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„Du machst mich mit deinem Summen wahnsinnig.“

Teddy, Sarahs Kollege, blickte genervt von seiner Zeitung hoch. „Ich habe noch zehn Minuten, um in Ruhe meinen Kaffee zu trinken. Dann muss ich wieder in die Flure raus und mich den Patienten und Ärzten stellen. Also, bitte Sarah, wenn du mich nur ein wenig magst, gönn mir diese letzte Oase der Ruhe.“

Sarah, die nicht gemerkt hatte, dass sie vor sich hinsummte, schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Ach Teddy, das Leben kann so schön sein.“

Teddy klappte resigniert die Zeitung zu. Dann nahm er einen Schluck Kaffee und blickte Sarah an. „Da steckt doch ein Mann hinter, oder?“

Sarah legte den Kopf schief. „Meinst du?“

„Das sieht doch ein Blinder mit Krückstock, dass du quasi über Nacht ein anderer Mensch geworden bist.“

Sarah lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Jetzt, wo Teddy es aussprach, musste sie zugeben, dass sie sich sehr auf den Nachmittag mit Luca freute. Auch wenn ihr die Schwimmsachen immer noch ein Rätsel waren, und Kino zugegebenermaßen nicht ganz so prickelnd für ein erstes Date ist. Doch seit dem gestrigen Tag ging Luca ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sie spürte immer noch die sanfte Berührung seiner Lippen auf ihrer Wange, seinen Blick, als er mit seiner dunklen Stimme Vertrau mir gesagt hatte. Wenn bereits eine Stunde mit ihm solche Gefühle in ihr auslösten, was würde dann ein kompletter Tag erst anrichten?

Egal, dachte sie und klaute dem protestierenden Teddy den letzten Schluck Kaffee, bevor sie die Kantine verließ. Ich lasse es auf mich zukommen.

Luca sah fluchend auf seinen Wecker. Verdammt, dieses Mistding machte, was es wollte. Mal weckte er ihn und mal nicht. Da würde das Frühstück wohl wieder ausfallen müssen. War ja nichts Neues. Was für ein Glück, dass es auf der Arbeit wenigstens guten Kaffee gab. Er zog sich schnell die Jeans und ein T-Shirt an, darüber die Motorrad-Kluft, fuhr sich mit der Hand durch sein Haar und rannte schon die Treppen runter.

„Drei, zwei, eins“, hörte er Mandy zählen, als er in den Laden stürmte.

„Grade noch so“, sagte sie und grinste beim Blick auf die Wanduhr.

Luca schnaufte. „Kaffee!“ flehte er.

„Das habe ich gerne“, entgegnete sie empört. „Quasi zu spät kommen und dann auch noch einen Kaffee von der einzigen weiblichen Kollegin hier verlangen. Echt billiges Klischee.“

„Ich mache es wieder gut. Aber sonst komme ich gar nicht in Schwung.“

„Dich möchte ich gerne mal in Schwung erleben.“ Der leichte Unterton in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

„Was würde dein Mann dazu sagen, wenn er dich so sprechen hören würde“, spielte er den leicht Verwirrten.

„Ich würde dich entlassen, um meine Frau nicht in Versuchung zu führen.“

Ralf, Mandys Mann, war unbemerkt hinter Luca getreten. „Und wie kommst du da jetzt wieder raus?“, hakte Ralf nach.

Luca ließ resigniert die Schultern hängen. „Gar nicht. Du wirst mich wohl entlassen müssen.“

„Ich bin doch nicht bescheuert und schmeiße meinen Top-Verkäufer raus. Tja, Mausi“, wandte er sich an Mandy, „dann muss ich wohl leider dich entlassen.“

Mandy lachte laut auf. „Ja, genau. Du weißt auch, dass Luca nur ein Top-Verkäufer ist, weil die Mädels auf unseren Sunnyboy stehen. Nicht, weil er besondere Talente hätte.“

„Und ich dachte, du wärst der festen Überzeugung, ich hätte besondere Talente“, flirtete er verschmitzt.

