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Kapitel 4

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Der Strand direkt unterhalb des Wachturmes war sehr gut besucht. Familiengetümmel. Kinderkreischen. Deshalb hatten wir uns weiter links einen Platz gesucht. Ein anfänglich einsamer Platz dort, wo sich meist die Nudisten niederließen, verwandelte sich innerhalb einer weiteren Stunde zu einem Platz mitten unter den Nackten. Nicht, dass es mich gestört hätte. Die Frauen störte es auch nicht, nur Gerd behielt seine Badehose strikt an. Während wir uns nahtlose Bräune versprachen, saß er meist nur auf seinem Strandlaken.

„Man umzingelt uns“, kommentierte Simona das Geschehen mit einem Grinsen.


Das Meer war traumhaft. Die Wellen peitschten unaufhörlich gegen den Strand. Draußen zauberten die Segel der Surfer bunte, rastlose Flecken auf den Horizont. Direkt an der Wasserlinie spielten einige Beach-Tennis. Viele waren im Meer, spielten mit ihren Kindern Ball oder versuchten sich gegen die Brandung zu behaupten. Gut anderthalb Meter hoch waren die Wellen. Endlich. Über eine Stunde hatte ich das Meer genossen, war geschwommen, getaucht. Jetzt lag ich ausgelaugt am Strand und schaute Simona und Sonja beim Beach-Ball zu. Gerd schlief. Die Temperaturen näherten sich schon der Dreißiggradmarke, aber wegen der frischen Brise war es erträglich.


Ich genoss das Geräusch der Brandung, den Wind, die Menschen, die am Strand ihre Unbeschwertheit auslebten. Unbeschwert. Das wäre ich auch gerne gewesen. Doch meine Gefühlssituation stand dem im Wege. Während ich so da lag, konnte ich die Gedanken in meinem Kopf nicht kontrollieren. Ich sah Sonja und alle Gedanken kreisten um sie. Dort in meinem Kopf war es nicht weit von hier bis zudem, was früher einmal war. In der Realität schon.


Als könnte ich damit die Grübelei abschalten, drehte ich mich auf den Bauch. Sand rieselte auf mein Badetuch. Ich wedelte ihn beiseite. Dabei bemerkte ich die zwei Frauen, die links neben uns lagen. Beide zählten offensichtlich zu den Nudisten. Beide waren sehr hübsch, ich genoss den Anblick und freute mich über die kleine Ablenkung. Jetzt bloß nicht starren, dachte ich.

„Sind wirklich nett anzuschauen“, raunte mir plötzlich Gerd von der anderen Seite zu. Ich erschrak. Fühlte mich ertappt. Mit einem Grinsen versuchte ich das zu überspielen. Ich zog zur Bestätigung meine Augenbrauen zwei Mal schnell nach oben.


„Das sind zwei reife Frauen, nicht solche Hühner, die nicht wissen, was sie wollen!“


„Woran machst du das denn fest?“ fragte ich neugierig.


„Das sehe ich. Ihre Art sich zu bewegen ist cool. Sie strahlen Selbstsicherheit aus.“ Ich versuchte seine Gedanken mit dem zu vergleichen, was ich sah. Gerd trug seine Sonnenbrille. Ich wunderte mich. Beobachtete er die beiden Frauen schon länger?

„Das kann aber auch gespielt sein“, entgegnete ich. „Wen meinst du denn mit den Hühnern?“


Jetzt musst du aufpassen was du sagst, dachte ich. Die Frage war eine Falle. Doch Gerd war schlau genug, um nicht hineinzutappen.


„Weißt du, ich meine keine bestimmte Person damit. Es ist aber doch so, in unserem Bekanntenkreis sind doch viele Frauen, die wirklich noch auf die Weide müssen.“


Ich musste lachen. Gerd mochte damit Recht haben. Wir kannten definitiv einige Frauen, die wirklich einen unsteten Charakter hatten. Unstet, was die Wahl der Liebhaber betraf, aber recht konstant in deren Wechsel innerhalb kürzester Zeit.


„Ja, stimmt“, ich konnte nicht anders als Gerd zuzustimmen, „wenn ich da so an deine Ex denke, die hatte wirklich noch einen hohen Bedarf an Weidegrund.“


„Hör bloß auf.“ Gerd machte eine abwehrende Handbewegung. „Da darf ich nicht dran denken. Ich habe wirklich Geduld und finde es gut, wenn Menschen Dinge ausprobieren wollen. Aber hier? Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln. Fürchterlich.“ Er schüttelte den Kopf, die Löckchen, die unter seinem Kopftuch heraushingen, wackelten lustig hin und her.


