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Kapitel 3

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Am nächsten Morgen strahlte die Sonne erneut höhnisch vom Himmel. Doch noch mal ging ich ihr ganz bestimmt nicht auf den Leim! Obwohl sich draußen nicht ein Lüftchen regte, stand mein Barometer auf Sturm. Ich war vorbereitet und genau in der richtigen Stimmung, um Kai in der Luft zu zerfetzen.

Ich würde dem Mistkerl schon zeigen, wo es langging! Am besten schaute er sich gleich mal nach einem neuen Job um. Wenn ich mit ihm fertig war, würde unser Herr Marketingprofi sich wünschen, niemals auch nur einen Fuß über die Schwelle des Wallemrath Hotels gesetzt zu haben!

Ich hatte mich die halbe Nacht schlaflos von einer Seite auf die andere geworfen. Weder eine Tasse heißer Milch mit Honig noch stundenlanges Schäfchenzählen hatten den gewünschten Erfolg gebracht. Immer wenn eine Reihe blütenweißer, mit Perwoll gespülter Schäfchen brav an mir vorbeiflaniert war und ich die ersten Anzeichen von Müdigkeit spürte, war so ein dämliches schwarzes Schaf aufgetaucht und hatte mich spöttisch von der Seite angeblökt. Zu allem Überfluss hatte das freche Biest auch noch Kais Gesichtszüge gehabt. Schon war ich wieder hellwach gewesen.

Ich gähnte herzhaft und kramte an der nächsten roten Ampel meine Sonnenbrille aus dem Handschuhfach hervor. Das helle Sonnenlicht tat mir in den Augen weh. Ich wünschte, ich hätte außer den getönten Gläsern auch noch ein Paar Ohropax zur Hand, denn das zänkische Schnattern der Enten ging mir gewaltig auf den Keks. Unser Küchenchef Werner sollte zur Abwechslung mal Entenbraten auf die Speisekarte setzen!

Mit quietschenden Reifen bog ich auf den Personalparkplatz ein und konnte gerade noch rechtzeitig eine Vollbremsung hinlegen. Frechheit! Auf meinem Parkplatz stand ein chromglänzender, fetter Mercedes. Nicht dass ich mich mit Autos besonders gut ausgekannt hätte. Aber sogar ich wusste, dass der große Stern auf der Kühlerhaube nichts mit Weihnachten zu tun hatte. Der Wagen war unverkennbar älteren Baujahrs, vielleicht sogar ein Oldtimer. Obwohl die Karre mit Sicherheit schon etliche Jahre auf dem Buckel hatte, funkelte der schwarze Lack im Sonnenlicht.

Wahrscheinlich hatte ein Gast seine Luxuskarosse versehentlich auf dem Personalparkplatz abgestellt. Das kam immer wieder mal vor. Im Prinzip war das auch nicht weiter tragisch, doch an diesem Tag lechzte ich geradezu nach einem Grund, um mich aufzuregen.

Geladen wie eine Kalaschnikow betrat ich mein Büro. Falsch, von nun an musste es ja heißen: unser Büro. Kai hatte dort bereits Stellung bezogen und hielt mit Yvonne ein kleines Pläuschchen.

»Du glaubst ja gar nicht, wie ich dich beneide«, seufzte Yvonne gerade und strich sich ihre langen dunklen Haare zurück. »Ich habe mir immer gewünscht, mal für ’ne Weile im Ausland zu leben. Als ich sechzehn war, wollte ich an einem Schüleraustausch teilnehmen, aber kurz vor dem Abflug habe ich Pfeiffersches Drüsenfieber bekommen. Aus der Traum von Neuseeland.«

»Für einen Schüleraustausch bist du mittlerweile wohl ein bisschen zu alt – obwohl man dir das natürlich nicht ansieht, aber vielleicht kannst du ja in Neuseeland Schafe züchten«, neckte sie Kai.

Offenbar hatte Yvonne dem neuen Kollegen neben einer Tasse Kaffee auch gleich das Du angeboten. Falls Kai erwarten sollte, dass ich mich ebenfalls mit ihm duzen würde, hatte er sich aber geschnitten. Keine Verbrüderung mit dem Feind! Außerdem klang »Sie Arschloch« ja auch viel professioneller als »Du Arschloch«...

