Читать книгу Am Aschermittwoch ist (nicht) alles vorbei - Michael Zeihen - Страница 6

Üben, Üben, Üben

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In den folgenden Wochen trafen sich die vier nicht nur zum Doppelkopfspielen, sondern auch immer wieder mal zum Üben der Texte. Es hatte sich herausgestellt, dass eine Stunde vor den Spielterminen nicht reichen würde, um fit zu werden.

Nach und nach wurden sie textsicherer, auch wenn das mit dem kölschen Dialekt nicht so hinhauen wollte. Vor allem Jochen hatte so seine Probleme, Dialekt und die rheinische Sprachmelodie unter einen Hut zu bekommen.

Erstaunlicherweise erwies sich Malte mittlerweile als Sprachtalent. Bei ihm hörte sich das gesungene Kölsch sehr authentisch an. Seine Begabung motivierte ihn noch mal extra, zu allen Terminen zu kommen. Allerdings sagte er Nina nicht, wann er zu den reinen Probe-Treffen ging. Da war er offiziell mit Ralf oder Sven oder Jochen alleine ein Bierchen trinken. Zu den offiziellen Kartenspiel-Terminen durfte er mit Ninas Erlaubnis, jedoch fragte sie ihn nach seiner Rückkehr jedes Mal aus, was sie denn nun an dem Abend alles gemacht hätten.

Malte antwortete immer nur: „Na, Doppelkopf gespielt. Was sonst?“

Eine Idee hatte er in den nächsten Wochen jedoch noch nicht entwickelt, um irgendwie an Nina vorbei an Karneval mit seinen Kumpels nach Köln zu fahren.

Mitte Dezember war ein Treffen bei Ralf angesagt. Der Exil-Rheinländer hatte ein 10 Liter-Fass Kölsch auf den Tisch gestellt. Jeder hatte von Ralf ein Kölsch-Glas bekommen, mit dem er sich sein Kölsch zapfen konnte. Geprobt wurden an diesem Abend „Drink doch eine met“ und „Rut sin de Ruse“. Ralf wartete jedoch mit dem Beginn der Singerei, bis die Hälfte des Fasses geleert war, um seine Kumpels locker zu machen. Während des Warmtrinkens machte er seine Freunde mit ein paar kölschen Besonderheiten bekannt, berichtete ihnen aber auch, dass er endlich eine passende Unterkunft für die jecken Tage in Köln aufgetan hatte.

„Wir haben eine geile Wohnung, sehr zentral gelegen. Von da aus kommen wir leicht überall hin. Und das Beste: Der Rosenmontagszug geht in unmittelbarer Nähe vorbei. Mit der Bude haben wir echt Glück, da sie alten Freunden von mir gehört, die für ein halbes Jahr ins Ausland gehen und ihren Tripp kurz vor Karneval starten. Sie wollten die Wohnung eh vermieten; jetzt haben wir einfach die erste Woche für uns abgezwackt.“

Jochen hob sein Glas: „Auf Ralle, den Wohnungsjäger!“

Alle vier leerten ihr Glas auf Ex und schenkten sich anschließend am Fass wieder ein.

„Auf Ralle, den Wohnungsjäger!“

Jochen schien einen Sprung in seiner Platte zu sein. Die anderen schauten ihn verwundert an. Sven prustete als Erster los.

„Alles klar bei dir, Jo?“

Malte legte nach: „Frühzeitige Demenz, Jung?“

Jo schien in dem Moment wirklich nicht zu wissen, warum ihn seine Kumpels fragten. Sein Gesicht war ein großes Fragezeichen.

„Was wollt ihr von mir? Ich wollte mich doch nur bei Ralle bedanken.“

Sven blickte kurz zu Malte, der ihn ebenfalls fragend anschaute.

„Äääähm, dir ist schon bewusst, dass du denselben Spruch eine Minute vorher schon gebracht hast?“

„Quatsch, das wüsste ich doch; ich bin doch nicht blöd,“ wehrte Jo ab. Dann brach er aber in Gelächter aus.

