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„Wir, der Staat, Hitler und Himmler, tragen die Verantwortung. Ihr Ärzte seid nur die Werkzeuge.“

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Der Nürnberger Kodex

Wie kann ein Arzt zum Peiniger werden? Wie kann ein Mann, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Patienten zu heilen, sich entscheiden, sie leiden zu lassen? Die Experten, die im prunkvollen Justizpalast in einem der wenigen nicht völlig zerstörten Stadtteile Nürnbergs über rund 20 angeklagte Ärzte zu urteilen hatten, haben sich diese Fragen zweifellos oft gestellt. Es ist Ende 1946. Der Nürnberger Prozess, der von November 1945 bis Oktober 1946 dauerte, ist gerade zu Ende gegangen, als wiederum in Nürnberg das Verfahren gegen die Ärzte eröffnet wird. Die Aufgabe der Experten ist alles andere als einfach: Sie müssen urteilen über Taten, die Verstand und Gefühl augenblicklich als Abgrund des Grauens erkennen: das unermessliche, unvorstellbare Grauen von Menschenversuchen.

Kurz vor dem Ende des „großen“ Nürnberger Prozesses – dem der Nazi-Prominenz – richtete die Behörde für die Verfolgung von Kriegsverbrechen eine |12|Expertenkommission für die Untersuchung der NS-„Medizin“ in den Lagern ein. An der Spitze der Kommission stand Clio Straight, ein Mann, dessen Aufrichtigkeit seinem Namen Ehre machte. Er sammelte Dokumente, Beweismaterial und Zeugenaussagen – viele, erdrückende Zeugenaussagen. Als abscheulichsten Gräuel deckt er auf, dass die NS-Ärzte nicht nur töteten, sondern Menschen unvorstellbare Qualen zufügten, die schrecklicher waren als selbst die Gaskammern. Die Mitglieder der Kommission und später ihre Zuhörer erfahren, dass Sigmund Rascher bei Unterkühlungsversuchen in Dachau Häftlinge in Eisbecken quälte, dass in Buchenwald und Natzweiler Menschen absichtlich mit Fleckfieber, Cholera und anderen Krankheiten infiziert wurden, dass man in Ravensbrück Frauen die Knie brach, um Experimente an ihren Muskeln durchzuführen, dass Mengele in Auschwitz unbehelligt seine Fantasien zur Zwillingsforschung ausleben durfte. Im Prozess fehlt Mengele allerdings, denn er konnte flüchten und versteckt sich – Ironie des Schicksals – bei Prozessbeginn unweit von Nürnberg in Bayern mit Hilfe seiner Angehörigen, fliegt später nach Lateinamerika und stirbt dort 1979 eines natürlichen Todes. Während Rascher noch im „Dritten Reich“ getötet wurde, können andere wie Oskar Schröder, Siegfried Ruff und Konrad Schäfer in letzter Minute gefasst werden, als sie schon wieder ein neues Leben führen und für … die US-Luftwaffe arbeiten. Doch ob abwesend, verstorben oder verschwunden – die Verbrechen der Peiniger leben in den Anklageschriften weiter. Für den Augenblick reicht das.

|13|Auf der Anklagebank sitzen rund zwanzig Mediziner aus verschiedenen Fachgebieten, unterschiedlichen Alters (zum Zeitpunkt des Verfahrens zwischen 35 und 62 Jahren): vier Chirurgen (Karl Brandt, Fritz Fischer, Karl Gebhardt, Paul Rostock), drei Hautärzte (Kurt Blome, Adolf Pokorny, Herta Oberheuser), vier Bakteriologen (Siegfried Handloser, Joachim Mrugowsky, Gerhard Rose und Oskar Schröder), ein Internist (Wilhelm Beiglböck), ein Radiologe (August Weltz), zwei Allgemeinmediziner (Waldemar Hoven, Karl Genzken), ein Genetiker (Helmut Poppendick) und vier Luftfahrtmediziner (Hermann Becker-Freyseng, Wolfgang Romberg, Siegfried Ruff und Konrad Schäfer). Die Ärzteschaft ist also mit allen Sparten vertreten. Herta Oberheuser ist als einzige Frau dabei, doch das entspricht im Großen und Ganzen den damaligen Zahlenverhältnissen in der Medizin. Sie alle haben nichts Außergewöhnliches an sich, sind Spiegel ihrer Epoche.

