Читать книгу Aszendent Blödmann - Michaela Thewes - Страница 8
Kapitel 4
ОглавлениеDer Theaterabend, zu dem Conrad mich eingeladen hatte, begann äußerst vielversprechend. Auf dem Spielplan stand Shakespeares Sommernachtstraum. Wenn das kein gutes Omen war!
Obwohl man die sehr moderne Inszenierung als durchaus gelungen bezeichnen konnte – mal abgesehen vom Kleid der Elfenkönigin, das aussah wie ein Sonderangebot aus einem Beate-Uhse-Katalog war ich nicht ganz bei der Sache. Ich beneidete die Schauspieler, die ihren Text nur auswendig herunterbeten mussten. Und falls sie einen Hänger hatten, gab es eine Souffleuse, die ihnen bereitwillig aus der Patsche half. Ich hingegen war an diesem Abend ganz auf mich allein gestellt. Was sollte ich Conrad sagen? Und was fast noch wichtiger war: Wie sollte ich es sagen?
Himmel, musste denn immer alles so kompliziert sein?! Einerseits wollte ich natürlich endlich wissen, wo ich bei Conrad dran war und wie es in Zukunft mit uns weitergehen würde. Andererseits mochte ich ihm nicht die Pistole auf die Brust setzen, denn auf Druck reagierten Männer erfahrungsgemäß sehr sensibel und nahmen Reißaus.
Als wir uns nach der Vorstellung in einem kleinen Restaurant, in dem Conrad für uns einen Tisch reserviert hatte, gegenübersaßen, hatte ich noch immer keine zufriedenstellende Lösung für dieses Problem gefunden. Immerhin wusste ich jetzt, worüber ich, abgesehen vom Paarungsverhalten der Nacktschnecke, dem Nahostkonflikt und ungefähr drei Millionen anderer Themen, nicht sprechen wollte. Ich hatte beschlossen, das Thema Ehe vorerst auszuklammern und mich stattdessen voll und ganz auf die Kinderfrage zu konzentrieren. Denn zum einen war Conrad noch verheiratet, wenn auch nur auf dem Papier, zum anderen ergaben sich manche Sachen ganz von allein. Sobald Conrad einem gemeinsamen Kind erst einmal zugestimmt hatte, würde sich der Gedanke an Heirat mit etwas Glück und ein paar zarten Schubsern in die richtige Richtung (sicher ist sicher, denn das Glück war mitunter etwas unzuverlässig) wie von selbst einstellen. Die Kunst bestand darin, Männern das Gefühl zu vermitteln, die Idee wäre auf ihrem eigenen Mist gewachsen. Als Frau brauchte man für diese jahrhundertealte Technik lediglich zwei Dinge: ein wenig weibliche Raffinesse und viel Geduld. Bedauerlicherweise zählte beides nicht gerade zu meinen Stärken, aber mir blieb ja noch ein wenig Zeit, um daran zu arbeiten.
»Hat es dir nicht gefallen? Du bist so still.« Conrad goss mir noch einen Schluck Wein nach.
»Doch, doch, das Theaterstück war klasse«, beeilte ich mich zu versichern und spielte dabei mit meiner Serviette herum.
Mit fahrigen Fingern begann ich, einen Kranich zu falten, so wie es neulich eine kleine Asiatin im Fernsehen demonstriert hatte – auf der Mattscheibe hatte das babyeinfach ausgesehen. Einmal knicken, noch mal knicken, die Ecke nach hinten ... Doch das Ergebnis sah gar nicht aus wie ein eleganter Vogel. Mehr wie eine notgelandete Boeing 727. Hin- und hergerissen zwischen Origami und Harakiri, gab ich mir schließlich innerlich einen Ruck.
»Conrad, es gibt da etwas, worüber ich gerne mit dir reden möchte.«
»Ich habe gewusst, dass du das Thema heute ansprechen würdest.«
»Ja?« Ich legte die Serviette beiseite. Der Kranich würde mir schon nicht davonfliegen. Wie denn auch? Mit den krummen Flügeln...
Dass Conrad ein überaus einfühlsamer und aufmerksamer Mensch war, wusste ich bereits. Aber dass er neben diesen Qualitäten, die bei Männern keineswegs zum All-inclusive-Paket gehörten, auch über hellseherische Fähigkeiten verfügte, war mir neu. Hoffentlich glaubte Conrad nicht, ich wollte mit ihm über Kai reden, denn das war nun wirklich das Letzte, wonach mir an diesem Abend der Sinn stand.
