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3. Die Belagerung
ОглавлениеWilhelm wusste nicht, ob sie dem Marshall trauen konnten. Vielleicht hätten sie sein Angebot ausschlagen sollen, auch wenn es nicht schien, als sei dies eine Option. Aber andererseits ist eine regelmäßige warme Mahlzeit besser, als sich alleine durchzuschlagen, denn ehrlich gesagt hatten sie bisher nicht wirklich Erfolg mit der Verbrecherjagd. Zwar hatten sie die Kriminellen, hinter denen sie her waren, immer geschnappt, doch wirklich auskömmlich war das nicht. Die Belohnungen zu gering und der Aufwand zu hoch. Es dauerte einfach zu lange, bis ihnen einer ins Netz ging. Stanford war von ihnen beiden derjenige der die Dinge plante. Er war es auch gewesen, der überhaupt auf die Idee mit den Kopfgeldern kam. Wilhelm vertraute ihm. Er war, wie der große Bruder zu ihm den er nie hatte. Er war es auch, der schließlich für sie beide entschieden hatte, dem Marshall nachzugeben. Wilhelm wusste, dass Stan schon immer davon träumte, sich irgendwann einfach zur Ruhe zusetzen. Irgendwo eine kleine Farm kaufen und alles hinter sich lassen. Jackson hatte ihnen versprochen, sie könnten alle Kopfgelder, die auf Verbrecher ausgestellt waren, die sie gemeinsam fangen würden, behalten. Dennoch war ihm nicht wohl bei der Sache, es ging einfach alles zu schnell.
Sie waren auf dem Weg ins Büro des Sheriffs, wo Marshall Jackson und seine Leute ihr Lager aufgeschlagen hatten.
Wilhelm betrachtete den großgewachsenen Marshall hier draußen im Tageslicht etwas genauer. Er war tatsächlich einen guten Kopf größer als er. Und er selbst war bereits ein ganzes Stück größer als Stan. Seine gesamte Kleidung war schwarz, die Stiefel, Hose, Hemd, Mantel, einfach alles. Er stand wohl auf diese Farbe, denn bereits vorhin als sie plötzlich während des gefakten Duells aufgetaucht waren, hatte er sein Pechschwarzes Pferd bemerkt. Auf dem Rücken zwischen den ungewöhnlich breiten Schultern hatte er einen, natürlich schwarzen, Halfter, in dem Ein Gewehr steckte. Sein Colt augenscheinlich eine Armeewaffe, ein Peacemaker wahrscheinlich, mit ebenfalls schwarzem Griff, baumelte an der linken Hüfte. Außerdem bemerkte Wilhelm einen offenbar selbstgeschnitzten Messergriff der aus dem Stiefel des Marshalls lugte. Er musste unweigerlich an ihre eigenen Waffen denken. Stan trug einen Revolver von Remington, Will Smith and Wesson. Auch er trug sein Gewehr, welches er in seiner Zeit beim Zirkus selbst gefertigt hatte, auf dem Rücken und eines seiner Wurfmesser, von denen er in seinem Gepäck noch mehr hatte, ebenfalls im Stiefel.
Wilhelm und Stan hatten bisher nur einen Weiteren von ihnen persönlich kennengelernt. Sein Name war Paul. Er zeigte sich ihm gegenüber offen feindselig, nahm ihm die Sache mit dem Gewehr, das er ihm auf dem Dach ins Gesicht gehalten hatte, noch immer übel. Der Deputy war aber auch nicht gerade eine Frohnatur. Eigentlich war er ein Ebenbild des Marshalls, nur jünger, kleiner, dicker und Weiß! Er schien seinem Chef treu ergeben zu sein. Wilhelm sah ihn an und ballte dabei seine Faust. Er schwor sich, dass er es ihm noch heimzahlen würde und sie irgendwann in seinem Gesicht landen würde.
Jemand drängte sich von hinten an ihm und Stanford vorbei zum Marshall.
„Nehmen sie mich mit. Sie suchen doch noch Leute, richtig?“ forderte sie ohne Umschweife. Wilhelm betrachtete die junge Frau ausgiebig, konnte es dieselbe sein, die er im Saloon zusehen geglaubt hatte? Sie war dürr, wirkte aber nicht verhungert. Ihre Haut war dunkel aber nicht so wie die des Marshalls, eher wie die einiger Indianerstämme.
„Ich brauche noch Unterstützung für die Jagd nach einem üblen Schurken. Das ist korrekt.“ Irrte er sich oder begann der Marshall genauso geschwollen zu reden wie Stan?
Er sprach zwar mit ihr, doch wohl nur aus Höflichkeit. Das hatte selbst Will bemerkt.