„Ich wollte nur mal testen, wie ihr reagiert. Alles in Ordnung, Jungs. Ich bin noch Herr meiner Sinne. Ob ich das aber in Köln die ganzen Tage auch sein werde, kann ich nicht garantieren“, wieherte Jo los.

Dafür bekam er parallel Boxhiebe von Sven und Malte. Aber die prallten einfach an ihm ab. Ralf hatte sich das Treiben seiner Freunde grinsend angeschaut.

„Ihr seid bekloppt, allesamt. Und das ist auch gut so. Lasst uns jetzt noch mal auf Karneval zu sprechen kommen. Ich habe die erste Veranstaltung abends für uns gebucht. Wir werden den Freitagabend in einem Brauhaus verbringen, weil dort an diesem Abend nur kölsche Lieder gesungen werden. Da steht ein Sänger, der dort jeden Freitagabend auftritt, mitten unter den Leuten und spielt mit seiner Gitarre alle möglichen Karnevals-Songs. Und die Leute, die alle verkleidet sind, singen alles mit. Aber wirklich alles. Dort wird es sehr warm sein, also sollten wir keine Fell-Kostüme oder ähnlich Warmes tragen. Das nur als Kostüm-Info.“

Die anderen nickten. Ralf war aber noch nicht fertig.

„In einem Brauhaus gelten besondere Regeln“.

Hier unterbrach ihn Sven.

„Aber wir haben bei uns im Norden doch auch Brauhäuser. Das dürfte doch nichts anderes sein, oder?“

Ralf grinste und antwortete: „Vergiss es, dazwischen liegen Welten. Du solltest in einem Kölner Brauhaus zum Beispiel nie Altbier bestellen.“

„Warum das nicht?“, wollte Jo wissen. „Das Zeug schmeckt doch gar nicht so schlecht.“

Ralle verdrehte die Augen.

„Altbier trinkt man in Düsseldorf, beim großen Stadt-Rivalen Kölns. Bestellst du das in einem Kölner Brauhaus, schickt dich der Köbes, wenn du Pech hast, aufs Klo und gibt dir einen Becher mit, den du da füllen kannst. Oder er gibt dir einen Spruch mit, wie „Du kannst gerne ein Altbier haben. Das ist das alte Bier, das seit heute Morgen am Fass herunterläuft.“

Malte war entsetzt: „Was? Nie im Leben! Und wer ist dieser Köbes?“

Sven meldete sich nach dieser Frage wie zu Schulzeiten, indem er mit seinem Finger in der Luft schnippte. „Äh, äh, äh, äh“, rief er dabei hektisch.

Malte blickte seinen Freund erstaunt an.

„Was ist denn mit dir los?“

„Na ich weiß, wer der Köbes ist“, erklärte Sven strahlend. „Es ist der Kellner in einem Kölner Brauhaus.“

„Aaaahja“, kommentierte Malte.

Ralle ergänzte Svens Aussage noch: „Ein Köbes zählt in der Regel nicht zu den allerfreundlichsten oder höflichsten Menschen in einem Brauhaus. Das ist eine Imagesache. Er hat das Recht, bärbeißig zu sein. Und das nutzt er auch gerne. Vor allem, wenn man ihm irgendwie blöd kommt.“

Jetzt mischte sich auch Jochen sein: „Und ich dachte, die Kölner sind alle herzlich und offen?“

„Sie sind offen, das ist richtig. Aber natürlich gibt es in meiner Heimatstadt auch unfreundliche Zeitgenossen, das ist doch logisch. Der Köbes ist jedoch ein besonderes Exemplar. Das werdet ihr auch merken, wenn ihr im Brauhaus ein Wasser bestellt. Dann kommt gerne ein Spruch wie: „Jung, wenn de Wasser willst, musste dusche jonn.“ Oder auch „Wasser? De Stroß raf is de Rhing. Do hässte Wasser.“

Jetzt schauten die anderen wieder verständnislos drein. Ralf merkte, dass er übersetzen musste.

