Читать книгу Die Lavendelschlacht - Michaela Thewes - Страница 5

Eins

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Eingelullt von dem monotonen Gluckern und Blubbern der Kaffeemaschine, lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück und ließ den Blick träge durch die Redaktion wandern. Die gelb gestrichenen Räume waren dank der hohen Fenster zwar hell, aber weiß Gott nicht besonders groß. Chronischer Platzmangel war die Folge. Überall, auf dem Boden, auf den Tischen sowie auf sämtlichen anderen Möbelstücken, türmten sich Berge, ach was: ganze Gebirgsmassive aus Zeitschriften, und die Regale drohten unter einem Wust von Papier und Aktenordnern jeden Augenblick zusammenzubrechen.

Ein normaler Mensch würde bei diesem Anblick wahrscheinlich schreiend davonlaufen. Schon aus Angst um seine Sicherheit. Doch ich liebte dieses Chaos! Jeden Morgen dankte ich dem lieben Gott auf Knien, dass ich bei Diabolo arbeiten durfte. Teuflisch war lediglich der Name des Magazins, das wir fleißig und ziemlich erfolgreich mit Veranstaltungshinweisen, Reportagen sowie Klatsch und Tratsch aus der Region fütterten. Obwohl Diabolo nur einmal im Monat erschien, waren ruhige Nachmittage wie dieser dünn gesät, und so genoss ich es umso mehr, ausnahmsweise mal nicht unter Stress und Termindruck zu stehen. Am Schreibtisch gegenüber regte sich etwas. Hinter dem Computerbildschirm tauchte Fraukes dunkler Haarschopf auf, doch einen Moment später war er schon wieder in der Versenkung verschwunden.

Irgendwie war mir diese beschauliche Atmosphäre nicht ganz geheuer. Jetzt ein Tausendkalorienstückchen von Mamas Käsesahnetorte, und ich hätte schwören können, es wäre Sonntag. Kaum zu glauben, sogar das Telefon gab ganz gegen seine Gewohnheit nicht einen einzigen Mucks von sich. Eine Störung? Bestimmt war die Leitung tot. Vorsichtig hob ich den Hörer ab und lauschte auf das Freizeichen.

Hm, alles paletti.

Die Gunst der Stunde musste genutzt werden. Ob ich Thomas anrufen sollte, um mit ihm ein bisschen zu quatschen? Ich hatte Lust, seine Stimme zu hören.

Nein, besser nicht! Ich verwarf den Gedanken genauso schnell, wie er gekommen war. Mein Süßer konnte ausgesprochen sauer reagieren, wenn man ihn ohne triftigen Grund, wie etwa eine Herzattacke oder eine Feuersbrunst, von der Arbeit abhielt.

Unwillkürlich seufzte ich. Früher, ja früher, da war das anders gewesen. Stundenlang hatten wir uns irgendwelche verliebten Spinnereien ins Telefon gesäuselt. Aber man muss den Tatsachen ins Auge sehen: Nach sechs Jahren hat es sich ausgesäuselt. So ist das halt. Auch die Schmetterlinge im Bauch waren nach ein paar Bruchlandungen etwas flügellahm geworden. Dafür spürte ich das Kribbeln nun umso häufiger in meinem Arm, wenn Thomas es sich beim Fernsehgucken darauf gemütlich gemacht hatte. Aber was spielte das schon für eine Rolle? Ich liebte Thomas von ganzem Herzen. Nur das zählte. Er war der Mann, mit dem ich alt, und wenn es sich trotz qualvoller Aerobicstunden nicht vermeiden ließ, auch klapperig werden wollte.

Plötzlich übermannte mich eine heftige Sehnsuchtsattacke. Na bitte, wer sagt’s denn – und das nach sechs Jahren ... Vielleicht hatte der Lack im Laufe der Jahre ein paar Risse bekommen, aber ab war er noch lange nicht!