In meinem Arbeitszimmer hängen Fotos einiger von ihnen. Manchmal betrachte ich sie lange und versuche zu verstehen, was sie zu Folterknechten machen konnte, was in ihrer Persönlichkeit, ihrer Geschichte eine physikalische Reaktion mit jener bestialischen Zeit eingehen und diese unfassbare chemische Verbindung bilden konnte, die einen Arzt in einen Mörder, einen Forscher in einen Killer verwandelte.

Auch wenn es sich um eine vorgefasste Meinung handelt, die uns nur beruhigen soll, besonders alle, die wie ich der Ärzteschaft angehören, möchte man nur zu gern meinen, diese großen Kriminellen seien |14|kleine Ärzte gewesen. Man möchte meinen, es seien gescheiterte Existenzen, dumme praktizierende Ärzte gewesen, die unter dem Einfluss von Umfeld und Ideologie von der Gunst der Stunde und der Abgeschiedenheit der Lager profitierten, um Erfinder zu spielen: Sie handelten auf Befehl, konnten frei schalten und walten, und das hieß in diesem Fall, Experimente direkt am Menschen durchführen und dabei entgegen den medizinischen Richtlinien sämtliche Zwischenschritte überspringen. Die Leitlinien waren zwar damals nicht so ausführlich und fest umrissen wie heute, aber es gab sie. Probanden mussten freiwillig ihr Einverständnis zu einem Experiment erklären. Das war so eindeutig, dass viele Ärzte Selbstversuche vorzogen.

Heute erfolgen Versuche grundsätzlich zunächst an Geweben, dann an Klein- und später an Großtieren, dann erst an einer umfangreichen Stichprobe gesunder Probanden und ganz zuletzt an Kranken, und zwar im Rahmen von Doppelblindstudien, damit weder Patient noch Arzt durch den Placeboeffekt beeinflusst werden. Dieser vorgeschriebene Ablauf kostet Zeit, enorm viel Zeit: Zwischen der Idee eines Forschers und dem Endergebnis können Jahrzehnte liegen. In Kriegszeiten, wenn die Menschen in Massen sterben, wenn abgeschossene Flieger im Meer erfrieren, dann erscheint diese Zeitspanne manch einem unnötig lang. Dass dies ein Trugschluss ist, akzeptiert jeder Mediziner. Wenn aber die vorherrschende Ideologie empfiehlt, „geradeaus“ zu denken, und Himmler Wissenschaftler auffordert: „Nur zu, experimentieren Sie!“, dann haben Männer wie Rascher kaum noch Skrupel, Gefangene |15|in Eiswasser zu tauchen! Generell wünscht man sich, die Ärzte des Bösen seien in erster Linie einfach schlechte Ärzte gewesen, Opfer ihrer Zeit, so mittelmäßig, dass sie bösartig wurden. Bei den intelligenteren oder begabteren unter ihnen beruft man sich auf Wahnsinn: Mengele war geisteskrank. Dabei studierten die meisten von ihnen an den damaligen großen Hochschulen Deutschlands, die in vielen Fachgebieten hohes Ansehen genossen, auch in der Medizin. Außerdem ließen sich viele hochrangige Ärzte nicht lange bitten, persönlich bei den Experimenten dabei zu sein. Auf zeitgenössischen Fotos sehen die Ärzte des Bösen wie ganz normale Mediziner aus.

Ihre Experimente waren zudem völlig nutzlos – so eine weitere vorgefasste Meinung. Gewiss waren ihre Versuche methodologisch nicht „reproduzierbar“ und statistisch nicht repräsentativ (weil die Stichprobe „zu klein“ war). Außerdem ergab sich fast nichts, was man nicht schon vorher wusste, sei es über Unterkühlung, Meskalin, die Trinkbarkeit von Meerwasser, die Abheilung offener Wunden oder den Verlauf von Infektionskrankheiten (bis zum Tod). Doch auch wenn diese Ergebnisse nicht verwertbar waren, heißt das noch lange nicht, dass sie nicht verwertet wurden.

