Читать книгу Wen immer wir lieben (Immer-Trilogie - Band 1) - Michelle Schrenk - Страница 11

KAPITEL 2

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»Hier, der Erste. Was meinst du, wäre der was? Oder nicht Bad Boy genug? Wobei, er hat einen Hund im Arm, der kann so bad nicht sein. Männer, die tierlieb sind, haben einfach ein gutes Herz.«

Ich lachte. »Die armen Plüschknäuel werden nur für Klicks missbraucht. Da wird vor nichts zurückgeschreckt. Oder kennt ihr den Kerl, der dauernd seine Mutter postet?«

Emma nickte. »Ja, kenn ich. Oder der Typ, der etliche Haustiere hat. Alles sehr beliebt im Netz. Nennt man den Knuddelfaktor, hab ich im Marketing-Seminar gelernt. Ich müsste das für Instagram eigentlich auch viel mehr nutzen. Wollen wir uns einen Hund holen, Lina? Oder ’ne Katze? Hauptsache irgendwas mit Fell.« Emma sah aufgeregt zu mir, doch ich schüttelte den Kopf, obwohl ich wusste, dass sie in Gedanken bereits ein Haustier für uns besorgt hatte.

»Nein, bestimmt nicht. Kauf dir einen Teppich.« Ich grinste sie an.

»Schade. Aber was ist denn jetzt mit dem Kerl?«

»Der sieht mir nur wie eine Sechs aus. Nicht brauchbar für die Challenge.« Ich wischte ihn weg.

»Und der hier? Was ist mit dem? Mike, 22, hart, härter, ich.« Sicher nicht so hart wie die Musik, die aus den Boxen hämmerte. Wir schauten uns noch weitere Profile an, die alle nicht infrage kamen, und bestellten eine weitere Runde Aperol, was uns zusehends in Laune versetzte. Langsam wurde meine Zunge schwer.

»Der ist mir zu primitiv.« Ohne Pardon wischte ich auch ihn weg. »Ein bisschen Niveau sollte der, der mich verführen will, schon haben«, ergänzte ich zwinkernd.

Ein weiterer Typ wurde auf dem Display angezeigt. »Oh mein Gott. Der, ja, der!«, rief Kati und deutete auf den Kerl.

Ben, 24. Die braune Lederjacke lässig geöffnet, lehnte er an einer Wand. Seine Haare waren ebenfalls braun, an den Seiten kurz und oben etwas länger. Der Blick aus seinen dunklen Augen war undurchdringlich tief, was ihm einen Touch von Unnahbarkeit verlieh. Ich sah mir weitere Fotos von ihm an. Beim Sport, in der Stadt, mit Freunden, auf einem Motorrad – natürlich. Immer top gestylt. Auf einem war er oben ohne mit durchtrainiertem Körper zu sehen. Er konnte zeigen, was er hatte, und das wusste er. Auf dem nächsten Bild hatte er die Augen weit geöffnet, den Blick in die Kamera gerichtet, und eine kleine Narbe an seiner Wange war deutlich zu erkennen. Je länger ich ihn betrachtete, umso mehr hatte ich das Gefühl, dass er mir irgendwie bekannt vorkam. Aber woher bloß?

»Der, Emma! Schau mal, der ist heiß.« Aufgeregt hielt Kati Emma das Handy hin.

»Oh hallo, Mister Bad Boy. Jackpot! Der ist ja perfekt, wie einem Roman entsprungen«, stimmte Emma ihr zu und zappelte dabei unruhig auf ihrem Hocker herum.

In diesem Augenblick lief eine Gruppe Jungs an uns vorbei zur Theke. Schlagartig wurde mir bewusst, warum dieser Ben mir so bekannt vorkam. Er war der Kerl, den ich vorhin schon an einer Säule lehnend im Club gesehen hatte. Und den wir eindeutig als Aufreißer identifiziert hatten.

»Mal im Ernst, ist das nicht der Kerl, der da steht?«, fragte ich nun auch etwas aufgeregt und deutete mit dem Kopf in die Richtung der Jungsgruppe. Neugierig wandten die beiden ihre Blicke zu ihm.

Kati nickte eifrig. »Das ist er, tatsächlich.«

»Krass, das ist ja echt der Kerl von Tinder«, pflichtete Emma ihr bei. »Das ist dieser Ben. Ganz sicher!« Sie beugte sich nach vorn und da passierte es.

»Nein!« Ich versuchte noch, sie daran zu hindern, doch es war schon zu spät. Sie hatte auf das kleine Sternchen getippt und verpasste ihm damit ein Superlike. In mir begann es, heftig zu pulsieren.

Emma grinste. Ich schwitzte. »Doch, meine Liebe. Er ist der perfekte Bad Boy. Der wird’s, Lina, der und kein anderer.« Das Pulsieren wurde stärker und schließlich zu einer unabwendbaren Gewissheit.

»Echt jetzt?«, stieß ich hervor.

»Ja! Der ist einfach nur heiß und weist alle deine sogenannten Alarmsignale auf. Er hat eine Narbe, ist supersportlich, fährt Motorrad und er ist ganz nah. Ist das nicht irgendwie Schicksal? Superlike eben.« Kati lachte und linste wieder in seine Richtung. Nun, ich hatte in Sachen Schicksal eigentlich andere Vorstellungen, aber gut. Verstohlen linste nun auch ich in seine Richtung und tatsächlich, kurze Zeit später zückte er sein Handy, betrachtete das Display und begann, darauf herumzutippen. Ob er das dämliche Superlike entdeckt hatte?

Schon wurde mir auf meinem Handy eine neue Nachricht angezeigt.