Wie’s aussah, verstanden Kai und Yvonne sich blendend. Ein weiterer Grund für schlechte Laune. Wortlos stapfte ich an den beiden vorbei und hängte meine Jacke an die Garderobe. Es half ja alles nichts, eine Weile würde ich Kais Anwesenheit ertragen müssen. Nachdem sie das Pro und Contra der neuseeländischen Schafzucht durchdiskutiert hatten, unterbrachen die lieben Kollegen ihr Gespräch und sahen mich erwartungsvoll an.

»Die gehört mir«, wetterte ich anstelle einer Begrüßung und zeigte mit ausgestrecktem Finger anklagend auf die Kaffeetasse, die Kai in den Händen hielt.

»Oh Verzeihung, ich möchte Ihnen hier natürlich nichts streitig machen.«

Hinter meinen Schläfen begann es zu pochen. »Dann lassen Sie es gefälligst auch«, erwiderte ich barsch.

»Zu spät.«

Kai ließ offen, ob er den Job oder die Kaffeetasse meinte. Schmunzelnd betrachtete er den weißen Porzellanbecher, den er sich unrechtmäßigerweise unter den Nagel gerissen hatte. Auf der Vorderseite posierte eine kleine Maus, die sich ein viel zu langes Bandmaß etliche Male um den schmalen Körper geschlungen hatte. Daneben stand in pinkfarbenen Buchstaben zu lesen: AN DIR IST JEDER ZENTIMETER ZARTESTER WAHNSINN. Ein Urlaubsmitbringsel von Charlotte, nachdem ich die ersten zehn Kilo abgenommen hatte. Seitdem war die Tasse für mich so eine Art Trophäe, die ich in Ehren hielt. Dass ausgerechnet Kai daraus trank, kam fast schon der Entweihung eines Heiligtums gleich.

Doch das war längst noch nicht alles. Hier ging es um weit mehr als um einen Porzellanbecher. Bevor Kai sich im Hotel breitmachen konnte, war es wichtig, ihn gleich von Anfang an in seine Schranken zu weisen. Deshalb war ich fest entschlossen, mir meine Tasse zurückzuerobern. Notfalls mit Gewalt. Zum Glück leistete Kai keine Gegenwehr. Ehe ich handgreiflich werden musste, leerte er die Tasse in einem großen Zug und stellte sie ohne weiteren Protest auf meinem Schreibtisch ab. 1:0 für mich.

Na bitte, lief doch gar nicht so schlecht. Das Pochen hinter meinen Schläfen war verschwunden. Zufrieden strich ich meinen Rock glatt. Für ein Freudenfest war es noch zu früh, aber ich erlaubte mir einen kurzen Moment der Genugtuung. Die erste Schlacht hatte ich gewonnen, von mir aus konnte es so weitergehen. Ich strafte Kai mit Nichtachtung und drehte ihm demonstrativ den Rücken zu.

»Das Schild Personalparkplatz ist doch nun wirklich nicht zu übersehen. Manche Leute sind einfach zu blöd zum Lesen«, schimpfte ich an Yvonne gewandt. »Du wirst es nicht glauben: Mein Parkplatz ist schon wieder besetzt. Da steht so ein fetter schwarzer Mercedes. Ein richtiger Angeberschlitten.«

Yvonne verdrehte die Augen. »Männer und Autos. Je dicker die Schlitten, desto größer die Komplexe.«

»Stimmt. Soviel ich weiß, ist das sogar wissenschaftlich bewiesen. Irgendwo habe ich mal gehört oder gelesen, dass so eine Karre im Grunde nichts weiter ist als eine Penisverlängerung.«

»Penisverlängerung«, Yvonne kicherte, »das ist gut.«

»Ich mische mich ja nur ungern ein.«

»Und warum tun Sie es dann?« Wütend funkelte ich Kai an.

»Die Penisverlängerung gehört mir.« Kai tippte sich an seine breite Brust. »Allerdings bevorzuge ich die Bezeichnung Heckflosse. So nennt man diesen Mercedestyp im Allgemeinen. Übrigens, falls es die Damen interessiert: Es handelt sich dabei um einen Oldtimer.«

»Ooooh.« Yvonne war die Situation sichtlich unangenehm. »Ich hoffe, du nimmst das nicht persönlich. Ich meine unser Gerede über deinen Penis, also deine Penisverlängerung«, verhaspelte sie sich. Man konnte sehen, wie ihr das Blut in Rekordzeit ins Gesicht schoss. Sogar ihr zart gebräuntes Dekollete rötete sich, als hätte sie zu lange in der Sonne gelegen. »Also, ich meine das, was wir gerade über dein Auto gesagt haben«, korrigierte sie sich hastig. »Nur ein dummes Klischee, nichts weiter.«

»Nur ein Klischee«, gab ich ihr recht und pustete mir ärgerlich eine blonde Haarsträhne aus dem erhitzten Gesicht. »Ein Klischee, das in 99,9 % der Fälle zutrifft. Ich hätte mir ja eigentlich gleich denken können, dass die Karre Ihnen gehört«, schnappte ich in Kais Richtung, der sich lässig gegen die Fensterbank gelehnt hatte. Offenbar hatte er es nicht allzu eilig, mit der Arbeit zu beginnen.

Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und schaltete meinen Computer ein. Schlimm genug, dass dieser Blödmannsgehilfe mir meinen Parkplatz geklaut hatte, jetzt wollte ich mir von ihm nicht auch noch kostbare Arbeitszeit stehlen lassen.

Aber Kai hatte das Bedürfnis, sich noch ein wenig auszutauschen. »Ich glaube, wir werden ein sehr angenehmes Arbeitsklima haben.« Seine braunen Augen blitzten vergnügt. »Reibung erzeugt Wärme ...«

»Dann hoffen wir mal, dass bei so viel Wärme Ihr Deo nicht versagt«, unterbrach ich ihn ungeduldig. »Eins muss man Ihnen auf alle Fälle lassen: Sie haben ein sehr einnehmendes Wesen.«

Kai lächelte. »Danke.«

»Nur damit wir uns nicht missverstehen: Das mit dem einnehmenden Wesen war kein Kompliment, sondern lediglich eine Feststellung. Sie nehmen sich alles, was Sie kriegen können.«

Yvonne, die unseren kleinen Schlagabtausch wie ein Tennismatch mit weit aufgerissenen Augen und leicht schräg gelegtem Kopf verfolgt hatte, trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Ich sah ihr an der frisch gepuderten Nasenspitze an, dass sie es sich mit dem neuen Kollegen, der womöglich bald ihr neuer Chef sein würde, nicht verderben wollte. Nun befürchtete sie – vermutlich nicht ganz zu Unrecht – zwischen die Fronten zu geraten. Mit einem gemurmelten »Die Arbeit ruft« floh sie mit klappernden Absätzen aus dem Büro.

Die Glückliche! Liebend gerne wäre ich hinterhergerannt! Auch ich hatte jede Menge zu tun, bedauerlicherweise dachte mein neuer Zimmergenosse aber gar nicht daran, mich endlich in Ruhe arbeiten zu lassen. Ring frei zur nächsten Runde.

»Was ist das?«, fragte er leicht dümmlich. Ohne hinzusehen, wusste ich, dass er Fred, unseren Untermieter, meinte.

»Wonach sieht’s denn aus?«

»Ist das eigentlich ein Tick von Ihnen, jede Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten?«

»Wie kommen Sie denn darauf?« Langsam begann mir das Spiel Spaß zu machen.

»Ich kenne mich mit Nagetieren nicht so gut aus, aber ich würde sagen, es handelt sich um ein Meerschweinchen.«

»Falsch, völlig falsch«, triumphierte ich und sah Kai dabei fest in die Augen. »Es ist ein Goldhamster.«

»Gut, wir haben nun geklärt, dass es sich bei dem Tier um einen Goldhamster handelt. Aber können Sie mir auch verraten, was dieser Goldhamster oder vielmehr sein Käfig auf meinem Schreibtisch verloren hat?«

»Der Besitzer von Fred ist im Hotel verstorben.«

»Was? Hier an meinem Schreibtisch?« Unwillkürlich wich Kai ein paar Schritte zurück.

Bis jetzt hatte es in diesem Büro noch keine Toten gegeben. Aber was nicht ist, kann ja noch werden, dachte ich ärgerlich. »Nein, natürlich nicht, der Gast hat unten im Restaurant den Löffel abgegeben. Was aber nicht an Werners Kochkünsten lag«, beeilte ich mich, als ich Kais fragenden Gesichtsausdruck sah, schnell zu versichern. »Irgendwas muss bei seiner vierten Bypassoperation wohl schiefgelaufen sein. Na, wie auch immer, der Mann hatte keine Angehörigen, und wir haben es einfach nicht übers Herz gebracht, den putzigen Kerl ins Tierheim zu bringen.« Ich warf dem Goldhamster, der gerade zufrieden ein Salatblatt mümmelte, einen liebevollen Blick zu. »Tja, so ist Fred also hier bei uns gelandet. Irgendjemand muss sich schließlich um ihn kümmern. Durch den Tod seines Besitzers ist er mit einem Schlag Vollwaise geworden.«