„De Stroß raf is de Rhing“ heißt „Die Straße runter ist der Rhein“.

Nun nickte das nordische Trio.

Ralle war aber noch nicht fertig mit seiner Köbes-Unterrichtseinheit: „Letztlich entscheidet er auch, ob und was du zu trinken bekommst. Denn im Brauhaus erhält man längst nicht immer das, was man gerne hätte. Wenn du ´ne Limo oder ein Wasser haben möchtest, kann es sein, dass du dir tatsächlich erst mal nen blöden Spruch einhandelst und im schlimmsten Fall das Bestellte nicht direkt bekommst.“

Sven, Malte und Jochen konnten es nicht fassen.

„Aber die wollen doch verkaufen? Oder haben die immer genug Gäste, dass es ihnen auf das eine oder andere Getränk nicht ankommt?“

Die Frage kam von Sven.

Ralf antwortete: „Klar, wollen die verkaufen. Die wollen ja auch Trinkgeld. Aber diese oft gespielte Unfreundlichkeit ist nun mal auch ein Geschäftsmodell.“

„Kommt noch was zu den Kellner-Göttern? Sind die so wichtig?“, wollte Jochen wissen.

„Eins noch abschließend. Normalerweise und besonders zu Karneval wird im Brauhaus fast immer nur Kölsch getrunken. Sobald dein Glas leer ist, stellt dir der Köbes einfach ein neues, volles Glas hin. Und zwar immer. Bis du zahlst oder umfällst. Willst du kein neues Kölsch mehr, legst du einfach deinen Bierdeckel auf dein Glas. Dann weiß der Köbes Bescheid.“

„Das muss ich mir merken“, meinte Jochen grinsend.

„Darauf trinken wir noch einen“, stellte er fest.

„Und jetzt kommt ein Song für die kölsche Seele und ein absolutes Schunkel-Lied. Bei „Drink doch eine met“ wird die Kölner Gastfreundlichkeit und das Miteinander betont; bei „Rut sin de Ruse“ kann man hervorragend schunkeln. Ihr wisst, was Schunkeln ist?“, wollte Ralf wissen.

„Na klar“, tönte Jochen. Sven und Malte nickten.

„Na dann können wir mit dem Üben anfangen. Wir nehmen zuerst den Rosen-Song“, erklärte der Exil-Kölsche.

Als die Jungs das Lied zum ersten Mal hörten, waren alle einer Meinung. Jochen drückte sie deutlich aus: „Boah, ist das scheiße. Das singen doch nur die 90-Jährigen. Und so was wird tatsächlich gespielt und gesungen? Kann ich mir kaum vorstellen.“

Auch Svens und Maltes Mienen drückten große Skepsis aus. Ralf zuckte mit den Schultern.

„Jungs, vertraut mir. Auch ich finde dieses Lied fürchterlich, aber erstaunlicherweise stehen total viele Frauen darauf. Es ist zudem ein Schunkel-Klassiker. Und das probieren wir mal. Also einhaken, sobald das Lied kommt. Eure Text-Zettel legt ihr auf den Tisch vor euch. Diesen Song habe ich mit sehr großer Schrift ausgedruckt, damit wir den auch beim Schunkeln lesen können.“

„Du hast ja wirklich an alles gedacht“, meinte Jochen und nahm wieder Ralfs Schulter ins Visier. Der bemerkte die Absichten seines Freundes rechtzeitig und machte einen Satz zur Seite.

„Ich warne dich, du Honk!“

Jochen ließ seine Pranke sinken und grunzte enttäuscht. Ralf ließ das Lied starten, machte dann aber beim Schunkeln nicht den Anfang, sondern dachte sich: „ Mal schauen, was die Jungs draus machen.“

Als die ersten Töne kamen, stand die Mini-Reihe der vier Männer bewegungslos vor dem Tisch. Malte, Sven und Jochen starrten nach links zu Ralf, der intensiv die Decke in Jochens Partykeller musterte.