„Dann bin ich dabei, ich werde ihn für sie töten, das schwöre ich.“ Die junge Frau, meinte es tot ernst. Das konnte jeder mit ein bisschen Verstand sofort sehen. Wilhelm fragte sich, welchen Grund sie dafür hatte. Keine Frau, die er kannte, benahm sich so. Allerdings kannte er auch nicht sehr viele Frauen. Man sagte ihm zwar allgemein nach, dass er ein gutaussehender Bursche sei, doch Frauen gegenüber verhielt er sich eher höflich zurückhaltend.
Der Marshall blieb stehen und betrachtete sie ebenfalls kurz. Sie war eindeutig Indianerin, musste aber längere Zeit unter Weißen verbracht haben, zumindest sprach sie recht gutes Englisch. Ihre Kleidung schien zwar typisch indianisch, war aber irgendwie schäbig, als hätte sie sie länger nicht gereinigt. Außerdem erschien sie ihm, auch wenn es zurzeit nicht wirklich kalt war, doch ziemlich knapp zu sein. So als trüge sie die Kleidung eines Kindes. Ihre Haut war fast makellos, bis auf ihren rechten Arm. Die Brandwunden, die ihn zierten, waren schon etwas älter, sahen aber trotzdem noch immer schmerzhaft aus. Im Gegensatz zu ihrer Kleidung schien sie zumindest auf ihren Körper zu achten. Ihre Haare waren pechschwarz und fast so kurz wie bei einem Mann. Sie war gertenschlank, wirkte beinahe unterernährt. Trotzdem machte sie nicht den Eindruck eines hilflosen Fräuleins.
„Nein.“ Sagte er nur kurz und knapp. Ohne ein weiteres Wort setzte er sich wieder in Bewegung. Die drei anderen folgten ihm schweigend. Will überlegte dabei, wie er reagiert hätte. Sie schien einen guten Grund zu haben, weshalb sie sich ihnen anschließen wollte, und vielleicht konnte sie sogar kämpfen, trotzdem war er sich unsicher wegen ihr. Es war ihm egal, dass sie Indianerin war, er hatte Indianer kämpfen sehen. Aber er hätte ebenso wie der Marshall entschieden, egal was sie sagte.
Das Mädchen gab jedenfalls nicht auf. Sie lief an der Gruppe vorbei und stellte sich ihnen erneut in den weg.
Paul wollte sie aufhalten, doch der Marshall schien ihm dies nicht zu erlauben, immerhin war sie eine Frau und sie vertraten das Gesetz.
„Aber sie sagten, sie brauchen noch Leute, also warum…“
„Aber keine Frau.“ Er sagte nicht, sie solle zurück an den Herd. Doch man sah es deutlich in sein Gesicht geschrieben.
„Machen sie eine Ausnahme. Bitte. Ich werde sie nicht enttäuschen, ich werde schneller reiten, weniger schlafen und härter kämpfen als alle ihre Gefährten.“
Nun sah Paul noch wütender aus, er nahm diese spitze Bemerkung wohl persönlich.
„Nein!“ antwortete Jackson so kühl wie zuvor.
„Ich habe noch nie einen schwarzen Marshall gesehen. Ich wette, sie haben den Posten nur bekommen, weil irgendjemand eine Ausnahme gemacht hat.“
„Nein!“ Das war sein letztes Wort, dann ließ er sie eiskalt stehen. Schneid hatte sie, das musste er ihr lassen und einen eisernen Willen. Er glaubte nicht, dass sie so leicht aufgeben würde, doch auch der Marshall würde nicht nachgeben, da war er sich sicher.
Als sie vor der Tür standen, drehte sich Will noch mal zu ihr um. Sie war mit hängendem Kopf stehen geblieben. Sie wirkte nicht traurig, eher enttäuscht. Er sah es in ihren Augen, egal was sie vorhatte, sie war entschlossen es durchzuziehen. Notfalls allein.
Das Sheriffs Office unterschied sich in keiner Weise, von den anderen die Wilhelm überall im Land gesehen hatte. Rechts neben dem Eingang stand ein alter Schreibtisch, an dem einer von Jacksons Männern saß. Die Cowboystiefel tragenden Füße daraufgelegt und in dem Stuhl so weit zurück gelehnt das er fast mit dem Hinterteil den Boden berührte. Daneben in der Mitte des Raumes befand sich ein alter Ofen, auf dem eine Kanne mit heißem Kaffee dampfte.
