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Herr Christiansen
Оглавление1. August 2014, 18:00 Uhr | Drei Päckchen Zigaretten | Ein Liter Bio-Milch
Es war heiß. Schwül-heiß. Hannelore Schmitz wischte sich an dem Handtuch unter ihrer Kasse ihre verschwitzten Hände ab. Dann schob sie den beschlagenen Bio-Milch Karton, 1,5% Fett, heute für 99 Cent im Angebot, sowie die Gut+Günstig Lachsforelle zum Regelpreis von 1,59 €, geübt am Scanner vorbei. Die Feuchtigkeit auf dem tiefgefroren Fisch suggerierte etwas Kühle, aber nur für einen kurzen Moment, der kaum bemerkt vorbei ging und sich auf dem Sack mit Elster-Äpfeln „Mein Land“, 3,99 €, auf der Plastiktüte verlor. Hinter den Bio-Kartoffeln, 1,5 kg, 2,99 €, fielen drei Päckchen Zigaretten auf das Laufband.
Frau Schmitz kannte ihre Kunden. Drei Päckchen war der Tagesbedarf von Herrn Christiansen, seines Zeichens stellvertretender Direktor und Sportlehrer an dem hiesigen Gymnasium, der ihrem Sohn einen Eintrag ins Klassenbuch verschafft hatte, weil er einen haarigen Penis auf das Whiteboard in seiner Turnhalle gemalt hatte.
‚Das heilige Whiteboard, gespendet von einem Vater, der es vermutlich aus irgendeinem Büro abgestaubt hatte.‘ Natürlich hatte Hannelore Schmitz mit ihrem Sohn geschimpft und sie erinnerte sich gut daran, dass ihr Sohn auch die drei Tage Hausarrest über sich ergehen ließ. Aber dass sie vorstellig werden musste, um sich bzw. ihren Sohn vor der Direktion zu rechtfertigen, darüber ärgerte sie sich heute noch.
‚Was für ein bigotter Lehrer‘ dachte sie wie jedes Mal, wenn er hier seine Zigaretten einkaufte und sie nicht einmal bemerkte.
Freundlich lächelnd, mit dem nicht ganz so feinen Gedanken ‚Selbst deine Frau hat dich nicht ausgehalten‘, schaute sie Herrn Christiansen ins Gesicht.
„Möchten Sie eine Kühltasche für Ihre Einkäufe, Herr Christiansen? Bei der Hitze schwimmt Ihnen der Fisch sonst noch weg.“ Auffordernd zeigte sie auf den Stapel silberner Kühltaschen unter dem Kassenlaufband.
Herr Christiansen schaute ihr irritiert in die Augen. Dann sah er das Namensschild auf dem Geschäftskittel. Hannelore Schmitz. ‚Aha.‘ Er konnte sich trotzdem nicht erinnern. ‚Bestimmt nur irgendeine Mutter von irgendeinem verzogenen Balg aus meiner Schule. Egal, ich will hier raus, ich muss eine rauchen. Aber vermutlich hat die Frau Recht. Dann nehme ich halt die gottverdammte Tüte.‘ Etwas angestrengt lächelte er zurück. „Ja, natürlich, die nehme ich auch noch. Und ich zahle mit Karte.“
„Aber natürlich, Herr Christiansen, bitte stecken Sie die Karte in das Gerät und geben Sie Ihre Geheimnummer ein“.
Während Herr Christiansen seine Nummer schnell eintippte und anfing, seine wenigen Sachen in die sperrige Tüte mit dem silbernen Innenleben zu packen, reichte ihm Frau Schmitz schon den Kassenbon. Ungeduldig nahm er ihn entgegen und vermied dabei jeden Kontakt mit den Frau Schmitz verschwitzten Händen. ‚Geschafft, nichts wie weg.‘ Erleichtert schnappte er die Tüte und ging zügig Richtung Ausgangstür.
„Herr Christiansen, warten Sie, Sie haben was vergessen.“
Irritiert drehte er sich zu Frau Schmitz um, die hektisch zu ihm rüber winkte und mit der anderen Hand seinen Blick auf das Kartenlesegerät lenkte. Richtig, da steckte noch seine Girokarte drin. Schnell eilte er zu dem Gerät zurück, entnahm die Karte, stellte die Tüte ab und holte sein Portemonnaie aus der linken Hosentasche. Dabei fiel sein Blick auf ein paar angenehm kräftige, weiblich geformte Beine in einer Jeans mit Löchern, durch die helle Härchen auf gebräunter Haut schimmerten.
Unauffällig, aber deutlich länger als notwendig im Portemonnaie kramend, wanderte sein Blick weiter nach oben, auf die Vertiefung im Schritt bis hoch zu einem Push-Up-verstärkten Busen, den kleinen Schweißperlen im Ausschnitt und fast unwillig weiter bis zu dem dazugehörigen Gesicht.
‚Alte Schlampe‘ zuckte durch sein Hirn, als er eine Frau von offensichtlich mindestens 50 Jahren erkannte. ‚Wahrscheinlich trägst du auch noch so einen String-Tanga unter der Jeans und wartest nur drauf, dass ihn dir einer runter reißt.’ Er fühlte die Hitze in sich aufsteigen und konzentrierte sich wieder auf sein Portemonnaie. Das Leder zeigte einen feuchten Fleck im ansonsten glattglänzenden Schwarz. ‚Wie heiß war es heute? 38°C? Im Radio haben sie gerade gesagt, dass es der heißeste Tag seit 15 Jahren für ganz NRW sein soll. Und wie üblich heißt heiß in der Köln-Bonner-Bucht schwül. Florida ist ein Dreck dagegen.‘
Endlich rutschte die Girokarte gehorsam in das richtige Fach des Portemonnaies und Herr Christiansen nahm die Tüte wieder auf. Im Umdrehen sah er noch den Filialleiter in sein Büro hinter dem Kassenbereich gehen.
