Читать книгу Noras Tod - Michael Wagner J. - Страница 8
Kapitel 5
ОглавлениеDie Wege führten zur Hauptstraße in der Mitte zwischen den beiden Platzteilen und von dort aus ging es auf die schnurstracks verlaufende Teerstraße. Deren Gleichförmigkeit wurde von einigen Kuppen unterbrochen. Auf der Hinfahrt war der voll beladene Passat hier mehrfach aufgesetzt. Jetzt glitt er mühelos über die Kuppen hinweg. Links und rechts säumten Pinien mit ihren typischen Schirmkronen die Straße. Ihr würziger, harziger Duft, herb und wunderbar, lag schwer in der Luft. Neugierig auf die kleine Stadt, schaute ich verträumt aus dem Fenster. Durch das offene Fenster atmete ich die Luft tief ein. Wir bogen rechts auf die D101 in Richtung Lizan ab.
Der kleine Ort lag in der Nachmittagssonne. Doch auch die hatte mächtig Kraft. Schatten boten einzig die bunten, flatternden Markisen der kleinen Geschäfte und Stände. Durch Zufall hatten wir einen Tag mit Markt ausgewählt. Der kleine, zentrale Marktplatz war gesäumt mit den verschiedensten Ständen, die sich unter den herrlichen Platanen dieses Marktplatzes duckten. Dort wurden Sommerkleidung, Stoffe, Sachen für den Strand und Lederwaren in allen Variationen angeboten. Dieser Stand hatte es mir angetan. Der Geruch des Leders lag schwer, aber betörend in der Luft. Ich kaufte mir ein kleines, geflochtenes Armband. Die junge, dunkelhäutige Frau strahlte mich an. Zähneblitzen. Sie steckte das Armband in eine kleine Papiertüte und klebte sie sorgfältig mit Tesa zu. Ich schlenderte weiter. Es roch nach Gewürzen. Einer der nächsten Stände bot tatsächlich lose Gewürze an. Man konnte sie sich selber abwiegen und viele Touristen standen dort und kauften. Auch Sonja und Simona waren dort. Sonja sah mich und machte ein Zeichen, ich solle doch zu ihr kommen. Sie strahlte. In ihrer Hand hielt sie eine kleine Tüte. Getrockneter Salbei. Würzig.
Wir kauften noch grünen Salat, Paprika und Tomaten für ein leckeres Abendessen ein. Mit Tüten bepackt suchten wir nach Gerd, den wir schließlich an einem Tisch vor einer kleinen Bar sitzend fanden. Vor ihm stand ein halb leeres Glas Bier.
„Na, da seid ihr ja endlich“, sagte er, „Der Markt hat aber nichts Besonderes.“ Es war klar, dass er das sagen würde. Gerd hatte einen hohen Anspruch an alles.
„Und wer fährt zurück?“ fragte ihn Simona.
„Ist doch egal, nach dem Bier kann ich noch fahren.“ Gerd witterte einen Angriff und versuchte dem aus dem Wege zu gehen.
„Ich finde es egoistisch von dir. Wir anderen haben vielleicht auch Durst auf ein Bier. Und einer sollte schon nüchtern sein.“ Simona, Sonja und ich hatten sich noch nicht gesetzt. Simona stand direkt vor Gerd.
„Nüchtern? Sehe ich etwa betrunken aus?“ fragte er.
Ich verspürte wenig Lust, mich an der Diskussion zu beteiligen und warf in die Runde, dass ich noch nach einem kleinen Surfbrett aus Styropor suchen würde. Ich hatte diese kleinen Wellenbretter bei anderen Touristen am Strand gesehen. Eigentlich für Kinder gedacht, konnte man damit auch als Erwachsener herrlich auf dem Bauch liegend, über die Wellen gleiten.
Ich war mir darüber im Klaren, dass ich eigentlich vor einer Parteinahme davon lief. Aber mir stand der Sinn nicht schon wieder nach Streit.
So ließ ich die Anderen zurück und ging schnell eine kleine Straße hinunter. Auf beiden Seiten waren in den verwinkelten Häuschen kleine Läden untergebracht, die Andenken und Strandutensilien anboten. Vor einem hingen auch diese kleinen Surfbretter. Ich hätte sofort eines kaufen können, um schnell zu den Anderen zurück zu gehen. Aber ich sagte mir, ich müsste einen Preisvergleich machen und nicht das Erstbeste kaufen.
In einem Laden, der in einer Seitenstraße lag, fand ich schließlich eines. Größer, stabiler und auch noch billiger als in dem Laden, den ich zuerst besucht hatte. Ich war sehr zufrieden und kaufte es.
Ich schlenderte zurück zu der kleinen Bar. Inzwischen hatten die beiden Frauen auch ein Bier vor sich stehen.
„Wir wussten nicht, was du trinken wolltest“, sagte Sonja, als ich mir einen Stuhl vom Nachbartisch herbeizog und mich setzte, „Ah, ist das dein Surfbrett?“
„Wisst ihr was“, sagte ich, „Ich werde keinen Allohol trinken und fahre euch dann nachher zum Platz zurück und, ja, das ist mein Surfbrett. Wenn ihr lieb seid, dürft ihr es auch benutzen.“ Ich grinste frech in die Runde.
