehörigen der „H“-Kompanie strömten dem Lager entgegen, wo die Zelte aufgebaut waren und die Pferde in einer provisorischen Koppel aus aufgespannten Leinen standen. Hier waren auch die fünf Planwagen aufgefahren, mit denen man Ausrüstung, Material und Proviant nach Farrington gebracht hatte.

Zwei Reihen der, aufgrund ihrer spitzen Form so genannten, A-Zelte und vier größere Wallzelte standen hier. Zwischen zweien der großen und eigentlich den Offizieren vorbehaltenen Zelte war ein Sonnendach aufgespannt. Die Frontseiten der Leinwände waren gelöst und nach oben gerollt, so dass eine improvisierte Messe entstand.

Es gab Kartoffeln, frischen Braten, Gemüse und zum Nachtisch Apfelkuchen, dazu Wasser oder den starken Armee-Kaffee. Ernste Worte und fröhliche Bemerkungen machten während des Essens gleichermaßen die Runde. Die Stimmung war gelöst und der Appetit, dank der zuvor bereits bewältigten Arbeit, gewaltig.

Nirgends sah man eine bewaffnete Wache, was allen Gepflogenheiten und Vorschriften der Armee widersprach, doch Captain Larner wollte auf diese Weise ein Zeichen setzen, dass seine Truppe in friedlicher Absicht gekommen war. Sam Larner konnte sich diesbezüglich gewisse Freiheiten erlauben, denn er hatte zum Bau des Forts die „carte blanche“ bekommen, was bedeutete, dass er alle Maßnahmen treffen konnte, die ihm sinnvoll erschienen. Zudem handelte es sich bei der fünften Wisconsin-Kavallerie um Freiwillige, die sich aus den verschiedensten Gründen zum Regiment gemeldet hatten. Es waren Männer unterschiedlichen Alters und verschiedenster Berufe und ebenso verschieden waren die Gründe, aus denen sie dienten. Manche trieb die Abenteuerlust, andere sorgten sich um die Grenze, wieder andere waren in ihren alten Berufen gescheitert. Mark Dunhills Freunde waren Einwanderer, die sich von ihrer Verpflichtung eine bessere Zukunft in Amerika versprachen. Mark Dunhill hingegen hatte einen ganz eigenen Grund.

Mark war nun fünfzehn Jahre alt und der Sohn von Matt und Mary-Anne Dunhill. Sein Vater war Major beim fünften U.S.-Kavallerieregiment und diente auf Seiten der Union, Mary-Anne war hingegen eine Tochter des Südens, für den sie tiefe Sympathien empfand. Dennoch zweifelte die hübsche Frau nie an der Liebe zu ihrem Mann und ihrem Sohn und bangte nun um beide. Während Matt im Bürgerkrieg kämpfte, hatte Mark den Entschluss gefasst, ebenfalls seinen Teil zum Erhalt der Union beizutragen. Eigentlich war er für den Dienst noch zu jung, obwohl die Truppen Trommler, Pfeifer und andere Musiker bereits im Alter von nur zwölf Jahren anmusterten. Mark wollte hingegen mit der Waffe dienen, doch dies war ihm in den regulären U.S.-Regimentern verwehrt. Seine Eltern hätte auch niemals die Zustimmung zu seiner Verpflichtung gegeben. So war Mark heimlich von zu Hause abgereist und hatte sich bei den Freiwilligen der fünften Wisconsin anwerben lassen. Ihm blieb im Grunde keine Wahl, denn er wollte unter seinem richtigen Namen anmustern. Der Fünfzehnjährige war mit dem Leben in der Armee aufgewachsen und gab sich keinen Illusionen hin. Zu oft hatte er Truppen ausrücken und unter Verlusten heimkehren sehen. Er wusste, dass es im Kampf Tote und Verwundete gab und wollte, wenn es zum Schlimmsten kam, nicht unter falschem Namen beerdigt werden.