»Tinder!«, rief Emma und schnappte es sich. »Match mit Ben. Aaah! Wie verdammt genial ist das denn bitte? Okay, das ist jetzt wirklich Schicksal, zumindest für die Challenge.« In meinem Bauch begann es zu kribbeln.

»Nicht dein Ernst?«, hakte Kati aufgeregt nach und klopfte dabei so heftig auf den Tisch, dass ich mein Glas festhalten musste. Doch es war ihr Ernst. Emma hielt uns das Display unter die Nase: Ben und ich hatten ein Match.

»Das ist ein Zeichen. Los! Schreib ihm, dass du im Club bist und ihn siehst«, schlug sie aufgeregt vor.

Aber ich schüttelte den Kopf. »Nein, das kommt doch total psycho. Als hätte ich ihn die ganze Zeit beobachtet.«

Emma kicherte. »Na ja, wenn man es genau nimmt, haben wir das ja auch.«

»Aber das muss er doch nicht wissen«, entgegnete ich verschwörerisch. Noch immer kribbelte es in meinem Bauch.

»Das ist echt Vorsehung!«, bekräftigte sie noch einmal.

»Wie oft willst du das jetzt noch sagen? Vorsehung, Schicksal … Du hörst dich schon an wie Mamas Freund, wenn er mit seinen Kristallen spricht. Hallo, wo sind hier die Realisten?«, rief ich in den Raum.

Kati deutete auf mich. »Ich würde mal sagen, eine sitzt hier – im Spitzentop und unübersehbar.« Sie lachte. »Los, Lina. Was willst du schreiben? Hast du schon eine Idee? Irgendwas musst du tun. Die Challenge könnte sofort starten!«

»Nein, ich …« Keine Ahnung, was ich sagen wollte. In meinem Kopf ratterte es. Sie hatten recht, ich könnte gleich loslegen. Was hielt mich noch zurück? Während ich darüber nachdachte, was ein guter Text wäre, bekam ich schon die nächste Meldung. Es war eine Nachricht von Ben: Hey, wie ich merke, hast du ein Auge auf mich geworfen.

Emma und Kati grinsten, als ich den Text laut vorlas. »Ist doch nett«, meinte Emma.

»Ist ja wohl total arrogant«, erwiderte ich. »Oder hat er uns etwa gesehen?« Ich blickte mich um. »Ehrlich gesagt würde ich am liebsten gleich schreiben, dass ich mich verdrückt habe, aber …«, ich atmete tief durch und sah die beiden an, »es gibt eine Challenge und ihr wollt, dass sie startet, also …« Ich tippte etwas in das Nachrichtenfeld ein und legte das Handy danach wieder so hin, dass die beiden meinen Text lesen konnten.

»Dein Profil sieht nett aus. Und ich mag, dass du so sportlich bist. Okay, alles blöd … Du bist mir einfach aufgefallen, als ich dich gesehen habe«, las Kati vor und musterte mich anschließend mit zusammengekniffenen Augen. »Und du meinst, das zieht? Wirklich? Das ist ja mal oberlangweilig. Wo ist die coole Lina abgeblieben?«

»Hallo, ich bin ein Bad-Boy-Opfer«, antwortete ich, während ich meinen Blick noch einmal über die Zeilen wandern ließ. Vielleicht hatte sie recht. Und da kam mir eine Idee. »Okay, wartet.« Ich begann, hektisch zu tippen, und schickte den Text diesmal ab, bevor ich ihn meinen Freundinnen zeigte.

»Kann gut sein. Vielleicht mehr als das, sieh dich vor. Augen auf«, las Emma vor. »Das hast du geschrieben? Wie genial!« Sie rieb sich die Hände.

»Jap. Und jetzt gehe ich gleich weiter auf Angriff. Der Arme, er wird sich noch wünschen, mich niemals gematched zu haben.« Grinsend sah ich zu Ben, der auf sein Handy starrte.

»Er liest es«, raunte Emma uns gespannt zu. Ich beobachtete, wie sich auch sein Mund zu einem Grinsen verzog. Schließlich tippte er etwas und kurz darauf machte mein Handy wieder Pling.

»Ach ja? Wie soll ich das verstehen?«, las ich dieses Mal vor und das Kribbeln weitete sich auf meinen gesamten Körper aus.

»Uh!«, zischte Kati. »Jetzt geht’s los, Emma!«

Emma verpasste mir einen Knuff in die Seite, der mich zusammenzucken ließ. »Geh hin, alles auf Angriff!«

Sanft rieb ich mir über die Stelle. »Moment. Erst noch eine Nachricht.« Ich tastete nach meinem Handy und schrieb: Das wirst du gleich merken. Pass nur auf.

Sofort begannen die Mädels zu kichern. »Was hast du vor?«, wollte Emma wissen, und als ich nicht gleich antwortete, ergänzte sie: »Jetzt sag schon!«

Ich lehnte mich auf meinem Hocker zurück. »In den klassischen Bad-Boy-Good-Girl-Geschichten würde das Mädchen jetzt an ihm vorbeigehen, tollpatschig stolpern und ihn dabei anrempeln. Die beiden würden sich tief in die Augen schauen. Doch dann wäre er ziemlich eklig zu ihr, schließlich hält er sich für den geilsten Typ auf Erden, sie würde sich tausendmal entschuldigen – und zack, sie wäre auf seinem Radar …«

Die beiden sahen mich fragend an. »Und?«

Ich stand auf. »Genau das tue ich jetzt auch. Damit mache ich ihn auf mich aufmerksam. Und«, ich zupfte mein Oberteil zurecht, »er wird anbeißen.« Ich zwinkerte den beiden zu.