Links von ihnen ging es in den hinteren Teil, wo sich in einem größeren Raum zwei darin integrierte Zellen für Gefangene befanden. Genaugenommen hatte man nur die linke Hälfte mit ein paar Metallgittern vom Rest abgetrennt. Die Wände dahinter waren massiv. Wilhelm vermutete, dass man diesen Teil zusammen mit der Kirche gebaut hatte, wahrscheinlich lagen die Gebäude deshalb so dicht nebeneinander. Gegenüber befanden sich ein geöffneter Waffenschrank, eine weitere Pritsche, eine massive Holztruhe, ein Tischchen mit Wasserbecken, sowie ein zweiter Ausgang. Dies war der Bereich des Sheriffs. Bei den Zellen stand außerdem ein alter Lehnstuhl, auf dem der dritte Deputy saß. Von Jackson wusste er, dass sie nur noch zu viert waren. Jackson selbst, sein Stellvertreter Paul und die zwei anderen. Ihre Namen waren wohl Rob und George, doch er wusste nicht, welcher von ihnen wer war und so nickte er diesem hier nur freundlich zu. Er warf einen Blick in den Waffenschrank. Bei dem Arsenal war es kein Wunder, das ein Sheriff hier nicht lange überlebte. Außer ein oder zwei Gewehren war nichts Brauchbares dabei, aber was das anging, war er sehr anspruchsvoll. Ohne die richtige Waffe war auch der beste Schütze nichts wert. Munition schien es keine mehr zu geben.
Jackson und Stan waren vor den Zellen stehen geblieben und der Marshall sprach ausführlich mit seinem Deputy.
In jeder der Zellen befand sich ein Gefangener. Beide lagen bewegungslos auf ihren Pritschen. Der Arzt, der Stanford zuvor auf der Straße angesprochen hatte, war bei einem der beiden. Paul stand von innen an der Zellentür und passte auf den Doc auf.
Der dem Wilhelm ins Bein geschossen hatte und der vom anderen Gringo genannt wurde, schrie vor Schmerz, als ihm ein Verband angelegt wurde. Jemand hatte das Bein zuvor abgebunden, um die Blutung zu stoppen.
„Er wird es überleben.“ Sagte der Arzt beiläufig. Wilhelm war schon zuvor aufgefallen, dass er ebenfalls sehr mexikanisch aussah. Der Marshall schien sich trotzdem selbst davon überzeugen zu wollen, dass der Mann nicht tödlich verwundet war. Er ging zu Gringo in die Zelle und löste damit Paul ab, der dafür herauskam. Er sah Wilhelm höhnisch an, als er an ihm vorbei zur Pritsche des Sheriffs ging. Oh ja, dachte Wilhelm, meine Faust hat eine Verabredung mit deinem Gesicht.
„Guter Schuss.“ Murmelte Jackson leise vor sich hin, während er sich Gringos Verletzung ansah. Wilhelm hörte es trotzdem. „Wo ist der Sheriff dieses Kaffs?“ die Frage schien an niemand Spezielles gerichtet zu sein. Trotzdem schien sich der Arzt, der dem Marshall am nächsten stand angesprochen zu fühlen.
„Den letzten haben sie vor ein paar Monaten umgelegt, nur drei Tage nach seinem Eintreffen, seither ist keiner mehr hier aufgetaucht. Zwei Tagesritte entfernt ist ein Fort, aber selbst die Kavallerie lässt sich hier kaum blicken.“
„Wir packen die zwei ein und ziehen weiter.“ Befahl der Schwarze in einem Tonfall, der keine Widerworte zuließ. Der Doktor wusste dies offensichtlich nicht.
„Unmöglich, sein Zustand…“ Marshall Jackson sah ihn grimmig an. „Wenigstens ein, zwei Tage, bis ich seine Wunde soweit versorgt habe, dass er transportfähig ist.“
Jackson gab sich nachsichtig.
„Wir bleiben bis morgen, länger nicht.“
Während sich der Arzt, der sich ihnen als Enrico Mendoza vorstellte, seinem Patienten widmete, besprach Marshall Jackson mit Paul die Lage. Er wollte die zwei Gefangenen am nächsten Morgen nach dem Versteck ihres Anführers ausquetschen.
„Wenn wir dann in seinem Lager angekommen sind, werden wir weitersehen. Ein Überraschungsangriff wäre das Beste. Sie werden uns ja wohl kaum erwarten. Optimal wäre es, wenn wir zuvor Einige von ihnen herauslocken könnten, um sie einzeln zu erledigen. Die Details klären wir dann aber vor Ort.“
„Ihnen ist aber schon bewusst, dass dies immer noch unsere Gefangenen sind?“ warf Stanford mutig ein.
„Keine Sorge,“ erwiderte der Marshall grimmig, „Ihr sollt eure Belohnung bekommen.“ Stanford nickte zustimmend, was nicht hieß, dass er beruhigt war. Auch er war noch skeptisch was den Marschall und seine Männer anging und ihre Kooperation mit ihnen.