Seine Eltern forschten sicher nach seinem Verbleib, doch bislang hatten sie ihn nicht gefunden und Mark hoffte, dass dies auch eine Weile so blieb. Während einer Zwischenstation seiner Reise hatte er einen Brief an seine Mutter geschrieben und ihr mitgeteilt, dass es ihm gut gehe. Das Schreiben hatte sie beruhigen sollen, doch Mark kannte seine Mutter und spürte, dass sie sich in jeder Minute um ihn und seinen Vater sorgte.

Manchmal fragte er sich, ob sein Entschluss richtig gewesen war, doch wie hätte er zu Hause bleiben können, während sein Vater und so viele andere um den Erhalt der Union kämpften? Eigentlich wollte er ebenfalls in den Krieg ziehen, doch nun hatte es ihn ins Indianergebiet verschlagen. Vielleicht war dies sogar der bessere Weg. Im Osten und im Süden kämpfte Vater gegen Sohn und Bruder gegen Bruder, hier, an der Indianergrenze, schützte Mark hingegen weiße Siedler vor der Gefahr durch Indianer.

Mark hatte aus den Schilderungen seines Vaters Matt schon viel über die verschiedenen Indianervölker gehört und hütete sich vor dem Schwarz-Weiß-Bild, welches das Denken der meisten Menschen beherrschte. Wie bei den Weißen, so gab es auch bei den Roten Ehre und Heimtücke, und man konnte Niemandem hinter die Stirn blicken. Sein Vater berichtete ihm in den vergangenen Jahren von Apachen, Comanchen und Kiowas, die Stämme der Sioux waren Mark hingegen fremd und er war neugierig, welchen Gebräuchen sie wohl folgen mochten. Er wollte von ihrer Kultur lernen und sie nicht unbedingt bekämpfen, aber er war entschlossen, dies zu tun, wenn es erforderlich wurde. So, wie sein Vater es ihm immer vorgemacht hatte. Ein Mann von Ehre zu werden, der seinem Gewissen folgte und sich auch im Krieg die Menschlichkeit bewahrte.

Im Augenblick verfügte die „H“-Kompanie über eine Gesamtstärke von zwei Offizieren, einem First-Sergeant, zwei Sergeants, vier Corporals und, Mark als Hornist eingeschlossen, siebenundvierzig Privates. Somit fehlten vierundvierzig Soldaten, um das eigentliche Soll zu erfüllen. Einigen Regimentern gelang es, die volle Kriegsstärke von 1.000 Mann zu erreichen, doch das waren Ausnahmen. Wenigstens war es gelungen, die acht Kompanien der fünften Wisconsin auf eine Stärke von 544 anzuheben. Das war vor allem dem rührigen Captain Trumball zu danken, dem es in Winnebago gelungen war, zwei Milizeinheiten in Stärke von 180 Mann für das Regiment zu rekrutieren. Jenen Milizionären mochte es an etwas Disziplin mangeln, doch dafür waren sie ausgezeichnete Schützen und Reiter. Der Rest des Regiments hatte diesbezüglich noch einigen Nachholbedarf, obwohl die Männer im vergangenen Vierteljahr intensiv gedrillt worden waren. Vor allem die Schussleistungen waren Verbesserungsfähig und Larner hoffte, mit dem nächsten Nachschub genug Munition zu erhalten, um ein begrenztes Schießtraining durchführen zu können. Er würde es mit gemischten Gefühlen anordnen, denn Siedler und Indianer konnten es als Kampfvorbereitung werten, was es ja im Grunde auch war. Aber Larner stand in der Verantwortung für den Frieden und für seine Schutzbefohlenen. Sollte es zu einer Auseinandersetzung kommen, wollte er seine Männer dem Feind nicht zum Fraß vorwerfen.