Gedankenverloren grapschte ich nach einem Bleistiftstummel und kritzelte ein Strichmännchen auf den Block, der, wie es sich für eine gute Journalistin gehörte, immer griffbereit neben dem Telefon lag.

Kopf, Bauch, Arme, Beine. Fertig.

Meinem Adam fehlte zwar noch ein entscheidendes Körperteil, aber das sah ich nicht so eng. Ein bisschen künstlerische Freiheit musste erlaubt sein. Und damit das arme Kerlchen sich nicht so einsam fühlte, malte ich gleich noch eins. Mein Schaffensdrang war kaum zu bremsen, der Stift sauste über das Papier.

Kritisch musterte ich das Ergebnis: Eva unterschied sich von Adam durch zwei pralle Rundungen, bei deren Anblick nicht nur ich, sondern auch Pamela Anderson vor Neid ganz grün geworden wäre. Ups, ich bin nun wirklich nicht prüde, aber irgendwie fand ich mein Gekritzel ein klein wenig zu anstößig.

O.k., das ließ sich ändern. Dem Herrn verpasste ich einen schmucken Frack nebst dazu passendem Zylinder. Und seine Begleiterin steckte ich kurzerhand in ein wallendes, bodenlanges Gewand.

Hach, was für ein schönes Paar!

Jetzt war ich richtig in Fahrt gekommen. Mit Hingabe feilte ich weiter an meinem Kunstwerk. Wie von selbst entstand unter meinen dilettantischen Fingern eine Kutsche, die Hundertwasser alle Ehre gemacht hätte: nicht ein einziger rechter Winkel. Und der Gaul, der das Gefährt ziehen sollte, war offensichtlich aus einem Kalb und einem Bernhardiner geklont worden. Nun, meine Talente lagen auf anderen Gebieten, tröstete ich mich.

»Tamtamtata, tamtamtata, ta tam tata ta!«, schmetterte es plötzlich in voller Lautstärke hinter mir. Unverkennbar der Hochzeitsmarsch.

Vor Schreck fiel ich fast vom Stuhl. Der Stift entgleiste, und ein Blitz zuckte mitten durch das Bernhardiner-Kalb und das glückliche Paar.

Wie ein ertapptes Sünderlein fuhr ich herum und blickte in Monas grinsendes Gesicht. Sie erinnerte mich an eine Katze, die soeben einer ganzen Mäusesippschaft den Garaus gemacht hat. Schaute das letzte Schwänzchen vielleicht noch raus? Feixend platzierte sie eine dampfende Tasse Kaffee vor meiner Nase und zog sich einen Stuhl heran, den sie, um sich setzen zu können, erst einmal entrümpeln musste. Achtlos pfefferte sie den Zeitschriftenstapel auf den Boden. Dann beäugte sie mit halb zusammengekniffenen Augen und schräg gelegtem Kopf mein Kunstwerk, so als wäre es ein echter Picasso oder das Machwerk eines anderen hochkarätigen Schmierfinks.

Das Ganze war mir hochnotpeinlich. »Wie, keine Milch?«, probierte ich, sie abzulenken, und hielt ihr vorwurfsvoll meine Tasse entgegen.

»Netter Versuch.« Mist, Mona konnte ich nichts vormachen. »Schätzchen, du trinkst deinen Kaffee schwarz, falls dir das kurzfristig entfallen sein sollte.« Sie durchbohrte mich mit anklagenden Blicken. »Also, Annette, wirklich, mir als deiner besten Freundin hättest du es ja wohl sagen können ...«

Ich war mir – ausnahmsweise mal – keiner Schuld bewusst. »Ja, Herrgott nochmal, was hätte ich dir sagen sollen? Dass ich nicht malen kann?«

»Blödsinn! Dass ihr heiratet natürlich!«

Mir verschlug es glatt die Sprache. Doch bevor ich mich wieder einigermaßen gefasst hatte, war Mona bereits aufgesprungen und drückte mich so fest an sich, dass mir die Luft wegblieb. Uff, vermutlich war meine Lunge jetzt platt wie eine Flunder.

