Читать книгу Rulantica (Bd. 1) - Michaela Hanauer - Страница 10
Mats
Оглавление»Ey, Mats, aufstehen!«
Die Tür zu Mats’ Zimmer fliegt auf. Sein Zimmernachbar trommelt mit den Fingern gegen den Türrahmen und macht dabei ein komisches Kratzgeräusch mit den Fingernägeln, als wollte er Mats mit Absicht in den Wahnsinn treiben.
»Lass mich in Frieden!«, murrt Mats und zieht sich trotz Sommerhitze die Decke über den Kopf.
»Geht nicht, Carla hat gesagt, ich soll dich um jeden Preis aus dem Bett schmeißen«, trompetet Rayk.
Mats stöhnt innerlich. Nie hat man hier im Kinderheim »Tre Bjørker«, was so viel wie »Drei Birken« heißt, seine Ruhe, ständig platzt einer rein und will irgendwas. Absperren kann er sein kleines, spärlich eingerichtetes Zimmer leider auch nicht. Dabei hat er noch Glück, wenigstens ein Einzelzimmer zu haben. Rayk muss seines mit Jannik teilen, Sven mit Bjarne und York mit Tom-Ole. Doch selbst Carla und Ignatz, seine Heimeltern, haben erkannt, dass er sich lieber zurückzieht, statt ständig mitten im Chaos zu sein. Für Chaos und Lärm sind die Jungs der »Wikingergruppe« nämlich Experten. Ignatz lässt ihnen einiges durchgehen, aber wenn Carla eine Ansage macht, dann hält man sich besser daran, sonst gibt es Ärger und zusätzlichen Küchendienst.
Das weiß Rayk und das weiß auch Mats, deshalb richtet er sich auf und schwingt die Beine aus dem Bett. »Na gut, ich bin gleich da!«
Rayk grinst schief. »Du hast zwei Minuten, sonst komme ich mit einem Eimer Wasser wieder!«
Bloß nicht Wasser!, denkt Mats, weil genau das der Grund ist, warum er heute besonders ungerne aus den Federn will. Es verspricht nämlich, ein extrem mieser Tag zu werden. Einer, den er seit haargenau einer Woche lieber aus dem Kalender streichen würde. Seit seine Sportlehrerin Frau Grenlind gedroht hat, ihn durchfallen zu lassen, wenn er heute nicht zu ihrem Unterricht erscheint. Das ganze bisherige Schuljahr hat er sich erfolgreich davor gedrückt. Ansonsten geht er ganz gerne zur Schule, auch gegen Sport hat er eigentlich nichts einzuwenden. Aber Schwimmunterricht? Für Rayk und Tom-Ole, die in dieselbe Klasse gehen wie er, und für seine restlichen Mitschüler ist es ein riesiger Spaß, das beste Unterrichtsfach von allen – für Mats ist es der blanke Horror. Seit er sich erinnern kann, hat er Albträume vom Wasser. Nicht vor dem, das man trinkt, oder vorm Duschen, sondern vor dem Meer. Es lauert ihm auf, wartet bloß darauf, dass er sich in seine Nähe wagt, um ihn in die Tiefe zu ziehen und zu ertränken. Deshalb hat Mats tausend Wege gefunden, um nicht direkt am Meer oder Strand vorbeizulaufen. Das ist in einer Stadt, die an drei Seiten vom Ozean umgeben ist, gar nicht leicht, sogar das Schulschwimmen findet hier nicht in einer Halle, sondern im Strandbad statt, und im Sommer verbringen so gut wie alle ihre Freizeit am und im Meer. Nicht nur deswegen fühlt Mats sich als Außenseiter, aber er kann nicht dagegen an. Er hat es probiert, immer wieder. Manchmal beobachtet er das Meer aus gebührender Entfernung von oben aus seinem geheimen Felsenversteck, nur um zu testen, ob es ihm noch Angst einjagt. Das Ergebnis ist immer dasselbe: Schweißausbrüche, Schnappatmung und zitternde Knie. Gesagt hat er das bisher niemandem, besser, sie halten ihn für einen Einzelgänger als für einen Spinner. Einer, der sich nicht ins Wasser traut, kann hier in Drei Birken einpacken, der wird den Spott und das Gelächter nie wieder los. Wenn er wenigstens Eltern hätte, richtige Eltern, die nur für ihn da sind und ihm zuhören. Nicht wie Carla und Ignatz, die ihre Aufmerksamkeit auf alle verteilen müssen und eigentlich immer fair, aber auch immer neutral bleiben. Wie es tatsächlich mit echten Eltern wäre, kann Mats sich bloß ausmalen – kennengelernt hat er seine Mutter und seinen Vater nämlich nie. Er wurde als Baby am Strand gefunden. Ob das etwas mit seiner Angst vorm Meer zu tun hat? Das kann ihm niemand sagen, auch in seinen Albträumen hat er darauf bisher keine Antwort gefunden. Es gibt also keinen Ausweg, heute muss er in Frau Grenlinds Schwimmunterricht …
»MATS!«, brüllt Rayk. »Ich hole jetzt den Eimer!«