First-Sergeant Jim Heller und Sergeant Billings kamen zum Tisch der beiden Offiziere. Larner schob seinen Teller zur Seite und bot den beiden Unteroffizieren Platz an. Die Männer kannten sich schon aus der Zeit vor der Aufstellung des Regiments und hatten wesentlichen Anteil daran, dass die Kompanie zu einer Einheit zusammenwuchs, so unterschiedlich die Soldaten auch sein mochten und so viele Muttersprachen sie auch ihr Eigen nannten. Obwohl bei vielen Freiwilligen-Regimentern ein eher lockerer Umgangston herrschte, denn in vielen wählten die Mannschaften ihre Offiziere, legte Larner großen Wert auf formalen Umgang. Die Formen zu wahren half, nach seiner festen Überzeugung, die Disziplin zu stärken.

„Ein freundschaftlicher Umgangston mag zu einem kameradschaftlichen Verhältnis untereinander beitragen“, hatte der Captain seinen Standpunkt erklärt, „aber er kann auch dazu verleiten, dass eine Truppe zum Debattierclub verkommt. 1861 hat man das 39th New York Volunteer Infantry Regiment aufgestellt. Die Männer tragen rote Hemden und nennen sich „Garibaldi Guards“, nach irgendeinem Freiheitskämpfer in Europa. Lauter gute Kumpels, Gentlemen, die über alle wichtigen Dinge demokratisch abstimmten. Leider auch über Befehle im Gefecht und die Leute haben das mit viel Blut bezahlen müssen. Inzwischen sind sie von der Demokratie abgerückt und folgen der Befehlsstruktur. Unsere Männer, Gentlemen, werden bei Befehlen nicht diskutieren, sondern sie ausführen.“

Getreu diesem Motto führte der alte Captain seine Truppe. Da er sich zugleich jedoch auch nahezu väterlich um ihre Belange sorgte, akzeptierten die Soldaten ihn als harten, aber auch sehr fairen Offizier.

„Private Hermann und die Deutschen haben gefragt, ob sie nach dem Dienst nach Farrington reiten dürfen“, berichtete Heller.

Zehn der Soldaten stammten aus deutschen Ländern und hatten kaum ein Wort Englisch gesprochen, als sie im Hafen von New York amerikanischen Boden betraten. Inzwischen beherrschten sie die englischen Kommandos, blieben aber oft unter sich, da ihr allgemeiner Sprachschatz noch immer begrenzt war.

Larner runzelte die Stirn. „Vielleicht keine schlechte Idee. Es könnte zur Entspannung beitragen.“

Prentiss hob eine Augenbraue. „Sir?“

Der Captain seufzte vernehmlich. „Jack, die Leute aus Farrington sind nicht gerade glücklich über unsere Anwesenheit. Dieser Town-Mayor von Trauenstein und seine Siedler sind zwar durchaus höflich, aber auch sehr distanziert. Es wäre jedoch gut, wenn wir, wie man so schön sagt, das Eis brechen könnten, denn wir benötigen die volle Unterstützung der Stadtbewohner.“

„Ich verstehe, Sam. Die Siedler hier sind Deutsche, genau wie Hermann und seine Jungs.“

Larner nickte. „Sagen Sie Hermann, er kann mit seinen Jungs nach Farrington reiten. Schärfen Sie ihm ein, dass ich keine Klagen hören will.“

Der First-Sergeant lächelte. „Es sind gute Jungs, Sir. Die werden keinen Ärger machen.“

Sergeant Billings schielte begehrlich auf den Nachtisch, den Larner kaum angerührt hatte und der Captain lachte leise und schob den Teller hinüber. „Besten Dank, Sir“, murmelte er, „Sie haben ein Herz für schwer arbeitende Kavalleristen.“

„Die zudem schwer duften“, spottete Prentiss.

Billings nickte. „Der Captain hat uns eingeschärft, den Männern mit gutem Beispiel voranzugehen, Sir. Also habe ich bei den Latrinen auch selbst eine Schaufel in die Hand genommen.“

„Recht so“, stimmte Larner zu. „Also schön, wie gut kommen wir voran?“

Die beiden Sergeants schoben die Gedecke zur Seite und Prentiss entrollte den Plan auf dem Tisch. „Wir sind gut vorangekommen. Die Grabenteile für die Palisaden werden bis heute Abend fertig. Die ersten Fuhren für die Einfriedung sind vorbereitet und wir können morgen mit dem Aufstellen des ersten Palisadenteils beginnen.“

