Читать книгу Rulantica (Bd. 1) - Michaela Hanauer - Страница 17
Оглавление»Aber warum? Es ist hübsch und es steht mir sehr gut!«, widersprach Aquina.
»Du bist doch nicht eitel, Aquina? Wir achten nur auf unser Können und unsere Aufgabe, das unterscheidet uns von den Menschen!«, betonte Kailani.
Bei den anderen Meermenschen kam Aquinas Flechtkunst deutlich besser an. Jade und Ruby waren die ersten, die Armbändchen trugen. Etwas später Larima und sogar Manati ließ sich von Aquina eines anfertigen. Nur ihre Mutter presste jedes Mal missmutig die Lippen zusammen, wenn eine Sirene damit ankam. Aquina war damals sehr gekränkt. Wieso lehnte ihre Mutter jede neue Idee ab, besonders wenn sie von ihr kam? Nie konnte sie ihr etwas recht machen. Die Streitereien beim Abendessen waren kaum noch auszuhalten, bis es sogar Bror zu bunt wurde. Normalerweise hielt er sich raus, wenn Aquina sich mit ihrer Mutter zoffte. »Ich würde lieber in einer Felsspalte festhängen, als zwischen euch beide zu geraten!«, pflegte er zu sagen. Aber diesmal schlug er sich auf Aquinas Seite. Nach einer besonders lautstarken Auseinandersetzung kam er in ihr Zimmer.
»Zeigst du mir, wie das geht?«
»Was?«, fragte Aquina verblüfft.
»Dieses Geflecht, wie stellst du es her?«
»Wozu?«, fragte Aquina.
»Zeig es mir einfach – bitte!«, sagte ihr Vater auf diese gutmütige Art, mit der er bei Aquina meist mehr erreichen konnte als ihre Mutter mit all ihren Schimpftiraden.
Sie freute sich riesig über sein Interesse und zeigte ihm sämtliche Flechtarten, die sie inzwischen beherrschte. Gemeinsam lachten sie sich fast schlapp, als Bror versuchte, es ihr nachzumachen. Mit seinen großen kräftigen Händen tat er sich viel schwerer als Aquina mit ihren zarten, schlanken Fingern. Ständig rutschte ihm ein Blatt aus der Reihe oder knickte ab. Trotzdem hatten sie großen Spaß und am Ende beherrschte Bror die einfachen Muster und schloss Aquina dankbar in die Arme.
»Das sollten wir viel öfter machen«, hatte er zum Abschied gesagt. Das fand Aquina auch, leider steckten sie beide viel zu oft in ihren Pflichten fest.
Eine Woche später setzte Bror noch einen obendrauf. Als Kailani und Aquina sich beim Abendessen mal wieder über eine Fisch-Mahlzeit stritten, kam er hereingeschwommen – mit breitem Lächeln und einem geflochtenen Band um seinen linken Arm. Kailani hörte auf, mit Aquina zu schimpfen, und starrte Bror entgeistert an. »Hast du dich jetzt etwa anstecken lassen?«
Aquinas Papa hob seinen Arm und drehte und wendete ihn, als ob er das Band gerade erst bemerkte. »Das kann man auch als Meermann gut tragen, findest du nicht?«
»Wenn du meinst …«, erwiderte Kailani gedehnt. Aquina verkniff sich nur mit Mühe das Kichern.
»Und es ist sehr praktisch«, fuhr Bror fort. »Ich kann meine Angelhaken daranhängen und habe beim Schwimmen die Hände frei!«
»Verstehe«, seufzte Kailani, »du hältst zu Aquina, wie immer!«
»Das ist nicht wahr«, widersprach Aquinas Papa. »Die Algetarier-Spinnerei finde ich genauso bescheuert wie du. Aber die Bänder gefallen mir! Und weil ich von unserer wunderbaren Tochter gelernt habe, wie man sie herstellt, habe ich hier etwas …« Ihr Vater hielt inne und zog dann ein besonders zierliches Bändchen aus silberweiß schimmerndem Federgras hervor. Sogar eine kleine Mondperle hatte er eingeflochten. »… für dich!« Er legte Kailani das Band um den Arm.
»Das ist … du bist … na gut, ihr habt gewonnen, das ist wirklich wunderschön«, gab Kailani zu und lächelte Bror und Aquina an.
Aquina wusste, dass Papa auch ihr an dem Abend ein Geschenk gemacht hatte, und war ihm endlos dankbar dafür gewesen. Kailani trug das Federgrasband nämlich tatsächlich, ohne Aquina jemals wieder Vorwürfe zu machen.
Einen Mondlauf ist das jetzt her. Aquina wischt sich über die Augen, weil die Erinnerung sie immer noch rührt. Auch Snorri kennt ihre Bändchen. Wenn sie ihm also ein paar geflochtene Blätter in seinem Unterschlupf zurücklässt, dann wird er kapieren, dass sie da war. Sie wählt drei Blätter und fängt an, sie zu verknüpfen, als etwas ihre Schulter berührt. Sie zuckt zusammen und dreht sich um. Nichts zu sehen. Was war das? Vielleicht nur der Stamm eines Tangbaums. Sie wendet sich wieder ihren Blättern zu. Etwas streift ihren Rücken. He! Sie fährt herum. Das war eindeutig keine Pflanze. Aber auch diesmal ist kein Fisch oder Krebs zu sehen. Es zieht an ihren Haaren. Das traut sich nur einer!