Kai riss entsetzt die Augen auf. »Und da haben Sie ... ähm ... wie soll ich sagen, als Adoptivvater an mich gedacht?«

»Blödsinn. Ihnen würde ich noch nicht mal die Pflege einer mickrigen Geranie anvertrauen. Ich sorge für Fred.«

»Da bin ich aber beruhigt.« Kai tat, als würde er sich den Schweiß von der Stirn wischen. »Ich dachte schon, ich hätte in meiner Stellenbeschreibung etwas übersehen.«

Gleichmütig zuckte ich mit den Schultern. »Manchmal kann man sich eben nicht aussuchen, wen man unter seine Fittiche nehmen muss.« Mit vielsagendem Gesichtsausdruck musterte ich Kai von oben bis unten. Dann wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder angenehmeren Dingen zu. »Achtung, Fred, jetzt schaukelt’s ein bisschen.« Ich stellte den Goldhamsterkäfig neben meinem Arbeitsplatz auf den Boden und machte eine einladende Geste. »So, bitteschön, der Schreibtisch gehört Ihnen. Viel Spaß bei der Arbeit.«

»Sehr liebenswürdig.« Kai ließ sich in seinen schwarzen Lederdrehstuhl fallen, kippte die Rückenlehne in die Horizontale und legte die Füße auf die Arbeitsplatte. »Darf ich Sie dann gleich mal zum Diktat bitten?«

Mir blieb fast die Luft weg. »Wie bitte?!« Na, der traute sich was!

»Ich würde ja selbst schreiben, aber bedauerlicherweise habe ich keinen Kugelschreiber. Streng genommen habe ich überhaupt keinen Stift, nicht einmal einen Bleistift, ganz zu schweigen von einem Radiergummi, Büroklammern, einem Locher und dem ganzen anderen Zeug.«

Widerstrebend stand ich von meinem Schreibtischstuhl auf. »Eigentlich ist Yvonne für das Büromaterial zuständig.«

»Warum sagen Sie das denn nicht gleich? Bemühen Sie sich nicht, ich kümmere mich schon darum.« Sprach’s und verschwand aus der Tür.

Erleichtert atmete ich auf. Weg war er!

Ich kniete mich vor den Hamsterkäfig. Während ich Fred bei seiner Körperpflege beobachtete, knetete ich mechanisch meine verspannten Schultern und meinen schmerzenden Nacken, die Muskeln waren steinhart. »Ach, Fred«, seufzte ich. »Du magst ihn auch nicht. Stimmt’s? Tut mir leid, dass du deinen Platz räumen musstest. Die Aussicht da unten ist bestimmt lausig. Glaub mir, ich kann mir auch Schöneres vorstellen, als mir mit dem Lackaffen ein Büro zu teilen.« Fred schien mir mit seinen dunklen Knopfaugen verschwörerisch zuzublinzeln. »Vielleicht fällt uns ja was ein, wie wir ihn wieder loswerden.«

Erst einmal sah es aber nicht so aus, als würde Kai das Feld in Kürze räumen, eher als wollte er sich hier häuslich niederlassen. Misstrauisch beäugte ich die riesige Kiste, die er schwitzend und keuchend ins Büro schleppte. »Wollen Sie hier einziehen?«, fragte ich spitz.

»Danke für das Angebot. Ich werd’s mir überlegen. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob Fred von mir als Mitbewohner so begeistert wäre. Ich schnarche nämlich ganz furchtbar.« Der Karton landete mit einem lauten Knall auf dem Fußboden. Direkt neben dem Goldhamsterkäfig. Reichte es denn nicht, dass Fred zwangsevakuiert worden war? Wenn Kai so weitermachte, würde das arme Tierchen vor Schreck einen Herzinfarkt bekommen.

»Fürs Erste war Yvonne so nett, mich mit Büromaterial zu versorgen«, erklärte Kai, der gar nicht gemerkt hatte, wie sehr er das kleine Tierchen erschreckt hatte. Typisch – eben durch und durch ein rücksichtsloser Ignorant. »Nur ein paar Kleinigkeiten, was man halt so braucht.«

»Was man halt so braucht«, echote ich und betrachtete ungläubig das Sammelsurium, das Kai aus der Tiefe der Kiste zu Tage förderte und wie eine Trophäensammlung vor sich auf dem Schreibtisch aufbaute.