„Und jetzt?,“ wollte Sven kichernd wissen.

Malte folgte: „Wie fängt man denn an?“

Jochen grinste einfach, ohne irgendwas zu sagen.

„Ich dachte, ihr wisst, wie man schunkelt? Hatten da nicht eben drei mittelalte Männer fröhlich behauptet, Schunkeln wäre bekannt?“

Nun musterte Ralf seine Freunde, die ahnungslos rumstanden. Derweil lief der Song weiter.

„Also. Ihr müsst euch nur dem Rhythmus und der Richtung anpassen. Und, Jochen: Mit Gefühl schunkeln. Du musst die Nebenfrau oder den Nebenmann nicht aus dem Weg checken wie beim Eishockey. Man berührt sich oftmals leicht im Oberkörper oder Hüftbereich, aber man knallt nicht gegen den Nachbarn.“

Ralf hatte da in seinem Kopfkino plötzlich Bilder seines robusten Kumpels, der beim Schunkeln durch seine Kraft und Vehemenz ganze Reihen aus dem Takt bringt. Er musste lachen. Die anderen blickten ihn verständnislos an.

„Alles gut, Jungs. Ich hatte da gerade Bilder im Kopf“, erklärte Ralle, „und die behalte ich lieber für mich.“

Jetzt gab Ralf den Takt und die Richtung vor. Malte war ein wenig unbeweglich dabei, Jochen wollte immer schneller, als es der Song hergab.

„Jo, du Rhythmuslegastheniker, mach langsam! Schau, wie Sven sich bewegt. Das Lied geht nicht schneller zu Ende, nur weil du dich schneller bewegst.“

„Arsch“, grummelte Jochen beleidigt zurück.

Beim zweiten Mal wurde auch Malte lockerer. Jochen musste aber wieder gebremst werden. „Das würde ja heiter werden, wenn diese Urgewalt in den Kneipen beim Schunkeln eine Eigendynamik entwickelt. Ich glaube, ich werde mich aus Jochens Schunkelreihen heraus halten“, dachte sich Ralle.

„Geschunkelt werden kann bei allen langsamen Liedern. Ober man hat jemanden gefunden, mit dem man bei den ganz langsamen oder schönen Songs Blues tanzen kann“, gab Ralf noch einen Hinweis.

Jochen strahlte sofort.

„Super, dann tanze ich nur Blues. Schunkeln ist nichts für mich, stelle ich gerade fest.“

„Wenn du jemanden findest, der das mit dir Ochsen wagt?“

Sven grinste Jo an, der diese Frotzelei erstaunlich gelassen aufnahm.

„Och, mach dir da mal keine Sorgen. Ich habe mir da aus dem Internet schon ein paar Kennenlernsprüche rausgesucht, die in Köln angeblich immer funktionieren.“

Entsetzen machte sich in den Gesichtern der anderen drei breit. „Ähh, Jo – vielleicht kannst du uns deine Sprüche bei Gelegenheit ja mal unterbreiten. Längst nicht alles, was du im Internet findest, funktioniert auch“, meinte Malte, der wahrscheinlich – und das auch zurecht – befürchtete, dass sein Freund die ganze Gruppe in fürchterlich peinliche Situationen bringen könnte. Jo war durch sein langes Single-Dasein ziemlich aus der Übung, was Flirten anging. In Verbindung mit dem Konsum des einen oder anderen Bierchens könnte das durchaus spannend werden.