„Womöglich war es der Altersunterschied.“ Ich setzte mich auf, um mich erneut mit Sonnenmilch einzucremen.


„Das weiß ich nicht. Ich habe da keine Vergleichsmöglichkeiten. Sie war die erste Frau, die zehn Jahre jünger war.“


„Wenn ich da an Sonja denke, sie ist auch zehn Jahre jünger als ich. Das hat eigentlich gut geklappt.“

Ich rubbelte die Sonnenmilch auf die Oberschenkel und kämpfte gegen meine üppige Körperbehaarung. Unfragwürdig war es eine seltsame Situation. Noch am Morgen hatten wir beide uns über banale Dinge gestritten. Jetzt saßen wir dort am Strand, unterhielten uns über unsere partnerschaftlichen Erfahrungen. Da war kein Zwist mehr zu spüren. Sollte er etwa auch seine Pläne haben? Verbrüdern und dann von hinten den Dolch in den Rücken rammen? Ich beschloss nicht zu vergessen, dass er mein Rivale war. Trotzdem war ein Urlaub in harmonischer Stimmung doch erholsamer. Anspannung brauchte ich nicht.

Ich hatte die Sonnencreme verteilt und stand auf.


„Warum seid ihr dann nicht mehr zusammen?“

Gerd stellte mir die Frage aller Fragen. Ich schaute ihn von oben an. Gerd war ein sehr schlanker Mann. Ich fand ja, er sei zu dürr. Wenn er bei einer Größe von 1,80 Meter 65 Kilogramm auf die Waage brachte, dann war das viel. Ich war gleich groß, hatte aber gut fünf Kilogramm mehr Gewicht. Meine Muskeln waren mehr definiert. Das kam vom körperlichen Arbeiten. Gerd war ein Schreibtischtäter, während ich viel Zeit in der Bildhauerei verbrachte. An Kraft war ich ihm sicherlich überlegen. Aber das war es nicht, was zählte. Unsere Auseinandersetzung fand mehr auf der geistigen Ebene statt. Man konnte Gerd viel nachsagen, aber nicht, er sei ein Prolet. Und dumm war er keinesfalls.


„Ich kann es dir nicht sagen“, antwortete ich kurz, „Wollen wir die Mädels ablösen?“


Mich mit ihm über meine Partnerschaft mit Sonja zu unterhalten musste wirklich noch nicht sein. Wir gingen zu Sonja und Simona hinüber.


„Na ihr zwei Pennnasen“, fragte Simona, „Wollt ihr uns endlich ablösen?“ Sie sahen beide bereits sehr abgekämpft aus.


„Ja, eben mal kurz ins Wasser, dann komme ich“, rief ich und rannte an ihnen vorbei, „Bevor ihr noch einen Hitzschlag bekommt. Ihr seid beide krebsrot.“


Schon stürzte ich mich in die nächste Welle. Das Wasser war viel kälter als in den Tagen zuvor. Mir stockte der Atem, als ich durch die Brandung tauchte. Ich wurde durchgeschüttelt, grober Sand schlug mir ins Gesicht. Eine weitere Welle überrollte mich und ich wusste kurze Zeit nicht mehr, wo Oben und Unten war. Dann war ich durch die Brandungskronen hindurch und konnte mich vom Wasser tragen lassen. Ich sah Gerd und Simona am Strand Beach-Ball spielen. Sonja war schon auf unserem Platz angekommen und cremte sich mit Sonnenmilch ein.


Ich schwamm noch eine Runde, dann trugen mich die Wellen wieder an den Strand. Das war viel einfacher als umgekehrt. Nur noch den Sand aus meiner Badehose sammeln, dann konnte ich Simona ablösen.


Der Morgen am Strand verlief noch sehr angenehm. Nach dem Frühstück hätte wohl keiner damit gerechnet. Gerd war gut aufgelegt, die Frauen lästerten über die Nudisten, anders gesagt, über solche Nudisten, die es ihrer Meinung nach besser nicht wären.

Gegen Mittag packten wir alle unsere Sachen zusammen. Wir hatten beschlossen in den nächsten Ort zu fahren, um ein wenig zu shoppen. Die Atlantikküste war in der Nähe des Campingplatzes recht dünn besiedelt. Es gab nur einen kleinen, verträumten Ort ein paar Kilometer entfernt mit ein wenig touristischer Infrastruktur. Nach einem kleinen Snack in Form von Bananen und einem Joghurt stiegen wir in unseren VW Passat und fuhren über die holprigen Straßen des Platzes. Alles was sich hier bewegte, wirbelte Staub auf, der sich erst langsam wieder legte. Alles war immer von einer feinen Staubschicht bedeckt.




Noras Tod

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