Ralf und Luca lachten. So entging beiden der Blick, den Mandy Luca zuwarf. Und der besagte eindeutig, dass sie seinen `Talenten` gegenüber nicht unempfänglich war.

„Schluß jetzt mit dem Geplänkel. Ich hole Luca einen Kaffee und er sortiert die neuen Motorradjacken und Helme ein, die heute Morgen gekommen sind.“ Mandy drehte sich auf dem Absatz um und verschwand im hinteren Teil des Ladens.

Ralf klopfte Luca noch mal auf die Schulter und ließ ihn dann ebenfalls mit den Kisten alleine.

Luca holte ein Teppichmesser, schnitt die Kartons auf und kontrollierte die Inhalte. Dabei pfiff er vor sich hin, bis Mandy mit einer dampfenden Tasse vor ihm stand. Dankbar unterbrach Luca seine Tätigkeit und nahm die tiefschwarze Flüssigkeit entgegen.

„Gott sei Dank“, sagte er nach dem ersten Schluck und schloss genussvoll die Augen. „Dein Kaffee ist echt der verdammt beste, den ich je getrunken habe. Schon alleine deswegen würde ich deinen Rausschmiss sehr bedauern.“

„Also, Sunnyboy, wenn mein eigener Mann mich schon vor die Tür setzen will, um dich nicht zu verlieren, dann doch auch bitteschön mit Grund. Ich sehe dich in einer halben Stunde im Lager.“

Luca starrte Mandy entsetzt über den Rand der Tasse an. Bis diese plötzlich auflachte. „Du solltest mal dein Gesicht sehen.“

Erleichtert atmete Luca auf. Einen Moment hatte er Mandy wirklich geglaubt. Dabei war sie mindestens zwanzig Jahre älter als er und, so weit er wusste, glücklich verheiratet.

„Vorsicht“, entgegnete er, um ihr nicht die Genugtuung des letzten Wortes zu lassen, „sonst nehme ich dich irgendwann noch beim Wort.“

Ihr gemurmeltes `Schön wäre es` hörte er bereits nicht mehr.

Der Tag im Motorradladen verlief wie immer. Kichernde, rotwangige Teenager und hübsche junge Frauen ließen sich von Luca beraten. Seit er für sie arbeitete, war ihr Umsatz um zehn Prozent gestiegen. Allerdings fiel Mandy auf, dass heute etwas anders war. Obwohl Luca charmant wie immer zu der Kundschaft war, schien er doch einen gewissen Abstand zu halten, der vorher nicht da gewesen war. Als eine groß gewachsene Brünette Luca eindeutige Avancen machte und er sie nett aber bestimmt abwies, war sie sich sicher, dass etwas nicht stimmte. Luca war in ihren Augen noch nie ein Kostverächter gewesen, worüber sie sich mehr als einmal geärgert hatte. Schließlich war sie auch nicht grade hässlich mit ihren naturblonden Haaren, die sie modisch kurz trug und den blauen Augen. Bisher hatte sie Luca immer so eingeschätzt, dass er auch vor der Frau des Chefs nicht haltmachte, wenn sie ihm nur eindeutige Zeichen geben würde. Anscheinend hatte sie zu lange gewartet. Mandy beschloss, das Ganze weiter zu beobachten.

Sichtlich nervös betrachtete Sarah sich das bestimmt tausendste Mal im Spiegel. Sie hatte sich für eine enge schwarze Hose und eine rote Bluse entschieden. Dazu trug sie dezentes Make-up und hochhakige Pumps. In solchen Momenten fehlte ihr ihre beste Freundin aus Hannover. Melanie würde ihr auf ihre eigene humorvolle Art die Nervosität nehmen. Er ist mit Sicherheit nicht wie Sven, würde sie sagen. Und er sieht wesentlich besser aus.