„Drink doch eine met“ kam bei den Jungs super an. Beim dritten Mal hatten sich die vier schon untergehakt und grinsten selig vor sich hin. Und mit jedem weiteren Kölsch lief´s besser. Melodie und Text sprachen die drei Nordlichter unheimlich an; Ralf hatte den Song schon seit Jahrzehnten ins Herz geschlossen. Er konnte die Begeisterung seiner Kumpels nachvollziehen; sie rührte ihn richtig an. Zwischendurch hatte er tatsächlich auch Pippi in den Augen, als er das Gefühl hatte, die drei grölten das Lied nicht einfach mit, sondern sie fühlten es. Und das war bei diesem Song der Fööss besonders wichtig.

„Jungs, ihr habt es drauf. Ich bin stolz auf euch“, nahm Ralf seine Freunde der Reihe nach in den Arm.

„Das ist aber auch ein schönes Lied. Ich bin jetzt schon riesig darauf gespannt, wie die Stimmung in einer Kneipe ist, wenn´s gespielt wird“, meinte Malte mit glänzenden Augen.

„Bis auf das „Zick, Zick, Zick eröm“ wird dieses Lied nicht gegrölt, sondern mit viel Gefühl und Liebe gesungen. Da haben die Leute ein ähnliches Lächeln im Gesicht, wie´s bei euch eben der Fall war. Von dieser Art Lied gibt es aber noch mehr; das werdet ihr beim weiteren Proben feststellen. Den einen oder anderen Song habt ihr ja schon geübt, aber „Drink doch eine met“ gehört wie „En unserem Veedel“ zu den absoluten Klassikern. Ihr werdet feststellen, dass bei diesen Liedern die Leute irgendwie sentimental werden, weil sie die „kölsche Seele“ treffen“, erklärte Ralle.

An diesem Abend gingen alle mit der Melodie des Bläck Fööss-Evergreens ins Bett. Malte machte den Fehler und summte immer noch, als er sich neben Nina ins Bett legte.

„Was summst du denn da?“

„Ach, Ralle hatte die ganze Zeit Musik laufen, da ist das sicher bei mir hängen geblieben. Ich kann noch nicht mal sagen, welches Lied das ist“, antwortete Malte, wohl wissend, welcher Song das war. Beim Gedanken an dieses Lied wurde ihm tatsächlich warm ums Herz. Ein Gefühl, das er im Zusammenleben mit Nina schon seit längerer Zeit nicht mehr fühlte. Er hatte sich in den letzten Wochen immer häufiger den Kopf über die Zukunft dieser Beziehung zerbrochen. Wo war ihre Zukunft? Was hatten sie noch gemeinsam? Worüber lachten sie zusammen? Gab es noch richtig unbeschwerte Momente? Fragen dieser Art stellte er sich zuletzt regelmäßig. Und er fand keine befriedigenden und motivierenden Antworten mehr. Auslöser für die Vehemenz dieser grundsätzlichen Fragen war sicher die geplante Köln-Tour mit seinen Freunden. Die Art und Weise, wie Nina ihm, der erwachsen war und der wusste, was er tat und was er nicht tat, diese Reise verbieten wollte, war schon grenzüberschreitend. Und das war nicht das einzige Mal, dass sie ihm so in die Parade fuhr. Für ihn wurde es immer nervender.

Nina beobachtete ihn. Sie wollte ihn gerade fragen, woran er denn dachte, da schoss es aus ihm heraus: „Nina, so geht das nicht mehr weiter mit uns. Ich bin nicht mehr glücklich in unserer Beziehung.“

Während er sprach, sah Malte nicht in Ninas Richtung. Erst als er fertig war, blickte er zu ihr.

Seine Freundin schaute ihn schockiert an.

„Sag mal, spinnst du? Wer hat dir das denn wieder eingebläut? Das glaub ich jetzt ja nicht.“

Nina wurde wütend.

„Seitdem ihr diese Scheiß-Köln-Fahrt plant, bist du verändert. Du erzählst mir nichts mehr, wenn ich dich frage. Du machst keine Pläne mehr mit mir. Glaubst du, das fällt mir nicht auf?“

Sie hatte sich im Bett aufgerichtet und saß neben ihm, die Bettdecke bis zur Brust hochgezogen. In ihren Augen lag keine Trauer, sondern nur Wut.

