Читать книгу Upps!!? - Michael Schlinck - Страница 9
Bekomme ich den denn nie los?
Оглавление„Hör mal Dieter, heute ist Samstag und der Garten sollte winterfest gemacht werden. Außerdem muss der Pool zur Hälfte abgesaugt und abgedeckt, die Pumpe und der Filter abmontiert und in den Keller gebracht werden, um das Zeug vor Frost zu schützen.“
Mit diesen herzlichen Worten möchte meine Frau Natalie mich am Verlassen des Hauses hindern.
„Natalie, ich bin nun eben einmal Dienststellenleiter und streiche auch ein entsprechendes Gehalt ein“, setze ich mich zur Wehr, „da bleibt es eben auch nicht aus, dass ich samstags nach Neustadt muss. Immerhin hast du dich ja am meisten gefreut, als ich befördert wurde“, und nach diesen Worten drücke ich ihr noch einen Kuss auf die Wange und gehe zur Tür hinaus. Wie ich so vom Hof fahre, winke ich noch meinem Freund, dem Richter Eberhard Palanowski, zu, der mit meinem Nachbarn Reiner Buttermilch vor dessen Haus sitzt und am Frühstücken ist.
Ich freue mich, dass Eberhard sich hier in Waldrohrbach so wohl fühlt und nehme mir vor, am Abend mit ihm einen Feierabendtee zu genießen.
Als ich in Neustadt bei der Wache vorfahre, fall ich dann aus allen Wolken. Hier ist ein Menschenauflauf wie bei Aldi vor den Feiertagen.
Schnell biege ich in den Hof ab und beschließe, den Hintereingang zu benutzen. Auf dem Hof treffe ich dann auch gleich Klaus Reuter, unsern Technikexperten, der auch meinen Mini ordentlich aufgepimmt hat.
„Hast du ein Glück, dass die dich noch nicht kennen“, sagt er zur Begrüßung, weshalb ich ihm mit meinem breitesten Grinsen ein: „Dir auch einen wunderschönen guten Morgen lieber Klaus“, entgegen trällere.
„Sag mal“, werde ich nun ernst, „wer sind denn die vielen Leute? Und vor allem, was wollen die alle hier?“
„Ja, Dieter, das sind die hiesigen Pressevertreter. Dein Vorgänger hat immer sehr gerne sein Wissen mit ihnen geteilt.“
„Und somit für reichlich Zeitungsenten gesorgt“, vervollständige ich den Satz.
„Das ist denen ziemlich Wurst, die stürzen sich auf alles, was eine Schlagzeile bringen könnte“, klärt mich unser Daniel Düsentrieb auf.
„Und was soll ich nun mit denen machen?“
„Entweder wirfst du ihnen etwas zum Fraß vor oder du ignorierst sie.“
Schön, eine Wahl zu haben. So gehe ich in mein Büro und ignoriere. Praktisch, das Ignorieren. Also ich könnte mich ans Ignorieren gewöhnen. Ich rufe die Berichte von unserem gestrigen Leichenfund auf, lese sie durch und ignoriere dabei angestrengt. Nachdem die aufgebrachte Menge vor der Tür mit Chorgesang die Wache beschallt, fällt es mir zunehmend schwerer, sie zu ignorieren.
„Wir wolln, wir wolln Infos“, tönt es da draußen zur Melodie von »We will rock you« von Queen.
Um das Ignorieren zu erleichtern, schalte ich das Radio ein, aus dem auch tatsächlich gerade der Megahit der englischen Band, mit dem leider viel zu früh verstorbenen, charismatischen Sänger Freddie Mercury, tönt. Nun kann ich mich endlich auf die Berichte konzentrieren. Mit der richtigen Musik auf den Ohren ist das Ignorieren ein Kinderspiel.
Leider ist auch der schönste Hit irgendwann vorbei, worauf der Moderator live zu seinem Außenreporter schaltet, der sich vor der Neustadter Polizeiwache befindet.
Wohin?