Sarah lächelte bei der Erinnerung. Melli sah immer nur das Positive. Selbst als Sarah Sven in ihrem Bett mit einer dreißig Jahre älteren Frau erwischt hatte, hatte Melli sie nicht in ihrem Selbstmitleid bestärkt. „Pack deine Sachen und verschwinde endlich nach Frankfurt! Du hast den Job doch nur wegen dieses Nichtsnutzes abgelehnt.“

„Soll ich dich jetzt etwa auch noch verlieren“, hatte Sarah geheult.

„Schätzchen, Menschen wie mich wird man nie los.“ Melli hatte sie fest in den Arm genommen, dann ihr Laptop angeschaltet und die Wohnungsanzeigen ausgedruckt. So war Sarah schließlich in Königstein gelandet.

Netter ruhiger Ort. Und Frankfurt ist gut über die Autobahn zu erreichen.

„Da hattest du recht, Melli“, sagte Sarah zu ihrem Spiegelbild, „aber du hast mich nicht auf meinen Nachbarn vorbereitet.“

In dem Moment klingelte es. Sarah warf einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel und ging dann zur Tür.

Luca pfiff bewundernd durch die Zähne, als er Sarah sah. „Du siehst klasse aus.“

Sie sah in seinen Augen, dass er es auch so meinte und es nicht einfach nur so daher gesagt war, weil es dazugehörte.

„Danke. Das Kompliment kann ich nur zurückgeben.“

Luca trug zu ihrer Erleichterung eine beige Stoffhose und ein dunkelblaues Hemd und nicht seine Motorradkluft. Einen Moment hatte sie befürchtet, sie müsse auf dieses Ding steigen. Er stieg vor ihr die Treppe runter, sodass sie den angenehmen Duft seines Parfums wahrnahm; herb und doch unaufdringlich. Sie gingen zu einem dunkelgrünen MG Roadster und Luca hielt ihr die Tür auf.

„Ist das deiner?“, fragte sie, während sie einstieg.

„Ich habe kein Auto. Den habe ich mir von Bruno geliehen“, erklärte er beim Einsteigen. „Das war er mir schuldig“, fügte er schmunzelnd hinzu.

„Wo fahren wir denn hin?“

„Nach Bad Homburg. Ich hoffe, du hast an einen Bademantel gedacht.“

Sarah nickte. „Habe ich. Obwohl ich wirklich keine Ahnung habe, wofür. Ich dachte, wir gehen ins Kino.“

„Machen wir auch. Wie war dein Tag?“, fragte Luca nach, bevor Sarah etwas entgegnen konnte.

Eine halbe Stunde später fuhr Luca auf einen Parkplatz. Taunustherme las Sarah.

Zweifelnd stieg sie aus, als Luca ihr die Tür öffnete. „Das sieht nicht nach einem Kino aus.“

„Es ist ein Schwimmbad. Und ein Kino“, fügte er hinzu. „Erstmal werden wir uns ein wenig entspannen und dann den Film genießen.“

Sarah, die immer noch nicht verstand, zog die Stirn kraus.

„Vom Schwimmbad aus kannst du direkt ins Kino gehen“, klärte Luca sie auf.

„Im ernst? Oder veräppelst du mich?“

„Keineswegs. Gibt es so was bei euch im Norden nicht?“

„Wenn, dann ist es mir entgangen.“

„Deswegen auch der Bademantel. Nur im Handtuch könnte es auf Dauer doch etwas kalt werden.“

Luca bezahlte den Eintritt für sie beide.

Sarah betrat die Umkleidekabine und zog sich ihren Badeanzug an. Sie zweifelte immer noch an Lucas Aussage. Ein Kino, in dem man in Badeklamotten einen Film ansehen konnte. Sie schüttelte den Kopf. Unfassbar.

Sie schloss grade ihre Sachen in eines der Schließfächer als Luca hinter ihr auftauchte.