»Ich mag Kinder.« Conrad lächelte mich liebevoll an. »Von mir aus ist die Sache geritzt.«
Donnerwetter! Mein Herz machte einen aufgeregten Freudenhüpfer. Ich konnte mein Glück kaum fassen! Meine Güte, wenn ich gewusst hätte, wie schnell er einem Baby zustimmen würde, hätte ich das Thema schon viel früher zur Sprache gebracht.
Über den Tisch hinweg griff Conrad nach meiner Hand und streichelte sie zärtlich. »Jetzt muss nur noch Ilka ihre Zustimmung geben.«
Also, bei allem Familiensinn: Dass er seine Tochter um Erlaubnis bitten wollte, um mit mir ein Kind zu bekommen, fand ich nun doch ein kleines bisschen übertrieben. Aber bitte, wenn es denn sein musste. Bis dato wusste Ilka ja nicht einmal, dass Conrad und ich ein Paar waren. Allerdings konnte ich mir vorstellen, dass ich als Stiefmutter nicht gerade ihre erste Wahl war. Und was das neue, noch zu zeugende Halbgeschwisterchen betraf – auch in diesem Punkt rechnete ich bei der Fürstin der Finsternis nicht gerade mit überschäumender Begeisterung.
Überraschenderweise schien Conrad, der seine Tochter schon ein paar Jährchen länger kannte als ich, meine Zweifel nicht zu teilen. »Mach dir mal keine Sorgen. Ich bin mir sicher, dass Ilka nichts dagegen hat. Wird zwar eine schöne Stange Geld verschlingen, aber ich bin davon überzeugt, dass sich diese Investition in die Zukunft früher oder später bezahlt macht.«
Ein Kind als Investition in die Zukunft zu bezeichnen fand ich ehrlich gesagt schon ein wenig befremdlich. Aber als eingefleischter Geschäftsmann sah Conrad die »Familienexpansion« vermutlich noch unter einem anderen Gesichtspunkt als ich. Das Wallemrath Hotel war seit Generationen in Familienbesitz. Und wenn es nach Conrad ging, sollte das verständlicherweise auch so bleiben. Da er jedoch selbst keine Geschwister hatte und Ilka ebenfalls ein Einzelkind war, drohte der Wallemrath-Sippe ein ähnliches Schicksal wie den Dinosauriern. Sie würden peu à peu aussterben. Rein theoretisch war es natürlich denkbar, dass Ilka den Fortbestand des Familienclans sicherte. Denkbar war schließlich alles. Sogar, dass Womanizer Brad Pitt schwul war. Man brauchte nur genügend Fantasie. Allerdings war Ilka die Mutterrolle nicht gerade auf den Leib geschnitten. Jeder Kühlschrank strahlte mehr mütterliche Wärme aus als sie. Außerdem gehörten zum Kinderkriegen bekanntlich immer zwei. »Ich freue mich auf eine fruchtbare Zusammenarbeit«, kamen mir Ilkas Worte plötzlich in den Sinn. Ach was, fruchtbar hin oder her: Noch war Ilka definitiv kinderlos. So gesehen konnte ich Conrads Gedankengang nachvollziehen.
»Wann wollen wir mit dem Umbau denn loslegen?«, wollte dieser nun wissen.
Umbau? Wieso Umbau? Eine Wiege, ein paar hübsche Vorhänge mit kleinen bunten Teddybärchen, ein Wickeltisch – fertig war das Kinderzimmer.
»Weißt du, vielleicht sollten wir uns am Anfang auf das Wesentliche beschränken«, versuchte ich Conrad vorsichtig zu bremsen. »Was die Einrichtung betrifft, bin ich auch nicht so wahnsinnig anspruchsvoll.«
»Das solltest du aber sein. Schließlich ist das Wallemrath Hotel kein Dorfgasthof oder irgendeine billige Absteige. Wenn wir schon ein Kinderparadies einrichten, dann sollten wir uns nicht lumpen lassen.«
»Kinderparadies?!?« Meine Kinnlade gehorchte dem Gesetz der Schwerkraft und klappte nach unten.