„Hallo liebe Hörer Zuhause oder unterwegs an Ihren Rundfunkgeräten, hier ist euer Rudi Renner. Ich spreche heute direkt vom Neustadter Polizeirevier zu Ihnen, wo sich eine stattliche Menge Journalistenkollegen versammelt hat. Hier soll gestern ein Fall aufgenommen worden sein, bei dem eventuell ein Mensch auf unnatürliche Weise zu Tode gekommen ist. Bisher jedoch wurden seitens der Polizei keine Informationen über dieses Ereignis an die Öffentlichkeit weitergegeben, weshalb ich mich hier mit vielen meiner Kollegen eingefunden habe, um für Ihr Recht an Informationen zu demonstrieren“, tönt es aus meinem Lautsprecher. „Nun frage ich einen der Demonstranten, ob er über irgendwelche Informationen verfügt.“ Was nun kommt, haut mich aus den Socken. „Guten Tag, verehrte Hörer“, kommt nun eine mir vertraute Stimme aus dem Radio, „mein Name ist Rüdiger Heuler und ich bin, bei aller Bescheidenheit, der führende Kriminalist landesweit. Ich weiß mit aller Sicherheit, dass am gestrigen Nachmittag die Mordkommission, wenn man das bei diesem führungslosen Haufen so nennen kann, ausgerückt ist. Kurz darauf wurden dann auch die Spurensicherung und die rechtsmedizinische Abteilung hinzugerufen. Die Summe dieser Tatsachen deutet eindeutig auf ein Gewaltverbrechen hin, über das die Bevölkerung umfassend informiert werden muss. Hier sollte die Informationspolitik eindeutig und weit über der Ermittlungstaktik stehen. Deshalb fordern wir das Recht ein, informiert zu werden. Die Menschen sollen ein Recht haben, sich unsicher zu fühlen!“
Da nun die Sendezeit des Reporters überschritten sein dürfte, spielt die Sendezentrale wieder Musik.
Ich bin inzwischen zum Fenster gegangen, durch das ich tatsächlich den Heuler sehen kann, der weiterhin unbeirrt in das Mikrophon spricht. In seinen Händen hält er ein Transparent mit der Aufschrift »Katastrophale Polizeiarbeit«.
Nun platzt mir aber doch der Kragen. Besitzt der Kerl, der vor kurzem noch mein ungeliebter Vorgesetzter war, tatsächlich die Frechheit, sich mit einem Transparent vor die Wache zu stellen. Nun stellt er sich mit wolln, wir wolln Infos!“
Also raus aus der Tür und die Treppe hinab. Unten auf dem Flur treffe ich wieder auf Klaus Reuter.
„Ah Chef“, quatscht er mich an, „wo geht es denn hin?“
„Dort hinaus“, sag ich in einem Ton, als hätte er Schuld an meiner Wut.
„Du weißt aber, dass dort draußen Hyänen sind, die jahrelang vom Heuler gefüttert wurden und sich deshalb mit ihm solidarisch zeigen und dich zerfleischen wollen?“
„Ja und?“, blaffe ich immer noch in Rage zurück.
„Das bedeutet, dass du einen guten Plan haben solltest, bevor du da raus gehst.“
Das ist sicher ein gut gemeinter Rat von Klaus, den ich kurzentschlossen nicht berücksichtige.
„Ich improvisiere“, sag ich so vor mich hin und schreite an Klaus vorbei zur Tür hinaus, wo die Menge auch direkt verstummt.
„Das ist er!“, schreit der Heuler den Reportern zu. „Er hat sich die Dienststellenleitung ergaunert, um dann die Pressefreiheit mit Füßen zu treten. Macht euch ein Bild und schreibt über diesen Skandal, um die alte Ordnung wiederherzustellen.“
Nun schauen mich alle an wie eine Hexe auf dem Scheiterhaufen. Fehlt nur noch, dass sie mich in Brand setzen. Das Schöne dabei ist, dass ich nun ihre volle Aufmerksamkeit habe.
„Sehr geehrte Vertreter der Presse“, beginne ich ruhig zu sprechen. Absichtlich rede ich mit leiser Stimme, damit sie mir alle angestrengt zuhören und mich keiner zu unterbrechen wagt.