„Fertig?“

„Bist du immer so ungeduldig?“, fragte Sarah, schmiss die Tür des Spindes zu und drehte sich um. Für einen Moment ließ sie ihre Augen bewundernd über seinen Körper gleiten. Seine Haut hatte anscheinend von Natur aus einen dunklen Ton. Er hatte breite, muskulöse Schultern und eine schmale Hüfte. Sie ertappte sich bei dem Gedanken, wie er sich wohl anfühlen würde. Schnell schaute sie wieder hoch.

Luca ergriff ihre Hand und zog sie hinter sich her.

„Wollen wir erst ein paar Bahnen schwimmen oder möchtest du gleich in den warmen Whirlpool?“

Sarah blickte auf seine und ihre Hand herunter. Ihre verschwand komplett in Lucas Hand. In ihrem Körper breitete sich eine wohlige Wärme aus durch diese Berührung. Also besser nicht noch mehr Wärme. Sie schüttelte den Kopf. „Erst schwimmen. Es sei denn, das ist dir zu anstrengend.“

„Warum sollte es das?“, fragte er verständnislos.

„Immerhin wolltest du dich ein wenig entspannen“, zitierte sie ihn.

„Ganz schön frech“, kommentierte er ihre Äußerung. Sarah grinste und sprang ins Becken. Zwanzig Minuten später lagen sie im Whirlpool.

„Das war eine echt gute Idee“, seufzte Sarah wohlig. „Ich glaube, ich war seit einer Ewigkeit nicht mehr schwimmen.“

Luca betrachtete sie schweigend, wie sie ihm mit geschlossenen Augen gegenüberlag. Ein wenig bedauerte er, dass sie einen Badeanzug trug, auch wenn er ihr hervorragend stand. Ein Bikini wäre ihm trotzdem lieber gewesen. Und soweit er das beurteilen konnte, war auch nicht der kleinste Bauchansatz zu sehen. Also sprach nichts gegen einen Bikini.

Sarah öffnete die Augen.

„Was überlegst du?“, fragte sie ein wenig schläfrig.

Luca, der sich ertappt fühlte, antwortete schnell: „Ich dachte, ich gehe uns mal etwas zu trinken holen.“

Sarah nickte. „Das ist eine sehr gute Idee. Ich werde im Ruhebereich auf dich warten.“

Wenig später kam Luca mit zwei Gläsern auf sie zu. Er reichte ihr eins und ließ sich auf der Liege neben ihr nieder.

„Erzähl mir was über dich“, forderte er sie auf und stützte sich auf einen Ellenbogen.

Sarah blickte ihn an. „Ich bin Krankenschwester“, entgegnete sie ernst.

„Und eine verdammt hübsche“, ergänzte Luca. Der Blick in ihre dunklen Augen verwirrte ihn. Ihre vollen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Luca stellte fest, dass er sie gerne küssen würde. Er räusperte sich. „Erzähl mir etwas, das ich noch nicht weiß“, sagte er und setzte sich auf, um einen Schluck Wasser zu trinken.

Sarah legte den Kopf schief und überlegte einen Moment.

„Ich liebe Katzen. Ich mag Bruno nicht sonderlich, aber sein Auto ist einsame spitze.“

Luca schmunzelte. „Das war zwar nicht das, was ich hören wollte, aber besser als gar nichts.“

„Und du? Was magst du?“ Sarah setzte sich ebenfalls auf und ergriff in einer spontanen Geste seine Hand.

„Motorräder“, erwiderte er und verschlang seine Finger mit ihren.

„Erzähl mit etwas, das ich noch nicht weiß“, konterte sie und spürte wieder diese wohlige Wärme.

„Ich liebe spontane Frauen. Ich mag Bruno nicht, aber sein Auto ist einsame spitze.“

Sie blickten sich an und prusteten gleichzeitig los.

Dann unterhielten sie sich über allgemeine Themen, warum Sarah Krankenschwester geworden war, über Melli und Martin, bevor sie ins Kino gingen.