»Ja, genau. Wie gesagt: Ich bin einverstanden.«
»Schön«, sagte ich und versuchte mit aller Gewalt, meine sich heftig sträubenden Mundwinkel in Richtung Ohrläppchen zu bewegen. Das Ergebnis war ein reichlich gequältes Lächeln. Vor lauter Enttäuschung musste ich schwer schlucken. Nicht dass ich mich nicht gefreut hätte, schließlich hatte ich wie eine Löwin für das Kinderparadies gekämpft. Dennoch: Mehr als die Betreuung fremder Rabauken beschäftigte mich augenblicklich der Wunsch nach eigenem Nachwuchs.
»Und wo wir schon mal beim Thema Kinder sind ...«, versuchte ich geschickt eine Überleitung zu finden.
Mist, verdammter! Der Ober machte mir einen Strich durch die Rechnung und servierte die Teller mit der dampfenden Vorspeise. Ich beschloss, diese Unterbrechung als einen Wink des Schicksals zu betrachten, und widmete mich voller Konzentration meiner Tomatencremesuppe. Ein Löffel für Mama, ein Löffel für Papa ... Vielleicht war es besser, bis nach dem Hauptgericht zu warten. Mit vollem Bauch redete es sich bekanntlich leichter.
Während sich Conrad mit gesundem Appetit über sein Filet mit Speckböhnchen hermachte, stocherte ich so lustlos in meiner Seezunge herum, als wollte ich den Fisch sezieren. Das Essen war köstlich, trotzdem kämpfte ich mit jedem einzelnen Bissen. Sollte ich gleich mit der Tür ins Haus fallen oder lieber auf den richtigen Moment warten? Doch woran erkannte man ihn, den richtigen Moment?
Aus Angst, ihn womöglich schon verpasst zu haben, entschied ich mich für die Hauruck-Methode. Als der Ober unsere Teller abgeräumt hatte und Conrad sich zufrieden auf seinem Stuhl zurücklehnte, nahm ich all meinen Mut zusammen, räusperte mich und rückte endlich mit der Sprache heraus: »Ich hätte ... äh ... also, ich hätte wahnsinnig gerne ...«
... ein Kind von dir, hatte ich eigentlich sagen wollen. Doch unter Conrads erwartungsvollem Blick war mein Mund plötzlich staubtrocken. »Ich hätte wahnsinnig gerne noch ein Wasser«, krächzte ich.
Kaum hatte ich diesen Wunsch ausgesprochen, sprang Conrad auch schon von seinem Stuhl auf und ruderte wie wild mit den Armen. Ich fand es rührend, wie sehr er um mein Wohlergehen besorgt war, aber so dringend war das mit dem Wasser nun auch wieder nicht. Obgleich Deutschland als Servicewüste verschrien war – dass man als Gast mitten in einem Restaurant verdurstete, hielt ich für reichlich unwahrscheinlich.
Als ich mich umwandte, sah ich jedoch, dass es gar nicht der Kellner war, den Conrad auf sich aufmerksam zu machen versuchte, sondern ein braun gebrannter Typ in einem weißen Anzug, der mit aufgestelltem Hahnenkamm an der Bar herumgockelte. Ich war mir sicher, ihn schon mal irgendwo gesehen zu haben. Den Anzug, nicht den Mann. Während Conrad weiter winkte, dachte ich angestrengt nach. Volltreffer, jetzt hatte ich es: Der Anzug sah aus wie eine originalgetreue Kopie aus dem 70er-Jahre-Kultfilm Saturday Night Fever, in dem John Travolta eine verdammt heiße Sohle aufs Parkett legt. Allerdings wirkte der Typ im Gegensatz zu John Travolta in dem Outfit nicht kultig, sondern eher ulkig. Wie eine skurrile Mischung aus Zuhälter und Schiffssteward Sascha Hehn zu seinen besten Traumschiff-Zeiten.
In diesem Moment hatte der Möchtegernschönling Conrad wohl auch entdeckt, denn er steuerte mit einem breiten Lächeln im sonnenbankgebräunten Gesicht auf unseren Tisch zu. »Mensch, Conrad, alter Junge!«
»Achim, wie schön, dich zu sehen!«
Auf den ersten Blick sah dieser Achim nicht besonders sympathisch aus. Auf den zweiten leider auch nicht.
Die beiden Männer schlugen einander krachend auf die Schultern. Was sie wohl für einen Ausdruck herzlicher Wiedersehensfreude hielten, grenzte in meinen Augen an Körperverletzung. Gerade sauste Achims Pranke erneut auf Conrads linke Schulter herunter. Rums! Ich hätte wetten können, dass weder Conrads Orthopäde noch seine Bandscheiben dieses Begrüßungsritual gutheißen würden.