»Mensch, ich freue mich so für dich!«

Schön, aber musste sie mich deshalb gleich umbringen?! Japsend rang ich nach Atem.

Aufgeschreckt durch den Tumult, lugte Frauke hinter dem Bildschirm hervor. »Mädels, gibt’s was zu feiern?« Die Neugierde stand ihr ins Gesicht geschrieben.

»Und ob! Annette und Thomas heiraten!«, posaunte ihr Mona die vermeintlich gute Nachricht über zwei Schreibtische hinweg entgegen.

Fraukes Reaktion war an Euphorie kaum zu überbieten: »Eeecht?« Sie zog das Wort wie ein altes, ekeliges Kaugummi in die Länge. »Ich hoffe, du weißt, was du tust, Annette.« Mit Sorgenfalten auf der Stirn gesellte sie sich zu uns und schwang sich seufzend auf meinen Schreibtisch. »In der Ehe pflegt gewöhnlich einer der Dumme zu sein. Nur wenn zwei Dumme heiraten – das kann mitunter gut gehn.«

Sie ließ uns etwas Zeit, um diese unerhörte Erkenntnis sacken zu lassen. »Ist nicht von mir, ist von Tucholsky.«

Frauke war ein wandelndes Zitatenlexikon. Bevor sie uns mit weiteren Lebensweisheiten beglücken konnte, war es wohl an der Zeit, hier etwas richtig zu stellen. Dringend. »Mona, so Leid es mir tut, und Frauke, nur zu deiner Beruhigung: Ich werde nicht heiraten.« So, das war also geklärt.

Mit weit aufgerissenen Augen starrte Mona mich an. »Du willst nicht?«

»Doch natürlich will ich. Irgendwann.« Ein heikles Thema. Nervös wickelte ich eine blonde Strähne um meinen Finger und begann darauf herumzunuckeln. Furchtbare Angewohnheit. »Falls Thomas mich jemals fragt ... «

Mona lachte erleichtert. »Ach, wenn’s weiter nichts ist. Das ist doch bei euch nur noch eine reine Formsache. Nach sechs Jahren! Wart’s ab, früher oder später wird er dir schon einen Antrag machen.«

Na, die hatte gut reden! Mit ihren achtundzwanzig Lenzen. In letzter Zeit beschlich mich immer häufiger der Verdacht, dass die Dreißig kein Alter, sondern ein Verfallsdatum war. Rein biologisch betrachtet.

»Früher wäre mir aber lieber als später. Ich bin immerhin zweiunddreißig. Höchste Zeit, sich über die Familienplanung Gedanken zu machen.«

Fraukes sorgenvolle Gesichtszüge entspannten sich. Vom Heiraten hielt sie nicht viel, von Kindern dafür umso mehr. Ihr kleiner Sohn Tillmann war ihr Ein und Alles. Seit ein paar Monaten drückte der kleine Rabauke die Schulbank und brachte die Lehrer, wie Frauke uns mit stolzgeschwellter Brust berichtet hatte, mächtig auf Trab. Ich konnte mir das lebhaft vorstellen. Live und in Farbe. Die gebeutelten Lehrkörper hatten mein volles Mitgefühl. Dennoch dachte ich nicht im Traum daran, sie zu schonen. Die Mischung aus Thomas’ und meinen Genen versprach ebenso interessant wie hochexplosiv zu werden. Aber bis unser Sprössling mal eingeschult würde, war der eine oder andere Pauker sicherlich schon in den wohlverdienten Ruhestand entlassen worden.

»Ich will ein Kind!«, verlieh ich meinem Wunsch nach einem kleinen Lakritzemonster lautstark Ausdruck. Im Augenblick benahm ich mich selbst wie eins. Und zwar wie ein ziemlich verzogenes. Haben wollen!