Sam Larner beugte sich ein wenig vor und strich nachdenklich über den langen grauen Bart. „Wir haben Frühjahr und recht angenehme Temperaturen. Da lässt es sich gut in den Zelten aushalten. Die Unterkünfte an der Südseite haben also noch Zeit. Ich schlage vor, dass wir mit der nordwestlichen Ecke beginnen. Dort soll ja auch einer der beiden Wachttürme entstehen. Entlang der Nordseite ziehen sich der Küchenbau, das Vorratslager und das Magazin, dazu das Haupttor, die Wachstube und die Kommandantur mit den Offiziersquartieren. An der Ostseite befinden sich später die Stallungen, das Heulager und die Wagenremise. Die Westseite schließt alles mit der Messe, der Quartiermeisterei, der Schmiede und der Wäscherei ab. Ja, wir beginnen mit dem Palisadenteil der nordwestlichen Ecke. Erster Turm, Vorratslager und Magazin. Dann bekommen wir einen ausgezeichneten Aussichtspunkt zur Stadt und den beiden Furten, und können Vorräte und Munition sicher aufbewahren. Die Bequemlichkeit kann später folgen.“

„Das wird eine ganz schöne Plackerei, bis alles steht“, murmelte Billings. „Ich hab´s mal durchgerechnet, Sir. Wir brauchen rund vierhundertfünfzig Yards Palisade. Jeder Palisadenstamm soll einen halben Fuß Durchmesser aufweisen und eine Höhe von vier Yards. Dafür brauchen wir wenigstens 2.700 Einzelstücke. Selbst wenn wir aus einem Baum drei Stücke herausholen, bedeutet das noch immer…“

„… rund neunhundert gefällte Bäume und jede Menge Schwielen an den Händen“, ergänzte Larner und grinste.

„Dabei haben wir dann noch kein einziges Stück Holz für die Türme, Gebäude und Inneneinrichtung“, fügte First-Sergeant Heller hinzu.

Billings warf seinem Freund einen grimmigen Blick zu. „Danke, dass du mir noch etwas Salz in die Wunde reibst.“

„Nichts dafür.“ Heller schlug Billings freundschaftlich auf die Schulter. „Immerhin hast du den Nachtisch vom Captain verdrückt. Das gibt ja Kraft für etwas zusätzliche Holzarbeit.“

„Meine Jungs hatten keinen zusätzlichen Nachtisch“, knurrte Billings.

„Nun ja, drei Winkel am Oberarm bringen halt auch ein paar Privilegien mit sich.“

Sam Larner räusperte sich. Ein gewisses Maß an gutmütiger Rangelei ließ er bereitwillig zu, doch nun klopfte er sachte mit dem Finger auf den Plan. „Gentlemen…“

„Verzeihung, Sir.“ Heller zückte das kleine schwarze Buch und den Bleistift, die er stets mit sich führte. Es war das „Kompaniebuch“, in dem er bei jedem Appell säuberlich die Anwesenheit oder Abwesenheit der Soldaten vermerkte, Lob und Tadel eintrug und Notizen machte, was ihm aufgefallen war. Alles wurde später sorgfältig in das offizielle Stammbuch übertragen oder in Formulare übernommen. Auf einem der Wagen hatte Larner seinen „Company-Desk“ mitgeführt. Einen schlichten Kasten mit aufklappbarer Schreibfläche und zahlreichen Fächern, in denen sich, bis hin zum Urlaubsschein, alles befand, was die Verwaltung einer Armee begehrte. „Ich habe heute die Bestände kontrolliert und alles bewegt sich im normalen Rahmen. Der Verbrauch an Futtermitteln ist höher, Sir, da die Rückepferde eine Menge leisten müssen. Es wäre nicht schlecht, wenn wir mit dem nächsten Nachschub Hafer bekämen.“

„Möglicherweise können wir etwas in Farrington kaufen“, schlug Prentiss vor.