„Ok“, sagte Gerd, „Wir haben aber kaum noch Wein. Wenn wir heute Abend Doko spielen wollen, dann sitzen wir auf dem Trockenen.“
„Wir können ja noch was Wein mitnehmen. Ich glaube in der Nähe von dem Gewürzstand war ein Supermarkt.“ Sonja nestelte an ihrer Tasche. „Ich habe noch genug Geld für den Wein dabei. Wer zahlt mein Bier?“
Ich war verwundert, dass Gerd so schnell in den Vorschlag einwilligte. In der Zwischenzeit schienen sich die Wogen schon wieder geglättet, oder sich gar nicht erst entwickelt zu haben. Alle waren vergnügt. Ich begleitete Sonja zum Supermarkt. Simona und Gerd blieben und warteten auf den Garcon.
„Ach Micha, gut, wie du dich eben aus der Affäre gezogen hast“, sagte Sonja. Sie lächelte schelmisch, „Ich hätte das auch gern getan, aber ich wollte Simona nicht mit Gerd alleine lassen.“
„Ich hatte keinen Nerv auf erneuten Stress“, sagte ich. Mit einem Lob von ihr hatte ich nicht gerechnet.
„Du weißt ja, die Wetten standen auf Sturm. Hatte man uns nicht prophezeit, dass wir nach ein paar Tagen wieder nach Hause kommen?“
Wahrhaftig hatten einige unserer Freunde daheim vor dem Urlaub auf einen heftigen Streit zwischen mir und Gerd gewettet. Sie prophezeiten scherzhaft Mord und Totschlag. Keiner konnte wissen, wie Recht sie haben würden. Nur in völlig anderer Form.
„Ich weiß, aber wir wollen denen doch nicht Recht geben, oder?“ Sie hielt zwei Flaschen in die Höhe und studierte die Labels.
„Nein, wenn es mir nach geht, natürlich nicht. Aber du weißt, ich lasse mir nichts gefallen von ihm“, entgegnete ich. Meine Hand griff nach einer Weinflasche mit einem farbenfrohen Etikett.
„Mit euch Männern hat man es schon nicht leicht“, scherzte sie und legte ihren Kopf kurz an meine Schulter. Unsere Blicke trafen sich fast so spielerisch wie früher. Aber nur fast. Beide spürten wir die Unmöglichkeit eines Revivals unserer Gefühle. Verwirrung. Traurigkeit. Verdrängen.
Wir suchten einen Wein aus, kauften vier Flaschen davon und gingen wortlos zurück zu der Bar. Eine halbe Stunde später waren wir wieder auf dem Campingplatz.
Wasser. Ich dachte nur an das Wasser und daran mein kleines Brett zu testen. Ich freute mich wie ein Kind, dass sein Geburtstagsgeschenk auspackt.
Die Freude spülte sogar die Traurigkeit ein wenig weg, die ich nach dem kurzen Erlebnis der Vertrautheit im Supermarkt gespürt hatte. Ich sollte mich auf so etwas nicht mehr einlassen. Das hatte ich vor Beginn des Urlaubs mit mir selber ausgemacht, aber jetzt hatte ich ja einen Plan. Du bist schon ein blöder Hund, dachte ich. Jeden Tag denkst du anders über die Situation. Werde doch einfach mal klar in deinem Auftreten. Dann kann man dich besser einsortieren.
Ich ging kurz ins Zelt, zog mich um und schnappte mein Surfbrett und war schon auf dem Weg zum Strand. So sehr war ich mit der Vorfreude beschäftigt, dass ich nicht den Mann bemerkte, der mir entgegenkam. Wäre ich aufmerksam gewesen, hätte ich den jungen Typen erkannt, der mich nach einem Schlafplatz gefragt hatte. Der streunte scheinbar ziellos über den Campingplatz. Scheinbar.
Das kleine Mädchen aus der Nachbarschaft kam mit seinen Eltern vom Beerensammeln zurück zu ihrem Wohnwagen. Der kleine rote Sandeimer des Mädchens war beinahe voll mit köstlichen Brombeeren. Die Kleine leerte ihren Eimer in einen Kochtopf ihrer Mutter aus und bettelte darum, noch einmal losgehen zu dürfen. Die Eltern erlaubten es nicht. Aber die Kleine blieb eisern und sagte, sie hätte doch ganz nah noch Beeren gesehen, die sie schnell holen wollte. Schließlich bekam sie die Erlaubnis und hüpfte froh mit dem roten Eimer in der Hand los.
Das Surfbrett hielt, was ich mir davon versprochen hatte. Die Wellen waren nicht allzu heftig, sodass ich bequem auf dem Brett in der Dünung dümpeln konnte. Das Wasser klatschte gegen das Styropor.
Meine Gedanken waren wieder in dem Supermarkt angekommen. Sonja hatte ihren Kopf gegen meine Schulter gelegt, sowie sie das früher auch immer getan hatte. So wie ein Vogel, der deine Schulter berührt und dann wieder davonfliegt. So leicht hatte es sich immer angefühlt. Doch das war Geschichte. Der Vogel hatte meine Schulter nur zufällig noch einmal berührt.
Während ich auf dem Surfbrett lag, sprach der junge Mann, der mich am Morgen nach der Unterkunft für die Nacht gefragt hatte, das kleine Mädchen mit dem roten Eimer an.
Nach einer halben Stunde auf dem Wasser bekam ich Hunger und kehrte zufrieden mit meinem Kauf zu den anderen zurück.