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Tag 2


Mittwoch, 13.6.2018 – Zweite Etappe

Über Calais und Dover nach Cardiff/Wales

Km: 630


Die Nacht im Hotel ist ziemlich kurz: Um dreiviertel Sechs (woanders nennt man das viertel vor Sechs) klingelt der Wecker. Das waren also erholsame viereinhalb Stunden Schlaf auf einer nicht sehr bequemen Matratze; in einem Hotelzimmer, dass wir so auch noch nicht erlebt haben – näher darauf einzugehen lohnt echt nicht.

Aber, wir wollen nicht undankbar sein: Als wir gestern mitten in der Nacht dort vorfahren, nimmt sich uns der Patron trotz der späten Stunde wirklich sehr freundlich und - angesichts unserer Unfähigkeit Französisch zu sprechen und seiner Unkenntnis des Englischen oder Deutschen - wirklich geduldig an. Erklärt uns mit Händen und Füßen und vielen Grimassen alles so lange, bis wir so einigermaßen alles verstanden haben, hilft uns bei der Tiefgarage für die Moppeds und überhaupt.

Er entspricht für uns total dem Bild eines französischen Gastwirts: Klein, dick, gemütlich, überhaupt sehr rundlich, polierte Glatze mit dunklem Haarkranz drumrum, mit verschmitzt lächelnden, freundlichen Augen und so weiter. Le Patron de Maison. Könnte aus einem Louis de Funès-Film sein, oder aus einer alten Jaques Tati-Komödie. Zum Schluss finden wir heraus dass er Pino Dessole heißt, und gebürtiger Italiener ist!

Jetzt also auf nach Calais: Eben noch schnell die merkwürdigen Tücken des Tiefgaragen-Bedienteils überwinden, die Auffahrt hoch - und das Wetter ist SUPER! Hah! Kein Regen! Wenn das kein gutes Vorzeichen ist!

Wir vermeiden die Fahrt über die Mautautobahnen durch Frankreich und nehmen den kleinen Umweg über Dünkirchen in Kauf, fahren kostengünstig weiter belgische Autobahnen mit bemerkenswerten Schlaglöchern. Alles prima, trotz unseres Schlafdefizits sind wir gut drauf und freuen uns wie jeck auf die kommende Zeit.

Am Autobahnkreuz vor Dünkirchen müssen wir auf die A16 nach Calais wechseln; und warum auch immer, wahrscheinlich hab ich wieder geträumt oder bin in Gedanken bei dem, was uns erwartet - und hab die Navi-Information nur mit halben Ohr gehört: Ich registriere erst im letzten Augenblick, dass wir abfahren müssen.

„Wir müssen hier runter!“, ruf ich Helga zu, bieg ab - und seh im Spiegel, wie sie es nicht mehr schafft mir zu folgen, sondern ein Stück an der Abfahrt vorbeifährt! Scheiße aber auch! Ich kann nicht sofort anhalten, hinter mir kommen Fahrzeuge - ich muss erst die Schleife hinunter zu Ende fahren, dann auf den Parkstreifen, dort rechts ran und abgestiegen. Die Helmfunkverbindung ist abgerissen, ich hab keine Ahnung was Helga grad macht. Ein mir entgegenkommender, ebenfalls die Abfahrt herunterkommender Autofahrer hat wohl mitbekommen was uns passiert ist, hupt und gibt mir Zeichen, dass sie irgendwo weiter zurück ist. Ich winke dankend zurück, und lauf gegen die Fahrtrichtung. Ich will schon die Kurve wieder hinauf, da hör ich sie auf einmal wieder in meinem Helm.

„...Mick, komm ja nicht her, sonst wirst noch zusammengefahren, bin gleich da, uff, ist das schwer...“.

Ja ist es denn zu glauben! Diese unglaubliche Frau, die erst ein paar Monate den Führerschein und ihre nun wirklich nicht leichte Honda auch erst ein paar Wochen hat, ist nicht etwa stehengeblieben, um auf mich zu warten, sondern hat die dicke Fuhre rückwärts Stück für Stück auf dem Standstreifen zurückgeschoben, einen günstigen Moment abgewartet, und fährt mir jetzt entgegen. Jetzt mal ganz im Ernst: Ist sie nicht WIRKLICH fabelhaft?

Auf der Zufahrt zum Fährhafen von Calais ist nicht viel los, und die Sonne scheint. Wir – besonders Helga – haben uns nach dem Schrecken wieder erholt und sind gut in der Zeit. Erst nach ein paar Kilometern fallen mir die hohen, von Stacheldraht gekrönten Zäune auf, die links und rechts die vierspurige Straße nach außen absperren, scheinbar ist der ganze Hafen gegen Flüchtlinge abgesperrt, wir sehen im Vorbeifahren ein paar undefinierbare Gestalten auf der anderen Seite – ich komme mir vor wie in einem Film aus den Nachrichten: Die Flüchtlingssituation in Europa trägt auch hier ihre traurigen Früchte.

Dann geht alles ganz einfach: Alles im Fährhafen ist perfekt durchorganisiert, unsere von Gaeltacht-Reisen super vorbereiteten Papiere sind einwandfrei, und schon stehen wir ruckzuck, auf einer separaten Spur für Motorräder, als Erste vor dem riesigen Schiff. Viel Zeit die für uns so ungewohnte Hafen- und Verladesituation aufzunehmen bleibt gar nicht, und schon werden wir die Rampe hoch gewunken und fahren in den Bauch der Fähre. Dort werden wir von zwei englischen Verladern empfangen, die uns einwinken; die Maschinen stehen sicher in zwei extra dafür vorgesehene Buchten und werden von ihnen fachmännisch verzurrt. Dabei fällt ihnen mein Obelix auf, der seine leeren Taschen präsentiert - eine kleine Kunststoff-Figur, die mir meine Töchter mal geschenkt haben, und die ich hinten auf das Topcase montiert habe. Ich zeige darauf, mache die Geste nach und sage: „No more money in my pockets!“. Sie lachen fröhlich, heben den Daumen.