Nachdem er sich ohne Wilhelm, Stan und die anderen weiter mit Paul besprochen hatte, gab Jackson den Befehl, dass sie sich alle ausruhen sollten. Jemand sollte den beiden Gefangenen zuvor noch etwas zu essen bringen. Stanford meldete sich freiwillig.
„Ich habe die widerliche Pampe, die man hier als Eintopf bezeichnet probiert. Die drei Wochen Durchfall haben die zwei hier absolut verdient.“ Meinte er lächelnd.
Während er ihm einen Teller hinschob, bemerkte er Chicos seltsames Verhalten. Sie hatten sich nur um Gringos Bein gekümmert und Stan hatte den anderen völlig vergessen.
„Der kleine Betrug beim Spiel tut mir leid. War nichts Persönliches. Vielleicht können sie gar nicht mal was dafür das sie so ein Arschloch sind. Falsche Freunde, schlimme Kindheit… ich kenne das.“ Stan versuchte, sein verständnisvollstes Gesicht aufzusetzen. „Als Wiedergutmachung habe ich ihnen einen leckeren Ein... ähm Suppe mitgebracht.“ Er sagte auch weiterhin kein einziges Wort. Es passte überhaupt nicht zu dem Kerl, den sie im Saloon entdeckt und als einen von denen auf ihren Steckbriefen erkannt hatten, so still zu sein. Er lag nur da, auf seiner Pritsche und starrte zur Decke. Es war, als würde er gar nicht mehr atmen, nur röcheln. Stan stieß ihn an, doch der andere bemerkte es gar nicht.
„Was ist mit ihm?“ Wieder galt die Frage irgendwie allen im Raum, doch wieder antwortete nur Doc Mendoza.
„Ich muss gestehen ich weiß es nicht, er zeigt Symptome einer Lungenentzündung, aber da ist noch etwas, ich kann es nicht erklären, es ist seltsam, wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man meinen, er ist tot.“ Urplötzlich griff er jedoch mit einer Hand nach Stanford, der wie alle, erschrocken zusammenzuckte. Für einen Moment fürchtete er, sein Herz sei vor Schreck stehen geblieben. Es dauerte einen Augenblick, bis er sich wieder gefasst hatte und die Hand schließlich wegschlug.
„Tote bewegen sich nicht.“ Außer dem scheinbar reflexartigen Angriff regte sich Chico auch weiterhin nicht.
Er hatte Stanford bei der ganzen Aktion aber offenbar gekratzt. Der Engländer nahm das Tuch aus seiner Hemdtasche, um es sich um die Hand zu binden.
„Wie ich sagte, seltsam!“ Wiederholte Mendoza und ging dann zu Stanford, um sich seine Hand anzusehen. Der Mexikaner lag wieder völlig regungslos auf seiner Pritsche. Marshall Jackson wandte sich Gringo zu, dessen Verband mittlerweile fertig angelegt war.
„Was hat das zu bedeuten?“ fragte er. Der andere antwortete nicht, zog nur die Schultern hoch. Jackson ging langsam in die Zelle und auf ihn zu. Der Doc war bereits raus, um sich Stans Wunde anzusehen.
„Das ist nichts,“ wiegelte der jedoch ab.
Jackson baute sich vor Gringo, wie ein Bär vor seiner Beute auf. Dann packte er urplötzlich dessen Wunde und drückte zu, bis dieser aufschrie und Tränen seine Augen füllten. Der Doc drehte sich weg, fragte sich vermutlich, ob das wirklich sein musste. Besonders da er den Verband gerade erst angelegt hatte.
„Aber unsere Methoden infrage stellen.“ Flüsterte Wilhelm, Stanford zu.
„Ich weiß es nicht.“ Gringo flehte Jackson geradezu an aufzuhören. Tatsächlich schien er sich über sein eigenes Verhalten zu erschrecken und lies entsetzt los.
Nun wurde der andere wieder mutiger und begann zu fluchen. Jedoch noch immer gequält wegen der Schmerzen.
„Ich weiß nur das Carlos kommen wird, um seinen Bruder zu holen. Und wenn er Emilio so vorfindet, werden Boss Thompson und die anderen hier alles in Schutt und Asche legen.“
„Du meinst Carlos Sanchez?“ fragte Stanford und Wilhelm sah ihn überrascht an.
„Die rechte Hand von Blackfist Thompson? Also nicht die in dem schwarzen Handschuh, sondern sein Stellvertreter.“ Fragte er zurück.
„Genau der. Ihr braucht morgen früh nicht aufbrechen, um sie zu suchen. Blackfist wird euch finden und dann seid ihr alle tot. Ahhh.“ Doktor Mendoza der wieder nach seinem Verband gesehen hatte, hatte offenbar etwas zu fest zugepackt.