Frauke, die sich mit dieser Art von Dickköpfigkeit besser auskannte, als ihr lieb war, hob beschwichtigend die Hände. »Schon gut, schon gut. Aber deshalb musst du doch nicht heiraten. Hurrikans, Herpes, Haifische, Halbfettmargarine – es gibt so viele schreckliche H-Wörter. Du als Journalistin müsstest das eigentlich am besten wissen. Allerdings ist Heiraten mit Abstand das schlimmste. Und wofür der ganze Aufstand? Dieser dämliche Wisch ist auch keine Garantie, dass Thomas dich nicht mit dem Wurm sitzen lässt. Sieh mich an, mein Exmann hat sich aus dem Staub gemacht, bevor ich den neuen Nachnamen fehlerfrei schreiben konnte.« Frauke machte eine kurze Pause zum Luftholen. »So gesehen müsste ich ihm auch noch dankbar sein. Wysznewski – grauenvoller Name.« Sie schüttelte sich angewidert. Nach der Scheidung hatte Frauke ihren Mädchennamen wieder angenommen, womit das Rechtschreibproblem zwar vom Tisch war, eine Menge anderer Probleme jedoch ungelöst blieben.

Aus der Seitentasche ihrer Hose kramte Mona ein Päckchen Zigaretten hervor und bot mir eine an. Alles in mir lechzte nach einem Glimmstängel, meine Finger zuckten. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Oh, diese Gier! Ich war kurz davor zuzugreifen. Nein, du bleibst standhaft, beschwor ich mich und kratzte die letzten kläglichen Reserven meiner Willenskraft zusammen.

Satan weiche!

Schweren Herzens lehnte ich ab.

Mona schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Oh, sorry. Wie blöd von mir! Ich vergess immer, dass du aufgehört hast.« Was sie aber nicht davon abhielt, sich genüsslich eine Zigarette anzuzünden und einen tiefen Zug zu nehmen. Gespielt gleichgültig polierte ich meine eh schon funkelnde Armbanduhr auf Hochglanz. Pah, sollte sie sich doch die Gesundheit ruinieren, wenn sie das unbedingt wollte.

Verdammt, scheiß auf die Gesundheit! Eine Zigarette würde einen schon nicht umbringen, oder?

Ohne etwas von meinen Seelenqualen zu ahnen, paffte Mona stillvergnügt vor sich hin. Meine Freundin war mir lieb und teuer, aber in diesem Moment hätte ich sie ohne mit der Wimper zu zucken lynchen können.

»Was willst du denn nun? Heiraten oder Kinder kriegen?«, fragte Frauke mit mütterlicher Strenge in der Stimme. Eis oder Schokolade? Pokémon oder Sesamstraße? Hopp, hopp, jetzt entscheide dich endlich!

»Beides!« Am liebsten hätte ich mit dem Fuß auf den Boden gestampft. Warum sich mit ein paar Krümeln begnügen, wenn man den ganzen Kuchen haben kann? Trotzig nippte ich an meiner Kaffeetasse.

»Und, wo liegt da das Problem?«

Mona war offensichtlich etwas schwer von Begriff. Ha, wahrscheinlich vernebelten die Nikotinstängel nicht nur die Luft, sondern auch das Gehirn!

»Das sagte ich doch bereits.« Hörte mir zur Abwechslung auch mal einer zu? »Thomas kommt einfach nicht aus dem Quark. Er fragt mich nicht. Letztes Jahr zum Beispiel, dieser Wahnsinnsurlaub auf den Malediven, das wäre die Gelegenheit gewesen. Sternklarer Himmel, Meeresrauschen, außer uns kein Mensch am Strand weit und breit – einfach traumhaft! Wie gemacht für einen romantischen Heiratsantrag. Und stattdessen hat Thomas die halbe Nacht damit verplempert, irgendwelche Wagen und Tiere am Himmel zu suchen.« Wütend attackierte ich meine unschuldige Schreibtischschublade mit Tritten. »Ich sage euch, der fragt mich nie!«

»Dann frag du ihn doch.«

»Wie bitte?!« Das konnte doch nicht ihr Ernst sein!