Unfassbar! Ich arbeitete seit fast fünf Jahren in diesem Laden, aber die meisten Dinge, die dort aufgereiht standen, hatte ich noch nie zu Gesicht bekommen, geschweige denn besessen. Vermutlich war es leichter, der Queen die Kronjuwelen zu klauen, als Yvonne einen Taschenrechner abzuschwatzen. Sie zierte sich schon, wenn man alle Jubeljahre mal einen neuen Radiergummi haben wollte. Und für jeden Bleistift musste man einen Antrag – selbstverständlich in doppelter Ausführung – ausfüllen. Wer auf Nummer sicher gehen wollte, brachte darüber hinaus den kurzen Stummel gleich mit, sonst unterstellte sie einem womöglich noch, dass man den alten Stift verbummelt hatte.

Wie hatte Kai es nur geschafft, ihr diese Hightech-Ausrüstung abzuluchsen? Bei manchen Büroutensilien wusste ich nicht einmal, wofür sie gut sein sollten. Was war das beispielsweise für ein merkwürdiges schwarzes Kästchen, das aussah wie ein überdimensional großer Taschenrechner mit Buchstaben anstelle von Zahlen auf den Tasten?

»Was ist das?«, konnte ich mir nicht verkneifen zu fragen.

»Um Sie einmal kurz zu zitieren: Wonach sieht’s denn aus?«

»Nach einem typischen Männerspielzeug. Aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen haben alle Kerle eine Schwäche für Fernbedienungen.«

»Aber nein, das ist keine Fernbedienung! Haben Sie wirklich noch nie einen P-Touch gesehen? Damit kann man alle möglichen Dinge beschriften. Ordner zum Beispiel.«

Als ich gerade begann, mich zu fragen, wie ich es bloß die ganzen Jahre geschafft hatte, meine Leitz-Ordner mit einem Stift zu beschriften, betrat Yvonne das Büro. In der rechten Hand balancierte sie eine Tasse dampfenden Kaffee, in der linken einen Teller mit Keksen.

»Kann es sein, dass du mich nicht magst?«, empfing ich sie vorwurfsvoll.

»Himmel, Mel, wie kommst du denn auf so etwas?!«

Wortlos wies ich auf Kais Büromaterial.

»Ach so, das meinst du.« Wenigstens besaß sie den Anstand, ein halbwegs schuldbewusstes Gesicht aufzusetzen. »Befehl von oben. Ilka hat mich angewiesen, dafür zu sorgen, dass es Kai an nichts fehlt«, rechtfertigte sich Yvonne. »Schließlich soll er sich bei uns wohlfühlen.«

Ach, und ob ich mich wohlfühlte, kratzte offenbar niemanden. So wie’s aussah, gab es neuerdings unter den Mitarbeitern eine Zweiklassengesellschaft.

»Hier ist dein Kaffee.« Yvonne stellte die Tasse neben Kais neuen P-Touch. »Mit Milch und Zucker. Außerdem habe ich noch ein paar Kekse aufgetrieben.«

»Herzlichen Dank. Das wäre aber nicht nötig gewesen.«

»Habe ich doch gerne gemacht. Sag einfach Bescheid, wenn du noch etwas brauchst.«

Was denn noch?! Eine Sänfte? Oder einen Mundschenk?

»Das wäre aber nicht nötig gewesen«, äffte ich ihn nach, nachdem Yvonne mit einem strahlenden Lächeln in Kais Richtung das Büro verlassen hatte.

»Jetzt gucken Sie doch nicht so beleidigt. Da ich Ihnen Ihre Tasse nicht abspenstig machen wollte, habe ich Yvonne um eine neue gebeten.«

»Und dabei zufällig erwähnt, dass Sie Ihren Kaffee mit drei Stück Zucker trinken.« Ich biss mir auf die Lippen. Mist, verdammter, jetzt hatte ich mich verplappert.

Leider war das auch Kai nicht entgangen. »Ach, sieh mal einer an.« Er grinste wie ein Honigkuchenpferd. »Sie haben mich wohl gestern genau beobachtet.«

»Wenigstens brauchen Sie sich über versteckte Kalorien keine Gedanken zu machen. Die fünf Millionen Kalorien, die Sie am Tag zu sich nehmen, machen sich gar nicht erst die Mühe, sich zu tarnen.« Gespielt gleichgültig zuckte ich mit den Schultern. »Aber bitte – wenn Sie meinen, dass Sie sich das leisten können.«

