Читать книгу Am Aschermittwoch ist (nicht) alles vorbei - Michael Zeihen - Страница 4
Die Planung
ОглавлениеSeptember 2018. Ein schöner Herbst nach einem wahnsinnig heißen und langen Sommer. Malte, Ralf, Sven und Jochen saßen mal wieder zusammen. Es war Doppelkopf-Time. Einmal im Monat traf sich das Quartett abwechselnd bei einem der vier zuhause. Zuhause hieß in diesem Fall Bremerhaven. Außer Ralf waren alle in Bremerhaven geboren. Malte, Sven und Jochen gingen sogar in die selbe Schule und hatten dort 1994 ihr Abitur gemacht. Die drei kannten sich seit der 5. Klasse, waren von Anfang an unzertrennlich.
Ralf stieß erst im Jahr 2000 hinzu, als er von Köln nach Bremerhaven umzog und dort direkter Nachbar von Sven wurde. Als sich Sven und Ralf bei einem Grillabend zum Einstand von Ralf in der Nachbarschaft kennenlernten und ins Gespräch kamen, wurde nach dröffzehn Astra-Flaschen deutlich, dass beide nicht nur 1975 geboren waren, sondern neben Fußball auch noch Doppelkopf als gemeinsames Hobby pflegten. Sven lud Ralf danach zu seiner Doppelkopf-Runde ein. Das bereits bestehende Quartett – damals komplettierte Uli die Runde
– und Ralf waren sich auf Anhieb sympathisch und fortan ergänzte Ralf die Runde. Ein Jahr darauf zog es Uli beruflich in die USA; nun gab es nur noch das auch heute noch bestehende Quartett.
Normalerweise verprassten die vier das Geld, was sie an einem Spieleabend in die Kasse packten, alle zwei Jahre auf einem gepflegten drei- bis fünf-Tage-Städtetrip. Berlin, Hamburg, München, Prag, Wien, London, Barcelona, Brüssel, Madrid. Natürlich ohne Partnerinnen. Wäre ja noch schöner gewesen, die traute Männlichkeit in der Runde auf den Touren aufgeben zu müssen ...
Mittlerweile aber waren sowieso nur noch Sven und Ralf verheiratet; Malte und Jochen lösten ihre ehelichen Bindungen gerichtlich. Beide hatten danach jedoch neue Beziehungen, aktuell, im Herbst 2018, war Jochen wieder Single.
„Was machen wir eigentlich nächstes Jahr? Irgendeine Idee?“
Sven blickte erwartungsvoll in die Runde. Er war heute Gastgeber und hatte wie immer eine ganze Palette an Süßigkeiten und Salzgedöns aufgefahren. Zum Kartenspielen gab es neben den ganzen Schalen, Flaschen und Gläsern eigentlich kaum noch Platz. Aber es ging.
Ralf kratzte sich am Kopf, bevor er antwortete. Ralf kratzte sich immer am Kopf, bevor er irgendetwas von Bedeutung äußerte. Also musste jetzt etwas Wichtiges kommen. Diesen Zusammenhang hatten seine Freunde bereits nach kurzer Zeit entschlüsselt.
„Spuck´s aus, Alter!“
Jochen schlug Ralf auf die Schulter. Ein leichter, kumpelhafter Schlag von Jochen konnte bei körperlich-sensiblen Menschen durchaus zu heftigen Schäden führen. 2 Meter groß, 110 Kilo schwer und Hände in der Größe einer Familienpizza: Jochen war eine Urgewalt.
„Mensch Jo, frag mich lieber, bevor du mir die Schulter brichst.“
„Weichei“.
Jochen grinste Ralf an. Der kratzte sich wieder am Schädel.
„Aaalso, isch komm ja aus Köln,“ meinte Ralf, der meistens von den anderen Ralle gerufen wurde.
Alle nickten. Wusste jeder und war mitunter immer noch zu hören. Unterschiede zwischen „ch“ und „sch“ nimmt der Kölner oder der Rheinländer an sich nicht so ernst: Kirche und Kirsche sind das Gleiche. Zumindest sprachlich. Da machte Ralf
keine Ausnahme. Auch nach vielen Jahren im Norden nicht.