Einige Stunden zuvor, ganz in der Nähe:
Der Wind wirbelte etwas von dem trockenen Sand auf und ließ loses Gestrüpp umherfliegen. Die milde Abendsonne kühlte die Luft in dem kleinen Tal allmählich ab. Es lag etwas abseits der kleinen Städtchen die Goldgräber, Abenteurer und andere Glücksritter hier im Westen errichtet hatten. Der Eingang zur Goldmine lag gut geschützt und bot ihnen so ausreichend Schutz vor neugierigen Blicken. Kaum jemand kannte diesen Ort und die die davon gehört hatten, wussten aber auch, dass hier schon lange nichts mehr gefunden worden war. Was der Gauner Blackfist und seine Männer suchten, war aber auch kein Gold, sondern Schutz. Genaugenommen hatten sie bereits jede Menge Gold, doch das hatten sie sich nicht mit ehrlicher Arbeit verdient. Damit hatten diese Verbrecher nichts am Hut.
Dafür brauchten sie einen Unterschlupf, wo sie sich ausruhen und vor dem Gesetz verstecken konnten. Und um ihre Beute zu lagern. Für all das war dieser Ort perfekt. Die Höhle war riesig groß und hatte mehrere kleinere Tunnel, die vom Hauptteil abzweigten. Die Goldgräber hatten damals gehofft, noch mehr zu finden, aber nichts von dem, was sie versuchten, brachte den erwünschten Erfolg. Also gaben sie irgendwann auf. In diesen Tunneln konnten sich Blackfists Mannen ausruhen, die Beute verstauen und jedwede Jäger abschütteln oder in eine Falle locken. Ihr Anführer selbst hauste meist jedoch etwas komfortabler als auf Decken und in Schlafsäcken in feuchten dunklen Höhlen. Er und ein paar seiner Hauptmänner nächtigten in einer etwas bequemeren Unterkunft. Neben dem Hauptgebäude, in dem sich ein kleines Büro befand und ein Raum zum Kochen und Ähnliches, gab es noch einen Schuppen, der wohl als Lager für Werkzeug gedient hatte.
Der alte Sullivan hatte ungepflegtes langes graues Haar. Er hasste Mexikaner, aber noch viel mehr die Indianer. Er gehörte nicht gerade zu den intelligentesten, obwohl eigentlich keiner in dieser Bande sonderlich viel Grips hatte. Allerdings war er ein erfahrener Gauner. Er verfügte über das Selbstbewusstsein und die Kaltblütigkeit, andere herumzukommandieren und ihnen seinen, beziehungsweise Blackfists Willen aufzuzwingen.
„Parker, Lee, treibt die Pferde zurück in die Koppel.“ Er kümmerte sich um die Dinge, für die ihr Anführer keine Zeit hatte. Aufgaben zu verteilen und alles zu koordinieren lag ihm irgendwie im Blut. Er wusste das ihn alle deswegen hassten, aber das war ihm egal, solange nur jeder auf ihn hörte. Zurzeit lief gerade alles rund und es gab kaum etwas zu beanstanden für ihn. O‘Toole, den er eigentlich für etwas zu anständig für ihre Organisation hielt war für die Wache eingeteilt. Sullivan erkundigte sich bei ihm nach erwähnenswerten Vorfällen.
„Alle ruhig.“
O‘Toole war einer der wenigen unter ihnen der schreiben und lesen konnte. Die anderen neckten ihn häufig damit das er besser lesen konnte als schießen. Sullivan war ihm gegenüber offen feindselig eingestellt. Besonders seit er vor einiger Zeit den Halbindianer Semo in ihre Truppe geholt hatte. Der kräftige Kerl war zwar, seiner Ansicht nach, besser zu gebrauchen als O’Toole, kräftiger, stärker und ein guter Fährtenleser, aber Sullivan hasste ihn trotzdem.
Er betrat den alten Schuppen der nur den Führungsoffizieren als Behausung vorbehalten war. Überall lagen Tierfelle und bunte geknüpfte Decken herum, die sie irgendwelchen Indianern abgenommen hatten. Blackfist, Carlos und Giletti hatten es sich auf ihren zusammengeklauten Nachtlagern gemütlich gemacht.
„Lewis hat noch einmal die ganze beute überprüft. Ich habe ihm Raulito, Kenny und Fisch zur Seite gestellt. Damit sie ihm zählen helfen.“ Mario Giletti sah den alten Sullivan wütend an. Hatte er sie gerade bei einer wichtigen Besprechung gestört? Ohne ihn? Dann geschah es ihm nur recht.