»Eigentlich nicht.« Kai strich sich mit einem besorgten Stirnrunzeln über seinen kaum sichtbaren Bauchansatz. Doch einen Augenblick später grinste er schon wieder und biss genüsslich in einen der Schokoladenkekse, die Yvonne ihm auf einem kleinen Tellerchen serviert hatte. »Aber es kann nicht schaden, sich hin und wieder ein bisschen das Leben zu versüßen. Oder wie sehen Sie das?«

»Bisher hatte ich das nicht nötig. Sie hingegen scheinen sich damit auszukennen. Vielleicht sollten Sie sich den Zucker der Einfachheit halber intravenös verabreichen.«

»Puh, sind Sie garstig.« Kai nippte an seiner Kaffeetasse. »Allerdings kann ich es Ihnen nicht einmal verübeln, dass Sie über mein Auftauchen nicht gerade begeistert sind.«

Nicht begeistert? Das war die Untertreibung des Tages!

»Aber da ich nun schon mal da bin, sollten wir versuchen, das Beste aus der Situation zu machen. Glauben Sie mir: Ich bin auch nicht gerade glücklich drüber, dass wir uns um den Job schlagen müssen. Allerdings fällt mir so ad hoc nur eine Lösung für das Problem ein.« Er bedachte mich mit einem Lächeln, das er wohl für besonders charmant hielt.

»Ich sehe, langsam verstehen wir uns.« Gespielt freundlich lächelte ich zurück. »Da ist die Tür. Glauben Sie, Sie finden allein raus?«

So ein Schaukelpferd-Jockey! Und überhaupt: Wer von uns beiden war denn hier der große Marketingprofi? In puncto Kreativität hatte ich ihm offenbar einiges voraus. Mir fielen nämlich spontan sogar noch jede Menge mehr Möglichkeiten ein, wie sich das Problem schnell und einfach aus der Welt schaffen ließe: Man könnte einige Tropfen Arsen in Kais Kaffee träufeln, die Tastatur seines Computers unter Strom setzen, die Bremsschläuche seiner Penisverlängerung durchtrennen ... und ... und ... und. Einmal in Fahrt gekommen, war mein Einfallsreichtum kaum zu bremsen.

Im Gegensatz zu meinen morbiden Fantasien war Kais Lösungsvorschlag zwar vergleichsweise harmlos, aber trotzdem an Frechheit kaum zu überbieten: »Ich habe nicht vor, das Feld zu räumen. Aber warum verzichten Sie nicht einfach auf den Posten?«

Nur meine gute Erziehung hielt mich davon ab, ihm einen Vogel oder – schlimmer noch – den ausgefahrenen Mittelfinger zu zeigen. »Kein Problem. Und wenn Sie möchten, überschreibe ich Ihnen auch gerne mein Sparbuch und meine Lebensversicherung.« Meine Stimme triefte vor Sarkasmus. »Kann ich vielleicht sonst noch etwas für Sie tun?«

Kai legte die Finger an die Stirn und tat, als würde er angestrengt nachdenken. »Ja, wenn Sie schon so direkt fragen. Ich muss mal für kleine Königstiger.«

»Wie schön für Sie.« Irritiert zog ich die Augenbrauen in die Höhe. »Und was habe ich damit zu tun? Soll ich Ihnen vielleicht dabei behilflich sein?«

» Das wäre überaus freundlich.« Kai stand auf und ging zur Tür. Dort blieb er abwartend stehen. »Wenn Sie mir zeigen könnten, wo sich die Toiletten befinden, und mich bei der Gelegenheit vielleicht auch noch durch den Rest des Hotels führen würden. «

Typisch Ilka! Dass ausgerechnet ich den Neuen unter meine Fittiche nehmen sollte, war vermutlich reine Schikane oder ein Test, wie ich mit der Situation umgehen würde. Besser, ich kümmerte mich ein wenig um ihn, sonst würde sich Kai bestimmt bei seiner neuen Chefin beschweren. Auf so eine Steilvorlage wartete er sicher nur. Zähneknirschend willigte ich ein, Kai zuerst das stille Örtchen und dann das Hotel zu zeigen.

Vor den Herrentoiletten blieb ich stehen. »Viel Erfolg! Ich nehme an, ab hier finden Sie sich allein zurecht.«

»Falls ich Hilfe brauche, rufe ich nach Ihnen.«

Offenbar war alles glattgegangen, denn kurze Zeit später stand er bereits wieder vor mir. Der Verwaltungstrakt mit den Büros befand sich im obersten Stockwerk des Hotels. In den unteren vier Etagen waren die Gästezimmer und Suiten untergebracht. Den Wellness- und Fitnessbereich, der nachträglich angebaut worden war, erreichte man von der Hotellobby aus durch eine Art Unterführung.