Besonders aufschlussreich sind für mein Verständnis die Argumente, die diese Ärzte im Prozess zu ihrer Verteidigung vorbrachten. Natürlich halte ich sie nicht für stichhaltig, aber sie spiegeln ihre eigene Wahrheit und die Geschichte, die sie anderen weismachen, vielleicht sogar an erster Stelle selbst glauben wollten. Gewiss versuchten sie, ihre Haut zu retten, aber möglicherweise |16|auch ihre Seele. Sieben Argumente brachten sie vor: das Unzeitgemäße des Hippokratischen Eids, die Vergleichbarkeit mit US-Versuchen, die Verantwortlichkeit des totalitären Hitler-Regimes, die Uneigennützigkeit der Forscher, den Wunsch, das Schicksal der Menschheit zu verbessern, den begrenzten Nutzen von Tierversuchen und die Gelegenheit für die Häftlinge, sich von begangenen Verbrechen freizukaufen. Bis zum heutigen Tag ruft man allen angehenden Ärzten, allen angehenden Medizinern den Eid des Hippokrates in seiner modernen Form ins Bewusstsein.

Bei meiner Aufnahme in den ärztlichen Berufsstand gelobe ich feierlich, den Geboten der Ehre und Redlichkeit treu zu sein.

Das oberste Gebot meines Handelns soll es sein, die Gesundheit in all ihren körperlichen und geistigen, individuellen und sozialen Facetten wiederherzustellen, zu erhalten oder zu fördern.

Ich werde alle Patienten, ihre Autonomie und ihren Willen respektieren, ohne jegliche Diskriminierung wegen ihres Standes oder ihrer Überzeugungen. Ich werde mich bemühen, sie zu schützen, wenn sie geschwächt, verletzbar oder in ihrer Unversehrtheit oder ihrer Würde bedroht sind. Selbst unter Zwang werde ich meine Kenntnisse nicht im Widerspruch zu den Geboten der Menschlichkeit einsetzen.

Ich werde die Patienten über beabsichtigte Entscheidungen, ihre Gründe und ihre Konsequenzen informieren. Ich werde ihr Vertrauen niemals missbrauchen und die den Umständen geschuldete Macht nicht ausnutzen, um eine Haltung zu erzwingen.

|17|Ich werde jeden behandeln, der meine Hilfe braucht und darum bittet. Ich werde mich nicht durch die Gier nach Geld oder das Streben nach Ruhm beeinflussen lassen.

Wenn man mich ins Vertrauen zieht, werde ich über die mir anvertrauten Geheimnisse Stillschweigen bewahren. In den Häusern werde ich die Privatsphäre respektieren und durch mein Verhalten nicht die dort herrschenden Sitten verderben.

Ich werde alles tun, um Schmerzen zu lindern. Ich werde den Sterbeprozess nicht über Gebühr verlängern. Niemals werde ich absichtlich den Tod herbeiführen.

Ich werde die nötige Unabhängigkeit bewahren, um meine Aufgabe zu erfüllen. Ich werde nichts tun, das meine Kompetenzen übersteigt. Ich werde mein Wissen erhalten und mehren, um die von mir verlangten Leistungen bestmöglich erbringen zu können.

Ich werde meinen Kollegen und ihren Familien in Notlagen beistehen.

Mögen die Menschen und meine Kollegen mir ihre Achtung entgegenbringen, wenn ich diesem Gelöbnis treu bin; möge ich entehrt und verachtet sein, falls ich dagegen verstoße.