„Gute Idee. Ich werde morgen mit von Trauenstein reden. Der Hafer ist ein guter Anlass, um wieder ein wenig ins Gespräch zu kommen.“

„Das Mädel ist eine Augenweide, Sir“, kam es von Billings. Er bemerkte den Blick des Captains. „Eine einfache Feststellung, Sir. Keine Sorge, niemand wird den Ladies zu nahe treten, aber wenn man ein paar von ihnen so sieht, dann weiß man als Kavallerist, wofür man kämpft.“

„Für die Fahne, Sergeant“, sagte Larner mit ruhiger Stimme, „und nicht für ein paar Unterröcke.“

Billings nickte. „Selbstverständlich, Captain.“

Frauen waren für Larner ein sensibles Thema und die beiden Sergeants und der Lieutenant waren die Einzigen in der „H“-Kompanie, welche den Grund hierfür kannten. Vor zwei Jahren waren Frau und Tochter des Captains am Fieber gestorben und der Offizier litt noch immer schwer unter dem Verlust. Das Leben als Farmer war ihm plötzlich sinnlos erschienen und als er von der Aufstellung der fünften Wisconsin-Kavallerie hörte, hatte er sich beworben und war, wohl zu seiner eigenen Überraschung, als Lieutenant angenommen worden. Erst vor Kurzem hatte Colonel Cummings ihn zum Captain und Befehlshaber der Kompanie „H“ ernannt. Zwei Söhne waren Larner geblieben. Einer von ihnen arbeitete bei einer Zeitung in New York, der andere diente hingegen in der Armee der Konföderation. Er war der Grund dafür, warum Larner lieber an der Indianergrenze dienen wollte. Allein die Vorstellung, er könne seinem Sohn in der Schlacht als Feind begegnen, erfüllte den gutmütigen Mann mit Grauen.

Sergeant Willard trat an den Tisch heran und empfing einhelliges Lob für seine Kochkünste. Er war sichtlich erfreut und versicherte, stets sein Bestes zu geben.

Larner hob die Hand. „Ich weiß schon, was Sie sagen wollen, Sergeant. Ich weiß, Sie können ebenso hart zupacken, wie jeder andere hier im Fort, aber nicht jeder kann so gut kochen, wie Sie. Gutes Essen ist aber wichtig für zufriedene Männer. Daher bleiben Sie den Holzfälleräxten fern und schwingen weiter den Kochlöffel. Aber keine Sorge, Willard, sobald wir hier aus dem Gröbsten heraus sind und wieder mit dem Drill fortfahren, sind Sie auch wieder an der Reihe.“

„Nehmen Sie es mir nicht übel, Sir, aber die Jungs brauchen noch eine Menge Übung. Inzwischen können die besser mit der Axt, als mit dem Säbel umgehen.“

„Ist notiert, Sarge“, versicherte Larner.

„Da wäre noch etwas, Sir. Hier in den Wäldern gibt es reichlich Wild.“

„Verstehe.“ Der Captain zögerte kurz. „Abgelehnt. Wir werden nicht auf die Jagd gehen. Jedenfalls nicht, bevor ich mit Chief Many Horses gesprochen habe. Aber ich werde morgen ohnehin mit von Trauenstein wegen Hafer für die Pferde sprechen. Die Siedler hier haben die Erlaubnis der Sioux, auch zu jagen. Da lässt sich sicherlich etwas arrangieren.“

Willard grinste erfreut und gab dann einem Helfer einen Wink, mit dem er rasch gemeinsam den Tisch abräumte und brachte dann rasch eine frische Kanne Kaffee.

„Sie wollen unter allen Umständen vermeiden, die Indianer zu provozieren, nicht wahr?“ Lieutenant Prentiss schenkte Kaffee in die Becher.

