Читать книгу Trixie Zeitlos und das Geheimnis der Mona Lisa - Michael Voß-von Patay - Страница 9
Wer glaubt an Wunder?
ОглавлениеIn den nächsten Tagen gingen merkwürdige Dinge in der Stadt vor. Sogar die Lokalzeitung berichtete davon, denn irgendetwas schien tatsächlich nicht geheuer zu sein - wie z.B. im Garten eines gewissen Herrn Böckel:
„Als Willi Böckel aus der Sternstraße gestern Morgen aus dem Fenster sah, traute er seinen Augen nicht: 'Über zweihundert Maulwurfshügel habe ich auf meinem englischen Rasen gezählt’, entrüstete sich der fassungslose Rentner. 'Am Abend vorher habe ich ihn noch gemäht, da war nicht das kleinste Häufchen zu sehen!' Doch ein herbeigerufener Biologe der hiesigen Universität konnte schließlich in Gegenwart unseres Reporters Entwarnung geben. Es handele sich keineswegs um das Werk von Maulwürfen, sondern eher um einen schlechten Scherz, stellte er nach eingehender Untersuchung fest. Ungeklärt blieb allerdings die Frage, wie über Nacht eine derartig große Zahl von Erdhaufen auf Herrn Böckels Rasen gelangen konnte.“
Doch damit nicht genug. Weiter war zu lesen, dass ein kleiner Junge, der fast von einem Lastwagen überrollt worden wäre, auf wundersame Weise gerettet wurde. Plötzlich hatte er sich von der Hand seiner Mutter losgerissen und war auf die Straße gelaufen. Die Ursache war ein herrenloser Luftballon, der von den vorbeifahrenden Autos immer wieder in die Luft gewirbelt wurde. Wie durch ein Wunder hatte der Kleine es bis in die Mitte der Straße geschafft und sogar den Ballon erwischt. Da kam ein Lastwagen angerollt - und fast wäre das Unglück geschehen. Doch von einer Sekunde auf die andere hatte der Racker wieder auf dem Gehweg gestanden. Sogar den Luftballon hielt er glücklich lächelnd in der Hand. Nur seine Mutter hatte vor Schreck einen Schwächeanfall erlitten.
Am nächsten Tag erfuhr man schließlich, dass es im nahegelegenen Kindergarten plötzlich Bonbons geregnet hatte. Merkwürdigerweise waren kurz zuvor aus dem benachbarten Supermarkt genau solche Süßigkeiten spurlos verschwunden. Die Meldungen überschlugen sich förmlich, und jeder, der die Zeitung aufschlug, sah zuerst nach, ob wieder etwas Seltsames geschehen war. Waren Außerirdische am Werk? Oder handelte es sich am Ende um Hexerei? Niemand konnte es sich erklären. Und außerdem gab es ja genügend Menschen, die diese Dinge mit eigenen Augen gesehen hatten.
Wissenschaftler kamen und stellten Messgeräte auf, dort, wo wieder einmal ein Wunder geschehen war. Denn so wurden diese Begebenheiten inzwischen von den Leuten genannt: „Heute ist schon wieder ein Wunder geschehen!“ hörte man sie erzählen. Und alle schüttelten verwundert die Köpfe darüber, dass so etwas möglich war.
„Weißt Du, ob heute schon wieder ein Wunder geschehen ist?“, fragte auch Lotte, als sie sich mit Trixie vor der Schule traf.
„Ein Wunder?“ Trixie sah Lotte einen Moment lang an.
„Eigentlich glaube ich nicht an Wunder…“
„Wie meinst Du das?“ Lotte war etwas verblüfft über Trixies Gelassenheit.
„Dass der kleine Junge vor dem Auto gerettet wurde – ist das etwa kein Wunder?“
„Na ja – ich gebe zu: Klingt fast so…“
„Und gestern, als plötzlich überall Tiere auf den Straßen herumliefen?“
Trixie blickte nur auf ihre Schuhe, so als ginge sie das alles nichts an. Doch Lotte schien das nicht zu stören. Sie fand das Ganze viel zu aufregend.