Ralf blickte in die Runde und sagte: „Wie wäre es, wenn wir zu Karneval nach Kölle fahren?“
Malte ließ sofort die Schultern hängen, seine Antwort war höchst pessimistisch: „Das kriege ich zuhause nie durch. Nina liest immer die Berichte über den Kölner Karneval und sagt jedes Jahr, dass da wohl alles drunter und drüber geht; jeder mit jedem knutscht und auch poppt.“
„Ach Quatsch, so schlimm ist´s da gar nicht. Natürlich gibt’s viele Läden, wo wirklich die Post abgeht und man in der Regel, wenn man nicht will, auch nicht alleine nach Hause oder sonst wo hin geht. Aber die kann man ja meiden. Dafür gibt’s genügend andere Schuppen, wo einfach nur gefeiert wird. Außerdem können wir auch auf Sitzungen gehen, da läuft es gemäßigter ab.“
Ralf verteidigte das Feiern in seiner Heimat.
Sven und Jochen waren begeistert. Sven, weil er von Ralf im Laufe der Jahre unendlich viele Geschichten gehört hatte; Jochen, weil er unendlich viele kussfreudige Frauen vor seinem geistigen Auge sah.
„Geile Idee, Alter“.
Jochen schlug Ralf wieder auf die Schulter.
„Du Hammerwerfer, hör auf dem mit Scheiß. Du hast doch noch nicht mal eine Haftpflicht, wenn du mir die Schulter kaputt machst,“ meinte Ralle und schlug die Pranke seines Kumpels zur Seite.
„Ach Jung, die mache ich dir auch wieder ganz“.
Jochen konnte unbewusst drohen.
„Ist es nicht schon ein bisschen spät für die Planung? Wann fängt das in Köln an?“, wollte Sven wissen. Er war, wie immer, planerisch direkt bei den wichtigen Punkten.
Ralf hatte sich vorbereitet.
„Wieverfastelovend is am 28. Februar. Un Ruusemondach am 4. März.“
Die anderen drei starrten ihn verständnislos an.
„Was ist wann?“, fragte Malte als erster.
„Weiberfastnacht ist am 28. Februar und Rosenmontag am 4. März. Versteht ihr mich jetzt? Wir würden am 27. Februar aufbrechen, damit wir an Weiberfastnacht direkt starten können. Und zurück ginge es Dienstag, den 03. März. So wären wir an Aschermittwoch wieder zuhause.“
„Sach das doch direkt“, mäkelte Jochen, „sprechen die bei euch alle so komisch? Das ist ja wie im Ausland.“
„Jungs, wenn wir wirklich nach Köln wollen, müssen wir ins Trainingslager gehen. Oder besser gesagt: Ihr müsst“, erwiderte Ralf.
„Hä?“, jetzt wusste auch Sven nicht mehr weiter.
„Also Saufen können wir doch alle schon, auch wenn die Bier-Plörre bei euch sehr gewöhnungsbedürftig ist. Weißt du noch, wie schnell wir das Fass Kölsch damals bei deinem Einstand geleert haben? Und die Gläser erinnern wirklich an die Reagenzgläser aus dem Chemie-Unterricht damals beim alten Schlesinger. Was sollen wir denn sonst trainieren?“
„Die Sprache, ihr Blödbeutel. Im Karneval wird nicht nur Kölsch getrunken, sondern auch gesungen. Und da versteht ihr Null. Genau das werden wir trainieren. Ich habe schon eine Song-Liste mit allen Texten zusammengestellt. Wenn ihr in den Kneipen nicht mitsingen könnt, macht´s keinen Spaß und ihr kommt auch nicht so gut in Kontakt mit anderen Menschen.“
„Aber das will ich doch auch gar nicht“, meinte Malte.
„Ob du willst oder nicht; das passiert einfach. Aber wenn du immer deinen Ehe-Ring vorzeigst oder am besten noch ein Kostüm trägst, das dich als Ehemann ausweist, solltest du halbwegs ungeschoren davon kommen.“
Malte wirkte geschockt: „Halbwegs ungeschoren? Was heißt das denn?“
„Mensch Malte; da kannste ohne Ende Frauen kennenlernen. Jungs, das kann eine so geile Woche werden“, schien dagegen Jochen direkt aufbrechen zu wollen.
„Jetzt haltet den Ball mal flach“, insistierte Ralf beruhigend und legte vor jeden seiner Kumpels eine Kladde.
„Doko-Tour 2019 – Kölle Alaaf“, stand auf dem Deckblatt.
„Blättert mal die erste Seite auf, da habt ihr eine Übersicht der Songs. Danach kommen alle Songtexte in der gleichen Folge. In der Klarsichthülle ist ein Stick mit allen Songs in der gleichen Reihenfolge, wie sie auf der Liste stehen. Da könnt ihr zu Hause üben.“
Malte warf einen Blick auf die Liste.