„Sie sollen es nochmal zählen.“ Raunzte Carlos. „Und wenn sich dieser Penner Lewis geirrt haben sollte, kann er schon mal anfangen sich ein zweites Holzbein zu schnitzen.“ Lewis war hier so etwas wie ihr Lagerverwalter. Er hatte vor ein paar Jahren ein Bein verloren und war seit her schlecht zu Fuß. Weit ab von jeder Zivilisation würde er nicht weit kommen, falls er sie bestehlen wollte, deshalb war er ideal für den Job. Immer wenn sie zu einer neuen Diebestour loszogen blieb er hier und gab auf alles acht. Carlos war sauer auf ihn, weil er entdeckt hatte das mit Emilio auch ein Teil ihrer Beute verschwunden war.
Sullivan und der Italiener Giletti waren unzufrieden mit der Rolle von Carlos als Thompsons „Kronprinz“, wie ihn Giletti heimlich nannte. Während Henry Sullivan schon von Anfang an zu Thompsons Truppe gehörte, hatte sich ihnen der Gauner Giletti mit seinen Leuten erst etwas später angeschlossen. Was auch der Grund dafür war, dass er sich als legitimen Stellvertreter Blackfists sah. Der Anführer der Gang war von seiner Loyalität jedoch nicht so sehr überzeugt wie von der von Carlos.
„Sein Bruder ist mit einem Teil unserer Beute abgehauen.“ Giletti schimpfte schon seit einer Weile über Carlos‘ Bruder Emilio.
„Ich habe es dir doch bereits erklärt, Affengehirn, er ist nicht abgehauen. Er braucht nur etwas Entspannung. Er und Gringo sitzen ganz sicher in irgendeinem Saloon und ziehen ein paar Idioten beim Pokern ab.“
Mario Giletti war mit der Antwort von Carlos noch immer nicht zufrieden.
„Er ist faul, träge und unberechenbar. Wäre er nicht dein Bruder, hätte ich ihn längst aufgeknüpft.“
„So etwas hast du nicht zu entscheiden.“
„Aber Du?“
Blackfist hatte sich das Gezanke lange genug angehört.
„Ruhe jetzt. Semo hat bereits seine Spur aufgenommen, sobald er zurück ist, holen wir uns Emilio und unsere Beute.“
„Ich hasse Indianer.“ Sullivan spukte verächtlich seinen Kautabak in einen verdreckten Eimer. Kaum einer mochte Semo, doch das schien ihrem Anführer egal zu sein. Er wusste, dass sie seine Fähigkeiten gut brauchen konnten.
„Halber Indianer.“ Dieser Umstand schien Carlos zumindest erwähnenswert zu sein.
„Seine mexikanische Hälfte hasse ich auch!“
Blackfist sah ernst aber versucht beschwichtigend in die Runde. „Wenn wir beides haben, werde ich entscheiden, was mit Emilio geschieht!“
Der Halb indianische, halb mexikanische Cowboy war seit Stunden geritten, als er völlig abgehetzt das Lager erreichte. Er wartete nicht einmal, bis einer der Herbeigeeilten die Zügel seines Pferdes griff. Er sprang in einem Satz herunter und in das Gebäude, das neben dem Eingang zur alten Goldmine stand. Blackfist und die anderen sahen ihn verärgert an, als er sie beim Whiskey trinken, störte.
„Ich konnte Emilio nicht erreichen.“ Keuchte Semo völlig außer Atem. Die bösen Blicke des alten Sullivan und dem undurchsichtigen Gauner Giletti ignorierte er. Er wusste, dass es kaum jemanden in ihrer Gang gab, der ihn der Halbindianer und zur anderen Hälfte Mexikaner war, besonders mochte. Dennoch schätzte nicht nur ihr Anführer Blackfist Thompson seine Fähigkeiten des Fährtenlesens und Anschleichens. „Dieser verdammte Marshall ist in Nojust aufgetaucht und hat ihn und Gringo im Büro des Sheriffs eingesperrt.“
Carlos sprang sofort auf.
„Wir dürfen keine Zeit verlieren.“
„Sattelt die Pferde.“ Erwiderte Thompson. Das war genau die Art Nachricht, auf die er gewartet hatte. Emilio und den Teil ihrer Beute aus dem alten Indianergrab zurückholen und gleichzeitig den verhassten Marshall der sie seit Jahren verfolgte endlich aus dem Weg räumen. „Dieser dreckige Sohn einer räudigen Hündin ist endgültig fällig.“
Es war bereits dunkel, als sich Jackson allein in den Hinterhof des Sheriffsoffice zurückgezogen hatte. Er brauchte dringend eine Pause. Es war nicht richtig, wie er den Gefangenen behandelt hatte, er war zu weit gegangen. Er gestattete sich nicht, Fehler zu machen. Sie sind ein Zeichen von Schwäche und das war das Letzte, was er sich erlauben durfte.