„Und was jetzt? Will sich der Herr etwa von mir trennen? Willst du ausziehen?“

Sie stupste ihn an.

„Los, sag was! Immer muss ich dir die Wörter aus der Nase ziehen.“

Malte merkte, dass er langsam aber sicher auch sauer wurde. Er hatte es schon lange satt, dass sie ihn immer wieder anherrschte. Selbst wenn sie ihn etwas fragte, wollte sie eigentlich nicht seine Meinung hören, sondern nur eine Antwort haben, die ihr gefiel. Wenn das mal nicht der Fall war, gab es endlose Diskussionen, die erst dann endeten, wenn sie ihre Meinung durchgesetzt hatte. Er hatte meistens beigegeben, weil er keinen Bock auf Streit hatte. Die waren ihm zuwider. Aber er hatte sich dabei immer häufiger schlecht gefühlt, weil immer weniger ein „Wir“ die Beziehung prägte, sondern nur noch ein „Ich“ in Form von Nina. Er hatte diese Entwicklung zugelassen, also war es auch seine eigene Schuld. Dass seine Freunde ihn schon länger mitleidig ansahen und den einen oder anderen Kommentar losließen, wenn es um ihn und Nina ging, hatte er natürlich bemerkt. Mit Ralf gab´s auch schon Gespräche über ihre Beziehung; er hatte seinem Kumpel einiges erzählt. Ralf hatte ihm geraten, auf sein Bauchgefühl zu hören. Und das sagte ihm jetzt, dass es Zeit wurde, die Beziehung mit Nina zu beenden.

Malte wandte sich Nina zu und sah sie ernst an.

„Ja, Nina, ich werde ausziehen. Nicht diese Nacht, aber in den nächsten Tagen. Du wirst überlegen müssen, ob du hier alleine leben möchtest. Solltest du auch hier ausziehen wollen, dann gib mir Bescheid. Ich würde hierhin zurückkommen wollen.“

Nina wollte es nicht glauben.

„Du willst mich wirklich verlassen? Allein kommst du doch gar nicht klar. Wenn ich dir nicht immer deinen Arsch hinterher tragen würde, wärst du verloren.“

Malte traute seinen Ohren nicht. War das wirklich das Bild, das Nina in den letzten zwei Jahren von ihm gewonnen hatte? Oder war es das Bild, das sie von ihm haben wollte ...

„Weißt du, Nina, ob du es glaubst oder nicht: Ich werde auch ohne dich überleben. So wie ich es auch in den Jahren, als es dich für mich noch nicht gab, geschafft habe. Sogar gut. Und das ist genau einer der Punkte, der unsere Beziehung scheitern ließ: Du musstest aus deinem Selbstverständnis immer in mein Leben eingreifen. Letztlich warst du noch fast nie einverstanden mit dem, was ich gemacht habe. Selbst meine beruflichen Dinge hast du häufig kritisiert, obwohl du keine Ahnung von den technischen Aspekten meines Jobs hattest und hast.“

Nina war baff. Solche Worte war sie von Malte gar nicht gewohnt. Einsicht gab es bei ihr jedoch nicht; Malte trug ihrer Ansicht nach die alleinige Schuld am Ende ihrer Partnerschaft.

„Du wirst schon sehen, was du davon hast. Ich wette, dass du ohne mich keinen Monat allein klarkommst.“

Malte war es leid, mit ihr zu diskutieren. Es würde auch gar nichts bringen, weiter mit ihr zu sprechen.

„Ich lege mich jetzt im Wohnzimmer auf die Couch und werde dort die Nacht verbringen. Wir sehen uns dann morgen früh, solltest du früh genug aufstehen.“

Malte raffte sein Kopfkissen und seine Bettdecke zusammen und trug die Sachen ins Wohnzimmer. Dort haute er sich auf die bequeme Couch. Kurz darauf stand er aber noch mal auf und holte sich aus dem Kühlschrank ein Bier. Er war zufrieden. Ein Gefühl von Freiheit kam auf, Erleichterung machte sich breit. Er nahm sein Handy und schickte eine Nachricht an seine Doppelkopf-Runde: „Kölle kann kommen. Ich bin frei“ Es folgten drei erhobene Daumen.