„Man Ralf, das sind ja 30 Lieder! Wie sollen wir das denn schaffen?“
Ralf blieb gelassen.
„Ihr werdet sehen, dass es riesig Spaß macht, diese Songs zu singen. Wenn ihr erst mal drin seid, wird’s ein Selbstläufer. Ihr werdet auch ein bisschen von der Kölner Seele verstehen, wenn ihr in die Lieder abtaucht. Es sind schnelle und langsame, fröhliche und traurige oder melancholische Stücke dabei; so wie das Leben eben ist. Und sie sind aus den letzten Jahrzehnten.“
Alle starrten auf die Song-Liste. Ralf kratzte sich wieder am Kopf. Dieses Mal sprach Sven: „Na los, du bist noch nicht fertig, Was kommt noch?“
Ralf schaute in die Runde.
„Jungs, das war nur ein Vorschlag. Aber wir sollten uns heute Abend entscheiden. Denn es ist tatsächlich schon recht spät, wenn ich noch eine gute Unterkunft für uns auftreiben will. Die soll ja zentral sein, so dass wir schnell überall hinkommen. Entscheiden wir uns heute Abend für Köln, dann versuche ich kurzfristig, für uns eine Hütte klarzumachen. Also: Wollen wir diskutieren oder können wir uns zügig einigen?“
Jochen schlug mit seiner Faust auf den Tisch: „Ich bin dabei.“
Sven gab ihm High Five: „Ich auch! Ich wollte schon immer mal zum Kölner Karneval.“
Jetzt schauten alle Malte an. Ihm war sichtlich unwohl in seiner Haut.
„Malte, deine Nina kriegen wir schon hin. Gibt es etwa seriösere Mitreisende als uns? Wir passen auf, dass dich kein Einhorn oder eine Prinzessin vernascht.“
Malte schaute gequält: „Jungs, es ist ja nicht so, dass ich keinen Bock hätte. Aber Nina ist dermaßen eifersüchtig; sie würde mich am liebsten noch nicht mal ins Stadion gehen lassen. Wenn ich ihr mit Köln komme, wird sie ausrasten.“
„Hmm, das ist wirklich ein Problem. Wir kennen sie ja. Da müssen wir uns noch was überlegen. Aber prinzipiell bist du dabei, oder?“
Jetzt grinste auch der Bedenkenträger. Zwar immer noch etwas gequält, aber er grinste. Malte war ein supernetter Typ, aber er stand nun mal ziemlich unterm Pantoffel. Sobald die Jungs aber auf Tour waren, sah man wieder den alten Malte. Den Kopf voller Blödsinn und dann auch wieder unbeschwert. Nina tat ihm einfach nicht mehr gut.
„Natürlich lasse ich euch nicht allein ins Rheinland, das ist doch klar.“
Da allgemeine Übereinstimmung herrschte, kam von Sven, der als heimlicher Chef der Runde fungierte, der Befehl: „Klatscher“. Er zählte runter: „3, 2, 1“. Nach der „1“, schlug sich jeder des Quartetts mit der flach ausgelegten Innenseite seiner rechten Hand gegen die eigene Stirn. Dieses Ritual gab´s schon seit Schulzeiten; Ralf übernahm es sofort nach seiner Eingliederung.
„So Jungs, zur Feier des Abends habe ich direkt ein paar Kölsch einfliegen lassen und die Songs auf mein Handy gespielt, so dass wir sie heute Abend als Premiere über meine Boombox laufen lassen können.“
Ralf verteilte die Kölsch-Flaschen, die Jochen mit einer fließenden Bewegung sofort an der Tischkante öffnete. Da der Tisch im Keller von Svens Haus eh schon verranzt war, machten die kleinen, neuen Macken den Kohl auch nicht mehr fett.
„Prost, Jungs; auf eine geile Tour nach Köln.“
Der Spruch kam überraschenderweise von Malte, traf aber genau den Nerv der anderen. Die Flaschen schepperten über der Tischmitte zusammen und als die ersten Schlücke genommen wurden, ertönte: „Superjeile Zick“ von Brings aus Ralfs Boombox. Perfektes Timing. Der Song war die Nr. 1 auf der Liste, die Lieder von den Bläck Fööss, den Höhnern, Cat Ballou, den Räubern, den Paveiern, Brings, Klüngelköpp, Kasalla, Querbeat, Willy Millowitsch, de Boord, Wicky Junggeburth, Miljö, der Micky Brühl Band, Jupp Schmitz und et fussisch Julche enthielt.