Hier draußen war es ruhig, das tat gut. Nur in der Ferne jaulte ein Hund. Oder vielleicht war es auch ein Kojote, wen interessierte das schon? Ein paar Meter weiter von den Hauptgebäuden weg, lag still und friedlich ein kleiner Bach. Eine Brücke führte darüber, zu einem Sägewerk und einer angrenzenden Wassermühle, deren Rad bei jeder sanften Bewegung leise quietschte. Er sog die Stille mit jedem Atemzug tief in seine Lungen ein. Es war, als würde sie ihn völlig einnehmen. Kein Stress, keine Hektik, keine Angst, um seine Leute, keine Sorge Blackfist vielleicht niemals aufhalten zu können, einfach nur Ruhe. Es wurde ihm schließlich dann doch zu friedlich und er beschloss zurück ins Haus zu gehen.
Urplötzlich spürte er jedoch einen stechenden Schmerz in der linken Wade und wäre fast zu Boden gegangen. Jemand hatte versucht, ihn zu Fall zu bringen. Blitzschnell griff er nach dem Angreifer, der sich in der Dunkelheit verschanzt hatte, und wirbelte ihn herum. Doch dieser verschwand sogleich wieder in der Schwärze. Da er kaum etwas sehen konnte, beschloss er, dass sein Colt nicht viel ausrichten würde, und nahm lieber das Messer aus seinem Stiefel. Verzweifelt versuchte er, etwas zu erkennen. Doch diesmal musste er sich auf seine anderen Sinne verlassen. Er horchte in die Nacht hinein. Der Hund war verstummt, nur das Wasserrad quietschte noch stetig. Mehr nicht, kein Windhauch war zu vernehmen. Dann spürte er es, es war wie leise Sohlen auf den Holzdielen der Veranda. Er hielt den Atem an. Dann ließ er das Messer durch die Abendluft sausen. Doch da war niemand. Er schloss seine Faust fester um den Griff und konzentrierte sich wieder. Schon griff jemand nach seiner Hand und verpasste ihm gleichzeitig einen fiesen Tritt in den Unterleib. Der Marshall keuchte und schwang sein Messer erneut durch die Dunkelheit. Doch da war niemand.
„Zeig dich du Feig…“Ehe er sich versah, flog sein Messer zu Boden. Jemand fesselte seine Hände auf den Rücken und rammte ihm einen Knebel in den Mund.
Im Büro unterhielten sich Stanford und Will mit Paul und den anderen Deputys. Wilhelm wusste noch immer nicht, welcher Rob war und wer George. Sie erzählten ihnen, dass sie schon länger hinter dem Gauner Blackfist her waren und ihn vor ein paar Monaten fast geschnappt hätten. Damals waren sie noch ein gutes Dutzend mehr Leute. Sie erzählten ihnen noch ein wenig mehr über den Marshall und wie sie versuchten Thompson und seine Männer aufzuspüren. Und dass Jackson und Paul sich schon länger kannten, beide hatten früher gegen die Indianer gekämpft und sich dort kennengelernt. Paul wollte jedoch nicht näher darauf eingehen und mehr Details verraten.
Plötzlich ging die Hintertür auf und der gefesselte Jackson wurde hineingestoßen. Hinter ihm erschien eine vermummte Person mit seinem Gewehr im Anschlag. Wilhelm und die drei Deputys zogen ihre Revolver, während Stan den Doc zur Seite zog.
„Wer bist du und was willst du?“ fragte Paul unhöflich, aber dennoch besorgt. Der Kopf des Fremden drehte sich in Richtung der Zellen. „Die Gefangenen? Sollen wir sie freilassen? Vergiss es!“ Paul richtete seinen Colt auf die Stirn der unbekannten Person, doch diese reagierte nicht. Stanford ging schließlich dazwischen und überzeugte ihn die Waffe zu senken. Wenn sie nicht aufpassten, wäre der Marshall der erste der hier stirbt. Der Fremde holte Jacksons Messer hervor und richtete es gegen den Gesetzeshüter. Bevor irgendjemand, insbesondere der übermütige Paul reagieren konnte, schnitt der Fremde damit auch schon die Fesseln durch. Wütend sprang der Marshall auf, während sein Peiniger seine Maske abnahm. Es kam ein unscheinbares Frauengesicht zum Vorschein.
Wilhelm erkannte sie sofort wieder und an seinem Gesichtsausdruck wusste er, dass es auch Jackson so erging. Ungläubig starrte er die Person an, die er gerade noch am liebsten mit bloßen Händen zerfetzt hätte.