„Plötzlich standen überall die Tiergehege und Tierställe offen: In der Hühnerfarm von Bauer Kluge, im Schweinemastbetrieb - sogar im Zoo. Überall gleichzeitig! Stell Dir das bloß mal vor: Sämtliche Viecher, vom Huhn bis zum Kamel sind frei in der Gegend herumgelaufen. Das war vielleicht ein Chaos. Mein Vater meinte, da hätte ganz schön was passieren können. Gut, dass es in unserem kleinen Zoo keine Raubtiere gibt. Aber wer auch immer dafür verantwortlich ist, hat wohl vorher nicht richtig nachgedacht.“
An diesem Tag ging es Trixie gar nicht gut. Natürlich war sie es, die hinter all dem steckte. Aber irgendwie hatte sich das Ganze doch ein wenig anders entwickelt als sie es sich vorgestellt hatte. Und nun? Sie ärgerte sich. Sie war richtig sauer! Da dachte man, dass man etwas Gutes tat - und dann so etwas. Wenn nun tatsächlich etwas passiert wäre? Wenn ein Schwein vor ein Auto gelaufen wäre? Oder wenn einer alten Dame das Herz vor Schreck stehen geblieben wäre, weil plötzlich ein Büffel in ihrem Vorgarten grast? Trixie lag auf ihrem Bett und betrachtete die Uhr in ihrer Hand.
„Was meinst Du Asko – bin ich zu weit gegangen? Vielleicht hat Lottes Vater Recht: Ich habe einfach nicht richtig nachgedacht. Was hätte alles passieren können! Mir wird jetzt noch ganz schwummerig, wenn ich daran denke!“
Asko lag auf dem Teppich und wedelte zaghaft mit der Schwanzspitze.
„Aber die Sache mit den Bonbons zum Beispiel, die war doch nicht schlecht, oder? Das war vielleicht ein Trubel im Kindergarten…“
Während sie noch an die vergnügten Kinder dachte, kamen ihr allerdings auch hier Zweifel. Immerhin hatte sie die Bonbons einfach aus dem benachbarten Supermarkt mitgenommen. Das war ja kein Problem gewesen: Uhr aufziehen, rein in den Supermarkt, Bonbontüten greifen und wieder raus. Da die Süßigkeiten ja nicht für sie selbst bestimmt waren, hatte sie dabei nicht einmal ein schlechtes Gewissen gehabt. Sie war sich eher wie eine Art Robin Hood vorgekommen, als Heldin, die den Kindern einfach nur eine Freude machen wollte. Nicht ein Teil hatte sie für sich selbst abgezweigt. Aber wenn man es genau nahm - hatte sie dann nicht gestohlen?
Trixie sprang auf und lief in ihrem Zimmer hin und her. Was hatte sie nur angerichtet? War denn alles falsch, was sie gemacht hatte? Aber die Sache mit Herrn Böckel – die war doch wenigstens gerecht gewesen?!
Herr Böckel war nämlich nicht nur stolzer Besitzer eines makellosen englischen Rasens, sondern außerdem ihr Nachbar. Im Frühling hatte er tatsächlich einen Maulwurfshügel in seinem Garten entdeckt. Wenig später waren es schon vier gewesen. Und da war Herr Böckel zur Tat geschritten. Trixie konnte sich noch gut an diesen Tag erinnern. Es war fast sommerlich warm, die Bienen und Hummeln surrten um die blühenden Obstbäume, und Trixie saß vor dem offenen Fenster, um ihre Hausaufgaben zu erledigen. Plötzlich hörte sie einen dumpfen Schlag, der von einem kurzen Triumphschrei begleitet wurde. Als sie aus dem Fenster sah, traute sie ihren Augen nicht. Da stand Herr Böckel mit einem Spaten in der Hand neben einem der Maulwurfshügel. Vor ihm lag reglos etwas kleines Schwarzes. Herr Böckel blickte sich kurz um – zum Glück hatte Trixie schnell genug ihren Kopf eingezogen – und vergrub sein Opfer in der äußersten Ecke des Gartens, gleich neben dem Komposthaufen. War es denn nicht naheliegend, wenigstens diesen Mord ein wenig zu rächen?
