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Der „Geisterbaron“

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Schrenck-Notzing war wissenschaftlich ungeheuer penibel und hielt jede Bewegung, den leisesten Lufthauch, fest – schriftlich und in Form von Fotos. Sein Ziel war es, die Parapsychologie genauso wie die Sexualwissenschaft, mit der er sich medizinisch auseinandersetzte, als exakte Naturwissenschaften zu etablieren. Seine Selbstdefinition lautete „Spezialist für Nervenkrankheiten und Sexual-Pathologie“. Er war gewissermaßen der erste Psychotherapeut im heutigen Verständnis des Begriffes. Sein Interesse galt seelischen Vorgängen und deren Auswirkungen – im körperlichen, aber auch im geistigen Bereich. Konzentration, Meditation, Beherrschung des eigenen und fremden Willens sowie Hypnose konnten seiner Ansicht nach Materialisationen hervorrufen, wenn die „Zielperson“ gewisse dafür notwendige Veranlagungen mitbrachte. Eine solche Person nannte er „Medium“. Schrenck-Notzings Versuche mit den Medien würden heute von den meisten Menschen zumindest als fragwürdig bezeichnet werden.

Einige Briefe von Schrenck-Notzing an Erzsi sind im Besitz ihrer Nachkommen erhalten geblieben. Erkennbar wird, wie genau sich der Arzt mit ihren Berichten befasst und wie sehr er sich um sie und ihr Wohlergehen gesorgt hat. Er warnte sie immer wieder vor betrügerischen Medien oder empfahl ihr „passende“, die er bereits überprüft habe. Oder er riet ihr zu ganz bestimmten Personen, die ihm für ihre Zwecke und Fragen geeignet erschienen.


Erzsis Lehrmeister Albert von Schrenck-Notzing, Arzt und Parapsychologe

Schrenck-Notzing hatte sich mit allen möglichen Aspekten der Medizin befasst, zum Beispiel „heilte“ er Homosexuelle. Die meisten Ärzte hielten Homosexualität damals für eine heilbare „Störung“ und Schrenck-Notzing hatte den Ruf, diese „Störung“ beheben zu können. Überhaupt war er in sexuellen Fragen eher rückschrittlich. So erwähnte er etwa Erzsis Lebensgefährten Leopold Petznek, den sie später heiratete, in seinen Briefen kein einziges Mal. Nach ihren vier Kindern aus erster Ehe und deren Wohlergehen erkundigte er sich aber regelmäßig. Vermutlich hat er Petznek nie getroffen, obwohl er jahrelang bei Erzsi zu Gast gewesen ist. „Wilde Ehen“ lehnte der aus einer vornehmen Familie stammende Doktor ab. Trotz dieser Bedenken gehörte zu seinem „kosmischen“ Freundeskreis nicht nur die wenig moralinsaure Kronprinzentochter, sondern auch die Münchner Skandalgräfin Franziska zu Reventlow. Diese hatte einen Sohn, dessen Vater sie zeitlebens verschwieg, und verdiente sich ihren Lebensunterhalt mit Sexarbeit, schnorrte Geld gegen kleine „Liebesdienste“ oder spielte Theater. So gesehen war Schrenck-Notzing die neue, emanzipierte Generation höherer Töchter nicht wirklich fremd.

Albert von Schrenck-Notzing war weit über München hinaus als Hypnosearzt bekannt, da er über die Erfolge der Hypnosetherapie promoviert hatte. Dass er selbst fähig war, andere zu hypnotisieren, hatte er bereits während seiner Studienzeit entdeckt. Im Krankenhaus wendete er die Suggestionstherapie an. Seine eigene parapsychologische Zeitschrift, die er sich aufgrund einer finanziell einträglichen Heirat leisten konnte, förderte zusätzlich seinen Bekanntheitsgrad und seinen Ruhm. So hatte etwa der Schriftsteller Thomas Mann die Praxisadresse Schrenck-Notzings seit 1899 in seinem Notizbuch stehen, nahm jedoch erst im Winter 1922/23 an einigen seiner okkultistischen Sitzungen teil. Die miterlebten Taschentuch-Elevationen und sogar eine teleplastische Materialisation begeisterten Thomas Mann und brachten ihn dazu, die Karriere des „Geisterbarons“ weiter zu verfolgen. Auch nach dessen Tod 1929 ging er ihm nicht aus dem Kopf. In der Novelle „Mario und der Zauberer“ (1930) beschwört Mann Erzsis Séancen-Lehrmeister posthum noch einmal herauf. Die Figur des unheimlichen Hypnotiseurs Cipolla, der auf einem Jahrmarkt (!) seine Kunststückchen zum Besten gibt – Schrenck-Notzing hätte dies als „Gaukeleien“ abgetan –, ist von dem berühmten Münchner Arzt inspiriert.


Sophie Charlotte, Schwester der Kaiserin Elisabeth, um 1867

Wie viele seiner Zeitgenossen kam Schrenck-Notzing mit der Hypnose zum ersten Mal in einem Varieté in Berührung. Damals grassierte in Europa das „Hansen-Fieber“, ausgelöst durch den dänischen Scharlatan Carl Hansen, dessen Hypnose-Darbietungen Schrenck-Notzing und sogar Sigmund Freud faszinierten. Freud beschrieb ein Hansen-Spektakel so:

„Noch als Student hatte ich einer öffentlichen Vorstellung des Magnetiseurs Hansen beigewohnt und bemerkt, daß eine der Versuchspersonen totenbleich wurde, als sie in kataleptische Starre geriet und während der ganzen Dauer des Zustandes so verharrte. Damit war meine Überzeugung von der Echtheit der hypnotischen Phänomene fest begründet.“

Seine „hypnotischen“ Demonstrationen führte der Show-Magnetiseur Hansen auch im Wiener Ringtheater vor, das 1881 abbrannte. Zu Beginn ließ Hansen seine „Patienten“ ein Stück Glas fixieren und strich ihnen über die Stirn. Er schloss ihnen Mund und Augen. Meist ließ er dann die „Patienten“ stocksteif zwischen zwei Stühlen liegen und stellte sich auf deren Körper. Viele Wissenschaftler und Ärzte fanden diese Phänomene, die auf Versuche des Magnetiseurs Franz Anton Mesmer im 18. Jahrhundert zurückgehen, durchaus bemerkenswert, wie etwa der Sexualarzt Richard von Krafft-Ebing. Er war mindestens so bekannt wie Schrenck-Notzing und befasste sich mit ähnlichen Dingen. In der Nähe von Graz führte er ein Institut, das auf die Heilung sexueller „Anomalien“ spezialisiert war. Vorwiegend behandelte er „hysterische“ Frauen, die ihren gleichgültigen, gefühlskalten, trinkenden, fremdgehenden oder gewalttätigen Ehemännern mit einem Liebhaber davongelaufen waren. Auch eine Großtante Erzsis, eine der Schwestern von Kaiserin Elisabeth, wurde zu Krafft-Ebing eingeliefert, als sie ihrem Ehegefängnis entfliehen wollte.

Elisabeth Petznek

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