Читать книгу Zweimal Fish and Chips, please! - Mick Saunter - Страница 10

Оглавление

Tag 1


Diensttag, 12.6.2018 – Erste Etappe

Von Truchtlaching nach La Louviere/Belgien

Km: 814


Super: Ausnahmsweise haben wir es tatsächlich geschafft unsere geplante Abfahrtszeit einigermaßen einzuhalten: Um 7.30 Uhr verlassen wir mit unseren vollbepackten Maschinen den Hof. Das Wetter ist zwar bewölkt, aber trocken.

Laut TomTom brauchen wir an Netto-Fahrzeit 8 Stunden 10 Minuten. Wenn alles einigermaßen läuft, wir nicht zu oft Pause einlegen, und keine Panne haben, dann sollten wir es doch in zehn-elf Stunden locker schaffen! Also gegen 18-19 Uhr im Hotel sein, duschen, nett was essen gehen und - zeitig genug ins Bett: Morgen früh wollen wir nämlich um sieben wieder los Richtung Calais. Unsere Fähre geht um 10.55 Uhr, und etwa eine Stunde vorher sollte man da sein, hieß es. Von La Louviere bis Calais sind es knapp zwei Stunden, und Frühstücken: Wollen wir dann auf dem Schiff, mit Meerblick. Soweit die Planung.

Die ersten Kilometer laufen prima. Dank unserer neuen Helme mit Bluetooth-Gegensprechfunktion können wir miteinander reden, was so eine lange Fahrt wirklich viel schöner und einfacher macht (Nolan N-Com B5; die versprochenen 500 Meter Reichweite sind für uns immer ausreichend. Nur wenn es um Kurven geht, in denen Hindernisse zwischen uns sind, Häuser, Bäume, etc. treten schon mal Aussetzer auf; LKW oder Busse zwischen uns stören dagegen nicht).

Um München herum ist wie üblich viel Verkehr, aber kein Stau - es ist kurz vor Neun als wir den Münchener Ring befahren, die Rushhour geht allmählich zu Ende. Alles prima - aber dann kommt der erste Regen. Mist. Zum Glück kommt gerade eine Raststätte: Schnell runter von der Bahn, unter das Tankstellendach gestellt, und die wasserdichten Sachen angezogen.

Kurz nach uns kommt eine neue Honda Africa-Twin an, voll bepackt. Der Fahrer, so Mitte Dreißig, ist auf dem Weg nach Biarritz, zu „Wheels and Waves“: Das Motorrad- und Surfer-Festival an der französisch-baskischen Küste wird immer mehr zu einem festen Bestandteil der Motorrad-Szene, bereits zum siebten Mal dreht sich dort 4 Tage lang alles um Motorrad-Kultur, Skaten und Surfen. Soll ziemlich klasse sein – wer weiß, vielleicht fahren wir mal dahin?

„Life is a long song“, singt Ian Anderson von Jethro Tull; mal sehen welche Strophe wir als nächste anstimmen.

Jetzt muss der Biker auch erst mal Regenzeug anziehen – aber zuerst steckt er sich eine Selbstgedrehte an. Er ist allein, mit Zelt und ohne Zeitplan oder feste Zwischenziele unterwegs: Eben so, wie man das Reisen auf dem Motorrad unserer Meinung machen sollte. Der Spirit von „Easy Rider“ lässt wieder grüßen!

So haben wir es auf unseren bisherigen Touren auch gemacht; und auf der Rückreise machen wir es bei unseren vorgesehen 4 bis 5 Tagen in Südengland wieder so. Nur für die Hinreise haben wir vor gebucht, um, wie wir es uns bisher vorstellen, Stress bei einer Suche nach Unterkunft auf der Anreise zu vermeiden; die lange Anfahrt ist anstrengend genug.

Zurück von der irischen Insel fahren wir dann in England einfach so weit wie wir wollen: Schauen uns die Grafschaften Somerset, Dorset, Devon und Sussex an, fahren ans Meer in ein typisch englisches Seebad, besuchen ein paar Gärten, suchen uns B&Bs und gut ist‘s. Oder, wir entscheiden uns doch für Cornwall; mal sehen.

Der „Africa“-Treiber ist ein netter Kerl, die Begegnung mit ihm ist die erste von einer ganzen Reihe von Zusammentreffen mit den unterschiedlichsten Menschen mit und ohne Motorrad auf unserer Reise. Und alle, aber auch wirklich alle sollen sie nett, schön und bereichernd werden. Aber das wissen wir jetzt ja noch nicht – die Spannung ist um so größer auf das Kommende!