„Nein, ich bin nicht gekommen, um sie zu befreien. Ich will, dass sie sterben, sie und alle anderen von Blackfists Bande.“ Jeder im Raum spürte die Entschlossenheit und die unbändige Wut in ihrer Stimme. Aber auch die Verzweiflung einer verletzlichen jungen Frau. „Lasst mich mit euch reiten.“
Trotzdem Marshall Jackson wütend aussah, war nicht zu erkennen, wie er reagieren würde. Wütend schaute er ja eigentlich immer. Sie bekamen jedoch keine Gelegenheit mehr es herauszufinden.
Eine brennende Petroleumlampe flog durch eines der vorderen Fenster und setzte unverzüglich die Gardinen in Brand. Draußen knallten mehrere Schüsse durch die Nacht. Mendoza verkroch sich noch tiefer in den hinteren Teil. Wo sich auch die zwei anderen Hilfsmarshalls befanden. Einer der Deputys vergewisserte sich, dass hinter dem Haus nun niemand mehr war und verriegelte die Hintertür, durch die Jackson und die Indianerin gerade hereingekommen waren. Stanford und Wilhelm löschten das Feuer, während Jesiah Jackson, Paul Menweegen und Tampka zum anderen Fenster gingen.
„Blackfist.“ Keuchte die Indianerin. Sie drehte das Messer in ihrer Hand und rannte zur Tür. „Jetzt wird dieser elende Hurensohn sterben.“
Wilhelm konnte sie gerade noch an den Hüften packen und zurückhalten, während Stanford beruhigend auf sie einredete.
„Bringt sie zum Schweigen, oder sie wird die Erste sein, die stirbt.“ Niemand zweifelte an den Worten des Marshalls. Jackson stellte sich neben die Tür, so dass er durch den offenen Spalt nicht gesehen wurde, aber dennoch hinausrufen konnte.
„Was wollt ihr?“
Blackfist Thompson brachte seine Männer mit einem einzigen Wink zum Schweigen, so dass mit einem Mal fast Totenstille herrschte. Dann rief er zurück, dass sie die zwei Gefangenen frei lassen sollen, sonst würden sie die Dorfbewohner bestrafen. Zum Beweis ließ er seine Männer einige von ihnen auf der Straße vor dem Büro in den Staub stoßen.
Mendoza war inzwischen zu ihnen nach vorn gekommen und sah ängstlich hinaus. Auf der Straße war fast nichts zu erkennen. Wenn Thompson da irgendwo war, hatte er sich gut versteckt. Er hatte seine Männer sämtliche Lichter löschen lassen. Es brannte nur eine Fackel, die vor den knienden Bewohnern auf der sandigen Straße lag. Mendoza erkannte etwa zwei Dutzend von ihnen. Außerhalb des Fackellichts vielleicht noch ein paar mehr. Er vermutete, dass dort auch mindestens zwei der Gauner mit ihren Gewehren im Anschlag standen und die unschuldigen Menschen bedrohten. Doch er interessierte sich nur für eine Frau. Sie kniete wie alle anderen im Dreck. Vor ihr ein kleines Mädchen in ihrem Arm. Links von ihr ein Junge etwa zwölf und rechts ein Fünfzehnjähriges Mädchen mit zwei weiteren jüngeren Mädchen eng umschlungen.
„Das sind meine Frau und die Kinder.“ Wimmerte er.
Jackson sah zum ersten Mal eher bedrückt als wütend aus.
„Einverstanden.“ Rief er zurück und Mendoza sackte erleichtert zusammen. „Aber ich will die Gewissheit, dass ihr danach friedlich abzieht.“
„Keine Sorge, wir haben besseres zu tun, sobald wir unsere Leute haben, verschwinden wir aus diesem Dreckskaff.“
„Ich traue Ihnen nicht, ich muss es selbst sehen. Der Austausch findet im Morgengrauen statt oder gar nicht.“ Der Marshall wartete eine Antwort des Gangsterbosses ab, doch als keine kam, wertete er dieses als Zustimmung.
„Damit haben sie uns ein bisschen Zeit verschafft.“ Lobte ihn Paul. Doch Marshall Jackson sah ganz und gar nicht zufrieden aus. Ja, er hatte ihnen etwas Zeit verschafft, dennoch saßen sie hier fest. Es sah also nicht gerade gut für sie aus.
„Was passiert morgen früh? Wollen sie ihnen die Gefangenen wirklich übergeben? Wäre es nicht klüger zu kämpfen?“ fragte Stanford, der in Wahrheit überhaupt keine Lust hatte sich auf diese Weise mit Blackfist und seinen Leuten anzulegen.
Jackson ging zum Waffenschrank hinüber und nahm eines der Gewehre heraus.
„Das werden wir.“ Er gab es der überraschten Tampka. „Wir alle. Aber erst nach Sonnenaufgang.“