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Freiheit für andere

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Ende Juni 2014 erreichte mich eine ganz und gar unerwartete Nachricht, bei der ich nicht anders konnte, als ein paar stille Tränen zu verdrücken: „Die vietnamesische Gewerkschafterin Do Thi Minh-Hanh ist freigelassen worden!“ Für solche viel zu seltenen Momente arbeiten wir bei Parlamentarier schützen Parlamentarier und im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im Deutschen Bundestag. Und ich war mitbeteiligt, dass es dazu kommen konnte. Was für ein überwältigendes Gefühl! Doch der Reihe nach.

Der Einsatz für Gefangene gehört bereits jahrzehntelang zu meinem Leben. Bis ich Bundestagsabgeordneter wurde, habe ich mich dabei weder als Politiker noch als Aktivist gefühlt. Es hatte sich einfach so ergeben. Meine Eltern hatten mich schon in ziemlich jungen Jahren auf ihre Reisen hinter den „Eisernen Vorhang“ nach Rumänien oder in die DDR mitgenommen. Natürlich lernte ich dort Leute in meinem Alter kennen. Als unser Freund Manni von der Securitate verhaftet und ins Gefängnis geworfen wurde, ging ich mit auf eine Demonstration vor der rumänischen Botschaft in Köln, auf der wir seine Freilassung forderten. Dass wir uns für ihn einsetzten, ermutigte wiederum eine ganze Reihe Mitglieder in Mannis Gemeinde, die Prozesse gegen Christen zu besuchen. Leise betend saßen sie fortan hinten im Gerichtssaal. Das war gelebte Solidarität. Viele der Angeklagten wurden durch diese Unterstützung ermutigt. Mich hat das beeindruckt. Oft sind es die kleinen, scheinbar unbedeutenden Gesten, die anderen Menschen in bedrängten Situationen Kraft geben. Dafür reicht es zu signalisieren: Du bist nicht allein, ich bin für dich da. Denn für einen Gefangenen beginnt Freiheit, wenn er weiß: Ich bin zwar weggesperrt, aber nicht vergessen.

Anfang der 1980er-Jahre hatte ich einen Brieffreund in der DDR. Lange und schon gar allzu offene Briefe verboten sich von selbst, weil wir wussten, dass alle Briefwechsel zwischen West und Ost kontrolliert wurden. Die Stasi las sozusagen mit. Aber alleine der Kontakt an sich war wertvoll. Er schlug für uns beide eine Brücke in das jeweils so ganz andere Deutschland.

Manchmal erfordert der Einsatz für Menschen in schwierigen Situationen Mut, aber im Großen und Ganzen hat es mich nicht viel gekostet. Mir scheint es so, dass wir uns viel zu oft abschrecken lassen, weil wir unsere Möglichkeiten für zu klein halten. Oder wir warten vergeblich auf die Gelegenheit zu der einen ganz großen Aktion. Dabei ist das Wichtigste nach meinem Dafürhalten, dass wir einfach nur die kleinen Chancen ergreifen, die sich uns auf unserem Weg bieten. Nicht Strohfeuer, sondern Glut, kein kurzfristiger Aktionismus, sondern Kontinuität – wenn ihr versteht, was ich meine.

Beruflich hatte ich lange Zeit mit Mathematik oder Technik geliebäugelt, aber ich entschied mich schließlich für ein Studium der Sozialarbeit. Über das Café der Heilsarmee in Freiburg führte mich mein Weg zwölf Jahre in die „Heilse“ nach Chemnitz. Von Anfang an habe ich mich für die Vorgänge im Stadtteil interessiert und mich eingemischt, wenn ich die Chance sah, dass etwas besser werden könnte. Mir war gar nicht bewusst, dass das schon als „politisch“ angesehen werden kann. Irgendwann trat ich in die CDU ein, weil ich spürte, dass mein Engagement dadurch möglicherweise wirkungsvoller werden könnte. Kurz darauf entschied ich mich, für den Bundestag zu kandidieren. Eigentlich ein aussichtsloses Unterfangen. Dass ein völliger Newcomer überhaupt von der Basis nominiert wird, ist die absolute Ausnahme. Und ich habe es tatsächlich geschafft, das Direktmandat für meine Partei in Chemnitz zurückzugewinnen. All das kommt einem Wunder gleich.

Als Bundestagsabgeordneter habe ich nun eine ganze Reihe von Möglichkeiten, für die Freiheit von Gefangenen zu kämpfen. Das sehe ich als Privileg und als Verpflichtung zugleich. Der öffentliche Einsatz von uns Parlamentariern hat für die vietnamesische Gewerkschafterin MinhHanh einen Unterschied gemacht.

Als Mitglieder des Menschenrechtsausschusses bekommen wir regelmäßig Informationen zu politischen Gefangenen. Immer wieder kommt es auch zu Besuchen von deren Freunden oder Angehörigen im Deutschen Bundestag, wo die Besucher uns Abgeordneten die jeweilige Lage der Betroffenen schildern.