»Snorri!«, ruft Aquina. Sie versucht, einen Arm ihres Freundes festzuhalten. Doch er ist schneller.
»Na, warte!« Aquina lässt ihr Geflecht fallen und nimmt die Verfolgung auf. Durch die Kelpbäume, linksrum, rechtsrum, ein Stück nach oben, zurück zum Meeresboden – rechts – links …
Wo steckt er? Snorri ist kleiner und wendiger als sie. Er schlüpft durch die Pflanzen wie durch einen Parcours. Aquina kann ihm gerade so folgen, aber er ist immer schon weggewitscht, bevor sie ihn packen kann. Sie sieht bloß noch die schlingernden Pflanzenspitzen, durch die bereits das Sonnenlicht blitzt.
»Ich gebe auf!«, schnauft sie. »Ich wollte dir eigentlich nur erzählen …«
Sie verstummt, weil Snorri ihr einen Fangarm auf die Lippen legt. Was soll das nun wieder? Jetzt hört sie es auch. Stimmen. Richtig echte Stimmen, keine Tierlaute. Ach, du Schreck! Das ist eindeutig die Stimme ihrer Mutter, sie erkennt nun auch ihre grünblaue Schwanzflosse, die nervös im Wasser paddelt, während sie sich an der Oberfläche direkt über dem Kelpwald unterhält. Aquinas erster Impuls ist Flucht. Ihre Mutter darf sie hier nicht erwischen! Aber irgendetwas hält sie davon ab, sofort umzudrehen. Sie lauscht hinauf zu dem Gespräch mit den Wellen. Stumm wie ein Fisch duckt sie sich möglichst dicht in den Tang.
»Ihr müsst euch geirrt haben«, sagt Kailani gerade.
»Nein nein nein, wir wir wir irren irren irren uns uns uns nicht nicht nicht!«, plätschern die Wellen.
»Das ist unmöglich!«, beharrt Kailani. »Der Junge ist vor vielen Gezeiten verunglückt, daran gibt es keinen Zweifel!«
Aquina stutzt. Von welchem Jungen ist die Rede? Sie weiß von keinem Meerjungen, der gestorben ist. Vielleicht jemand von den Quellwächtern? Aber auch davon hätte sie doch gehört! Bei Angriffen und in allen wichtigen Angelegenheiten halten Sirenen und Quellwächter nach wie vor zusammen – und ein Trauerfall wäre doch wichtig gewesen.
Aquina schielt zu Snorri, dem plötzlich alle Farbe aus dem kugelrunden Gesicht gewichen ist. Ob er den Jungen kannte? Die Frage danach muss sie sich aufheben, wenn sie weiter lauschen will.
»Er er er trug trug trug das das das Amulett Amulett Amulett«, plätschern die Wellen weiter.
Der Fischschwanz ihrer Mutter bebt, als wäre sie von einem Rochen gestochen worden. »Das Amulett? Friggs Amulett? Das kann nicht sein, das darf nicht sein! Bitte schwört, es niemandem zu erzählen. Vor allem nicht Exena und den Quellwächtern. Würde sie es erfahren, geraten wir alle in Gefahr!«
»Wir wir wir schwören schwören schwören es es es!«
Der Schwur der Wellen ist noch nicht ganz verklungen, als Aquina aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnimmt. Einige Schwimmzüge von ihr entfernt löst sich ein Katzenhai aus seinem Tangversteck und schlängelt sich davon. Er muss alles mitbekommen haben, genau wie Aquina. Ihr ist sofort klar, wohin der kleine Hai unterwegs ist. Zur Eisstadt. Die Haie sind – neben den Kelpies – die bevorzugten Wassertiere der Quellwächter. Sie arbeiten und leben so eng zusammen, dass sich sogar ihr Aussehen aneinander angepasst hat. Die Fischschwänze der Quellwächter sind nicht bunt und schillernd wie die der Sirenen, sondern überwiegend grau und rau und bieten ihnen eine Art natürliche Rüstung. Ihre Schwanzflossen sind oft asymmetrisch und kantig, die Quellwächter können sie als zusätzliche Waffe einsetzen. Dank ihrer Eiszacken sind die Quellwächter kaum weniger gefährlich als ihre Haifreunde. Aquina beobachtet ihr Training hin und wieder heimlich, obwohl auch das ihrer Mutter ein Dorn im Auge ist. Wahrscheinlich hat sie Angst, Aquina könnte eines Tages die Seite wechseln und sich heimlich zur Quellwächterin ausbilden lassen. Ganz falsch liegt sie damit nicht. Aquina bewundert den kraftvollen und gleichzeitig eleganten Kampfstil ihrer Nachbarn und die Eiszauber sind um einiges cooler als die lahme Wassermagie. Aber dass ein Spion von Exena ein Geheimnis ihrer Mutter weiterträgt, will Aquina trotz allem nicht zulassen. Wenn es so gefährlich ist, wie sie sagt, dann muss Aquina den Katzenhai unbedingt aufhalten.
Ohne lange nachzudenken, nimmt sie die Verfolgung auf. Vielleicht lässt sich nebenbei herausfinden, was hinter dem geheimnisvollen Jungen steckt. Ihren Grottenarrest hat sie völlig verdrängt.
Von der Seite schlingt sich ein Arm um ihren: Snorri. Allerdings wirkt er nicht so aufgekratzt und fröhlich wie sonst, wenn sie zusammen zu einem Abenteuer aufbrechen.