Sarah blickte sich erstaunt um. Hinter ihr war eine Trennscheibe aus Glas und dahinter saßen die Leute, die nur ins Kino wollten, nicht auch noch ins Schwimmbad. Das hieß, auf der einen Seite der Trennwand waren die Leute normal angezogen mit Jeans und T-Shirt und auf der anderen Seite saßen die in Bademantel, Badehose, Badeanzug. Sie überlegte, wie das Ganze wohl von oben aussehen musste und grinste. Das gab bestimmt ein tolles Bild. Sie merkte, wie Luca den Arm um sie legte, kuschelte sich an ihn und genoß den Film und seine Nähe.

„Hat es dir gefallen?“, fragte Luca und ließ sich wieder auf der Liege nieder. Draußen wurde es langsam dunkel. In den Thermen hatte man das Licht angeschaltet. Die Pflanzen, die es wohl in jedem Erlebnisbad gab, wurden von verschiedenen Seiten angestrahlt und schufen so eine behagliche Atmosphäre. Aus versteckten Lautsprechern tönte leise sanfte Musik.

Sarah nickte aufgeregt. „Das war klasse. Ich weiß gar nicht, warum es nicht mehr Bäder wie dieses gibt. Es ist einfach unglaublich, im Bademantel im Kino zu sitzen.“

Luca betrachtete sie. Ihr Gesicht leuchtete vor Begeisterung und das indirekte Licht verfing sich in ihren dichten dunklen Wimpern.

Sie legte sich neben ihn und schloss die Augen. „Das war das beste Date, das ich je hatte.“

Luca stützte sich auf einen Ellenbogen und lachte auf. „Du bist leicht zu beeindrucken.“

Sarah öffnete die Augen ein wenig und blickte ihn an. „Glaub ja nicht, dass es immer so einfach ist. Ich bin durchaus anspruchsvoll.“

Luca schaute in ihre halb geöffneten Augen. „Du bist wunderschön.“

Sarah spürte nur Sekunden später seine vollen Lippen auf ihren. In ihrem Körper breitete sich ein wohliger Schauer aus. Als er mit seiner Zunge sanft ihre Lippen öffnete, schlang sie ihre Arme um seinen Nacken und zog ihn fester an sich. Der Kuss war weich und verspielt. Noch nie hatte ein Kuss solche Gefühle in ihr ausgelöst. Sie fühlte sich schwindelig und gleichzeitig empfand sie eine Geborgenheit wie nie zuvor. Es war, als würde eine Stimme in ihrem Inneren Hier gehörst du hin sagen. Mit aller Deutlichkeit wurde ihr bewusst, dass sie Sven nie geliebt hatte.

Fast war sie enttäuscht, als Luca sich wieder von ihr löste. „Wow“, keuchte sie.

Er hielt ihr Kinn fest, fuhr mit seinem Daumen zärtlich ihren Wangenknochen nach und hauchte ihr noch einen leichten Kuss auf den Mund, bevor er sich wieder neben sie legte.

„Da stimme ich dir voll und ganz zu“, entgegnete er mit rauer Stimme. Er atmete tief ein. Auch ihn hatten die Empfindungen überrollt. Natürlich hatte er schon vorher Frauen geküsst und nicht grade wenige. Aber das, was er bei diesem Kuss gespürt hatte, kannte er nicht. Einerseits hatte er das Gefühl, es reiße ihm den Boden unter den Füßen weg, andererseits stand er so fest wie noch nie. Ihm war gleichzeitig heiß und kalt, sein Herz setzte aus, nur um kurz darauf wieder wie verrückt zu schlagen.

Sarah beugte sich über ihn. „Dann lass es uns wiederholen.“ Sie berührte mit ihren Lippen leicht seinen Mund, registrierte, wie er langsam die Augen schloss und sich ganz dem Gefühl ergab. Während sie ihn küsste, griff sie mit ihrer freien Hand nach seiner und verschränkte ihre Finger mit den seinen. Sie liebte seine Hände. Sie zog scharf die Luft ein, als sie seine andere Hand auf ihrem Rücken spürte. Mit sanftem Druck zog er sie näher zu sich.