Conrad und sein Bekannter waren schätzungsweise im gleichen Alter, nur dass man Achim ansah, dass er entweder strammen Schrittes auf die fünfzig zusteuerte oder sie möglicherweise sogar bereits überschritten hatte. Daran konnten auch sein lächerliches, auf jugendlich getrimmtes Outfit und seine gefärbten Haare nichts ändern. Nichts gegen gefärbte Haare – schließlich kam mein »Naturblond« auch aus der Flasche –, aber irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass der ganze Kerl eine einzige Mogelpackung war.
»Melina – Achim«, stellte Conrad uns einander vor. Als Conrad meinen Namen nannte, stockte er kurz, so als wollte er noch etwas hinzufügen. Melina allein klang irgendwie ein wenig dürftig. Das sah Achim wohl ähnlich. Genau wie ich schien er auf eine Erklärung zu warten, in welchem Verhältnis Conrad und ich zueinander standen. Würde Conrad mich als seine Freundin vorstellen? Als Lebensabschnittsgefährtin? Oder schlimmstenfalls sogar als seine langjährige Mitarbeiterin? Nun würde ich also doch noch erfahren, wie es um unsere Beziehung bestellt war. Gespannt hielt ich den Atem an.
Conrad löste das Problem ganz elegant, indem er gar nichts sagte und es jedem selbst überließ, sich seinen Teil zu denken.
Bei John-Travolta-Verschnitt Achim war er hingegen schon ein wenig mitteilungsfreudiger: »Achim und ich kennen uns aus dem Jachtclub. Früher sind wir oft zusammen segeln gegangen.«
»Ich hätte eher auf tanzen getippt.« Conrad und Achim verzogen keine Miene. Schade, niemand schien die Anspielung auf Saturday Night Fever zu kapieren.
Plötzlich bekam ich eine vage Vorstellung davon, wie Eltern sich fühlten, wenn ihre Kinder in die falschen Kreise gerieten. Nicht dass Achim wie ein Krimineller gewirkt hätte – schlechter Geschmack war schließlich nicht strafbar –, aber ich wusste auch so auf Anhieb, dass er kein guter Umgang für Conrad war.
»Hey, Conrad, ich glaub, ich träume! Wir haben uns ja seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen«, posaunte er gerade lautstark. »Was machst du denn hier?«
Eisstockschießen oder Hochseeangeln schieden aus. Dafür fehlte uns das passende Equipment. Boah, was sollte man in einem Restaurant schon großartig machen?!
»Wir waren im Theater, Shakespeares Sommernachtstraum, und danach haben wir noch einen Happen gegessen. Und was hat dich hierher verschlagen?«, ließ Conrad sich auf das Niveau seines ehemaligen Segelkumpanen herab.
»Ein Geschäftsessen. Na, du weißt schon, bloß ein paar neue Verträge aushandeln. Nur so das Übliche«, gab Achim sich betont weltmännisch.
»Und wie laufen die Geschäfte?«
»Oh, bestens.«
»Setz dich doch zu uns.« Conrad zeigte auf einen freien Stuhl an unserem Tisch. »Du hast doch nichts dagegen, Melina, oder?«
Nichts dagegen? Und ob ich was dagegen hatte! Wenn ich unverrichteter Dinge diesen Laden verließ, hatte ich die längste Zeit eine beste Freundin gehabt. Dann brauchte ich Charlotte gar nicht mehr unter die Augen zu treten. Dieser Schmalspurcasanova war wirklich im ungünstigsten Moment aufgetaucht. Trotzdem würde mir wohl nichts anderes übrig bleiben, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Auch wenn’s schwerfiel. Bereits nach wenigen Augenblicken schienen die beiden Männer meine Anwesenheit völlig vergessen zu haben. Sie schwelgten in guten alten Zeiten und fachsimpelten über Boote, ich fungierte dabei lediglich als Tischdekoration.
Wenn schon nicht mit mir, so sprachen Conrad und Achim umso kräftiger dem Alkohol zu. Gerade brachte der Kellner erneut eine Runde Scotch und für mich ein Mineralwasser ohne Kohlensäure. Die Seezunge musste sich in meinem Magen schon ganz heimisch fühlen, bei den Unmengen von Wasser, die dort bereits herumschwappten.
