Читать книгу Rulantica (Bd. 2) - Michaela Hanauer - Страница 17

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»Auaa!«, schreit Mats.

Flap, flap – Mats hört die Flügelschläge mehr, als er sie sieht, aber vor allem spürt er die Bewegung in der Luft. Sie fährt ihm unter die Haare, unter den Rücken und hebt ihn an.

Flap, flap – der schwarze Mauk an seinem Fußende schlägt ebenfalls mit den Flügeln. Mats schwebt einen Meter über dem Boden und kann nichts dagegen unternehmen, er wird zwischen den beiden Raubvögeln hin- und hergezerrt wie ein Spielzeug.

»MRK!«

»Mrk!«

»MRRRKK!«

»Mrk!«

Auch ohne Worte versteht Mats den Machtkampf. Am Ende lässt der schwarze Angreifer als erster von ihm ab. Mats rutscht auf den Boden zurück. Der schwarze fliegt auf und verlässt mit einem letzten »Mrk!« den Raum. Ein paar graue Schwingen breiten sich über ihn. Mats versucht, in dem unbewegten Vogelgesicht und den stechenden Raubvogelaugen zu lesen. Was bedeutet das? Hat der Anführer ihn gerettet? Oder hat er ihn lediglich als Beute für sich beansprucht? Der graue Mauk hebt einen seiner mächtigen Flügel und tastet mit dem spitzen Schnabel die langen Flugfedern ab. Dann lässt er etwas Goldenes vor Mats’ Gesicht baumeln.

»Mrk, es gehörrt dirr!«

Zögernd greift Mats zu.

»Danke. Heißt das, du tötest mich nicht?«

»Mrk, noch nicht.«

Langsam atmet Mats aus. Seine zitternden Finger halten sich an dem Amulett fest. Sein Fuß tut weh, aber sonst scheint noch alles dran zu sein. Behutsam wechselt er in den Schneidersitz und legt sich das Amulett um den Hals. Jetzt nur nicht durchdrehen! Irgendwie diesen Vogel bei Laune halten …

»Du kanntest also wirklich meine Mutter?«

»Mrk, selbstverrständlich. Ich habe Vivika errlaubt, in einem unserrerr besten Nistplätze zu leben, nachdem sie …« Er zögert.

»Nachdem sie was?«, fragt Mats.

»Mrk, warrte«, fordert der graue Mauk und deutet zu seinen schwarzen Untertanen, die mit meist schief gelegten Köpfen weiterhin sehr aufmerksam beobachten, was sie da treiben, jederzeit bereit, Mats erneut anzugreifen, sollte er den Eiern oder ihrem Chef auch nur eine Feder krümmen. Der Graue richtet sich zu seiner vollen Größe auf.

»Mrk, sie beherrrschen eurre Sprrache zwar nicht, dennoch folge mirr!«

Er schlägt einmal mit den Flügeln, stoppt aber, bevor er abhebt, und mustert Mats, der versucht, sich aufzurappeln.

»Mrk, Zweibeinerr …«, krächzt er verächtlich.

Statt zu fliegen, stakst er davon. Trotz seiner Größe und seines Gewichts überraschend behände krallt er sich über die losen Holzlatten und Lücken in den Holzböden. Bereits in der übernächsten Hütte fällt es Mats schwer, Schritt zu halten.

»Warte, ähm, Mauk – bitte, ich kann nicht so schnell!«

Der Riesenvogel dreht leicht den Kopf. »Mrk, Grrå nennt man mich. Wenn ich auf zwei Beinen gehen kann, dann sollte es dirr ebenfalls gelingen!«

»Aber du kennst dich in der Stelzenstadt aus und ich nicht«, wendet Mats ein.

»Mrk, wie deine Mutterr, immerr das letzte Worrt!«

Unwillig pickt der große Vogel in die Luft.

»Erzählst du mir jetzt, warum du sie hier hast wohnen lassen?«, lenkt Mats ab und versucht schnaufend, den Abstand zwischen sich und Grå zu verkürzen.

»Mrk, und genauso gewitzt wie sie!« Es klingt fast, als würde der Riesenvogel ihn auslachen. »Mrk, nun gut, du magst ein Rrecht haben, es zu hörren. Auch dem König der Lüfte kann ein Ungeschick passieren. In einem Kampf, den ich gegen einen Hai austrrug, verbiss ich mich mit beiden Schnäbeln im Schiffsmast von einem der Wrracks am Goldstrrand. Du weißt, wo das ist?«

Mats nickt. Finja hat ihm den Strand gezeigt.

»Mrk. Dorrt saß ich mit offenem Hauptschnabel, hätte ich ihn geschlossen, hätte der Splitterr mirr beide Schnäbel durchbohrrt. Mit geöffnetem Schnabel wiederrum warr ich wehrrlos und dazu verrdammt, frrüher oder späterr zu verhungerrn.«

»Klingt übel!«, meint Mats.