»Ich sagte: Dann frag du ihn doch!« Aus Monas Mund klang das wie das Selbstverständlichste von der Welt. Wie mal eben um die Ecke gehen und Brötchen kaufen. »Nirgendwo steht geschrieben, dass nur der Mann um die Hand seiner Angebeteten anhalten darf. Wo bleibt denn da die viel gepriesene Emanzipation?«

Frauen dieser Erde, vereinigt euch und schleppt eure Kerle vor den Traualtar! Irgendwie hatte ich mir unter Emanzipation immer etwas anderes vorgestellt.

Sogar Frauke begann sich für den Gedanken zu erwärmen und pflichtete Mona, wenn auch ein wenig verhalten, bei. Wer hätte das gedacht! Abgründe taten sich hier auf. Im Kampf um die Gleichberechtigung war sie sogar bereit, eine Hochzeit als notwendiges Übel billigend in Kauf zu nehmen.

Aber vielleicht hatten die beiden ja Recht. Warum warten, bis der gnädige Herr selbst auf die Idee kam? In manchen Dingen waren Männer nun mal Spätzünder.

Jetzt kam ich doch ins Grübeln.

Im ersten Moment hatte ich Monas Vorschlag für völlig abwegig gehalten, entsprach er doch nicht im Entferntesten der verklärten, in rosarote Zuckerwatte gepackten Vorstellung von meinem Traumprinzen, der mich auf Knien anflehte, seine Frau zu werden. Aber wenn ich nicht komplett daneben lag, würde Thomas weder auf dem Boden rumrutschen noch um mein Patschhändchen betteln. Vermutlich hätte das ohnehin nur zu Lachkrämpfen geführt. Nüchtern betrachtet war die Sache klar: Wir gehörten zusammen wie Bonny & Clyde oder wie Bernhard & Bianca. Was spielte es da schon für eine Rolle, wer wen fragte. Eine reine Formalität, die ich, ganz Frau der Tat, meinem Bernhard auch abnehmen konnte.

Ich holte tief Luft und gab mir einen Ruck. »Gut, ich werd’s tun.«

Jauchzend sprang Mona von ihrem Stuhl auf.

»Freu dich mal nicht zu früh«, bremste ich sie. »Zur Strafe – schließlich hast du mich auf diese verrückte Idee gebracht – verdonnere ich dich zur Trauzeugin.«

»Viel zu gerne!« Sie strahlte wie ein überdüngter Primeltopf. »Schön, dass du mich gefragt hast.« Eigentlich war es keine Frage gewesen, sondern ein Befehl, doch mit solchen Feinheiten hielt Mona sich nicht lange auf. »Ich wäre nämlich tödlich beleidigt gewesen, wenn du es nicht getan hättest. Natürlich aus purem Egoismus – man kann ja nie wissen: Vielleicht springt dabei von deinem Glück ein Funke auf mich über.«

Ich wünschte es ihr von ganzem Herzen. Es war wirklich zum Mäusemelken. Obwohl Mona einer der fröhlichsten, hübschesten, intelligentesten – kurzum liebenswertesten Menschen unter der Sonne war, hatte sich Mr. Right einfach noch nicht blicken lassen. Weit und breit war kein Mann in Sicht, mit dem sie sich vorstellen konnte, den Kleiderschrank, geschweige denn ihr Leben zu teilen. An fehlenden Angeboten lag das nicht. Ganz im Gegenteil: Mona konnte sich vor Verehrern kaum retten. Sogar das Schlangestehen nahm die liebeskranke Meute für die Aussicht auf ein Date mit ihr in Kauf. Und das war es auch, was die meisten von ihnen bekamen: die schöne Aussicht. Wenn Mona sich dann doch mal zu einer Verabredung hinreißen ließ, pickte sie sich mit sicherer Hand die Nieten heraus.