Mühsam unterdrückte ich ein Gähnen. Herrjemine, mir galoppierte die Zeit davon. Sicher machte das Restaurant bald dicht. Wenn Achim sich jetzt endlich vom Acker machen würde, bliebe immer noch genügend Zeit, über die wirklich wichtigen Dinge des Lebens zu sprechen. Und damit meinte ich ganz sicher nicht die Kieler Woche!
Doch anstatt endlich das Weite zu suchen, brachte Achim, nachdem das Thema Boote offenbar abgegrast war, nun das Thema Frauen zur Sprache. Alles eine Frage der Prioritäten. »Wie geht es Susanne?«
Na wunderbar. Mir rollten sich die Fußnägel hoch.
Achim schien Taktgefühl für eine Gabe zu halten, die Musikern und Tänzern Vorbehalten war. Die Frage nach Conrads Ehefrau hätte ja nun wirklich Zeit gehabt, bis ich mal für kleine Mädchen musste oder mir die Nase pudern ging. Achim jedoch sah keine Notwendigkeit, auf meine Gefühle Rücksicht zu nehmen. Warum sollte er auch? Wahrscheinlich hielt er mich für Conrads kleine Gespielin, mit der er sich ab und an heimlich ein paar schöne Stunden machte.
Dass Achim seine Ehefrau zur Sprache gebracht hatte, schien Conrad im Gegensatz zu mir keineswegs unangenehm zu sein. »Susanne geht’s bestens – seit wir uns getrennt haben.«
Achim lachte dröhnend. »Willkommen im Club. Meine erste Ehe ist schon vor vier Jahren den Bach runtergegangen.«
Das überraschte mich, sehr sogar. Denn daran, dass Achim seine Ehen durchnummerierte, erkannte ich, dass es mindestens eine Ehefrau Numero zwei geben musste.
»Irgendwie ist es doch immer das Gleiche«, posaunte Achim in voller Lautstärke durch das Lokal. »Erst vergisst du, wann du geheiratet hast, und dann, warum.«
Ein Mann und eine Frau mittleren Alters, die am Nebentisch saßen und sich bereits eine ganze Weile über ihre Weißbiergläser hinweg angeschwiegen hatten, nickten zustimmend. Ihnen hatte Achim offenbar aus der Seele gesprochen.
Conrad lachte, als habe Achim einen besonders guten Witz gemacht. Ich hingegen fand das Thema etwa so spaßig wie eine Flugzeugentführung oder einen Zahnarztbesuch. Conrads Noch-Ehefrau Susanne war mir schon seit Langem ein Dorn im Auge. Nicht dass ich mir Sorgen gemacht hätte, dass Conrad reumütig zu ihr zurückkehren könnte – obwohl man natürlich auch diese Möglichkeit nie gänzlich ausschließen durfte. Immerhin waren die beiden fast drei Jahrzehnte miteinander verheiratet gewesen. Aber das war noch nicht einmal der springende Punkt. Mir wäre einfach erheblich wohler gewesen, wenn alles seine Ordnung gehabt hätte.
Vielleicht lag es an der Heimlichtuerei oder an Conrads »Töchterchen« Ilka, dem lebenden Beweis für seine Vergangenheit, mit dem ich fast täglich konfrontiert wurde, dass mir die Situation Bauchschmerzen bereitete. Wenn ich nicht gut drauf war, zum Beispiel kurz bevor ich meine Periode bekam oder kurz nachdem ich mit meiner Mutter telefoniert hatte, plagten mich Gewissensbisse. Dann fühlte ich mich wie eine skrupellose Ehebrecherin. Obwohl das natürlich völliger Humbug war, denn als Conrad und ich einander nähergekommen waren, hatte er bereits seit über einem Jahr von Susanne getrennt gelebt. Trotzdem: Eine Scheidung war doch heutzutage keine große Sache mehr. Reine Routine. Warum zum Teufel dauerte so ein bisschen Papierkram länger als eine Blinddarmoperation?
»Seid ihr schon geschieden, Conrad?«, bohrte Achim zielsicher in meinen eitrigen Wunden herum.