»Wuhu, Baby!«, rief Kati, während Emma in die Hände klatschte. »Du ziehst das echt durch!«

Ich nahm noch einen Schluck von meinem Aperol, stellte ihn auf den Tresen und ließ mit einem Grinsen meinen Kopf kreisen. »Aber so was von. Wie gesagt, der Arme tut mir jetzt schon leid.«

Schwungvoll wandte ich mich um und steuerte direkt auf Ben zu, der nun ein bisschen weiter entfernt mit einer Bierflasche in der Hand an einer Wand lehnte. Bunte Lichter tanzten über sein Gesicht, das er dem Handy in seiner Hand zugewandt hatte. Während ich mich mit pochendem Herzen durch die Menge schob, versuchte ich, mich auf meinen Plan zu konzentrieren, schließlich musste ich gleich gegen ihn stolpern. Cool sein, aber irgendwie auch nicht. In den Büchern wirkte das immer so leicht, da stolperte ständig irgendein Mädchen in irgendeinen Kerl rein. Und es funktionierte. Doch ich merkte, wie meine Handflächen zu schwitzen begannen. Plötzlich erstarrte ich: Was zur Hölle tat ich hier? Wie hatte ich mich von Emma und Kati so bequatschen lassen können? Ich atmete einmal tief ein und aus und versuchte, mich zu beruhigen. Denn wenn ich in den letzten Jahren eines gelernt hatte, dann war es die Tatsache, dass man sich niemals von der Angst steuern lassen durfte. Ich sollte mir einfach nicht so viele Gedanken machen. Es würde schon klappen, ich bekäme das hin. Stolpern, Aufmerksamkeit erhaschen, nett sein, vielleicht ein bisschen schüchtern. Und mal ehrlich, diese Bad Boys konnten doch überhaupt nicht anders, als anzubeißen. Das würde bei Ben genauso sein.

Gut, wenn ich so darüber nachdachte, hörte es sich ziemlich merkwürdig und auch irgendwie peinlich an. Aber jetzt war es sowieso schon zu spät, ich steckte mittendrin in der Misere und würde es durchziehen. Schließlich zog ich alles durch, was ich angefangen hatte. Ich atmete noch ein letztes Mal tief durch und setzte mich schließlich wieder in Bewegung.

Aus dem Augenwinkel sah ich Ben. Er strich sich durchs Haar und ließ seine Hand anschließend auf seinem Nacken liegen. Seine Bilder hatten nicht zu viel versprochen, auch in echt sah er ausgesprochen gut aus. Ich ging etwas näher heran, wankte leicht nach links, was mir nicht schwerfiel – dem Aperol sei Dank –, und dann in seine Richtung. Keine Sekunde später ließ ich mich tatsächlich in seine Arme fallen. In Büchern wurde das alles immer wie in Zeitlupe beschrieben, die beiden versanken im Blick des jeweils anderen, spürten sich gegenseitig … Hier war es nicht so. Der Aufprall fiel deutlich heftiger aus als gedacht, sodass Ben das Bier aus der Hand fiel. Dabei sah er in etwa so verwirrt aus wie ein Eichhörnchen, dem die Nuss geklaut wurde, und ließ mich dadurch unwillkürlich an Scrat aus Ice Age denken.

»Ups«, sagte ich leise, als es schepperte, und biss mir dabei auf die Lippe, um ein Kichern zu unterdrücken. Schnell richtete ich mich wieder auf. Ich musste jetzt ganz ruhig bleiben, seine Muskeln betrachten und sanft mit den Fingern darüberstreichen – oder so was in der Art. Komm schon, Lina, das muss jetzt noch drin sein.

»Mein Bier«, hörte ich Ben verärgert sagen, ließ mich aber davon nicht beirren. Stattdessen wanderten meine Hände über seine Brust, ich spürte den rauen Stoff, darunter die Wärme seines Körpers, und hob langsam den Kopf. Was nun? Ich könnte mir auf die Unterlippe beißen. Leicht, lasziv, verführerisch. Oder war das albern? Vielleicht später, dachte ich und entschied mich erst einmal für einen – wie ich vermutete – sinnlichen Augenaufschlag. Bens Blick traf auf meinen, das warme Braun seiner Augen vermischte sich mit meinem Blau. Einen Moment lang hielt ich den Atem an. Die tanzenden Menschen um uns herum stoppten in ihren Bewegungen und die sonst so laute Musik hörte ich nur noch leise im Hintergrund. Sein Blick veränderte sich. Ich glaubte, Neugier darin aufblitzen zu sehen. Doch schon im nächsten Moment war alles vorbei.

»Augen auf. Hab ich dir ja geschrieben«, sagte ich, als ich wieder in der Gegenwart angekommen war, woraufhin er mich fragend ansah. Sollte ich beleidigt sein, weil er mich nicht erkannte? »Tinder. Gerade eben.« Wusste er das echt nicht mehr? Zumindest regte sich nichts in seinem Gesicht. Schon wieder schob sich Scrats Gesicht vor seins.

»Ah, du bist es«, riss er mich aus meinen Gedanken, wirkte aber weiterhin unbeeindruckt. Wie nett.

»Ja, ich bin es. Von eben«, versuchte ich es noch einmal.

»Die mir geschrieben hat, ich solle meine Augen offen halten?«

Fragte er mich das jetzt ernsthaft? Hatte ich doch gerade überdeutlich gesagt. Aber war ja klar, ich war sicher nicht die Einzige, mit der er in den letzten Minuten geschrieben hatte.

»Kann sein«, antwortete ich etwas trotzig.