Was jetzt aber als Nächstes kommt, ist zwar im Endeffekt auch ein denkwürdiges und somit positives Erlebnis geworden - und insofern ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Tour. Aber trotzdem: Darauf hätten wir schon gut und gerne verzichten können!

Kurz hinter Augsburg meldet sich meine Schöne mit einem Wunsch nach Kaffee, was auch meistens gleichbedeutend damit ist dass sie sich „die Nase pudern will“. Für Cappuccino bin ich immer zu haben, damit kriegt sie mich problemlos, und für kleine Jungs könnt ich auch mal vorbeugend gehn; und so steuern wir den Rastplatz Edenbergen an. Als ich den „Moodchanger“ ausrollen lasse und runter schalten will spüre ich, dass mein Schalthebel völlig haltlos herum schlackert – da stimmt was nicht!

Ich halte an, klappe den Seitenständer raus, steig ab und seh die Bescherung: Ich hab die Schubstange vom Schaltgestänge verloren! Verdammt!

DAS DARF DOCH WOHL NICHT WAHR SEIN !!!

Ich hätte ja mit allem gerechnet: Kupplungs- oder Gaszug gerissen (nach entsprechenden Erfahrungen in meinen Motorradjahren hab ich so was immer in Reserve dabei), Kerzenstecker kaputt, Glühlampe durchgebrannt, Motorschaden, Reifenpanne – aber so was?! Wo krieg ich denn jetzt dafür Ersatz her? Für meinen Oldie?!?!?

Wir sind erst mal ziemlich demoralisiert: Gleich zu Anfang unseres Abenteuers etwas, das möglicherweise die ganze Reise in Frage stellt.

Nachdem wir die Moppeds sicher unter einem Vordach untergebracht haben fällt mir Christian ein: „Wenn irgend was ist und ich helfen kann, dann ruf mich an“, hatte er gesagt. Das mach ich jetzt!

Ich stelle mir vor, wie er die Augen aufreißt, ihm die Kinnlade vor Staunen haltlos runterfällt, und mit einem Klacken auf die Tischplatte kracht. Ich glaub sogar ein bisschen, es gehört zu haben.

„Das hab ich ja noch nie gehört! Wie kann man denn nur das Schaltgestänge verlieren?!?“, sagt er.

Dann, nach einer kleiner Denkpause: „Ich versuch mal jemand zu finden der euch helfen kann, okay? Dann meld ich mich wieder!“.

Helga hat in der Zwischenzeit das einzig Richtige getan: Die Semmeln ausgepackt, und eine Flasche Wasser geholt – jetzt müssen wir uns erst mal stärken!

Eine halbe Stunde später meldet sich Christian wieder: Ein Yamaha-Händler in Königsbrunn bei Augsburg hat wahrscheinlich ein passendes Teil und hilft uns. Ha! Vielleicht ist unsere Reise ja doch noch nicht zu Ende, bevor sie überhaupt richtig begonnen hat! Also als Nächstes den ADAC angerufen. Der kommt erfreulicherweise recht flott, packt sich mein Sorgenkind auf die Ladefläche und mich in die Fahrerkabine. Helga muss hinterher fahren.

Eine knappe Stunde später stehen wir auf dem Hof von Finkl‘s Erlebnis Motorrad GmbH. Der Meister kommt aus der Werkstatt, grinst kopfschüttelnd, und sagt in ironisch vorwurfsvollem Ton:

„Tststs - wie kann man denn nur das Schaltgestänge verlieren?!?“.

Zieht den Zollstock aus der Tasche, misst den Abstand zwischen den beiden Schraubpunkten (ich hab eine vorverlegte Fussrastenanlage einer DragStar montiert, die fehlende Stange muss gut 15 cm lang sein). Dann geht er auf den Speicher der Werkstatt, kommt mit zwei Stangen zurück, hält sie dran – und eine passt genau! Zehner Maulschlüssel angesetzt, kurz ausprobiert ob alles funzt, und: Alles wieder gut, die Rettung unseres Abenteuers hat keine 5 Minuten gedauert. Puha – Glück gehabt, mir fällt ein Stein vom Herzen! Und Helga ist so begeistert, dass sie ihm regelrecht um den Hals fällt.

Als ich frage was er jetzt bekommt zeigt er auf das Kaffeekassen-Sparschwein; ich geb ihm reichlich zu fressen. Also SO ein Glück!

An der Tanke um die Ecke füllen wir noch mal Sprit und Kaffee nach – eigentlich bräuchten wir ja statt dessen einen Brandy. Aber einen Doppelten!

Und dann aber nichts wie los wieder auf die Bahn: Alles in allem hat uns die Aktion knapp vier Stunden gekostet. Unser Navi sagt uns jetzt ziemlich deutlich, dass das wohl nix mehr wird mit gemütlich in Belgien ankommen und essen gehen!