Ein wunderbarer Text, auch wenn sich Wissenschaft und Gesellschaft weiterentwickelt haben, seit das Original im 5. Jahrhundert v. Chr. auf Altgriechisch verfasst wurde. Im Jahr 1939 unterwirft in Deutschland wie anderswo allein dieser Text Ärzte einer bestimmten Ethik – auch diesen Begriff verdanken wir griechischen Denkern. Und das ist der Grund, warum die Verteidiger diese schönen Worte verdrehen und verfälschen, bis ihr Sinn ihnen genehm ist. Schon |18|das stellt ein Verbrechen gegen die Ärzteschaft dar! Ihr erstes Argument lautet, im Eid des Hippokrates stehe ja nichts von Experimenten, deshalb seien Ärzte dabei aller ethischen Bedenken enthoben. Der Satz: „Ich werde alle Patienten, ihre Autonomie und ihren Willen respektieren“, spricht zwar für sich, doch die Verteidigung kontert, Häftlinge seien schließlich keine Patienten, sondern Gefangene, Kriminelle, und deshalb sei der Arzt nicht durch den Eid gebunden, vor allem, wenn es ihm darum gehe, „die Gesundheit in all ihren Facetten zu fördern“. Dies ist in der Tat eines der Bravourstücke im Prozess: Mit ihren Versuchen an Lagerhäftlingen, mit Praktiken, die eher mit Folter als mit Wissenschaft zu tun haben, verfolgen die Ärzte nur ein Ziel: Leiden zu lindern und die Menschheit voranzubringen. Als weitere Glanzleistung fragt die Verteidigung: „Was täten Sie, wenn in der Stadt die Pest grassiert, und Sie könnten 5000 Menschen retten, indem Sie fünf töten?“ Was wie eine hehre griechische Tragödie klingt, ist völlig absurd, denn wie der US-Experte Andrew Ivy sagte, würde kein Arzt sein Gewissen mit dem Tod Unschuldiger unauslöschlich beflecken. Doch in jener wahnsinnigen Zeit sind diese fünf Unschuldigen nur Untermenschen, denn die Menschheit beschränkte sich auf die „arische Rasse“. An dieser Stelle kommt ein weiteres Argument ins Spiel: der Einfluss der NS-Ideologie. Dem war die Ärzteschaft in besonderem Maße unterworfen, denn schon lange vor Kriegsausbruch war die Medizin von der Eugenik geprägt. Später dann war gerade die Medizin mit Blick auf die Rassenhygiene dem Regime wichtig. Schon |19|sehr früh hatte man allen Ärzten jüdischer Abstammung Berufsverbot erteilt und zahlreiche ihrer Stellen mit angehenden Ärzten besetzt. Die Ärzte waren die Berufsgruppe mit den meisten Parteimitgliedschaften. Ein weiteres Argument zugunsten der Angeklagten bringt Fritz Fischer vor: Er beruft sich auf eine regelrechte „Entpersönlichung“. Gewiss erfolgten die Versuche im Krieg, und die Ärzte trugen entweder Kittel oder Uniform. Fischers Aussage ist bezeichnend: „Ich war zu dieser Zeit nicht der in seinen Entschlüssen freie Zivilarzt, sondern […] [hatte] als zum Gehorsam verpflichteter Soldat zu handeln.“ Er sagte weiter, dass 1942 „der Einzelne nicht mehr das Recht, ja nicht mehr die Möglichkeit [gehabt] hätte, aufzubegehren, denn sein Schicksal war das Schicksal der Gesamtheit.“ Als Individuum in einem freien Staat hätte er nicht getan, was er tat, aber in Kriegszeiten in einem totalitären Staat gebe es Situationen, in denen „der Einzelne sich dem Befehl des Staats fügen musste“. Er habe sich „in der gleichen Situation stehend“ empfunden, […] in der [ein] Soldat einen Torpedo gegen ein Schiff abschießen muss“. Wichtig war ihm, dass sein Motiv für das Geschehene nicht Grausamkeit gewesen sei, sondern „das Motiv der Verwundetenhilfe“. Ich musste zum Glück nie Soldat sein, aber ich kann mir kaum vorstellen, jemand könne völlig ohne Grausamkeit Männer stundenlang in eisiges Wasser tauchen und dabei beobachten. „Aber das waren doch Freiwillige!“, erinnert uns die Verteidigung. In der Tat hatten die Lagerärzte vielen ihrer Versuchskaninchen – ich scheue mich, sie Patienten zu nennen – Hafterleichterungen |20|versprochen. Gewiss überlebten nur wenige, und im Übrigen war es ja nun einmal nicht Sache des Arztes nachzuprüfen, ob seine Kollegen in der Verwaltung das dann auch veranlassten. Schließlich hatte jeder seinen Arbeitsbereich, nicht wahr?