Wir begannen mit der Hotelbesichtigung im Zentrum des Geschehens, dort, wo alle Fäden zusammenliefen: am Empfang. Verena, die Kai ja bereits beim Meeting am Tag zuvor kennengelernt hatte, gab ihm einen kurzen Einblick in unser Buchungssystem. Obwohl sie sonst die Herzlichkeit in Person war, verhielt sie sich Kai gegenüber auffallend reserviert. Das war ihre Art, mir ihre Solidarität zu zeigen. Und ich liebte sie dafür!

In der Hotelküche wurde der neue Kollege hingegen gleich mit offenen Armen empfangen. Elende Verräter! Sogar Babett, unsere ansonsten eher etwas muffelige Küchenhilfe, die genau wie die alten Messingpfannen an der Wand seit eh und je zum Inventar gehörte, ließ sich von Kai wie ein Kaugummi um den Finger wickeln. Ein breites Lächeln hier, ein paar Komplimente da – schon fraß sie ihm aus der Hand. Obwohl es streng genommen eigentlich andersherum war.

»Oh, das sieht aber köstlich aus«, schleimte Kai.

Babett ließ sich nicht lange bitten, tauchte einen Löffel in die rosafarbene Creme, die sie gerade zubereitet hatte, und hielt ihn Kai zum Kosten unter die Nase.

Das Dessert schien Kai zu munden. Genießerisch verdrehte er die Augen. »Wunderbar!«

Babett lächelte zufrieden. »Sie sind wohl ein ganz Süßer, was?«

Nun war es an mir, die Augen zu verdrehen. Meine Güte, Hundewelpen oder Schokolade waren süß, aber doch nicht Kai Hoffmann!

Nachdem ich Kai einige Zimmer und Suiten gezeigt hatte, stellte ich ihm auf dem Weg zum Fitnesscenter endlich die Frage, die mir schon die ganze Zeit unter den Nägeln gebrannt hatte: »Hat Ilka Ihnen bei Ihrem Vorstellungsgespräch denn nicht das Hotel gezeigt?« Es interessierte mich ungemein, wie sie es geschafft hatte, ein Zusammentreffen von Kai und mir zu verhindern. Ein Vorstellungsgespräch um Mitternacht? Ein konspiratives Treffen am Wochenende?

»Es hat kein Vorstellungsgespräch gegeben«, antwortete Kai schlicht. »Allerdings habe ich vor geraumer Zeit schon mal ein paar Tage im Wallemrath Hotel in Hamburg verbracht, insofern hatte ich eine grobe Vorstellung von dem, was mich hier erwarten würde. Außerdem hat Ilka mir einige Fotos gezeigt«, gab er bereitwillig Auskunft. Und fügte, ohne dass ich danach gefragt hatte, noch hinzu: »Ilka und ich haben uns bei einem Workshop in den USA kennengelernt. Ich habe dort in der Marketingabteilung eines großen amerikanischen Automobilkonzerns gearbeitet.«

Mir sträubten sich die Nackenhaare. Wenn das mal nicht nach Schiebung roch!

»Nachdem Ilka nach Deutschland zurückgekehrt ist, sind wir locker in Kontakt geblieben. Als ich ihr vor ein paar Wochen gemailt habe, dass ich in Kürze meine Zelte in New York abbrechen werde, hat Ilka mir dieses Jobangebot gemacht. Ein Glücksfall. Denn zum einen gibt es hier in der Umgebung nicht viele Unternehmen, die Marketingleute suchen, zum anderen hat mich die Hotelbranche schon immer gereizt.«

»Was Sie nicht sagen.« Eigentlich konnte ich Kai noch nicht einmal übel nehmen, dass er Ilkas Jobangebot angenommen hatte. Jedes Kind weiß schließlich, wie wichtig Vitamine sind. Vitamin C für das Immunsystem, Vitamin A für die Augen – und Vitamin B für die Karriere. Kai tat, als wäre diese Art der Vetternwirtschaft das Normalste von der Welt. Gerade brabbelte er irgendwas davon, wie wichtig Netzwerke in der heutigen Geschäftswelt seien. Da ich dieses blöde Business-Gesülze nicht ertragen konnte, ließ ich ihn einfach quatschen und schaltete auf Durchzug.

