Читать книгу Rulantica (Bd. 1) - Michaela Hanauer - Страница 5

PROLOG

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Einst brach der Gott Loki einen kleinen Stein von Asgard ab, dem Wohnort der Götter, denn er neidete den anderen Göttern ihr enges Band zu den Menschen und wollte beweisen, wie fehlbar und schwach die Sterblichen in Wahrheit waren. Der Stein landete im Ozean und wurde zu einer Insel. Loki war sich bewusst, dass mit dem Stein auch ein Stück der göttlichen Magie auf die Erde gelangt war. Mit Wohlgefallen erkundete er seine Insel: die idyllischen Wälder, Berge und Flüsse. Er erkannte aber auch ihre feurige Seele. Besonders angetan war er von einer Grotte, in der eine Quelle munter vor sich hin plätscherte. Dies erschien ihm der ideale Ort für seinen hinterhältigen Streich. Er spuckte einen Kern von Iduns goldenen Äpfeln der Unsterblichkeit am Ursprung der Quelle in die Erde. Der Keim sollte von nun an das Wasser mit der Kraft der Unsterblichkeit speisen. Loki war sich sicher, dass kein Mensch dieser Verführung würde widerstehen können.

Zufrieden mit sich und seinem Werk hielt er Ausschau nach einem geeigneten Opfer und fand es rasch in Viken Rangnak, dem Anführer eines Wikinger-Clans. Ihm gab sich Loki zu erkennen und er wies Viken den Weg zu einer neuen verheißungsvollen Heimat: Rulantica. Das Spiel um Leben und Tod konnte beginnen.


Nicht zum ersten Mal erscheinen Vidar die Fußstapfen groß, die sein Vater Odin ihm hinterlassen hat. Bis zu seinem Untergang war Odin der Anführer aller alten Götter gewesen. Unendlich klug und weise, wie er war, hatte er bestimmt gewusst, was mit dem Stein passiert war. Aber er, Vidar, steht nun vor der Mauer, die die göttliche Welt Asgard und die wenigen Götter schützen soll, die noch leben. Und er muss zu seinem Entsetzen feststellen, dass der Schutz ein Loch hat. Für die Riesen und anderen Feinde der Götter wäre es ein Leichtes, an dieser brüchigen Stelle den Wall zu überwinden und anzugreifen. Wie ist das Loch überhaupt dorthin gelangt? Eines ist Vidar klar: Nichts in Asgard passiert einfach zufällig. Früher nicht und auch heute nicht. Doch wer könnte etwas über den fehlenden Stein wissen?

»Hugin, Munin!«, ruft er.

Fast im selben Moment fallen lange Schatten auf Vidar, zwei Raben kreisen über seinem Kopf. Ihre tiefschwarzen Federn glänzen im Sonnenlicht. Sie lassen sich links und rechts auf seinen Schultern nieder und blicken den jungen Gott aufmerksam an.

»Ich gedenke, meinen Bruder Wali zu besuchen, um mich mit ihm zu beraten. Fliegt zu Thors Söhnen und zu Lokis Tochter Hel, damit sie möglichst bald zu unserem Rat dazustoßen!«

Die Raben erheben sich in die Lüfte, um ihren Auftrag zu erledigen.


Vidar trifft seinen Halbbruder bei Zielübungen mit dem Bogen in dessen Schlosshof an.

»Vidar, wie schön, dich zu sehen! Was verschlägt dich zu mir?«, grüßt Wali ihn.

»Hast du je davon gehört, dass in der Schutzmauer um Asgard ein Stein fehlt?«, fragt Vidar rundheraus.

Wali schüttelt den Kopf. »Es tut mir sehr leid, lieber Bruder, aber ich bin viel jünger als du. Was du nicht weißt, weiß ich auch nicht.«

»Das habe ich befürchtet«, gibt Vidar zu. »Aber ich hoffe, dass uns ein Ausblick von Vaters Thron in die neun Welten weiterbringt.«

»Dann komm mit in meine Halle«, lädt Wali ihn ein.

Eine silberne Kuppel überspannt den prächtigen Marmorsaal, durch den die beiden Brüder eilig auf den Thron zuschreiten.

»Au-uuu!« Zwei Wölfe jaulen neben einer weißen Säule, kommen aber nicht näher heran.

Vidar begrüßt Geri und Freki. Die beiden Wölfe hat Wali von Odin geerbt, genau wie den Thron, von dem aus man in alle Welten blicken kann. Vidar hingegen hat die beiden Raben seines Vaters bekommen und die große Aufgabe, als sein Nachfolger die Welten zu regieren.

Ein lautstarkes Grölen lässt die beiden Brüder herumfahren.

»Wo sind denn alle?« – »Gibt es hier nichts zu trinken?«

Magni und Modi, die Söhne Thors, poltern herein, und Vidar bereut im selben Augenblick, ihnen Bescheid gegeben zu haben.

»Wir suchen den Grund für ein Loch in der Asgardmauer«, erklärt Vidar.

»Wenn du ein Loch in der Mauer brauchst, kann ich dir gerne eines schlagen«, bietet Modi an.

Wali verdreht die Augen. »Müsst ihr bei jedem Treffen damit angeben, dass ihr Thors Hammer geerbt habt?«

Magni und Modi grinsen einmütig. »Müssten wir nicht«, sagt Magni. »Aber wir tun es gern«, ergänzt Modi.