Anfang 2014 wendete sich die Menschenrechtsorganisation VETO! an uns. Sie bat um einen Gesprächstermin mit Abgeordneten für die Mutter von Frau Minh-Hanh und gab uns in einem Brief folgende Hintergrundinformationen: Frau Do Thi Minh-Hanh, geb. 1985, ist Buchhalterin in der vietnamesischen Provinz Lam Dong. Schon im jungen Alter von 16 Jahren engagiert sie sich für die „Opfer der sozialen Ungerechtigkeit“, die sich gegen die unrechtmäßige Beschlagnahmung ihrer Grundstücke und Häuser wehrten. Später tritt sie in das Komitee zum

Schutz der Arbeiter in Vietnam ein. Nach einem von ihr mitorganisierten Streik in einer Schuhfabrik in der südvietnamesischen Provinz Tra Vinh wird sie Anfang 2010 verhaftet und im Oktober wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“ unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne Rechtsbeistand zu sieben Jahren Haft verurteilt. Sie wird im Gefängnis mehrmals gefoltert und brutal misshandelt, nur weil sie kein Geständnis ablegen will. Der Haftort von Frau Minh-Hanh wechselt ständig, um Besuche zu erschweren. Dadurch kann sie kaum von ihrer Familie mit Lebensmitteln versorgt werden, was jedoch für sie als unterernährte Gefangene lebensnotwendig ist.

Der Menschenrechtsausschuss nahm die Bitte von VETO! auf und lud Frau Minh-Hanhs Mutter in den Bundestag ein. Eine bewegende, aufrüttelnde Begegnung. Da der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, in dem ich ebenfalls Mitglied bin, bald darauf eine Reise nach Vietnam plante, versprach ich der Mutter, während meines Aufenthaltes einen Besuch bei ihrer Tochter zu beantragen. Die Aussichten waren gering, in den Jahren davor hatte kein einziger europäischer Abgeordneter ein vietnamesisches Gefängnis besuchen dürfen. Doch mir war bewusst: Auch wenn das Treffen nicht zustande kommen würde, war allein der Antrag auf diesen Besuch eine politische Botschaft. Die vietnamesischen Behörden würden erfahren: Wir schweigen nicht!

Die erste Antwort bekam ich vor Ort: Abgelehnt, es sei nicht möglich, die Gefangene zu treffen. Am nächsten Morgen kommt die überraschende Kehrtwende: Mir wird die Erlaubnis erteilt, die junge Frau im Gefängnis zu besuchen. Die Gesprächsatmosphäre ist positiv, Frau Minh-Hanh berichtet sehr offen. Sie spricht über Gewalt, die ihr persönlich zugefügt wurde. Am Ende des Gesprächs übergebe ich ihr in einem unbemerkten Moment meine Visitenkarte mit einer schnell hingeworfenen Nachricht und verspreche ihr zum Abschied, ihren Fall auch öffentlich zur Sprache zu bringen. Das tat ich mit einer Pressemitteilung.

Um ehrlich zu sein: Meine Hoffnung, dass dieser Besuch und die Pressemitteilung zu einer baldigen Freilassung führen könnten, war nicht allzu groß. Doch es ist allemal besser, einen Strohhalm zu ergreifen, als tatenlos zuzusehen. Und hatte nicht der Besuch selbst schon jeder Wahrscheinlichkeit widersprochen? Als dann nach ziemlich genau zwei Monaten die Nachricht von Do Thi Minh-Hanhs Freilassung eintraf, war das einer der Gänsehautmomente in meiner Zeit im Deutschen Bundestag.

Ich mache es kurz: Frau Minh-Hanh wollte nach Österreich ausreisen, um ihre kranke Mutter zu besuchen. Zunächst bekam sie ein Visum, wurde aber am Flughafen erneut verhaftet. Im Dezember 2015 hielt ich bei meiner Rede im Plenum zum Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern ein Bild von ihr in die Höhe. Ich war überrascht, welche Kreise diese Rede zog.

Wenige Tage danach schrieb mir ein vietnamesischer Menschenrechtsaktivist, dass er mit einigen anderen eine kleine Aktion zu meiner Rede gemacht hatte: Sie wurde ins Vietnamesische übersetzt und durch ein Interview mit mir ergänzt.

Lange Rede, kurzer Sinn, mittlerweile hat mich Frau Minh-Hanh im Bundestag besucht. Ich kann es kaum beschreiben, was mir das bedeutet. Ganz klar, mein Einsatz war nicht der einzige Grund, warum Frau Minh-Hanh freigelassen wurde. Besonders Michael Brand, Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte und Pate von Frau Minh-Hanh bei „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ hat sich ebenfalls stark engagiert. Neben guter Zusammenarbeit braucht es eben doch viel Vorbereitung, damit ein Wunder geschehen kann. Viel wichtiger als „das Wunder zu feiern“ ist mir jedoch, dass wir den Mut haben, das anzupacken,

was uns vor die Füße fällt. Nicht jedes Mal etwas Neues versuchen, sondern kontinuierlich in dieselbe Kerbe schlagen. Wenn dann „eine Frau Minh-Hanh“ dabei herauskommt, umso besser! Das wünsche ich uns zwar, aber darauf kommt es letztendlich nicht an.

Zum Abschluss möchte ich noch betonen: Mir geht es ganz und gar nicht darum, dass sich jeder von euch für Gefangene engagiert, ich möchte euch aber Mut machen, das anzupacken, was ihr vor euren Füßen findet.


Frank Heinrich | Jg. 1964 | verheiratet | 4 Kinder, 6 Enkelkinder | Sozialpädagoge, Theologe und direkt gewählter Abgeordneter im Wahlkreis Chemnitz | www.frankheinrich.de

Eine ausführlichere Darstellung der Ereignisse um die Freilassung von Frau Do Thi Minh-Hanh findet sich in meinem Buch „Frank und Frei: Warum ich für die Freiheit kämpfe".

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