„Luca“, hauchte sie in sein Ohr. „Hier ist der total falsche Ort dafür.“

Zögerlich richtete sie sich auf. Er blickte sie mit dunklen Augen an und entgegnete: „Wir tun nichts, was verboten wäre.“

„Noch nicht.“ Sie setzte sich komplett auf. „Aber ich garantiere gleich für nichts mehr. So kenne ich mich nicht. Normalerweise küsse ich nicht einfach einen Mann.“

Luca ließ ein leises Lachen hören. „Das solltest du aber. Du kannst es sehr gut.“

Sarah, der langsam die ganze Tragweiter ihres Benehmens bewusst wurde, wandte sich verlegen ab. „Lass uns fahren. Es ist spät und ich muss morgen früh raus.“

Luca blickte sie an und nickte dann.

Sarah packte ihre Sachen zusammen. Dabei seufzte sie leise. Irgendwie hatte sie das Gefühl, alles verdorben zu haben. Es hatte sich doch toll angefühlt. Nein, nicht nur toll, es hatte sich richtig angefühlt. Und genau das war ihr Problem. Sie wollte nicht noch mal verletzt werden. Sven hatte ihr sehr wehgetan. Wenn Luca nur ein kurzes Abenteuer mit ihr wollte, würde er ihr mehr wehtun als Sven das getan hatte. Das wollte sie nicht noch einmal durchmachen. Diesmal war nicht mal Melli in der Nähe, um sie aufzufangen.

„Fertig?“, hörte sie ihn fragen.

Sarah atmete durch und richtete sich auf. „Fertig.“

Luca lächelte sie an und nahm ihr die Tasche aus der Hand. Dann ergriff er ihre Hand und gemeinsam gingen sie zu den Umkleiden.

„Luca, es tut mir leid“, sagte Sarah, als sie vor dem Haus hielten.

„Was tut dir leid?“, fragte Luca verständnislos.

„Die Sache im Schwimmbad. Dass ich so schnell aufbrechen wollte, aber ich habe einfach angst gekriegt.“

Luca strich mit seiner Hand über ihre Wange. „Mach dir keine Gedanken. Ich habe unser Date sehr genossen.“

Dann stieg er aus und öffnete ihr die Autotür. Er brachte sie bis vor ihre Wohnungstür. Dort gab er ihr einen sanften Kuss auf den Mund.

„Irgendwann wirst du soweit sein. Ich werde einfach warten.“

Mit diesen Worten drehte er sich um und ging. Sarah starrte ihm hinterher. Ärgerlich über sich schloss sie die Tür auf, feuerte ihre Tasche unausgepackt in die Ecke und ging direkt ins Bett. Schlafen konnte sie allerdings nicht. Ihr gingen tausend Sachen im Kopf rum. Hatte sie alles, was hätte sein können, schon im Keim erstickt? Oder waren ihre Ängste, Luca sehe eventuell nur ein Abenteuer in ihr, berechtigt und sie hatte grade noch die Kurve gekriegt? Was sie zu der Frage brachte, ob sie überhaupt noch die Kurve gekriegt hatte oder ob diese zwei Küsse nicht schon gereicht hatten, sie komplett zu verwirren?

„Schluß jetzt“, schalt sie sich laut. „Du denkst schon völligen Mist. Nicht alle Männer sind wie Sven. Nur weil Luca verdammt gut aussieht, ein Lächeln hat, das einem die Schuhe auszieht und küssen kann, als hätte er nie etwas anderes getan, muss das nicht heißen, dass er oberflächlich ist.“ Energisch drehte sie sich auf die Seite und schloss die Augen.

Als der Wecker am nächsten Morgen klingelte, fühlte sie sich als hätte sie keine Sekunde geschlafen.

Schatten und Licht

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