Es dauerte keine 5 Sekunden, da kam die erste Antwort. Jochen!

Hä? Wie frei? Haste Nina in die Wüste geschickt?“

Jetzt meldete sich Ralf: „Was auch immer das heißt: Super!

Um seine Freunde nicht unwissend in den Schlaf zu schicken, sendete Malte noch eine kurze Erklärung hinterher: „Ich habe mit Nina Schluss gemacht. Ab Morgen schaue ich mich nach einer neuen Wohnung um.“

Jochens Antwort kam prompt: „Malte, du Glückspilz! Du kannst bei mir wohnen, so lange du keine neue Hütte hast. Ich habe ja genug Platz.“

Jochens Haus war in der Tat groß genug. Malte hatte eben schon ein wenig gehofft, dass Jo ihm Unterschlupf gewähren würde. Ansonsten hätte er ihn morgen gefragt.

Danke! Ich nehme das Angebot gerne an. Bevor ich weiter mit Nina zusammen wohne, ziehe ich sogar lieber zu dir, Jo.“ Ein grinsender Smiley rundete die Nachricht ab.

Du Spacken! Du musst gar nicht glauben, dass du neben mir schlafen darfst. In mein Bett lasse ich nur Menschen mit weiblichen Formen. Und du hast die Rundungen definitiv an den falschen Stellen

Ein Smiley mit ausgestrecktem Mittelfinger folgte.

Schön, wenn man solche Freunde hat, dachte Malte und wurde von einem Glücksgefühl durchströmt.

Jo, super Aktion! Könnte ich zur Not auch bei dir leben, wenn es bei mir mal eng wird?

Svens Smiley zwinkerte.

Jungs, ich nehme euch alle unter meine Fittiche, wenn ihr wollt!

Du bist der Größte! Und jetzt gute Nacht, Jungs ...

Sven war scheinbar zu müde, um weiterhin mit seinen Kumpels zu schreiben.

Auch Jochen verabschiedete sich aus der Runde.

Nacht, ihr Dilletanten. Morgen musste mir mehr erzählen, Malte. Wenn ihr wollt, könnt ihr morgen Abend alle bei mir vorbeikommen. Dann können wir nebenher noch eine Sing- und Kölsch-Runde einlegen. Mein Vorschlag: 19 Uhr! Sagt mir bis Mittag Bescheid; danach bin ich erst mal unterwegs“.

Malte machte nun auch Feierabend in der Gruppe: „Danke, Jungs. Schlaft gut!

Während er auf der Couch sein Bier noch leerte, machte sich Vorfreude in ihm breit. Endlich konnte er wieder sein eigenes Leben führen, ohne sich von Nina beeinflussen zu lassen. Er war sich aber auch darüber im Klaren, dass er an der Entwicklung der letzten zwei Jahre seinen Anteil hatte. Und zwar einen großen Anteil. Er hätte Nina wesentlich früher Einhalt gebieten müssen. Sie war ja kein schlechter Mensch. Nur schleppte sie keine allzu positive Biografie mit sich herum, die dazu beitrug, dass sie so wurde, wie sie nun war.

Aber das sollte bald der Vergangenheit angehören. Gut, dass aus ihrer Beziehung keine Kinder entstanden waren. Nina hatte sich ja Nachwuchs gewünscht, aber es war beim Wunsch geblieben.

Als das Bier leer war, mümmelte sich Malte in sein Bettzeug ein, summte noch ein paar kölsche Lieder und schlief irgendwann ein.

