Читать книгу Schatten und Licht - Michaela Santowski - Страница 5
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Оглавление„Jack, Darling, binde dir die Krawatte. Luca muss jeden Augenblick da sein.“ Rose reichte ihrem Mann die Krawatte an. Lächelnd griff er danach. Obwohl sie beide wussten, dass ihr Sohn in Jeans und legerem Hemd erscheinen würde, wahrten sie trotzdem das Ansehen. Ein sonntägliches Mittagessen im Kreis der Familie war Anlass genug, einen Anzug mit Krawatte zu tragen.
Rose schloss die Kette in ihrem Nacken und blickte zärtlich zu ihrem Mann. Auch nach über dreißig Ehejahren liebte sie ihn. Sie war stolz auf alles, was sie sich gemeinsam geschaffen hatten. Da war die Firma, die ganz klein angefangen hatte und nun weit über hundert Mitarbeiter maß. Sie erinnerte sich noch an die Zeiten, wo sie in einem Hinterhof in einer kleinen Werkstatt Stoffe zuschnitten und daraus per Hand Kleider genäht hatten. Mittlerweile beschäftigten sie mehrere Designer und lieferten ihre Kollektionen weltweit aus. Die Kleider hingen in den nobelsten Geschäften. Sie wohnten in einem stattlichen Herrenhaus ausserhalb Frankfurts, das nach dem Auszug ihrer beiden Söhne ein wenig einsam war. Sie leisteten sich einen Koch und eine Haushälterin. Um den großen Garten kümmerte sich Rose selbst. Das war ihr Hobby geworden. Letztendlich war sie sehr stolz auf ihre zwei Söhne. Äußerlich glichen sie sich sehr. Beide hatten das schwarze Haar ihres Mannes geerbt. Lucas Augen waren grün, während Manuels dunkelbraun waren. Beide waren sportlich und hatten Gott sei Dank die stattliche Größe ihres Vaters. Damit hörten die Ähnlichkeiten allerdings schon auf. Gegenüber Manuel, dem Vorzeigesohn, war Luca der Rebell. Manuel kleidete sich hervorragend, während Luca wahrscheinlich nicht ein Kleidungsstück ihrer Kollektion besaß und es vorzog, wie ein Rockstar rumzulaufen. Niemand würde in ihm den Sohn der Bocellis, Hersteller teurer Designerkleidung, vermuten. Während sich Manuel immer ruhig und vernünftig zeigte, gab sich Luca vermutlich wegen seines italienischen Blutes aufbrausend und nicht zu bändigen. Luca brachte nie etwas zu Ende, während Manuel seit nun mehr fünf Jahren den Posten des stellvertretenden Geschäftsführers innehatte und diesen hervorragend managte. Trotz allem erkannte Rose an, dass Luca das, was er besaß, aus eigener Kraft geschafft hatte. Auch ihr Mann respektierte das, selbst wenn er es nie zugeben würde. Die beiden waren sich so ähnlich, dachte Rose zum wiederholten Male. Deswegen war sie sich sicher, dass Luca seinen Weg machen würde.
„Ich bin so weit.“ Jack beugte sich zu seiner Frau hinunter und gab ihr einen leichten Kuss auf den Mund. „Auf in den Kampf. Ich höre unseren Sohn vorfahren.“
Auch Rose hatte das Geräusch des Motorrads vernommen. „Versuch, ein wenig nett zu ihm zu sein.“ Sie strich Jack liebevoll über die Wange. „Wir wollen ein ruhiges Essen haben.“
„Ich bin immer nett zu Luca. Er ist es, der sich nicht zu benehmen weiß.“
Mit einem amüsierten Lächeln betrat Rose das Esszimmer.
Manuel stand bereits am Kamin, hatte einen Aperitif in der Hand und blätterte in der Tageszeitung.
Luca stürmte in diesem Moment ebenfalls in das Zimmer. „Da habe ich es ja grade noch pünktlich geschafft.“ Er nickte seinem Bruder kurz zu. „Manuel.“
Dieser blickte eben so kurz von seiner Zeitung auf. „Luca.“
Das war der einzige Wehmutstropfen in Roses sonst so angenehmen Leben. Ihre Söhne verstanden sich nicht besonders. Dabei hatte sie sich immer gewünscht, die Brüder würden mal gemeinsam die Firma übernehmen. Aber selbst, wenn Luca irgendwann seine verborgenen Talente erkennen würde, könnten die zwei nie zusammen in einer Firma arbeiten. Sie waren wie Feuer und Wasser. Andererseits benötigte ein Geschäft, das gut laufen soll, sowohl Feuer als auch Wasser.
Luca gab seinem Vater zur Begrüßung die Hand und riss seine Mutter stürmisch an sich.
„Luca!“, lachte diese auf. „Du zerknitterst mein neues Kleid.“
„Was hast du am Auge?“, fragte sein Vater mit einem Blick in Lucas Gesicht.
„Eine leichte Entzündung. Ist nichts weiter.“
Obwohl Manuel ein wenig entfernt von dieser Szene stand, sah er mit einem Blick, dass das keineswegs eine Entzündung war. Es war einfach nur ziemlich perfekt geschminkt. Still lächelte er in sich hinein. Luca war der Blick seines Bruders nicht entgangen. Und auch sein selbstzufriedenes Lächeln nicht.