Er musterte mich. »Vielleicht hättest du besser mal deine Augen aufgemacht. Du hast nämlich mein Bier verschüttet …« Ich bewegte mich nicht. Ben zeigte auf die Flasche, die noch immer auf dem Boden lag. »Darf ich die mal aufheben? Oder bist du noch beschäftigt?« Seine Worte klangen leicht verärgert.

»Mit was?«

»Mit tatschen?«

Noch immer lag meine Hand auf seiner Brust – einer äußert gut gebauten Brust, wie ich zugeben musste. »Ähm, erstens, ich tatsche nicht, und zweitens, ja, meinetwegen. Aber ist eh leer, oder?«, erwiderte ich unbeeindruckt.

Er hob eine Augenbraue. »Wahrscheinlich.« Ich musste endlich meine Hand da wegnehmen. Unangenehm.

»Darf ich dann jetzt oder was hast du hier vor?« Sein Tonfall wirkte inzwischen nicht mehr nur verärgert, sondern auch ziemlich genervt.

Eilig trat ich zurück, während er nach unten zu der Flasche vor seinen Füßen blickte.

»Ja, ich weiß, ich bin so tollpatschig, ich sollte besser aufpassen. Also, bevor du jetzt gleich loslegst und den Arroganten spielst: Sorry, ehrlich. Wobei … Bei den Muskeln müsstest du eine Flasche doch eigentlich halten können, streng genommen war es also nicht meine Schuld.« Die letzten beiden Sätze waren mir einfach so herausgerutscht. Ups. Der Aperol.

Er wandte mir wieder das Gesicht zu. »Was?« Ich begann, mir das Gehirn zu zermartern. Hätte ich mich doch lieber weiter entschuldigen sollen? Was hatte ich da noch mal gelesen? Wenn ich ihn um den Finger wickeln wollte, musste ich das schüchterne Mädchen von nebenan spielen. Schüchtern war schließlich mein zweiter – oder eher dritter – Vorname.

»Ähm, ja, sorry.« Ich beschloss, nun die Lippen ins Spiel zu bringen. Ich biss verführerisch – wie ich glaubte – auf meiner Unterlippe herum und stammelte verlegen: »Sorry, echt. Und deine Muskeln sind super, so richtig … hart.« Ich kniff in seinen Arm.

Auf einmal begann er, mich vom Kopf bis zur Taille zu mustern. Es war so weit, Jackpot! Er hatte angebissen. Schnell zupfte ich erneut an meinem Shirt und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

»Riesengroßes Sorry.«

»Schon gut, ist ja nur ’ne Flasche Bier.«

Ich nickte. Ich verstand sowieso nicht, warum bei einem Zusammenstoß immer so ein Drama veranstaltet wurde.

»Eben«, rutschte es mir da auch schon heraus.

Er hob eine Augenbraue. »Trotzdem war das nicht so cool.« Fassung wahren, Lina.

»Ja, total uncool. Was können wir denn da jetzt machen?«

Ben runzelte die Stirn. »Wie meinst du das?« Moment, wie war noch mal der Plan? Ihn anrempeln, abchecken, Sorry sagen, nett sein. Auf alle Fälle seine Aufmerksamkeit erregen.

»Na ja, wir könnten zusammen ein Bier trinken. So als Entschuldigung«, versuchte ich es.

»Nee, schon okay.« Wie bitte? Etwas perplex schaute ich ihn an.

Er ging in die Knie, um die Flasche aufzuheben. Ich beugte mich ebenfalls hinunter – etwas zu schnell für diesen Abend – und geriet ins Wanken. Rasch hielt ich mich an ihm fest. Oh, oh, der Aperol. Zugegeben, ich hatte leichte Koordinationsschwierigkeiten.

Als ich mich wieder aufgerichtet hatte, versuchte ich es erneut: »Ich mache dir einen Vorschlag: Ich gebe dir ein Bier aus, so kriegst du dein Getränk wieder und ich kann mein schlechtes Gewissen etwas beruhigen.« Ben sah einen Moment lang zu mir hoch und wirkte dabei, als könnte er sich nicht entscheiden, doch dann schüttelte er den Kopf. »Ist schon okay. Ich hol mir später eins.« Er winkte ab und erhob sich wieder. »Pass einfach das nächste Mal besser auf.« Eine bessere Steilvorlage gab es ja wohl nicht. Ein Satz, wie er in einem Buch oder Film nicht typischer vorkommen könnte. Ich musste mich bremsen.

»Pfff«, kam es mir dennoch über die Lippen.

»Was?«

»Nichts.« Besser schnell wieder verletzlich wirken. Ich sollte meine große Klappe echt in den Griff kriegen. »Nichts, wirklich. Ganz im Ernst: Tut mir sehr leid mit deinem Bier. Echt. Ich wollte nicht dein Getränk verschütten. Also sorry.« Ich versuchte es mit einem unschuldigen Augenaufschlag. »Ich weiß, ich sollte besser aufpassen. Du hast ja so recht.«

Ben verschränkte die Arme vor der Brust. »Veräppelst du mich gerade?« Mist. War das zu auffällig gewesen? Er sagte nun gar nichts mehr, sondern nickte nur. In meinem Kopf ließ ich noch einmal Stufe eins Revue passieren. War ich zu nett gewesen? Oder nicht nett genug? Sollte er sich nicht noch mehr aufregen? Was könnte ich nun sagen?

»Und jetzt?«, fragte ich also etwas zögerlich.

»Was jetzt? Nichts.« Er klang immer genervter.