Einige dieser Argumente wären zum Lachen, wenn sie nicht eher zum Weinen, zu Wut und Ekel reizten. Das Übelste ist zweifellos die Berufung darauf, Tierversuche seien ja nicht erlaubt gewesen. Als direkte Konsequenz von Hitlers Hang zum Vegetarismus war es ab 1933 gesetzlich untersagt, Tieren Schmerzen oder Misshandlungen zuzufügen. Indem sie Menschen quälten, schonten die Ärzte also Tiere, wie es das Gesetz verlangte. Sie waren nur Ausführende: „Ihr Ärzte seid nur die Werkzeuge“, sagte Himmler. Außerdem hätten sie ja nicht aus Eigennutz gehandelt. Das stimmt, denn die Experimente brachten keinen roten Heller ein, zumindest nicht während des Krieges.

Das heikelste Argument betrifft die in den USA durchgeführten Höhenversuche. Dreist behaupten die deutschen Forscher, sie hätten sich sogar mehr um die Gesundheit ihrer Versuchsteilnehmer gesorgt als ihre Kollegen auf der anderen Seite des Atlantiks. Dr. Siegfried Ruff beispielsweise kennt sich in der Methodik der amerikanischen Versuche bestens aus: In der US-Army seien die gleichen Trainingstests bei 12.000 Metern mit Soldaten durchgeführt worden, genauso wie in der deutschen Luftwaffe; dort habe es mehrere Todesfälle gegeben, in Deutschland jedoch nicht, denn die Amerikaner hätten die Flugzeugbesatzungen eine Stunde lang auf 12.000 Metern gelassen, während es |21|bei ihren eigenen Versuchen nur 15 Minuten gewesen seien. Rudolf Brandt, persönlicher Referent Himmlers, erinnert daran, Unterkühlungsversuche in den USA hätten sechs Todesfälle zur Folge gehabt. Sie seien anschließend Gegenstand von Publikationen gewesen, auf die sich die US Air Force stützte. Abschließend erklärt er noch dreist, dank der in Dachau durchgeführten Experimente hätten sie ihre eigenen Forschungsarbeiten um mehrere Jahre vorziehen können. Sein Anwalt präsentiert daraufhin ein Exemplar der Zeitschrift Life vom 4. Juni 1945, das über Malaria-Experimente in drei Zuchthäusern berichtet, wo „als Staatsfeinde Inhaftierte bei der Bekämpfung anderer Staatsfeinde behilflich sind“. Er fragt: „Was halten Sie von der Zulässigkeit solcher Experimente?“ Die beiden US-Gutachter Andrew Ivy und Leo Alexander haben etwas Mühe, die Schuldzuweisung abzuwehren, aber sie brauchen nur daran zu erinnern, dass im Fall der amerikanischen Versuche das schriftlich erklärte „freiwillige Einverständnis“ galt.

Schließlich prangern die Angeklagten noch das ethische und juristische Vakuum in Bezug auf Menschenversuche an und bedauern, dass es dazu keine einschlägigen Gesetze gab. Dr. Kurt Blome, stellvertretender Leiter der Reichsärztekammer, verkündet, er habe vorgehabt, nach dem Krieg eine gesetzliche Regelung für Experimente am Menschen durchzusetzen, denn er habe eine Versuchsreihe über Krebs geplant, dem die Nazis regelrecht den Krieg erklärt und dabei einige grundlegende Entdeckungen gemacht |22|hatten (darunter die Verknüpfung zwischen Lungenkrebs und Tabakrauch).

„Eine gesetzliche Regelung für Experimente am Menschen durchzusetzen“ – dieser Wunsch ist der einzige, über dessen Erfüllung ich mich freue. Nach Abschluss des Prozesses wurde nämlich der „Nürnberger Kodex“ ins Leben gerufen und einige Jahre später verbessert und ergänzt. Er schuf die Grundlagen für die Bioethik und regelt, was Menschen im Rahmen von Humanversuchen zugemutet werden darf. Und er führte das Konzept der Zustimmung nach Aufklärung ein; es basiert nicht nur auf den Fragen der Ankläger, sondern auch auf dem, was die Angeklagten zu ihrer Verteidigung vorbrachten. Heute ist die „informierte Einwilligung“ ein Grundsatz der Medizinethik.

Könnte man also sagen, das Übel habe so auch sein Gutes gehabt? Pessimisten und Optimisten werden sich anhand der folgenden Seiten hierzu ihre eigene Meinung bilden.

Hippokrates in der Hölle

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