Vorne an der Eingangstür stand ein groß gewachsener Mann, ganz in schwarz gekleidet. ‚Mensch, muss der schwitzen, dachte Herr Christiansen, als er auch noch den Rucksack und die große Tasche entdeckte. Dann rissen die Henkel seiner Kühltasche und der Inhalt verteilte sich auf dem Boden. Ungläubig schaute Herr Christiansen auf den gerissenen Henkel, die Lebensmittel und den Fisch. Er war sich gerade nicht sicher, ob die dämliche Kassiererin ihm absichtlich eine kaputte Tüte gegeben hatte.
3. Juli 2014 | Letzte Sportstunde vor den Ferien | Gardasee
Die Schüler hatten keine Lust, das merkte er schon beim Einlaufen. Es war stickig in der Sporthalle und zudem die letzte Stunde vor den Sommerferien. Er seufzte. Er war jetzt seit bald 25 Jahren im Schuldienst, die letzten 12 Jahre davon allein an diesem Gymnasium. Langsam reichte es ihm. Jedes Jahr die gleichen Probleme. Die 7. Klasse ging ja noch, schlimm waren erst die 8-Klässler, die alles besser wussten, aber nicht mal eine SMS ohne ordentliche Grammatik hinbekamen.
Mit Sehnsucht dachte er an seinen Camping-Wagen, der einen Stammplatz am Gardasee hatte und auf ihn wartete. Es war ihm völlig egal, dass seine Kollegen quer durch die Welt jetteten. Er wollte in den Ferien seine Ruhe, warmes Wetter, eine saubere Toilette und Restaurants in der Nähe, dessen Essen er kannte. Seit ihn seine Frau verlassen hatte, war er auf gute, aber preiswerte Restaurants angewiesen. Jetzt war der Gardasee zwar nicht wirklich für günstige Preise bekannt, aber in den letzten Jahren hatte er das eine oder andere Restaurant entdeckt, das seinen Ansprüchen genügte und nicht zu teuer war.
Außerdem gab es auf dem Campingplatz immer wieder mal die eine oder andere Strohwitwe, deren Mann noch in Deutschland arbeitete, während sie schon mal den Platz frei hielt. Und erst diese Damen-Kegeltouren. Er erinnerte sich noch deutlich an letzten Sommer, als er mit Giselle anbändelte. Giselle kam aus dem französischen Teil der Schweiz, frisch geschieden und zeigte gerne, was sie hatte. Da war schon Einiges, was der Bikini zusammen halten musste und er war mit Sicherheit nicht der einzige Mann, der ihr gerne hinterherschaute. Allein dieser Hüftschwung war es wert, sich vormittags im Bereich der Spülbecken aufzuhalten.
Geübt schweifte sein Blick über die im Kreis laufenden 24 Schüler der 7a, davon 16 Mädchen und nur 8 Jungs. Er beobachtete diesen Trend schon seit ein paar Jahren und konnte den Grund dafür nur vermuten. Seiner Meinung nach waren immer mehr Eltern bereit, ihre Mädchen auf das Gymnasium und damit Richtung Studium zu schicken und nicht wie früher auf die Realschule, als Vorbereitung auf eine gute Ausbildung zur Krankenschwester, Büro- oder Industriekauffrau. Ihm sollte es Recht sein. Mädchen machten weniger Probleme als Jungs.
Er pfiff zwei Mal kurz hintereinander und die Schüler kamen langsam, miteinander schwatzend und offensichtlich nicht sonderlich erschöpft, auf ihn zu.
„Okay zusammen. Wollen doch mal sehen, wie ihr mit dem heutigen Intervalltraining klar kommt. Ihr stellt euch in 4er Reihen hintereinander auf und auf meinen Pfiff hin werdet ihr zehn Schritte laufen, dann stoppen und vier Kniebeugen sowie eine Liegestütze machen. Denkt daran, ich will keine durchhängenden Hintern sehen. Wenn ihr die geschafft habt, sprintet ihr bis zur Kletterwand und klettert die einmal hoch und zwar ganz nach oben, verstanden? Dann an der Außenwand im Bogen zurück. Das ganze 2-mal und auf Drei geht’s los. Eins, zwei …“
Auf seinen Pfiff bei Drei startete die erste 4er Reihe. Es dauerte nicht lange und das Gequatsche wurde durch ein Stöhnen abgelöst, als die ersten Schüler zurück kamen und sich theatralisch auf den Boden fallen ließen. Er konnte nicht umhin zu bemerken, dass die meisten Mädchen schon einen ordentlichen Busen vorzuweisen hatten, deren Nippel sich deutlich unter den T-Shirts abzeichnete.
‚Wollen doch mal sehen, ob wir die nicht noch was in Bewegung kriegen. Immerhin ist es die letzte Stunde vor den Ferien, da gönne ich mir mal was.‘
Als die letzte 4er Gruppe nach Luft schnappend bei ihm ankam, rief er zwei der Jungs zu sich. „So, jetzt wollen wir doch mal sehen, ob die Mädchen wirklich so gut im Seilspringen sind. Ihr verteilt an alle die Seile und dann will ich drei 8er Gruppen vor mir sehen. Auf geht’s, wir haben noch eine halbe Stunde, in der ich euch für den Strand in Form bringen will. Bauch rein, Brust raus und die Füße bei jedem Sprung bis zum Hintern hoch gefälligst. Die Mädchen nach vorne bitte, die zeigen den Jungs dann mal, wie das geht mit dem Brust raus.“