»Bist du echt beleidigt? Ich hab doch Sorry gesagt und das, obwohl es nicht mal meine Schuld war. So war das doch gar nicht geplant.«

Er zog die Stirn kraus, doch dann breitete sich langsam ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. »Ich sag doch, nichts. Alles gut.« Warum grinste er denn jetzt? »Du wolltest also zu mir? Hast mich erst auf Tinder entdeckt, dann hier. Rempelst mich mit Absicht an. Und jetzt … willst du verrückten Small Talk?« Mit Absicht? Verrückter Small Talk?

Sein Grinsen wich einem durchdringenden Blick. Perfekt! Er fand mich also interessant. Oder verrückt, wie auch immer. Jedenfalls schien er irgendetwas an mir zu finden. Hauptsache Aufmerksamkeit. So lief es doch bei den Stars auch. Alles für den Fame. Und bei mir alles für die Challenge. Wuhu! Hatte ich gerade ernsthaft Wuhu! in meinem Kopf gerufen? Wie peinlich. Nie mehr Aperol.

Mit einem Mal rückte er ein Stück näher an mich heran und sofort strömte mir sein Duft in die Nase. Herb und unheimlich gut. »Also, trinken wir jetzt was zusammen? Du willst es ja anscheinend unbedingt. Mir ein Bier ausgeben oder so.« Für einen kurzen Moment hatte er mich aus dem Konzept gebracht, doch ich wusste, dass es funktionieren würde. Cool bleiben, Lina.

Ich zog eine Augenbraue nach oben. »Will ich das?«

»Kommt so rüber«, meinte er. Dabei lag sein Blick noch immer intensiv auf mir.

»Klar denkst du das jetzt, klappt auch sonst sicher immer gut. Mit deinen Muskeln, der verwegenen Lederjacke und der geheimnisvollen Narbe an deiner Wange.«

»Offensichtlich hat es gereicht, um dich auf einer Dating-App anzufixen«, konterte er. »Sogar mit Superlike.« Ich schmunzelte in mich hinein. Der war gut.

»Na ja«, begann ich und biss mir auf die Unterlippe. Immer wieder zog ich leicht mit den Zähnen daran. Das machte ihn sicherlich wild.

»Na ja was?«

»Na ja, da könntest du recht haben.«

Einen Moment lang sah er mich noch an, bevor er die Hand hob und sie mir reichte. »Lina also?«

»Jap, Lina.« Ich legte meine Hand in seine und spürte ein sanftes Kribbeln an den Stellen, an denen sich unsere Hände berührten.

»Nur mal ’ne Frage am Rande. Ist alles okay, Lina? Hast du irgendwie was genommen?«

Ruckartig zog ich meine Hand zurück. »Was? Wieso?«

»Du redest so wirr. Willst ein Bier mit mir trinken, dann wieder nicht. Und jetzt starrst du mich an. Und was ist das überhaupt die ganze Zeit mit deiner Lippe?«

»Warum? Was soll damit sein?«

»Du kaust dauernd darauf rum. Ist das eine Art Tick oder so was?« Fragend hob Ben eine Augenbraue.

»Soll das witzig sein? Also wirklich, das … das … verletzt mich jetzt schon.« Ich versuchte, verletzt zu wirken, woraufhin er schnell einen Schritt zurücktrat. Ich setzte noch einen drauf: »Was, wenn ich wirklich ’nen Tick hätte? Also einen krankhaften? Echt jetzt. Schon mal was von Diskriminierung gehört?«

Er runzelte die Stirn. »Hast du denn einen? Also, außer den mit der Lippe und den Koordinationsschwierigkeiten.«

»Nicht witzig!«

»Irgendwie schon.« Ein kleines Grinsen huschte über sein Gesicht.

»Ich sag ja nur. Hättest mich ja total treffen können mit dieser Aussage«, entgegnete ich schmollend.

»Okay, ich glaub, du brauchst ’ne Pause.« Ben machte Anstalten, sich abzuwenden. »Ich geh dann mal.« Echt jetzt? Er ließ mich einfach stehen? Mist, so sollte das aber nicht laufen.

Schnell hielt ich ihn zurück. »Warte! Na gut, ich … ich …versuche nur, sexy zu sein.«

Er stoppte und sah mich an. Sein Blick verriet mir, dass er mit dieser Antwort nicht gerechnet hatte. »Du findest es also sexy, wenn du gegen jemanden stößt, wirres Zeug redest, auf der Lippe herumkaust und ihn unbeholfen antatschst?« Als wäre es genau so abgelaufen …

»Ich tatsche dich an?« Ich ging einen Schritt auf ihn zu.

»Ganz richtig, das hast du vorhin getan.« Ben rückte nach. Ganz dicht standen wir plötzlich voreinander.

»Das wünschst du dir vielleicht«, erwiderte ich und tippte dabei mit dem Zeigefinger gegen seine Brust.

Er blickte auf meine Hand, die ich sofort wieder wegzog. »Das ist nicht tatschen«, berichtigte ich ihn, »ich hab dich nur angestupst.«

»Ah, entschuldige. Du willst mich also anstupsen und sexy schauen. Wenn es dir hilft … bei was auch immer. Also, bis dann.« Er hob nun wieder die Hand, diesmal zum Abschied. Was sollte ich jetzt tun? Wenn er mich für verschroben hielt, wäre die gesamte Challenge zum Scheitern verurteilt. Ich blickte mich nach Emma und Kati um, deren Gesichter mir verrieten, dass sie das Gleiche dachten wie ich.