»Nein, das haben wir noch vor uns. Es gibt da zwischen Susanne und mir noch einiges zu klären.«
»Na, dann viel Spaß.« Achim nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas. Seinem leicht verschleierten Blick nach zu urteilen, war er nicht mehr ganz nüchtern. »Schenke einer Frau, die dich nicht leiden kann, dein Haus, dein Geld und dein Auto – schon weißt du, wie eine Scheidung funktioniert.«
»Das ist gar nicht mal das Problem. Es geht in erster Linie um Susannes Anteile am Hotel. Vor ein paar Jahren mussten umfangreiche Umbauarbeiten vorgenommen werden, da hat Susanne einen großen Teil ihrer Erbschaft investiert.«
Nachdem das Thema Scheidung – zumindest verbal – durch war, revanchierte Conrad sich nun seinerseits mit einer Frage nach Achims Privatleben. »Was machen die Kinder?«
»Kinder? Na, du bist gut! Die Kleine studiert, und mein Großer hat mittlerweile selber welche.«
»Glückwunsch, Achim! Für einen Opa hast du dich verdammt gut gehalten.«
»Opa? Was heißt hier Opa?!« Wie zum Beweis, dass er noch lange nicht zum alten Eisen gehörte, richtete Achim sich auf und straffte die Schultern. »Vor ein paar Wochen habe ich selbst noch mal Nachwuchs bekommen.«
Ich spürte ein aufgeregtes Kribbeln in der Magengegend. Mit einem Schlag war ich hellwach. Sieh mal einer an! Möglicherweise war Achim ja doch ein ganz patenter Kerl – auch wenn er das bisher geschickt vor mir verborgen hatte. Auf jeden Fall konnte er sich für meine Zwecke noch als nützlich erweisen. Natürlich würden sie das nie und nimmer zugeben, aber in einer Hinsicht waren Männer wie kleine Jungs: Was der eine hatte, wollte der andere auch haben. Zumindest war das bei Autos und Frauen so. Ich hoffte, dass das auf Babys ebenfalls zutraf.
»Na dann, herzlichen Glückwunsch zum Nachzügler, alter Junge!«, gratulierte Conrad.
Wieder war ein Grund für ausgiebiges Schulterklopfen gefunden. Komische Marotte! Vielleicht beherrschten Männer ja so eine Art geheimes Morsealphabet, mit dem sie sich, unbemerkt von uns Frauen, geheime Botschaften zukommen ließen. Morste beispielsweise einer: »Hast du die scharfe Braut am Nebentisch gesehen?«, morste der andere heimlich zurück: »Und ob, geiles Fahrgestell.« Das würde auch erklären, warum sie einander in Gesprächen oftmals nur belangloses Zeug erzählten.
Da ich mich mit dieser nonverbalen Form der Kommunikation nicht auskannte und auch gar nicht das Bedürfnis verspürte, auf Achims Schulter herumzutrommeln, versuchte ich mich auf herkömmliche Weise an der Unterhaltung zu beteiligen. »Das ist ja toll! Ein Baby – wie schön.«
Es konnte nicht schaden, Interesse an Achims Familienzuwachs zu signalisieren. Sicher würde der frischgebackene Papa gleich ein paar Fotos seines entzückenden Wonneproppens hervorkramen, um vor Conrad mit seiner Potenz zu prahlen und uns sein Glück unter die Nase zu reiben. Wie ich mittlerweile gelernt hatte, trugen alle Eltern immer zwei bis drei Tempotaschentücher für Notfälle sowie mindestens ebenso viele Bilder ihrer Sprösslinge mit sich herum. Alle – bis auf Achim. Selbst auf meine Nachfrage hin konnte er nicht einmal mit einem unscharfen oder verwackelten Schnappschuss seines Kindes – war es eigentlich ein Sohn oder eine Tochter? – aufwarten. Wo gab’s denn so etwas?! Ich zwang mich, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Dass Achim kein Foto seines Sprösslings in der Brieftasche hatte, musste nichts über seine Qualitäten als Vater aussagen. Immerhin konnte er sich, als ich ihn danach fragte, nicht nur an das Geschlecht, sondern sogar an den Namen seines Kindes erinnern. Eine kleine Laura Sophie.
Beim Gedanken an seine Tochter wurde der ansonsten so laute und poltrige Kerl auf einmal ganz still. Gedankenverloren malte er mit dem Fingernagel kleine Kringel und Striche auf die Tischdecke. »Ich hatte schon fast vergessen ...«
»... wie schön das Leben mit kleinen Kindern ist«, beendete ich seinen Satz eifrig. Ich konnte förmlich spüren, wie Charlotte mir anerkennend auf die Schulter klopfte. Endlich! Das Gespräch bewegte sich langsam in die richtige Richtung.