„Die Situation ist sehr sensibel“, antwortete Larner. „Ich scheue mich notfalls nicht vor einem Kampf, aber ich hasse unnötiges Blutvergießen. Farrington liegt am Stammesgebiet der Lakota und die Siedler sind offensichtlich gut mit den Roten ausgekommen. Meine Aufgabe ist es, hier den Frieden zu sichern und darauf zu achten, dass die Rebellen keine Krieger anwerben oder einen Aufstand provozieren. Wir wissen, dass sie das in Texas und Arizona bereits versucht haben. Sehen Sie, Jack, selbst wenn die Rebellen nur eine kleine Truppe zu uns nach Wisconsin entsenden, so kann uns das in eine üble Lage bringen. Sie könnten überall zuschlagen. Um ein so großes Gebiet zu sichern, brauchen wir ein dichtes Netz von Truppen, Stützpunkten und Patrouillen. Das würde den Indianern allerdings kaum gefallen.“

„Äh, Captain, da Sie gerade von Patrouillen sprechen…“ First-Sergeant Heller tippte auf den Bauplan des Forts. „Wir bauen hier ein hübsches Fort, aber keiner von uns kennt die Gegend, die wir sichern sollen. Ich bin damals als Fallensteller mal hier durchgezogen, aber ich würde nicht behaupten, dass ich in diesem Gebiet eine Truppe sicher führen könnte.“

Jack Prentiss nickte zu den Worten des Sergeants. „Da hat er wirklich recht, Sam. Die Armeekarte von diesem Territorium ist alt und schon längere Zeit nicht aktualisiert worden.“

„Die Gegend wurde 1838 das letzte Mal kartiert“, gab Larner zu. „An der Geografie wird sich wohl kaum etwas geändert haben, doch es sind ein paar Siedlungen und Städte hinzugekommen. Die neuen Straßen, Bahnlinien und Armeeposten wurden nachträglich aufgenommen.“

„Darin sehe ich nicht das Problem, Sir“, wandte Heller ein. „Aber die Stammesgebiete der Indianer können sich immer wieder verschieben. Denken Sie an Texas und New Mexiko, wo sich die Einflussgebiete der Comanchen und Apachen immer wieder verlagern, da die roten Heiden Krieg untereinander führen. Wir sollten wissen, mit welchen Stämmen der Sioux wir es hier zu tun haben und wo sich ihre Lager befinden. Wir wissen derzeit nur von Many Horses. Außer den Sioux treiben sich womöglich aber auch andere Stämme in der Gegend herum. Die Sioux und Cheyenne sind Vettern und halten zusammen, aber es könnte hier Gruppen der Crows, Shoshone und anderer geben.“

„Auch das kann zu Problemen führen“, mahnte Prentiss. „Es gibt immer wieder Konflikte zwischen den verschiedenen Stämmen und das könnte es den Rebellen leicht machen, einen Teil der Roten aufzuwiegeln.“

„Sie scheinen sich ziemlich sicher zu sein, dass die Rebellen etwas Derartiges versuchen, Jack.“

Der lachte. „An ihrer Stelle würde ich es zumindest versuchen. Geringer Aufwand und große Wirkung. Wenn die Indianergebiete in Aufruhr geraten, dann bindet das jede Menge Truppen. Truppen, welche nicht gegen die Rebellen ziehen können.“

„Auf jeden Fall müssen wir das Gebiet kennen, in dem wir aktiv werden sollen, Sir“, erinnerte Heller.

„Dem stimme ich absolut zu“, versicherte Larner. „Ab Morgen sende ich eine Patrouille aus. Vier Mann, das kann niemand als Provokation sehen. Außerdem kann ich nicht mehr Leute entbehren, bis zumindest die äußere Befestigung steht. First-Sergeant, Sie führen diese Patrouillen und machen Skizzen vom Gelände. Das bedeutet eine Menge Arbeit für Sie, aber Sie haben das richtige Auge, um die Karte zu ergänzen und ein Gespür für das richtige Verhalten, wenn Sie Indianern begegnen.“

„Ich weiß, Sir, keinerlei Provokation der Roten.“

„Sie wissen, worauf es ankommt, Jim, und ich verlasse mich auf Sie.“

„Bin froh, wenn ich ein bisschen raus komme, Sir“, versicherte der ehemalige Trapper.

Die Pferdesoldaten 06 - Keine Gnade für Farrington

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