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Nächtlicher Kult im Brannwald
Оглавление„Komm Dieter, mach dir mal keine Sorgen, ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass du deine neue Aufgabe voll im Griff hast“, sagt Eberhard Palanowski, der mir gegenüber auf der Bank einer Festzeltgarnitur sitzt.
„Wirklich?“, frag ich zurück. „Ich habe null Plan, wie das gehen soll. Ich bin jetzt Chef von Abteilungen, von denen ich vor ein paar Tagen nicht einmal wusste, dass es sie gibt.“
Nun muss der Richter lachen. „Eben Dieter, du hast doch nie einen Plan. Du erledigst doch die Dinge, indem du sie tust und nicht, indem du sie planst. So wirst du es auch in Neustadt machen und dafür werden dich deine Mitarbeiter lieben.“
Die werden mich lieben? Als Chef bin ich doch da, um autoritär zu sein und nicht, um geliebt zu werden. Aber Eberhard wird schon wissen, was er sagt. Immerhin ist er als oberster Richter am Landauer Amtsgericht ja auch Chef. Mein Vertrauen in ihn ist unerschütterlich, nachdem, was wir im Sommer so alles zusammen durchgemacht haben. Sogar einen Alkoholentzug bei ihm haben wir gemeinsam durchgezogen und seitdem wohnt er bei meinem Nachbarn Reiner Buttermilch und seiner Freundin Kordula in der Ferienwohnung als Dauermieter.
Auch Reiner und Kordi sitzen mit an der Festzeltgarnitur, die wir auf der gepflasterten Fläche gleich neben unserem neuen Pool aufgestellt haben. Quendoline und Mike, meine beiden Kinder, und Quennis Freund Marc stehen zusammen am Grill und wenden was das Zeug hält, während Natalie damit beschäftigt ist, massenhaft Salate und frisches französisches Baguette herbeizuschleppen.
Nachdem ich heute ja schon zeitig nach Hause gekommen bin, habe ich mich der Gartenarbeit gewidmet und dann beschlossen, den Tag mit einem gemütlichen Grillabend mit den Nachbarsleuten ausklingen zu lassen.
So sitzen wir nun bei dem für den Winter halb abgepumpten und abgedeckten Pool.
Reiner Buttermilch schenkt gerade eine Runde von seiner frischen Buttermilch ein. Da ich weiß, dass er die Brühe von der nahe gelegenen Butterfabrik mit einem alten Güllefass nach Hause karrt, um es dort auf seine ganz eigene biologische Art weiterzuverarbeiten, mag ich das Zeug nicht trinken. So werde ich das Getränk nachher wieder langsam und Schluck für Schluck unauffällig an die Rosen schütten, um dann heimlich in der Küche meinen Durst zu stillen.
Also, alles in allem ein Samstagabend wie aus dem Bilderbuch.
Gerne würde ich das Gespräch mit Eberhard noch vertiefen, aber nun rufen uns die Kinder zum Grill, um unsere Teller zu füllen. Mike und Marc verteilen Steaks und Würstchen, während Quenni für die vegetarische Abteilung zuständig ist. Irgendwann hat sie sich meiner vegetarischen Ernährungsweise angeschlossen und bereitet mit viel Liebe fleischlose Gerichte zu. So gibt es heute leckere Gemüsespieße, gegrillten Schafskäse und gefüllte Auberginen, alles mit den feinen Röstaromen der knisternden Holzkohle.
Auffallend ist, dass Kordula ihren Teller in null Komma nichts leergeputzt hat und nun wieder an Reiners Ohr knabbert. Dann und wann unterbricht sie das Geknabbere, um ihm irgendwelche Liebesschwüre ins Ohr zu hauchen, was bei Reiner nicht gerade auf Begeisterung stößt.
„Nein Kordi“, platzt ihm nun der Kragen, „ich werde nicht sofort meinen ehelichen Pflichten nachkommen, insofern wir ja gar nicht verheiratet sind. Ich bleibe hier mit meinen Freunden sitzen und genieße den schönen Abend.“
Nun schaut sie betröppelt aus der Wäsche, wie ein Kleinkind, das sich eine Rüge eingefangen hat.