Achim sah mich überrascht an. »Das wollte ich eigentlich nicht sagen. Ich hatte schon fast vergessen, wie anstrengend das Leben mit einem Baby ist. Tag und Nacht Geschrei, kaum noch Schlaf, ganz zu schweigen von dem ganzen Zeug, das man immer mitschleppen muss, wenn man nur mal eben vor die Tür gehen will.«
»Mag sein«, gab ich ihm widerwillig recht. Am liebsten hätte ich den Kerl mal kräftig durchgeschüttelt. »Aber denk doch an all die wunderbaren Momente, das Glück und die Wärme, die entzückenden Speckringe an den Ärmchen, das erste Lächeln, das niedliche Glucksen – das entschädigt doch für alles«, zitierte ich Charlotte, in der vagen Hoffnung, Achim noch etwas Positives über sein Kind zu entlocken.
Doch Fehlanzeige.
»Hast du Kinder?«, fragte er lauernd.
Treffer. Versenkt.
»Nein«, antwortete ich wahrheitsgemäß. Damit hatte ich, wie Achim mir deutlich zu verstehen gab, jedes Recht auf Mitsprache bei diesem Thema verwirkt. »Das heißt, ich habe ein Patenkind«, versuchte ich den Mangel an leiblichen Kindern durch geliehene wettzumachen.
»Das ist nicht dasselbe.«
»Bereust du es, so spät noch mal Vater geworden zu sein?«, hakte Conrad, der sich langsam für das Thema zu interessieren begann, bei seinem alten Kumpel nach.
Am liebsten hätte ich Achim den Mund oder Conrad die Ohren zugehalten! Oder sicherheitshalber sogar beides. Aber noch war nicht alles verloren. Insgeheim hoffte ich, dass Achim jetzt noch mal die Kurve kriegen und uns versichern würde, dass er sich ein Leben ohne den kleinen Wurm gar nicht mehr vorstellen konnte.
Achim beugte sich leicht über den Tisch zu uns herüber und blies mir dabei eine Wolke seines alkoholgeschwängerten Atems ins Gesicht. »Ganz ehrlich?« Er senkte die Stimme und schaute sich um, so als habe er Angst, von irgendjemandem belauscht zu werden. Erst nachdem er sich vergewissert hatte, dass die Luft rein war, fuhr er fort: »Das war der größte Fehler, den ich je gemacht habe.«
Ruuuuhe! Ich wollte das alles gar nicht hören. Und vor allem wollte ich nicht, dass Conrad es hörte! Sein alter Segelkumpan wirkte so empfängnisfördernd wie ein Verhütungsmittel. Auf die Pille würde ich in den nächsten Wochen getrost verzichten können.
»Die Geburt hat alles verändert«, fuhr Achim fort. »Peng! Von einem Tag auf den anderen hat Sandy sich in ein richtiges Muttertier verwandelt. Früher war sie eine attraktive Frau, gut aussehend, sexy, na, ihr wisst schon, enge Röcke und tiefer Ausschnitt. Ein echtes Vollblutweib eben. Jetzt trägt Sandra immer bloß tagaus, tagein Jeans und T-Shirts.«
Als aufmerksamem Zuhörer war mir nicht entgangen, dass Achims zweite Frau nicht nur ihren Klamottenstil, sondern auch den Vornamen gewechselt hatte. Aus Sandy war Sandra geworden. Ich konnte mir nicht helfen: Irgendwie war mir das Muttertier Sandra wesentlich sympathischer als Sexy Hexy Sandy. Achim sah das wohl ein wenig anders. Er hatte es nicht besonders eilig, nach Hause zu Frau und Kind zu kommen. Trübsinnig starrte er in sein leeres Glas. »Wenn ich das geahnt hätte, wäre ich gleich bei meiner ersten Frau geblieben. Damit hätte ich viel Ärger und jede Menge Kohle sparen können.«
»Ach was«, versuchte Conrad ihn aufzumuntern. »Ich bin sicher, morgen siehst du das schon wieder ganz anders. Komm, jetzt trinken wir erst mal noch einen.«
Auf dem Weg zum Auto legte Conrad den Arm um meine Schultern und zog mich eng an sich. Ich machte mir nichts vor: Einer Parkuhr oder einer Litfaßsäule wäre in diesem Moment eine ähnlich liebevolle Behandlung zuteil geworden – vielleicht mit Ausnahme des Schmatzers, den Conrad mir auf die Haare drückte –, denn eigentlich suchte er nicht meine Nähe, sondern einfach nur irgendetwas zum Abstützen. Das leichte Schwanken verriet ihn. Kein Wunder – er hatte ja auch etliche Gläser Scotch intus.