»Mrk, und hätte mich ein krräftiger Jungvogel meiner Scharr, so einerr wie derr, mit dem ich mich gerrade messen musste, vorrgefunden, wärren meine Königstage schnell beendet gewesen.«

Mats zählt eins und eins zusammen. »Aber meine Mutter hat dir geholfen?«

Grå nickt. »Mrk, sie warr kurrze Zeit vorrherr gestrrandet und errkannte trrotz ihrrerr misslichen Lage auch die meine. Deine Mutterr … Vivika … sie warr furrchtlos, frreundlich und hilfsberreit. Eine seltene Kombination. Durrch sie habe ich die Vorrzüge von Händen und Fingerrn errkannt. Voherr hätte ich jederrzeit unserre Flügel eurren Arrmen vorrgezogen.«

Mats betrachtet seine Hände, ballt sie zu Fäusten, streckt die Finger wieder aus und zappelt mit ihnen herum. Bisher hat er seine Hände ganz selbstverständlich benutzt, aber wenn er jetzt so darüber nachdenkt, kann er damit tatsächlich eine Menge anfangen, sich festhalten, ziehen, schieben, drücken, etwas hochheben, sich kratzen und nötigenfalls sogar in der Nase bohren. Das alles können die Mauks und viele andere Tiere nicht.

»Dafür kannst du fliegen«, murmelt er.

»Mrk, Fliegen ist kaum zu überrtrreffen, wenn man nicht gerrade ein Holzstück im Schnabel hat«, gibt Grå zu.

»Aber meine Mutter konnte es herausziehen?«

Grå schüttelt sein Gefieder, als würde er sich nicht gerne daran erinnern. »Mrk, eine Qual, die mit Qual beendet wurrde.

Zum Dank bot ich Vivika die Behausung an, die wir dorrt drrüben …«, er deutet mit den Schnäbeln an den Rand der Siedlung, »… gleich betrreten werrden!«

Zu der Scheu, die Mats immer noch vor dem unheimlichen Vogel hat, mischt sich Neugier. Endlich hat er jemanden gefunden, der ihm mehr über seine Mam erzählen kann!

»Ich möchte so gerne verstehen, wie meine Mam hier gelebt hat und was genau passiert ist!«

»Mrk, wirr warren frriedliche Nachbarrn«, behauptet der Mauk. »Vielleicht hätte ich euch sogarr in die Menschenwelt geflogen. Obwohl noch nie ein grroßer Mauk frreiwillig ein anderres Lebewesen auf seinem Rücken getrragen hat. Aber sie hat sich lieberr heimlich bei Nacht und Nebel mit euch davongestohlen.«

Der Mauk schnaubt verächtlich, und seine Augen funkeln böse zu Mats, als wäre er schuld daran, dass seine Mam sich davongestohlen hat.

Er muss schnell etwas finden, um den Riesenvogel zu besänftigen.

»Dann seid ihr Mauks nicht an die Drei-Meilen-Zone gebunden?«

Grå richtet sich auf. »Selbstverrständlich nicht, wirr haben uns keinen Ärrgerr mit den Götterrn eingehandelt, und es ist nicht unserre Aufgabe, auf diese vermaledeite Quelle zu achten. Uns gehörrt seitherr die Insel und wirr müssen sie nicht mehrr teilen!«

»Als Finja und ich das letzte Mal auf der Insel waren, sind uns noch ein paar andere Wesen begegnet. Sie sahen aus wie Steine, haben sich aber bewegt.«

»MRK, die einfältigen Steintrrolle! Wirr dulden sie auf den Matschwiesen und in den Felsentümpeln, solange sie keinen Schaden anrrichten, aberr wirr haben die Herrrrschaft überr Rrulantica!«

»Aha«, meint Mats, weil er nicht weiß, was er sonst dazu sagen soll.

Sicher ist er sich bisher nicht, was er von dem grauen Mauk halten soll. Grå war Vivika auf seine eigenwillige Art für die Rettung dankbar. Wie aber seine Mutter wiederum zu Gråstand, darauf kann sich Mats noch keinen Reim machen. Hat sie sich gut mit ihm gestellt, weil sie seinen Schutz dringend brauchte, oder hat sie ihm wirklich vertraut? Ohne Zweifel profitiert er im Moment von dem freundschaftlichen Verhältnis, sonst hätte Grå ihn nicht vor den Angriffen seiner Schar bewahrt.