Nebenbei, was die Denkwürdigkeit dieses Erlebnisses angeht: Ich kenne das schon von früheren Pannen her, dass die Fahrer der Abschleppfahrzeuge oft viel von ihrer Arbeit zu erzählen haben. So auch diesmal: Mein Abschlepper weiß eine Menge darüber zu berichten, wie sich deutsche Autofahrer auf der Autobahn leider immer noch verhalten.

Rettungsgasse freihalten? Etwa so, wie es sich meiner Erfahrung nach in Österreich schon ziemlich gut eingespielt hat? Nach wie vor Fehlanzeige. Gaffer an Unfallstellen? Obwohl es sich dabei mittlerweile sogar um einen Straftatbestand handelt – nach wie vor sieht das durchschnittliche Verhalten der bundesdeutschen Autofahrer so aus: Langsam an der Unfallstelle vorbeifahren und den Abfluss des Staus behindern, sensationsgeil Handys raus, das Unglück der anderen filmen und dann: Möglichst rasch mit anderen übers Internet teilen und „liken“.

Einen ganz speziellen Fall weiß er auch zu berichten: Nach einem besonders schlimmen Unfall, bei dem zwei junge Leute in ihrem Wagen verbrannten, musste er die Reste des Wagens abholen. Kaum zu Hause auf seinem Hof und gerade erst die Schranke zum Gelände geschlossen erscheint davor auf einmal ein Wohnmobil. Ein Pärchen steigt aus, er geht hin um zu fragen wie er ihnen helfen kann; und sie antworten sinngemäß: „Wir haben im Internet die Bilder von dem Unfall gesehen, und Ihre Anschrift herausbekommen (ist ja heutzutage nur noch eine Sache von Sekunden). Können wir uns den Wagen mal anschauen, so was bekommt man ja doch nicht alle Tage zu sehen“.

Ich glaub, ich hätte die Polizei geholt - schon um zu vermeiden, von diesen „interessierten Mitbürgern“ eine Anzeige wegen Beleidigung und Tätlichkeit in Zusammenhang mit Sachbeschädigung zu erhalten! Gibt‘s denn so was? Wie weit ist es schon gekommen, mit der Ethik, dem Benehmen, dem gesunden, menschlichen Mitgefühl? Und: Wo soll das alles enden? Mein Fahrer sagte, er wäre so sprachlos gewesen, dass er sich nur kopfschüttelnd umdrehen konnte und sie stehen ließ.

Als wir endlich wieder gegen Drei auf unserer Route sind, zeigt das Navi mittlerweile eine Ankunftszeit in Belgien von 21.00 Uhr an – ohne Tanken und Pausen wohlgemerkt! Die Fahrt dahin ist jetzt nicht mehr so entspannt wie eigentlich gedacht – aber wenigstens ohne weitere Pannen. Und ums vorweg zu nehmen: Auf der ganzen Reise werden wir auch keine mehr haben.

Wir kommen durchs Saarland, durch Luxemburg und, schon in weit fortgeschrittener Dämmerung, nach Belgien. Dort überrascht uns nicht nur der miserable Zustand der Autobahn (Helga meint, dass sogar die Autobahnen in der DDR besser gewesen seien; und wo denn eigentlich das ganze Geld aus der EU hingehe?); nein, es fängt auch wieder an zu regnen. Na Toll! Aber, es läuft, kein Stau, keine Baustellen, alles frei; wir kommen gut voran.

So ab elf, wir sind mittlerweile ohne richtige Pause fast sechzehn Stunden unterwegs, sind wir ziemlich müde und erschöpft; und heilfroh, dass unser Navi auf dem neuesten Stand ist: Wenn wir jetzt nach Karte fahren müssten und niemanden fragen könnten - weil jetzt, mitten in der Nacht, keiner mehr auf der Straße ist – na dann Bon Nuit! Aber GPS sei Dank lotst uns unser TomTom zuverlässig bis zu unserem Hotel Le new Matinal in La Louviere, wo wir schließlich um 23.50 Uhr ankommen.

So viel zu unserer Planung! Nicht umsonst heißt es ja auch: „Willst Du Gott zum Lachen bringen, erzähl ihm von Deinen Plänen“. Ich stell mir vor, dass er heut ganz besonders fröhlich war.

Bis wir schließlich im Bett sind und einschlafen ist es fast halb Zwei – nachdem wir unsere Motorrad-Koffer in den zweiten Stock geschleppt haben: Denn einen Aufzug gibt es natürlich nicht.


Zweimal Fish and Chips, please!

Подняться наверх