Da soll mal einer sagen, dass eine Affäre tödlich für jede Beziehung sei. Bei Kordi und Reiner war die Story im letzten Sommer eher beflügelnd, aber das ist auch wieder eine ganz andere Geschichte.
Zwei Stunden später haben sich mit der Herbstsonne auch die meisten Menschen aus meinem Garten verzogen. Nur Eberhard, der den Abend unter Freunden sichtlich genießt, und Reiner, dem frieren lieber ist als zu Hause seinen außerehelichen Pflichten nachzukommen, sind bei mir verblieben.
So philosophieren wir der Dunkelheit entgegen. Am meisten faszinieren uns die Lichtspiele im Wald am Berg auf der gegenüberliegenden Seite des Dorfes. In den bunten Blättern des herbstlichen Waldes spiegelt sich ein flackerndes Licht. Moment! Ein Feuerschein im Waldrohrbacher Wald?
„Ein Waldbrand“, sage ich voller Aufregung, „ich rufe die Feuerwehr.“
„Ruhig Blut“, meint Reiner in seiner gewohnten Lässigkeit, „da sind sicher nur ein paar junge Leute am Feiern. Denen wollen wir doch nicht die Feuerwehr auf den Hals schicken, ganz abgesehen von den Kosten.“
„Aber wenn es doch brennt?“, erwidere ich ängstlich.
„Am besten“, schaltet sich nun Eberhard ein, „wir schauen nach.“
„Du wirst doch nicht im Ernst annehmen, dass ich nun durch den dunklen Wald stolpere“, bin ich empört, „so stark ist meine Neugier dann doch nicht.“
„Du meinst, so stark ist dein innerer Schweinehund und die Trägheit deines übergewichtigen Körpers“, trifft mich der Richter an meinem wunden Punkt. „Nach dem üppigen Mahl würde uns allen etwas Bewegung gut tun.“
Der hat gut reden, seit seinem Alkoholentzug ist er das blühende Leben. Wird schlanker und schlanker, während mein Äußeres immer mehr an Obelix den Gallier erinnert.
Mürrisch erhebe ich mich von der Bank und trotte den beiden hinterher.
Ich kann mich genau erinnern, dass der Weg zum Brannwald hinauf in meinen Kindertagen nicht so steil war. Nichtsdestotrotz schwöre ich mir, ab morgen Sport zu treiben. Okay, das schwöre ich mir zum gefühlten fünfhundertsechsundvierzigsten Mal, aber vielleicht wird es ja morgen wahr. Einige endlose und schweißtreibende Minuten später verlassen wir den Weg, um uns durchs Unterholz in die Richtung des Feuerscheins zu schlagen.
Am Rande einer kleinen Lichtung werden wir auch fündig.
Dort befindet sich inmitten einer kleinen Sandsteinfläche eine befestigte Feuerstelle, mitten im Wald. Nicht zu fassen, der Erbauer muss das Baumaterial komplett hierher geschleppt haben.
Der herbstliche Lärchenwald, der seine gesamten gelb gewordene Nadeln noch trägt, rundet dieses Bild noch zusätzlich ab. Immerhin ist die Lärche der einzige Nadelbaum, der im Winter seine Nadeln verliert, was wohl dem hohen Harzgehalt geschuldet ist. Im Feuerschein des in der Feuerstelle lodernden Feuers hat man den Eindruck, dass der Wald aus purem Gold besteht.
Ein Anblick, der mir eine ordentliche Gänsehaut verpasst, da er an Schönheit kaum zu überbieten ist.
Um das Feuer stehen zwölf Gestalten mit weißen Mönchskutten, die wohl aus Leinen gefertigt sind. Die Kapuzen haben sie sich tief ins Gesicht gezogen, sodass es unmöglich ist, ihre Gesichter zu erkennen. Unten aus den Kutten schauen nackte Beine und nackte Füße heraus. Da alle vierundzwanzig Beine mehr oder weniger behaart sind, gehe ich davon aus, dass es sich ausschließlich um Männerbeine handelt.
Sie murmeln unverständlich eine Litanei vor sich hin, die an Mönchsgesang erinnert. Inmitten des Feuers steht ein großer gusseiserner Kessel, aus dem Dampf aufsteigt. Der Blick zu meinen beiden Freunden sagt mir, dass sie ebenso wie ich von diesem Schauspiel fasziniert sind.