Wenn Mats allerdings an die freundlichen Steintrolle denkt, die ihm und Finja ohne großes Tamtam den Weg freigeräumt haben, als sie dringend zur Quelle mussten, um sie vor Malus zu schützen, dann ärgert er sich über Grås überhebliche Bemerkung. Und er schämt sich, weil ihm einfällt, dass er und Finja sich bisher nicht bei den Trollen bedankt haben, obwohl sie das ganz fest vorhatten. Ihr hübsches grünes Tal hatte außerdem nichts mit einer Matschwiese zu tun. Im Gegenteil, bei den Steintrollen war es viel sauberer und aufgeräumter gewesen als hier bei den stolzen Mauks, und vor ihnen hatte er keine Angst, obwohl sie ebenfalls riesig waren. Bei Grå behält er besser weiter die beiden Schnäbel im Auge …

»Mrk, wirr sind da!«

Sie stehen am Rand der Stelzenstadt und Mats klappt vor Staunen die Kinnlade nach unten. Das Haus hat nichts, aber auch gar nichts mit den verfallenen, verwahrlosten Hütten gemein, durch die sie bisher geklettert sind. Die Holzlatten sind fein säuberlich abgeschliffen und ordentlich nebeneinander festgenagelt. Das Dach wirkt wie frisch mit weißer Kalkfarbe gestrichen und am First hängt eine Tafel, auf der Stenrokks Hydda steht. Gleich vor dem Eingang gibt es eine Art Hängematte aus Holzpflöcken und einem Netz.

»Mrk, hierr saß deine Mutterr oft mit Blick aufs Meer und warrtete auf deinen Vaterr.«

Mats nickt, das kann er sich gut vorstellen, die Sehnsucht nagt in ihm. Erst recht als er neben dem Türrahmen statt einer Klingel das ins Holz eingeritzte Herz entdeckt, in dem er VivikaFalor entziffern kann.

Ach, hätte er die beiden doch kennengelernt! Er tritt ein und fühlt sich seinen Eltern so nah wie noch nie. Vivika hat aus Schilfblättern eine Art Fußabstreifer geflochten. Daher hat also Finja ihr Talent für die Flechterei!

Die Hütte sieht ganz anders aus als jedes Wohnhaus, in dem Mats bisher war. Alles ist aus Holz, grob behauen, ohne Schmuck und Schnörkel, reduziert auf die Funktion, die jedes Möbelstück erfüllen soll – abgesehen von einem Schreibtisch, der total aus der Reihe tanzt mit seinen filigranen Schubladen, Griffen und Schlössern und den gedrechselten Einsätzen.

Als Erstes setzt Mats sich auf die schlichte Bank. Der Tisch davor wackelt, als Mats sich darauf lehnt, weil zwei seiner Holzbeine ein wenig kürzer geraten sind als die anderen. In der Tischmitte steht eine Vase. Mit den Fingerspitzen streicht er vorsichtig über die Dellen an der Oberfläche. Haben die Hände seiner Mam dieses kleine Gefäß geformt? Der Blechteller, die Blechtasse und das Besteck, die daneben liegen, stammen vermutlich aus dem Fundus der versunkenen Schiffe. Darauf ist ein Wappen in Form eines Steuerrads zu sehen, das Mats’ Verdacht bekräftigt.

»Woher hatte meine Mam ihre Einrichtung?«, fragt er trotzdem bei Grå nach.

»Mrk, sie hat vieles selbst hergestellt mit dem Werkzeug von ihrrem eigenen Boot. Manches ist Strrandgut oder Falorr hat es für sie herraufgetaucht. Err warr jedes Mal überrglücklich, wenn sie es gebrrauchen konnte.«

Mats bekommt wieder ein ganz kribbliges Gefühl, wenn er sich vorstellt, wie sein Dad seiner Mam aufgeregt den Teekessel, der über einer Feuerstelle an einer Eisenkette baumelt, überreicht hat. Oder den Schreibtisch. Wahrscheinlich hat er vorher einem Kapitän gehört, deshalb ist er an einigen Stellen aufgequollen, doch an sich noch erstaunlich gut in Schuss. Wie überhaupt das ganze Haus. Es ist zu erkennen, dass es vor einiger Zeit verlassen wurde.

Ziemlich genau vor zwölf Jahren, kurz nach meiner Geburt, wird Mats bewusst.

Trotzdem fühlt er sich richtig wohl und geborgen. Fast als wäre seine Mam nur eben gerade zur Tür raus.

»Mrk, ich habe meinerr Scharr nicht errlaubt, das Haus als Nest zu nutzen, für den Fall, dass sie wiederrkommt«, krächzt Grå leise.

Mats’ Bedenken gegen ihn beginnen weiter zu schwinden. So etwas tut nur, wer ein wahrer Freund ist, und ein Freund seiner Mam verdient sein Vertrauen. Er lächelt zu dem grauen Mauk hoch.

»Danke. Ich bin froh, dass ich sie auf diese Weise wenigstens ein bisschen kennenlernen kann.«

»Mrk, nur zu, bleib, solange du willst!«

Solange er will? Mats merkt, wie erschöpft er ist, ihm stecken ein Rennen und eine nervenaufreibende Suche in den Knochen. Das leinenbezogene Bettlager hinten in der Ecke lockt leise, doch vernehmlich. Was, wenn er sich einfach kurz ausstreckt, nur einen kleinen Moment genießt, Mam so nahe zu sein …

Rulantica (Bd. 2)

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