»Sorry, ich bin einfach nervös«, gab ich kleinlaut zu und suchte seinen Blick. Das war nicht mal gelogen. Die ganze Sache war doch etwas verrückt geworden und lief in eine völlig verkehrte Richtung. Ich steckte fest. Wenn Nettsein nicht funktionierte, musste ich mir wohl etwas anderes überlegen. Und außerdem: Wenn jemand ging, dann ich. Also probierte ich es auf die toughe Schiene: »Na ja, ich hab’s versucht, trotzdem sorry noch mal! Man sieht sich.« Mit diesen Worten wandte ich mich ab und ließ ihn stehen. Hinter mir hörte ich ihn irgendetwas murmeln, drehte mich aber nicht mehr zu ihm um.

Nach ein paar Schritten siegte jedoch die Neugier in mir. Ich blieb kurz stehen und warf einen Blick über die Schulter zurück. Mein Blick traf seinen. Wuhu, doch nicht alles verloren! Ich musste unbedingt mit diesem Wuhu aufhören. In diesem Augenblick schüttelte er grinsend den Kopf. Mist, sah doch nicht so gut aus. Noho.

»Und?«, fragte Emma, als ich wieder bei ihr und Kati am Tresen saß. »Sah ja … interessant aus. Stufe eins erfolgreich absolviert?« Sie veräppelte mich, eindeutig.

»Die Antennen sind aktiviert, der Bad Boy hat mich auf dem Schirm. Check!«, antwortete ich siegessicher, obwohl ich in diesem Moment alles andere als überzeugt davon war.

Kati lachte. »Wirklich? Wirkte eher etwas … na ja, cringy.«

»Gut, okay, es war die totale Katastrophe«, gab ich schließlich stöhnend zu. »Zumindest habe ich aber seine Aufmerksamkeit erregt … Und wenn es der nicht sein soll, dann gibt es noch so viele andere Bad Boys auf Tinder und überall auf der Welt«, redete ich mir selbst Mut zu.

Das war es doch, was ein Genie auszeichnete: nicht gleich beim ersten Versuch aufzugeben. Und wer wusste es schon, vielleicht klappte es ja doch noch.


»Von deiner Aufmerksamkeit ist anscheinend nicht viel übrig geblieben«, meinte Emma zerknirscht, nachdem etwa eine halbe Stunde vergangen war. Sie deutete mit dem Kopf hinüber zu Ben, der nun am Rand der Tanzfläche stand. Doch er war nicht allein. Er unterhielt sich angeregt mit einer jungen Frau mit kurzen dunklen Haaren, durch die sie sich immer wieder strich. Sie stand also auf ihn.

Okay. Auch nicht untypisch. Schließlich befanden wir uns in einem Club. Und ein Bad Boy wie er war auf Beutefang. »Glaubt mir, alles Taktik. Ich bin sicher nicht die Einzige, um die die Spinne ihr Netz gewoben hat. Ich muss mich nur wieder in sein Gedächtnis rufen.« Insgeheim fragte ich mich allerdings, ob er vielleicht wirklich keinen Gedanken mehr an mich verschwendete. Unsere Begegnung war ja auch echt weird gewesen. Eine ganze Weile blickte ich in seine Richtung, bis auch er den Kopf hob und direkt zu mir herübersah. Unsere Blicke trafen sich, doch er wirkte nicht allzu begeistert. Hatte er gerade etwa mit den Augen gerollt?

»Stellen wir uns etwas näher an ihn heran«, schlug ich vor, denn so etwas würde ich mir mit Sicherheit nicht gefallen lassen. Mein Ehrgeiz war geweckt. Und so suchten wir uns einen Platz in seiner Nähe. Zu dritt quetschten wir uns auf eine der Schaukeln, die vor der Bar hingen.

Der Club war bekannt für seine Schaukeln, für lockere Gespräche, gute Musik – dafür, in seiner Atmosphäre dem Alltag entfliehen zu können. Doch heute gelang mir das nicht sonderlich gut. Immer wieder schaute ich zu Ben, aber er schien mich gar nicht mehr zu registrieren. Oder gekonnt zu ignorieren. Was nun?

»Wirkt nicht so, als ob er angebissen hätte«, stellte Emma nach einer Weile fest.

Kati sah es ähnlich: »Außerdem solltest du nicht andauernd zu ihm rüberstarren, das wirkt abschreckend. Lasst uns lieber gehen. Es war ein lustiger Abend, aber ich denke, es reicht für heute. Die Idee war witzig, aber nicht jede Idee kann funktionieren. Außerdem ist es schon spät.« Ich musste zugeben, dass sie recht hatte. Aber ich wollte nicht, dass sie recht hatte. Das konnte es doch nicht gewesen sein.

Mir war gar nicht aufgefallen, dass ich schon wieder in Bens Richtung starrte, bis er auf einmal aufblickte und erneut mit den Augen rollte. Was zur Hölle?

»Wisst ihr was? Wir gehen, jetzt sofort«, sagte ich energisch, stand auf und machte mich auf den Weg in Richtung Ausgang, ohne eine Antwort von meinen Freundinnen abzuwarten. Ich war gekränkt, beleidigt, vielleicht auch ein bisschen beschwipst. Das hatte ich mir wirklich anders vorgestellt. Bevor ich durch die Tür trat, hielt ich inne.

»Ach, mach dir nichts draus, Lina«, versuchte mich Emma aufzuheitern, als sie neben mir zum Stehen kam. »Das Ganze war doch sowieso nur Spaß.« Trotzdem störte mich das alles gewaltig, denn meine Theorie stimmte. Das Prinzip funktionierte. Ganz sicher. Mir fehlte nur der richtige Dreh.

»Ich muss noch eben auf die Toilette«, sagte Kati, nachdem sie bei uns angekommen war.

Ich nickte. »Ich geh mit. Emma, du auch?«

»Nein, nein. Aber geht ruhig. Gebt mir eure Marken, dann hole ich schon mal die Jacken«, schlug sie vor.