»Was ist denn mit deinem Verehrer aus der Volkshochschule?« Immerhin tat dieses Exemplar etwas für seine Bildung. Ein viel versprechender Anfang. »Wäre der denn nichts?«

Mona machte eine wegwerfende Handbewegung. »Noch so ein Störfall. Ich glaube, der Spanischkurs ist ihm zu Kopf gestiegen. Mittlerweile hält er sich für Don Juan oder zumindest für genauso unwiderstehlich. Typischer Fall von Selbstüberschätzung. Na ja, ihr wisst doch, wenn man ’ne Null groß genug schreibt, wird daraus auch ’ne große Nummer.« Grimmig starrte sie vor sich hin. »Wenn ich mit den Kerlen doch nur mal halb so viel Glück hätte wie du mit Thomas. Apropos ... « Schon lachte sie wieder. »Wie soll deine Hochzeit denn über die Bühne gehen?«

Da brauchte ich gar nicht lange zu überlegen. »Na, das volle Programm eben.«

»Das volle Programm«, echote Frauke so ungläubig, als hätte ich mir vorgenommen, mit dem Schlauchboot Kap Hoorn zu umrunden.

»Das volle Programm!«, bestätigte ich gut gelaunt. »Polterabend, Standesamt, Kirche, Sektempfang, alles, was dazugehört!«

»Annette, Annette, ist dir überhaupt klar, auf was du dich da einlässt? Allein schon, was das kostet: jede Menge Zeit, Geld und Nerven.«

Dieses Risiko musste ich eingehen. Wie unzählige meiner Geschlechtsgenossinnen hatte ich als junges Mädchen bei Sissi-Filmen Rotz und Wasser geheult. Vor allem bei dieser sagenhaft romantischen Hochzeit, wo es mich vor Rührung schier zerriss. Gut, der Geschmack ändert sich mit der Zeit: Ein paar Kilo Kitsch und ein paar Meter Rüschen weniger wären auch ganz o.k., aber der Traum von einer Hochzeit in Weiß mit allem Zipp und Zapp bleibt einem wie Kaugummi an den Sohlen kleben.

Frauke versuchte hartnäckig, mir meine Sissi-Phantasien madig zu machen. »Wenn du A einlädst, muss auch B eine Einladung erhalten.«

»Na und, was macht das bei einer solchen Feier schon großartig aus?«, erhielt ich von Mona Rückendeckung. Dankbar blinzelte ich ihr zu.

»Ganz einfach: nämlich C. Und C wiederum ... Ja, und so geht das dann das ganze lange Alphabet rauf und leider auch wieder runter. Vertraut mir, ich weiß, wovon ich rede. Schließlich habe ich den ganzen Zirkus schon mal mitgemacht. Oder wenn ich bloß an das Problem mit der Tischordnung denke ... Um Gottes willen! Onkel Alfred durften wir nicht neben Tante Josephine setzen. Die beiden vertragen sich nicht. Streng genommen verträgt sich Onkel Alfred, dieser alte Stinkstiefel, aber mit niemandem. Also wohin mit ihm?«

Ich schluckte. Ein ähnliches Dilemma würde uns mit Thomas’ Mutter blühen. Plötzlich begannen heftige Zweifel an mir und meinem Sissi-Traum zu nagen. Ob Thomas von so viel Tamtam überhaupt begeistert wäre? Mein Ehemann in spe bevorzugte bei Festivitäten in aller Regel die schlichtere Variante.

Nun, kein Problem! Das war ein Grund, aber kein Hindernis. So schnell ließ ich mich nicht ins Bockshorn jagen. Dann würden wir eben einen Kompromiss finden! Basta.