Na gut – Herr Böckel hatte jetzt einigen Ärger gehabt. Die Unmengen von Erde, die Trixie mit der Schubkarre herangeschafft hatte, während ihre Uhr geschlagene fünf Stunden tickte, hatte er wieder von seinem Rasen befördern müssen. Und er war ja auch nicht mehr der Jüngste. Aber inzwischen mähte er wie zuvor zweimal in der Woche seinen Rasen, und alles war wie immer.
Deprimiert ließ Trixie sich auf ihr Bett sinken und vergrub das Gesicht in den Händen. „Oh, Asko. Bin ich denn nicht in der Lage, etwas Sinnvolles zu tun? Jetzt habe ich diese Wunder-Uhr. Und wozu benutze ich sie? Um anderen Leuten Streiche zu spielen oder sie sogar in Gefahr zu bringen…“
Asko stand auf und legte seinen Kopf auf Trixies Knie. Aufmunternd wedelte er mit dem Schwanz. „Naja – stimmt schon. Ich habe nicht nur Unsinn gemacht. Da war auch noch der kleine Junge, der fast vom Auto überfahren worden wäre.“ Asko bellte aufmunternd.
„Tja – was für ein Glück, dass ich da gerade vorbeigekommen bin. Und dabei habe ich nicht eine Sekunde überlegt. In dem Moment, als ich seine Mutter schreien hörte und sah, wie der Kleine auf der Straße stand, hatte ich auch schon die Uhr ein Stückchen aufgezogen. Gott sei Dank, dass ich sie gerade bei mir hatte. Ich kriege jetzt noch eine Krise, wenn ich daran denke, was alles hätte passieren können. Ach Asko – wäre es nicht toll, wenn man lauter solche guten Dinge machen könnte? Aber wie soll man denn vorher wissen, dass gleich etwas passieren wird, das man dann im letzten Augenblick vielleicht noch verhindern kann?"
Als sie an diesem Abend zu Bett gehen wollte, bemerkte Trixie etwas auf ihrem Schreibtisch. Dort lag ein Zettel. Erstaunt nahm sie ihn in die Hand. In sauberer Handschrift stand dort: ‚Hallo Trixie! Sei bitte so nett, Deine Uhr aufzuziehen. Eine Überraschung erwartet Dich. Keine Angst – hab’ Vertrauen.’
Trixie starrte auf die Zeilen, die irgendjemand auf ihrem Schreibtisch hinterlassen hatte. Doch wer? Hier war doch niemand - außer Asko. Und dieser Text war gleich in mehrfacher Hinsicht merkwürdig. Erstens wusste doch niemand außer Trixie, welche Fähigkeiten diese Uhr besaß. Und zweitens: was für eine Überraschung sollte das denn sein? Und vor allem: Wem soll sie da vertrauen? War das nicht ein bisschen viel verlangt? Vertrauen zu erwarten, wenn man sich nicht zu erkennen gab?
Trixie blickte sich um. War sie vielleicht nicht alleine? Hatte sich irgendjemand herein geschlichen und sie heimlich beobachtet? Sie sah hinter ihre Couch – nichts. Unter dem Tisch - nichts. Dort wäre ohnehin zu wenig Platz - aber man konnte ja nie wissen. Im Kleiderschrank vielleicht? Möglichst leise drehte sie vorsichtig den Schlüssel der Schranktür herum – und riss sie mit einem schnellen Ruck auf. Leer! Das heißt: Jede Menge Klamotten lagen dort, aber sonst nichts. Kein Geist, kein Spion – rein gar nichts.
Sie fühlte sich plötzlich unwohl, doch gleichzeitig kam sie sich albern vor. Schließlich hatte sie diese Uhr! Jemand, der die Zeit anhalten konnte, nahm so etwas ganz cool und gelassen! Mit etwas zittrigen Fingern holte Trixie die Uhr heraus. Als sie die Krone zwischen Daumen und Zeigefinger hielt, zögerte sie noch einen Moment. Ach was – cool bleiben!