Genau wie Kati kramte ich in meiner Tasche, um die Garderobenmarke herauszufischen und sie Emma zu reichen. Während sie sich in Richtung Garderobe davonmachte, eilten Kati und ich zu den Toiletten. Als ich fertig war, war von Kati noch nichts zu sehen, also ging ich hinaus auf den Gang und zog mein Handy aus der Tasche. Eine Nachricht von Nika, die wissen wollte, ob wir gleich noch mal telefonieren konnten. Ob was mit Alex passiert war?

Gerade als ich ihr antworten wollte, entdeckte ich Ben. Die Dunkelhaarige war noch immer bei ihm, sogar ziemlich nah bei ihm, und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Sie stand ganz eindeutig auf ihn. Einen Moment lang beobachtete ich die beiden. Wie er sie ansah, wie sie sich durchs Haar strich und dabei in seinen Augen versank … Er würde sie heute sicherlich noch klarmachen.

»Gehen wir?« Kati tauchte neben mir auf.

Und auch Emma stand mit einem Mal direkt vor uns. »Ging voll schnell, ich glaub, ich geh doch noch mal.« Sie reichte uns unsere Jacken und lief auf die Toiletten zu.

Erneut streifte mein Blick Ben. Nein, Lina, sagte ich mir, heute macht es sowieso keinen Sinn mehr. Etwas nervös zupfte ich an meinem Shirt und wollte mich gerade abwenden, als Ben von dem Mädchen zurücktrat und unerwartet auf mich zukam. Mist, hatte ich ihn etwa zu lange angestarrt?

»Er kommt«, raunte Kati mir überflüssigerweise zu.

Keine Sekunde später stand er vor uns. »Sag mal, stalkst du mich?«

Ich zuckte zusammen. »Was?«

»Na ja, du bist schon den ganzen Abend immer da, wo ich bin, oder starrst zu mir rüber.«

Ich stemmte die Hände in die Hüften. »Ach ja? Ich kann ja wohl hinsehen und hingehen, wo ich will. Ich würde mal sagen, du bist eher immer da, wo ich bin.« Gut gekontert. Wobei … Wieso verhielt ich mich gerade selbst wie ein Bad Boy? Ich kam mir vor, als hätten wir die Rollen getauscht.

Jetzt lächelte er. Wieso lächelte er denn auf einmal? Der Kerl machte mich verrückt. Ich sah zu Kati, doch sie hatte sich ein paar Schritte entfernt und blickte in Richtung Toilette. Dann war ich wohl auf mich allein gestellt.

»Pass auf, wenn du ein Date willst oder … keine Ahnung, was auch immer du von mir willst, ein Bier trinken oder so, sag es doch einfach. Vielleicht überleg ich es mir noch mal.« Er zwinkerte mir zu und ich rollte mit den Augen. »Aber starr nicht dauernd zu uns rüber, Anni ist das auch aufgefallen. Echt jetzt«, er fuhr sich durch die Haare, »das ist total unheimlich.« Der hatte sie ja wohl nicht mehr alle.

»Pass du mal auf! Nimm dich bloß nicht wichtiger, als du bist. Als ob ich dich anstarre oder sie oder wen auch immer.« Nun verschränkte ich die Arme vor der Brust.

»Ach, komm schon. Eifersüchtig?« Wieder blitzte diese Neugier in seinen Augen auf.

Ich lachte auf. »Eifersüchtig? Auf was denn? Dass sie mit dir vor dem Klo rumsteht? Wow, ich kann mir nichts Schöneres vorstellen.«

Als er auf meine Antwort hin grinste, wurde mir klar: Er hatte mich tatsächlich irgendwie abblitzen lassen. Ich wollte etwas entgegnen, aber in diesem Augenblick kam Anni von der Toilette zurück und sah sich suchend um. Als sie Ben bei mir entdeckte, zog sie ein Gesicht, das klar und deutlich zeigte, dass es ihr nicht passte.

»Also, letzte Chance: Was willst du von mir?«, fragte Ben mich nun. »Was soll das Theater?«

»Nichts. Wie gesagt …«

»Lügnerin.«

Damit hatte ich nicht gerechnet. »Wie bitte?«, fragte ich überrascht und sah dabei sicher selbst aus wie Scrat.

»Du hast mich schon verstanden. Wenn du wirklich nichts von mir willst, dann geh mir auch nicht auf die Nerven, okay?« Mit diesen Worten wandte er sich ab, ging zu seiner Begleitung hinüber und lächelte sie an.

Ich sollte ihm nicht auf die Nerven gehen? »Was bildet der sich ein?«, presste ich hervor, als Emma und Kati sich zu mir gesellten.

»Ist doch egal mit der Challenge. Komm, lass uns jetzt gehen. Wir hatten genug Spaß heute Abend«, sagte Emma und Kati nickte zustimmend. »Es war ein Spiel, mehr nicht. Wir sind fertig für heute.« Die beiden hatten gut reden. Von wegen Spaß.

»Ich geh ihm auf die Nerven? Der spinnt wohl. Der ist echt schlimmer, als ich dachte«, schnaubte ich.

»Ein Bad Boy eben«, meinte Kati, »die ticken, wie sie wollen. Und nicht nach Plan, selbst wenn du das behauptest.«

Ich atmete tief durch. So einfach würde ich ihn sicherlich nicht davonkommen lassen. »Wartet. Dem versau ich die Tour.« Fest entschlossen drückte ich den Rücken durch.

»Was?«, rief Emma erschrocken.