„Richtig ist, dass wir gestern einen Leichenfund protokolliert haben. Allerdings wissen wir derzeit noch nicht, unter welchen Umständen diese Person ums Leben kam, noch, um wen es sich dabei handelt. Selbstverständlich werden wir eine Pressemitteilung herausgeben, sobald wir gefestigte Informationen haben.“
„Alles leere Phrasen“, kreischt der Heuler hinter seinem Transparent hervor, das er sich zur Tarnung vor die Birne hält, „merkt Ihr denn nicht, dass der mit vielen Worten nichts sagen tun tut.“
Tun tut? Nun verliert er doch deutlich die Fassung. Zeit für einen weiteren Schachzug.
„Diese Informationen, die Sie bekommen werden, sind alle fundiert und verbindlich. Informationen die Sie drucken können, ohne dass Sie tags darauf bei Ihrem Redakteur vorsprechen müssen.“ So, das sollte gesessen haben.
„Der will euch doch nur manipulieren“, kommt es nun etwas kleinlauter hinter der Aufschrift »Katastrophale Polizeiarbeit« hervor. „Helft dabei, die alte Ordnung wiederherzustellen.“
„Oder freut euch auf eine neue Ordnung“, setze ich nahtlos an, „wir werden hier in der Wache schon nächste Woche ein Pressebüro einrichten. Somit ist dann gewährleistet, dass jeder von Ihnen zu jeder Zeit an Informationen kommt, ohne auf den guten Willen einer einzelnen Person angewiesen zu sein.“
Nun herrscht Totenstille vor dem Haupteingang der Wache. Selbst der sonst so gesprächige Heuler muss sich anscheinend erst einmal von diesem Schlag erholen. So gerne ich diese Situation auch auskoste, nun sollte ich mich zurückziehen, bevor die Gegenseite zu einem Verzweiflungsangriff ausholt.
„Nun entschuldigen Sie mich bitte“, sag ich deshalb, „ich hab noch einen Stapel Berichte auszuwerten.“ Dann drehe ich mich um und gehe in das Gebäude.
Drinnen stehen die Kollegen rechts und links an der Wand entlang und beginnen erst verhalten, dann jedoch euphorisch zu applaudieren.
Am Ende der Reihe steht Klaus Reuter, klopft mir anerkennend auf die Schulter und sagt: „Wenn du so improvisierst, möchte ich mal eine geplante Aktion von dir erleben.“
Mit reichlich Gänsehaut gehe ich in mein Büro zurück, wo ich mich dann durch den Stapel von Berichten arbeite. Von der Straße höre ich noch ein Weilchen eine einsame Stimme: „Wir wolln, wir wolln Infos“, krächzen.
Den in meinen Augen wichtigsten Bericht bringt mir allerdings Yasmin Kalt ins Büro. Er besagt, dass der menschliche Fleischsalat vom Trekkingplatz tatsächlich von Peter Brechtel stammt.
„Dann wollen wir mal“, sag ich zu Yasi, schnappe meine Jacke und kontrolliere dabei, ob sich mein Autoschlüssel auch darin befindet.
„Gerne Scheffe“, gibt sie als Antwort, „und was wollen wir mal, wenn ich fragen darf?“
Mann, kann die Fragen stellen: „Na, zur Frau Brechtel, ihr die schlechte Nachricht und ihre Haarbürste überbringen“, sag ich reichlich genervt. Dass ich das Wort »Scheffe« absolut nicht ausstehen kann, sag ich mal lieber nicht, bevor sie hier wieder das große Flennen bekommt.
„Aber Chef“, jetzt klingt sie auch noch empört, „dafür haben wir doch eine spezielle Einsatzgruppe mit geschulten Beamten und einem Seelsorger.“
„Was haben wir?“, bin nun ich erstaunt. „Und wofür bin ich da?“
„Na zum Delegieren, zum Instruieren und zum Repräsentieren.“
Nun beginn ich zu hyperventilieren. Da ich allerdings nun überraschenderweise nichts mehr zu tun habe, beschließe ich nach Hause zu fahren, um zu regenerieren.