„Es tut nicht weh“, flüsterte er Manuel zu. „Du brauchst dich also nicht zu freuen.“
„Deine Schlägereien freuen mich nicht. Sie sind mir egal.“
So wie ich dir egal bin, dachte Luca, verärgert über die herablassende Art seines Bruders. Bevor er sich noch mehr ärgern konnte, begleitete er seine Mutter in die Küche und half ihr, das Essen aufzutragen.
Während sie aßen erzählte sein Vater mal wieder von dem großartigen Erfolg, den Manuel mit der neuen Kollektion erreicht hatte. Manuel äußerte sich nicht dazu. Er genießt und schweigt, dachte Luca.
„Und, was gibt es bei dir Neues?“, fragte sein Vater an Luca gewandt.
„Leider nichts mit dem du bei deinen Golfpartnern angeben könntest. Dafür musst du weiterhin mit Manuel vorlieb nehmen.“
„Luca!“, wies seine Mutter ihn scharf zurecht. „Zeig ein wenig Respekt!“
Sein Vater legte seine Serviette auf den Tisch. „Lass ihn nur, Rose. Das ist lediglich der Neid, der aus meinem Sohn spricht.“
Luca stand wütend auf. „Muss das immer so laufen? Ich bin keineswegs neidisch auf Manuels Erfolge.“
„Du bist nur neidisch darauf, dass Dad damit angibt“, warf Manuel trocken ein.
Luca versuchte mühsam, sich zu beherrschen. Am liebsten würde er seinem Bruder eine verpassen, dass ihm Hören und Sehen vergehen. Allerdings wäre das ziemlich unfair, da Manuel nie gelernt hatte, sich zu verteidigen. Er wäre so schnell am Boden, dass er gar nicht wüsste wie ihm geschah.
Seine Mutter seufzte. „Möchte jemand einen Cognac?“, fragte sie in die plötzliche Stille.
„Gerne“, antwortete Jack, der dankbar war für die Ablenkung. War wohl nichts mit meinem Vorsatz, mich von meinem Jüngsten nicht provozieren zu lassen, dachte er resigniert.
„Luca?“ Fragend blickte Rose ihren Jüngsten an.
„Auf jeden Fall.“
„Manuel?“
Dieser hob abwehrend die Hand.
„Natürlich nimmt mein Bruder keinen Alkohol zu sich. Er könnte ihn ja etwas lockerer machen.“
Manuel lächelte wieder nur still in sich hinein.
Luca ärgerte es, dass sein Bruder sich nicht provozieren ließ. Liebend gerne hätte er seinen Frust an ihm ausgelassen.
Die nächste halbe Stunde unterhielten sie sich über unverfänglichere Themen. Dann stand Manuel plötzlich auf und sagte, er müsse gehen. „Ich habe noch einen dringenden Termin.“
Luca lachte spöttisch auf. „Einen Termin zu haben, würde bedeuten, du hättest ein Privatleben.“
Manuel ignorierte seinen Bruder, verabschiedete sich von seinen Eltern und ging.
Auf die Minute pünktlich betrat Manuel die Sporthalle. Obwohl bis zum Trainingsbeginn noch eine halbe Stunde Zeit war, waren Tim und Ben, zwei seiner Schüler, schon da.
„Hey, Manu, wir warten schon ewig auf dich“, rief Ben ihm zu.
Manuel warf einen demonstrativen Blick auf die Uhr.
Die beiden grinsten.
„Du weißt doch, dass wir immer zu früh sind“, fügte Ben hinzu.
„Ihr macht mich langsam aber sicher wahnsinnig“, entgegnete Manuel. „Lasst mich wenigstens noch meine Sportsachen anziehen, und dann dürft ihr von mir aus loslegen.“
„Aber beeil dich, alter Mann!“, rief Tim ihm hinterher.
Manuel schüttelte den Kopf. Die Jugend war einfach zu ungeduldig. Während er sich umzog, schweiften seine Gedanken zu Luca. Er hatte durchaus bemerkt, dass sein Bruder kurz davor war, ihn zu verprügeln. Alleine Lucas Gesicht wäre es wert gewesen, ihn weiter zu provozieren. Niemals würde Luca vermuten, dass Manuel Kickboxen unterrichtete. Nicht mal seine Eltern wussten das. Nicht etwa, weil Manuel es verheimlichen wollte, er sah einfach keinen Grund darin, es zu erzählen. Als er mit einundzwanzig von zu Hause ausgezogen war, fing er mit dem Sport an. Jetzt, sieben Jahre später, trainierte er sonntags die Jugendlichen und am Mittwochabend die Neunzehn - bis Neunundzwanzigjährigen. Gerne hätte er Luca in dieser Gruppe gehabt, aber sein Bruder war noch nicht so weit. Manuel sah Kickboxen als eine Sportart, um sich fit zu halten, nicht, um sich zu prügeln. Sollte Luca endlich mal erwachsen werden, könnte sich Manuel durchaus vorstellen, seinen kleinen Bruder zu trainieren. Er liebte Luca, war sich allerdings absolut bewusst, dass dieser ihm das nie glauben würde. Kommt Zeit, kommt Rat, dachte er, verließ die Kabine und ging zu seinen ungeduldigen Schülern.