»Sicher hattest du dir den Abend etwas anders vorgestellt, oder?«, nuschelte er undeutlich, als er sich mit meiner Hilfe auf den Beifahrersitz plumpsen ließ.
Aber nein! Wie kam Conrad nur darauf! Ich fand es toll, dass Achim ihm das Thema Nachwuchs so madig gemacht hatte. Nun musste ich wieder geradebiegen, was dieser Schwachkopf versaut hatte.
Während ich den Wagen startete, überlegte ich angestrengt, womit der Mangel an Schlaf, Beischlaf inklusive, aus Sicht eines Mannes wettzumachen war. Kinderfreibetrag und Kindergeld waren, wenn man Achim Glauben schenkte, wohl eher so eine Art Schmerzensgeld und sicherlich kein Anreiz, um Kinder in die Welt zu setzen. Erschwerend kam hinzu, dass Conrad bereits über einschlägige Erfahrung verfügte. Zwar hatte ich keine Ahnung, wie viel Freude Ilka ihren Eltern als kleines Mädchen bereitet hatte, aber wenn ich mir die Fürstin der Finsternis so anschaute, war ich mir sicher, dass dieses Kontingent längst aufgebraucht war. Von daher könnte ich es Conrad nicht einmal verübeln, wenn er die Familienplanung ein für alle Mal ad acta gelegt hätte. Wer einmal mit den Händen auf eine heiße Herdplatte gefasst hatte, war sicher nicht allzu erpicht darauf, es noch einmal zu versuchen ...
So oder so: Ich wollte endlich Klarheit haben. Jetzt sofort. Vielleicht war es gar nicht einmal so schlecht, dass Conrad ziemlich angesäuselt war. Kinder und Besoffene sagen die Wahrheit. O. K., dann war jetzt genau der richtige Moment, um Tacheles zu reden.
»Duuuu, Conrad?«
»Hmm?«
»Ich weiß, das ist jetzt vielleicht nicht ganz der ideale Zeitpunkt, aber eigentlich gibt es den idealen Zeitpunkt ja überhaupt nicht, und wenn es den idealen Zeitpunkt gäbe, dann wäre er ganz bestimmt nicht jetzt, ich meine, nach allem, was dein alter Freund Achim dir eben so erzählt hat.« Vor lauter Nervosität plapperte ich wie ein Wasserfall, die Worte purzelten ganz von allein immer schneller und schneller aus mir heraus. »Eigentlich wollte ich schon den ganzen Abend mit dir darüber reden, aber erst hat uns der Kellner gestört, und dann ist dein Freund Achim aufgetaucht. Na, wie auch immer, ich sage es jetzt einfach mal ganz offen: Was hältst du davon, wenn wir – also du und ich – ein Kind bekämen?«
Puh, jetzt war es raus. Was für eine schwere Geburt! Angesichts dieses Vergleiches hatte ich Mühe, ein nervöses Kichern zu unterdrücken. Angespannt umklammerte ich das Lenkrad und wartete auf Conrads Reaktion. Doch anstelle einer Antwort schlug mir nur eisiges Schweigen entgegen. Obwohl es im Auto muckelig warm war, begann ich zu frösteln.
Na toll, ich hätte es wissen müssen. Wahrscheinlich war Conrad jetzt stinksauer, dass ich ihn mitten in der Nacht – noch dazu nach einem feucht-fröhlichen Zechgelage – mit solch einem brisanten Thema überfiel. Ich traute mich nicht, ihn anzuschauen, und heftete meinen Blick starr auf die Fahrbahn.
Als ich das Schweigen, das wie eine unsichtbare Mauer zwischen uns stand, kaum noch ertrug, wurde die Stille endlich durchbrochen: Vom Beifahrersitz kamen laute Schnarchgeräusche. Mit halb geöffnetem Mund schlief Conrad seinen Rausch aus. Keine Ahnung, wie viel er von meinem Monolog mitbekommen hatte, aber offenbar war es ihm so ergangen wie mir gewöhnlich beim Sonntagabendkrimi: Den entscheidenden Teil hatte er verpennt.