»Wenn ich nur hier bin, um mir das anzuhören, drehe ich sofort wieder um«, lässt sich eine weibliche Stimme vernehmen.

»Ich weiß es überaus zu schätzen, dass du es einrichten konntest herzukommen, Hel«, bemüht sich Vidar schnell, sie zu beruhigen.

»Was besorgt dich?« Hel wendet Vidar ihre wunderschöne Seite zu.

»Kannst du etwa meine Gedanken lesen?«, fragt Vidar erschrocken.

»Nein, aber ich kann Gesichtsausdrücke deuten. So viele Menschen passieren täglich meine Schwelle ins Reich der Toten. Und ich lasse mir nicht gerne etwas vormachen, wenn du verstehst, was ich meine.«

»Und weißt du dann auch etwas über den Stein, der in Asgards Schutzmauer fehlt?«, fragt Vidar.

Hel wiegt bedächtig ihren Kopf. »Noch nicht genug, aber ich fürchte, mein Vater Loki ist darin verwickelt.« Sie tritt neben Vidar auf den Sockel von Odins Thron und zeigt von dort aus in die Ferne. »Suche in der Menschenwelt nach einem Eiland, das den göttlichen Funken in sich birgt, dann hast du deine Antwort.«

Aber so sehr Vidar sich auch anstrengt, er kann in ganz Midgard nichts finden, auf das die Beschreibung zutrifft.

»Ich sehe nichts«, sagt er.

»Ich auch nicht«, sagt Wali.

»Haha«, witzelt Magni. »Noch blinder als ihr Vater mit seinem einen Auge!«

Vidar ignoriert diese unverschämte Bemerkung und konzentriert sich ganz auf Hel.

»Sucht nicht das Offensichtliche«, sagt sie. »Wenn es mit meinem Vater zu tun hat, dann ist es trickreich verborgen und hält ihm die Hintertür offen, auch nach Jahrtausenden Unheil in unseren Welten anzurichten.«

Vidar läuft ein Schauer über den Rücken. Schon Odin konnte den fiesen Loki kaum in Schach halten, aber ohne ihn wird es fast unmöglich, eine von Lokis Untaten in den Griff zu bekommen. Vor allem, solange sie nicht genau wissen, was der listenreiche Gott angerichtet hat.

Er blickt zu Hel. Wie sie wohl darüber denkt?

»Sorge dich nicht, ich bin nicht mein Vater!«, sagt Hel. »Wenn wir etwas finden, könnt ihr auf mich zählen!«

Wali springt vom Thron auf. »Da! Der Nebel mitten im Meer. Könnte es das sein, was wir suchen?«

Alle fünf jungen Götter drängen sich um den Thron und betrachten Walis Entdeckung.

»Ein Versteck im Nebel, das wäre ganz der Stil meines Vaters«, meint Hel.

»Mitten im Ozean, dann könnte aus dem Stein tatsächlich eine Insel geworden sein«, vermutet Vidar. »Ein Stück von Asgard mitten in Midgard!«

»Wir gehen einfach hin und zerstören die Insel, dann sind wir das Problem los!«, schlägt Modi vor.

»Genau!«, stimmt sein Bruder Magni ihm zu. »Und den Stein bringen wir zurück, dann können wir auch gleich die Mauer reparieren!«

»Nichts da«, unterbricht Vidar. »Es wird nichts zerstört, bevor wir nicht mehr wissen.«

»Und wenn uns dein Zögern in Gefahr bringt?«, gibt Wali zu bedenken.

»Das Geheimnis im Nebel könnte Jahrtausende alt sein, älter als du, älter als ich«, entgegnet Vidar. »Da werden ein paar Tage mehr nicht schaden, um herauszufinden, was genau dort erschaffen wurde. Ich will nicht etwas auslöschen und erst dann fragen, wer oder was es ist. Wir sind Götter, keine Riesen!«

»Ach, du bist so vernünftig. Immer verdirbst du uns den ganzen Spaß!«, mault Magni.

Aber Vidar lässt nicht locker: »Als euer Anführer fordere ich euch auf zu schwören, dass wir zunächst den Nebel lüften, ohne uns in irgendeiner Form einzumischen!«

»Ich wäre nicht so zimperlich«, grunzt Modi.

»Dann ist es ja doppelt gut, dass Odins Söhne seinen Thron bewachen und nicht Thors Krawallmacher«, sagt Hel spitz.

»Du musst gerade reden«, schnappt Magni. »Dein Vater ist wahrscheinlich schuld an dem Loch in unserer Mauer und wir müssen wieder einmal unter seinen alten Schandtaten leiden!«

»Schluss jetzt!«, befiehlt Vidar. »Schwört mir euren Gehorsam oder ihr könnt Hel gleich in ihr Reich begleiten!«

Er streckt ihnen die Hand hin. Wali ist der Erste, der zu seinem Bruder hält und einschlägt, zögernd folgen Magni und Modi, und zum Schluss legt Hel ihre feingliedrige Hand obenauf und besiegelt das Versprechen der fünf.

»In einem Zehntag treffen wir uns wieder und tragen zusammen, was wir herausgefunden haben«, bestimmt Vidar zum Abschied.

Rulantica (Bd. 1)

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