Gerade hatte ich diesen versöhnlichen Entschluss gefasst, da erschien Bernd auf der Bildfläche. Chefredakteur, Herausgeber von Diabolo und Fels in der Brandung – alles in Personalunion. Auch wenn die ganze Redaktion schon lange im Chaos versunken war, Bernd behielt die Ruhe. Wie ein Kapitän steuerte er das Boot bei stürmischer See in den sicheren Hafen. »Ihr habt wohl nichts zu tun, hm?«, fragte er gespielt vorwurfsvoll.

Ihm ging es genauso. Grinsend schaufelte er sich ein Plätzchen frei.

Keine zwei Minuten später kam auch Josch anscharwenzelt. Bis auf Mausi, unsere Praktikantin, die in der Stadt ein paar Besorgungen erledigte, war das Team nun komplett. »Ich dachte, unsere Krabbelgruppe wäre erst morgen. Habe ich was verpasst?« »Und ob!« Frauke ignorierte meinen drohenden Blick und ließ die Katze aus dem Sack. Toll, am besten setzte ich die Neuigkeit, die eigentlich noch gar keine war, gleich in den Stadtanzeiger oder erzählte sie brühwarm meiner Friseuse. Alle waren jetzt über meine Heiratsabsichten informiert. Mit Ausnahme des Bräutigams. Der erfuhr als Letzter von seinem Glück.

Bernd freute sich über meine Pläne. »Hach, na endlich! Dann bin ich bald wenigstens nicht mehr der Einzige, der in dieser Redaktion kein Lotterleben führt. Ich dachte schon, ich wäre spießig.« Zufrieden schaute er in die Runde.

»Bernd, du bist spießig!«, riefen alle wie auf Kommando im Chor.

Unser Boss schien das als Kompliment aufzufassen und lächelte versonnen. Er hatte auch allen Grund dazu, denn er führte ein Leben wie aus dem Bilderbuch. Ein Häuschen im Grünen, ein wohlgeratener Hund, zwei stubenreine Kinder, ein liebendes Weib, das ihm jeden Morgen klaglos seine Butterbrote und Essiggurken eintupperte. Na, der sollte es wagen, sich zu beschweren!

»Wie man so hört, liegen Babys derzeit mehr im Trend als Handys.« Bernd lächelte harmlos. So ein Schlitzohr. Die Wände hatten Ohren, und zwar seine. »Also sag mir bitte rechtzeitig Bescheid, wenn ich meine Lieblingsredakteurin verliere, versprochen?«

»So, so, Lieblingsredakteurin.« Ich verdrehte die Augen. »Liegt das daran, dass du meinen Schreibstil so brillant findest, oder hängt deine Begeisterung für mich eher damit zusammen, dass ich deine einzige Redakteurin bin?«

In der Tat gab es bei Diabolo nur einen fest angestellten Schreiberling mit Sozialversicherungsausweis und Knebelvertrag. Und das war ich. Darüber hinaus bediente sich Bernd je nach Bedarf und Belieben einer Schar von freien Mitarbeitern, die in regelmäßigen Abständen an seiner Tür kratzten und um Aufträge winselten.

Josch schlug in die gleiche Kerbe wie Bernd. Seine Augen dackelten um die Wette. »Wie soll mein zartes Ego bloß verkraften, dass du diesen Häuslebauer mir vorziehst?« Er strotzte geradezu vor Selbstbewusstsein, und sein Ego machte auf mich einen äußerst strapazierfähigen Eindruck. Kein Wunder, denn der liebe Gott hatte sich bei ihm mächtig ins Zeug gelegt und ihn mit einem Astralkörper und jeder Menge Charme ausgestattet. Vor allem dieses kleine niedliche Grübchen, das Josch beim Lachen auf seine Wange zauberte, war ein echter Hingucker und ließ Frauenherzen reihenweise dahinschmelzen.

»Annette-Schatz, überleg dir das mit der Hochzeit nochmal. Das willst du mir doch nicht wirklich antun! Oder kannst du es verantworten, dass ich an gebrochenem Herzen sterbe?« Theatralisch fasste Josch sich an die Brust und mimte den sterbenden Schwan.