Hier und da tritt einer der Gestalten nach vorne, um eine weitere Zutat in den Kessel zu werfen. Nach einer Weile steigen dann die Intensität und die Lautstärke des Gesangs deutlich an. Nun löst sich die kleinste Gestalt aus dem Kreis und tritt mit einer hölzernen Kelle zum Kessel. Er taucht die Kelle in den Kessel, rührt kräftig um und führt sie zum Mund, um den Inhalt durch Pusten abzukühlen.
Nachdem er mit der Unterlippe die Temperatur am Löffel geprüft und anscheinend für gut befunden hat, wirft er zum Trinken die Kapuze zurück. Erwartungsgemäß erinnert sein Äußeres an eine Märchengestalt namens Rumpelstilzchen. Moment? Rumpelstilzchen? Da war doch was? Genau, im Feuerschein steht Korbinian Jansen, unser Leichenfinder vom Trekkingplatz auf dem Johanniskreuz und das hier scheint der Druidenkult zu sein, von dem er sprach.
Als er seinen Löffel ausgetrunken hat, springt er in die Luft, klatscht die Fußflächen aneinander und ruft voller Freude ein »Heureka« aus.
Dass ich mir bei diesem comicähnlichen Schauspiel das Lachen nicht verbeißen kann, ist schon klar. Auch meine beiden Begleiter können sich nicht beherrschen und prusten laut drauf los.
„Schänder, Schänder!“, ruft eine der Gestalten. „Unser Ritual wurde entweiht.“
„Ungläubige!“, ruft ein Weiterer.
„Auf sie mit Gebrüll“, schließt sich ein Dritter an, bevor sie mit einem gemeinsamen, „Attacke!“, in unsere Richtung stürmen.
Reflexartig flüchten wir drei in den schützenden Wald.
Das ganze Szenario erinnert mich an meine Jugend. So mit dreizehn waren wir im Wald zelten. Zu der Zeit war es noch nicht üblich, in den Ferien nach Spanien oder sonst wohin zu fahren. Dann hat sich eben die Dorfjugend zusammengerottet und mit einem Bollerwagen Zelte und Schlafsäcke in den Wald geschafft, um ein Lager zu errichten.
Ernährt haben wir uns dann von Konserven und allem, was wir auf dem offenen Feuer grillen konnten.
Viel cooler jedoch war es, sich selbst etwas Nahrhaftes zu beschaffen. So sind wir also einmal in einer dunklen Nacht los, um aus privaten Fischweihern ein paar Forellen zu angeln.
Die benötigte Ausrüstung war in den damals modernen Überlebensmessern im Schraubgriff untergebracht.
Als wir so am Weiher lagen und uns auf die Schwimmer und auf den Zug an der Angelschnur konzentriert haben, kam ein Auto den Feldweg entlanggebraust.
Ein guter Grund, den Weiher fluchtartig in Richtung des stockdunklen Waldes zu verlassen.
Genau an diese Episode vergangener Tage erinnert mich die Flucht durch den sackdusteren Wald gerade jetzt. Nur bin ich ja keine dreizehn mehr und hab auch nicht im fremden Teich gefischt. Ganz im Gegenteil, wir haben doch nur als besorgte Bürger nach dem Rechten geschaut. Ist ja fast schon lächerlich, da fliehen der oberste Amtsrichter, ein unbescholtener Biowarenhersteller und der Neustadter Polizeidienststellenleiter vor ein paar bärtigen Männern, die Asterix spielen.
Meinen Freunden scheint gerade der gleiche Gedanke in den Kopf gekommen zu sein, denn sie bleiben im gleichen Augenblick wie ich stehen.
Nun fällt uns auf, dass wir gar nicht mehr verfolgt werden. Klar! Die zwölf Herren sind ja barfuß unterwegs und haben soeben ihre gepflasterte Komfortzone verlassen. Wir dagegen sind geradewegs in einen Kastanienwald gerannt. Wer Kastanienigel kennt, kann sich ja vorstellen, was diese an blanken Fußsohlen anrichten. Mit dem Gejammer der Druiden im Rücken und voller Freude über unser gutes Schuhwerk spazieren wir gemütlich nach Hause, was auch mir keine Mühe bereitet, da unser Weg ja nun bergab führt.