Nachdem wir das Schwimmbad und das Fitnesscenter besichtigt hatten, zeigte ich Kai auch noch das Außengelände, wo sich die Tennisplätze und eine kleine Driving Range für Golfspieler befanden. Obwohl ich weiß Gott Besseres zu tun gehabt hätte, als stundenlang durch die Gegend zu spazieren, ließ ich bei meiner Führung, abgesehen von der Männerdusche und der Herrenumkleide, keinen Quadratmeter des Hotels aus. Nicht einmal die Besenkammer oder den Geräteschuppen. Der gnädige Herr bestand darauf, dass ich ihm das Hotel zeigte? Voilà! Ich wollte mir von niemandem – und schon gar nicht von Kai – nachsagen lassen, dass ich meine Aufgaben nicht ordentlich und gewissenhaft erledigte.

»Und was ist das da hinten für ein Gebäude?«, fragte Kai, als wir uns bereits auf dem Rückweg zum Haupttrakt des Hotels befanden.

»Das sind die alten Stallungen. Im Augenblick stehen sie leer. Aber hoffentlich nicht mehr lange. Ich habe der Geschäftsleitung vorgeschlagen, dort ein Kinderparadies unterzubringen.« Wie immer, wenn ich über dieses Projekt sprach, musste ich mich beherrschen, nicht allzu sehr ins Schwärmen zu geraten. »Zwar zählen bereits etliche Ehepaare mit Kindern zu unseren Stammgästen, aber ich bin mir sicher, dass man mit einem entsprechenden Zusatzangebot wie beispielsweise einem Babysitterservice oder Kinderanimation ganz gezielt junge Familien ansprechen könnte.« Meine Güte, warum erzählte ich ihm das überhaupt alles? Hätte ich mal bloß den Mund gehalten! Das Kinderparadies war mein Baby, von dem Kai gefälligst seine Finger zu lassen hatte!

Doch zu spät. Ich konnte förmlich spüren, wie es ihn reizte, auf den fahrenden Zug aufzuspringen. »Das Gelände hier draußen ist ideal. Ein echtes Eldorado für kleine Racker. Dort neben dem Apfelbaum könnte man einen großen Sandkasten hinstellen, vielleicht noch Tische und Bänke, große für die Eltern und kleine für die Kids. Da rechts neben das Gebäude Rutsche, Klettergerüst und Schaukel, und der asphaltierte Innenhof ist für Bobbycars wie gemacht.«

Man konnte den Eindruck gewinnen, das Kinderparadies wäre seine Idee gewesen. Ich fragte mich, ob Ilka bereits mit Kai über das Projekt gesprochen hatte. Seine Vorstellungen deckten sich ziemlich genau mit meinen Plänen.

»Die Angebote für den Umbau und die Spielgeräte habe ich bereits eingeholt. Jetzt müssen nur Conrad und Ilka noch ihr O. K. geben.« Wir näherten uns dem Hauptgebäude. »Wenn man vom Teufel spricht...«, murmelte ich. Ilka kam den schmalen Kiesweg entlanggeschossen. Anstelle eines Pferdefußes lugten unter ihrer schwarzen Anzughose schicke Designerpumps hervor.

Als sie uns sah, bremste sie ab. Während sie mich kaum eines Blickes würdigte, bekam Kai ein strahlendes 100-Watt-Lächeln geschenkt. »Und? Haben Sie sich schon ein bisschen umgeschaut? Wie gefällt es Ihnen bei uns?«

»Sie haben wirklich nicht zu viel versprochen. Das Hotel ist ein Paradies. Besonders der Fitnessbereich und das Schwimmbad sind der absolute Wahnsinn.«

Ilka lächelte so geschmeichelt, als hätte sie die Anlage im Schweiße ihres Angesichts selbst erbaut. Dabei hatte sie sich, ohne ihre vorbildlich manikürten Fingerchen zu krümmen, einfach nur ins gemachte Nest gesetzt.

»Allerdings hätte ich – unter Marketinggesichtspunkten betrachtet – schon den einen oder anderen Verbesserungsvorschlag zu machen.«

»Genau das hatte ich mir erhofft. Ich bin sehr gespannt auf Ihre Ideen.« Ilka bedachte mich mit einem triumphierenden Seitenblick. Dann sah sie Kai tief in die Augen. »Mein Büro steht Ihnen jederzeit offen. Ich freue mich auf eine fruchtbare Zusammenarbeit.«

Fruchtbare Zusammenarbeit?! Dann würde ich wohl für die richtige Verhütung sorgen müssen ...

Aszendent Blödmann

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