Vor Lachen bekam ich Seitenstiche. Was Josch wiederum dazu veranlasste, seine dramatische Inszenierung auf die Spitze zu treiben.

»Spar dir die Energie, Sunnyboy. Bei Annette beißt du dir deine karieszerfurchten Zähnchen aus«, verpasste Mona ihm schnippisch einen Dämpfer. »Du hast es doch eben gehört: Die Frau ist so gut wie verheiratet. Weg vom Markt. Capito?«

Plötzlich war Josch wieder höchst lebendig. »So gut wie. Aber noch ist sie es ja schließlich nicht! Die Schlacht ist erst verloren, wenn sie vor dem Altar steht oder«, er warf einen schnellen Blick auf meinen Schreibtisch, »in einer Kutsche sitzt.«

O Mann, zu blöd aber auch, warum hatte ich den Block nicht rechtzeitig verschwinden lassen?!

Josch pfiff durch die Zähne. »Bist du das wirklich?« Unverhohlen musterte er meine Oberweite. Dem Vergleich mit den prallen Melonen auf dem Bild würden meine Brüste wohl nicht standhalten.

Ich musste lachen. »Klar bin ich das. Mit mindestens drei Wonderbras übereinander!« Man konnte Josch einfach nicht böse sein. »Wie schön, dass es euch Männern bei einer Frau nur auf die inneren Werte ankommt.«

Wir alberten noch eine Weile herum, bis Bernd vorschlug, eine Flasche Sekt zu köpfen, die er eigens für solche Anlässe im Kühlschrank gebunkert hatte. Die Idee stieß auf allgemeine Zustimmung.

»Nein, ohne mich!« Ich wollte kein Spielverderber sein, aber heute Abend brauchte ich noch einen klaren Kopf. Rasch schaute ich auf die Uhr. Überhaupt, was saß ich hier eigentlich noch tatenlos rum? Das hatte ich schon viel zu lange getan. Jetzt wurde es Zeit, dass ich mein Schicksal endlich mal selbst in die Hand nahm. Mona hatte wirklich Recht. Warum sollten immer die Männer die Initiative ergreifen? In welchem Jahrhundert lebten wir denn? Selbst ist die Frau. Jawohl!

Hastig verabschiedete ich mich von meinen lieben Kollegen, stürmte mit fliegenden Mantelschößen aus der Redaktion und schwang mich in meinen Fiesta. Unter Missachtung sämtlicher Verkehrsregeln brauste ich gut gelaunt Richtung Heimat.

»Love is in the air!« Voller Inbrunst trällerte ich den uralten Song aus dem Radio mit. Ich hätte die ganze Welt umarmen können und suhlte mich genussvoll auf Wolke sieben. »Love is in the air!« Keinen blassen Dunst, wie der Text weiterging. Egal – Mut zur Lücke. Das hatte sich seit nunmehr zweiunddreißig Jahren bewährt.

Während ich wieder und wieder den hoffnungsvollen Refrain schmetterte, versuchte ich mir Thomas’ Gesicht vorzustellen, wenn ich ihm die alles entscheidende Masterfrage stellen würde. Erst verdutzt und dann überglücklich. Oder sofort glücklich? Mein Herz machte einen aufgeregten Hüpfer. Voller Ungeduld und Vorfreude trat ich das Gaspedal durch und schoss mit Tempo fünfzig plus Mehrwertsteuer auf die nächste Kreuzung zu. Just in diesem Moment sprang die Ampel von Orange auf Rot um.

Ich rang mit mir. Vollbremsung oder nicht?

Ach was, Augen zu und durch! Rote Ampeln werden in der heutigen Gesellschaft sowieso überbewertet, versuchte ich mein schlechtes Gewissen in Schach zu halten, während ich über die Kreuzung bretterte.

Tschakaaaa!

Heute war ich auf der Überholspur!

Die Lavendelschlacht

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