»Ja, Challenge hin oder her. Das kann ich doch so nicht stehen lassen. Echt jetzt, die arme Anni! Er wird sie heute abschleppen und dann abservieren. Das geht nicht.«

Kati sah mich ernst an. »Lina, du hattest etwas zu viel Aperol. Lass es. Komm, wir gehen.«

Ich sah die beiden eindringlich an. »Nein, ich muss das jetzt machen.«

»Was hast du vor?«, hakte Emma nach.

»Ganz einfach.« Ich hatte mich bereits umgedreht. »Ich rette sie.« Zielbewusst wühlte ich mich durch die Menge, lief direkt auf die beiden zu und tippte Ben energisch auf die Schulter.

Als er mir sein Gesicht zuwandte, konnte ich tausend Fragezeichen darin erkennen. »Was gibt’s denn noch?«

»Bin gleich weg«, erwiderte ich. »Nur kurz, sorry, aber du solltest dich echt nicht für unwiderstehlich halten. Und«, ich sah zu Anni, »weißt du, er und ich haben eben noch getindert. Ich mein’s nur gut mit dir. Er ist ein Herzensbrecher, ein Frauenheld, ein Aufreißer. Lass lieber die Finger von ihm. Er hat jede Nacht ’ne andere und du hast nichts davon außer ein paar Minuten Spaß. Falls es überhaupt Spaß bringt, dafür aber jede Menge Herzschmerz.«

Anni starrte mich fragend an, dann glitt ihr Blick zu Ben, der sofort die Hände hob. »Sie ist nicht ganz normal!«, rief er. »Sie verfolgt mich schon den ganzen Abend. Ich hab keine Ahnung, was mit ihr los ist, nur, dass sie offensichtlich ein Glas zu viel hatte.« Er schaute mich ernst an. »Und glaub mir, mit mir hat man länger Spaß als nur ein paar Minuten.«

Ich lachte auf. »Das sagen sie alle. Glaub ihm kein Wort, Anni. Er verfolgt mich schon den ganzen Abend. So sieht die Sache nämlich aus.«

Ben warf mir einen bösen Blick zu. »Wie bitte? Du bist doch in mich reingelaufen und hast dieses wirre Zeug geredet, auf der Lippe rumgekaut und konntest nicht aufhören, mich anzutatschen.« Ja, da hatte er recht, aber das war nicht der Punkt.

»Okay, keine Ahnung, was das hier ist. Aber mir wird’s etwas zu strange«, sagte Anni, winkte ab und ließ uns ohne ein weiteres Wort stehen.

»Oooh, dumm gelaufen für dich. Ich muss auch los. Schönen Abend noch!« Ich grinste Ben an. »Und keine Sorge, ich lass dich ab jetzt ganz sicher in Ruhe.« Schnell wandte ich mich ab und gab Emma und Kati ein Zeichen, mir zu folgen. Nichts wie raus aus dem Club.

Draußen vor der Tür sah ich mich nach einem Taxi um und entdeckte glücklicherweise auf Anhieb ein freies. Erst jetzt bemerkte ich, dass mein Puls raste.

»Das war so lustig«, Emma hielt sich den Bauch. »Wie er geschaut hat.«

»Ja, wie ein besoffenes Eichhörnchen«, Kati kicherte. Wieder schob sich Scrat in meine Gedanken.

»Total, er war megaperplex!«, stimmte ich ihnen lachend zu. »Aber jetzt nichts wie weg. Ich glaube, er ist ein bisschen sauer und taucht womöglich gleich noch hier auf.« Ich deutete auf das Taxi. »Nehmen wir das?« Ohne eine Antwort abzuwarten, lief ich los. Am Auto angekommen, öffnete ich die Beifahrertür. »Können wir mitfahren?«

Der Mann hinter dem Steuer nickte. »Klar, einfach einsteigen, die Damen. Seid ihr auf der Flucht?« Er lachte, während Emma und Kati auf den Rücksitz huschten und ich mich schnell hinterherquetschte. Nachdem wir unsere Adressen genannt hatten, ließ ich mich tiefer in den Sitz sinken. Mein Herz klopfte noch immer heftig. Schon allein, wenn ich an Bens Blick dachte. Ich hatte es echt durchgezogen!

»Was für ein lustiger Zufall«, durchbrach Kati meine Gedanken. Doch ich glaubte nicht an Zufälle, vor allem nicht an solche, die durch Voreinstellungen auf Dating-Apps passierten.

»Ja, total«, pflichtete Emma ihr bei. »Ich meine, okay, als ob man so was durchziehen und belegen könnte, aber es war witzig, vor allem, wie du gegen ihn gestolpert bist. Das konnte ja nichts werden. Wie du dabei ausgesehen hast! Aber immerhin: Gelegenheit genutzt, würde ich sagen.« Sie kicherte.

Ich saß da und dachte nach. Ja, ich hatte die Gelegenheit genutzt. Aber … die beiden glaubten mir noch immer nicht, was die Theorie anging. Und obwohl die Challenge als Spiel begonnen hatte, war inzwischen mein Ehrgeiz geweckt. »Das wird schon noch werden«, entgegnete ich und sah Emma und Kati an. »Alles Taktik, Mädels, alles läuft.«

Sie lachten. »Jaja. Sorry, aber das ist ja wohl mal so was von schiefgelaufen. Ich glaub leider, das Eichhörnchen ist aus dem Sack.«

Ich grinste. Sollten sie ruhig glauben, was sie wollten. Genauso wie meine Schwestern. Doch eines wusste ich: Gelegenheiten kamen selten allein. Und ich würde meine bei Ben auf jeden Fall nutzen. Das Spiel war noch nicht vorbei.

Wen immer wir lieben (Immer-Trilogie - Band 1)

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