Am nächsten Morgen wachte er früh auf. Von Nina war nichts zu sehen und zu hören. Sie musste nicht so früh raus wie er. Das war an diesem Tag auch gut so. Nach Duschen und Frühstücken hinterließ er Nina eine kurze Nachricht auf einem Zettel und kündigte seine Rückkehr für 16 Uhr an, um dann seine Sachen zusammenzupacken. Er hatte erst mal nicht vor, Nina mitzuteilen, wo er zukünftig übernachten würde. Als er am Nachmittag nach Hause kam, war Nina nicht da. So konnte er in Ruhe seine wichtigsten Sachen packen: Klamotten, Bücher, Ordner, seinen TV, seine Musikanlage. Was mit seinen Möbeln werden sollte, musste er später mit Nina abklären. Da Malte in der Kürze der Zeit nur ein paar Umzugskartons von seinem Arbeitgeber auftreiben konnte, packte er den Rest der Sachen in Wäschekörbe und Koffer. Sein Auto, glücklicherweise ein Kombi, war bis unter den Rand bepackt. So trudelte Malte am frühen Abend bei Jochen ein. Der hatte früh Schluss gemacht, seinen Laden abgeschlossen und empfing seinen Freund mit einem breiten Grinsen. Zur Begrüßung nahm er Malte kräftig in die Arme.

„Willkommen daheim. Fühl dich hier wie zuhause. Ich freue mich, dass du hier bist. Endlich ist wieder Leben in der Bude, auch wenn´s nur ein Sesselpupser wie du ist.“

Obligatorisch folgte der Schlag auf den Rücken. Malte zuckte zusammen. 15 Minuten später war Maltes Auto leer und eines der zwei Gästezimmer in Jochens Haus voll. Danach saßen die beiden zusammen und tranken ihr erstes, gemeinsames Feierabendbier.

Sven und Ralf hatten sich ebenfalls angekündigt und trudelten dann auch zusammen um kurz vor 19 Uhr ein. Jo hatte tatsächlich Kölsch besorgt; so startete das Quartett, nachdem Malte seine Geschichte vom Vorabend erzählt hatte, mit dem Vernichten des Kölsch-Vorrats und dem Üben weiterer Songs. Angesichts der durch Maltes Trennung von Nina beseitigten Hürde war die Stimmung im Wohnzimmer von Jochen prächtig. Über sein Smart-TV ließen sich die vier immer wieder Videos von kölschen Liedern vorspielen und da diese teilweise mit Text unterlegt waren, konnte man alles locker mitsingen und musste dabei das Kölsch nicht aus den Händen legen.

„Jetzt fehlen uns nur noch Kostüme, dann könnten wir schon starten“, jubelte Jochen.

„Um die müssen wir uns tatsächlich mal langsam kümmern“, meinte Ralle.

„Was ist denn mit den Leuchttürmen?“, fragte Sven.

„Darüber haben wir noch nicht abschließend gesprochen. Wenn wir uns heute darauf einigen, werde ich sie morgen bestellen. Ich würde dazu noch ein Drehlicht mit Batterieantrieb für jeden besorgen, das wir uns dann auf dem Kopf befestigen können. Das macht es noch besser“, stellte Ralf klar.

„Wer ist für die Leuchttürme? Hände nach oben!“, nahm Jochen die Abstimmung vor. Alle Hände schossen nach oben.

Ralle freute sich über das einstimmige Ergebnis.

„Super! Mache ich morgen klar. Aber wir brauchen noch mehr. Ich habe ja gesagt, dass wir bei sechs Tagen mindestens drei Kostüme für jeden benötigen. Habt ihr sonst noch Ideen? Und denkt dran: Wir brauchen leichte und luftige Kleidung für drinnen und festere, wärmere für draußen. Die Leuchttürme sind für die Straße.“

Jeder versprach, sich noch mal Gedanken zu machen und in vier Wochen, Mitte Januar, seine Vorschläge vorzustellen oder am besten direkt die Kostüme mitzubringen.

Am Aschermittwoch ist (nicht) alles vorbei

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