So geht es mir oft: Egal wo ich hinkomme und andere entdecken ihn - den dicken Gallier mit den roten Zöpfen, die leeren Taschen seiner blau-weiß gestreiften Hose präsentierend - auf dem Parkplatz, an der Ampel: Alle haben ihren Spaß daran, weisen ihre Beifahrer darauf hin und schenken uns ein Lächeln.

Wir gehen nach oben, auf die Passagierdecks, und suchen uns Sessel mit Blick auf‘s Meer. Ich darf jetzt zum ersten Mal meine Englischkenntnisse ausprobieren, und Frühstück holen. Also auf zur Theke, mit etwas flauen Gefühl im Magen.

„One Café Americano (Helga will einen „normalen“ Kaffee, ich vermute einfach mal, dass das so was ist), one Cappuccino and two Brioche with smoked salmon, please“, sage ich an der Theke etwas verhalten und mit leicht belegter Stimme.

Sensation: Der Mann hinter der Theke hat mich verstanden! Und ich verstehe ihn sogar, als er mir den Preis nennt! Mit stolzgeschwellter Brust und einem Tablett mit Lachsbrötchen und heißem Kaffee in Pappbechern kehre ich zu meiner mich erwartungsvoll anschauenden Liebsten zurück.

„Well, that‘s a good beginning, my Lovely, isn‘t it?“, sag ich zu Helga, als ich unser erstes Breakfast auf sozusagen englischem Boden vor ihr auf unserem Tisch absetze.

„Und was soll das heißen? Ich kann doch kein Englisch!“.

„Dass das ein guter Anfang ist!“.

Und dann sitzen wir zwei Alten auf dem Schiff nach Merry old England, schauen aufs ruhige blaue Meer - und frühstücken. Wieder ein Stück geschafft! Sind wir nicht klasse? Sind wir!

„Ja“, sagt sie, „das ist ein guter Anfang“, und lächelt.

Und so ganz allmählich entspann ich mich.

Das Meer ist ruhig, das englische Personal sehr freundlich, die Durchsagen mit ein bisschen Phantasie verständlich. Die Uhren müssen eine Stunde zurück gestellt werden, und ich hol noch einen Kaffee – der während der ganzen Reise sowohl in England als auch in Irland viel besser ist, als unsere vom Hörensagen geformten Uralt-Vorurteile es haben vermuten lassen.

Als ich zurückkomme, sitzt Helga im fröhlichen Gespräch mit zwei Passagierinnen, die auf einer Garten-Besichtigungs-Busreise durch Cornwall sind, und so wie sie gebürtig aus Schwaben kommen. Ü-ber-all trifft man auf diese Spezies! Nicht zu fassen.

Ich würd mich nicht im geringsten wundern, wenn wir, auf unserer für das übernächste Jahr vorgesehen Australientour, mitten im Outback in der Wildniss auf eine Lagerstelle treffen, nach dem Weg fragen, und als Antwort „Ha noi, soweit ischts jetzt ah nimmr zu de Opalfelder!“ zu hören bekommen.

Nettes Geplauder, nette Leute, schönes Wetter, guter Kaffee - wir werden so richtig von Urlaubsstimmung erfasst. Später werden wir die Beiden tatsächlich noch mal treffen – mitten in England.

Die Überfahrt ist schnell rum, und schon wird die Ankunft in Dover angekündigt. Helga will sofort runter ins Verladedeck, und glaubt mir natürlich nicht, dass das noch nicht geht (im Flieger ist sie eine von denen, die schon lange, bevor sich die Türen auch nur ansatzweise geöffnet haben, mit ihrem Handgepäck im Gang stehen; womöglich würde sie ja sonst den Ausstieg verpassen, und müsste wieder mit zurückfliegen!).

O.k., dann muss sie es eben selbst erfahren: Ab in den Fahrstuhl und die Tasten gedrückt – und nichts rührt sich.

Ach was.

„Ist jetzt der Fahrstuhl kaputt?“.

Ich zeig ihr, dass die Tasten für die oberen Decks beleuchtet sind, die für die Fahrzeugdecks nicht - weil sie noch nicht freigeschaltet sind. A-haa!

Also, wieder raus aus dem Aufzug, und brav mit den Anderen gewartet. Dann kommt die Durchsage: „Please go to your Vehicles; and please! don‘t start your Motors, before the Decks are open for leaving the Ship!“ oder so was. Der Fahrstuhl ist schon unterwegs, so nehmen wir dann doch die Treppe, und gehen mit den vielen anderen Reisenden brav und gesittet das ziemlich schmale Treppenhaus hinunter. Ich stell mir vor, wie sich die Menschen in dieser Enge wohl bei einer Panik benehmen würden - und bekomm gleich Beklemmungen.

Unten entfernen die Verlader bereits die Sicherungsgurte an den Maschinen; wir bedanken uns, und sie winken fröhlich zurück. Es stinkt ordentlich nach Abgasen, denn natürlich haben ringsherum schon alle die Motoren gestartet. Kann man ja auch nicht erwarten, dass die vielen Menschen wenigstens ein bisschen auf die Durchsage hören. Oder gar so etwas wie gesunden Menschenverstand besitzen und einsetzen. Wo kämen wir denn schließlich da hin, wenn das alle machen würden - am Ende würde es womöglich allen besser gehen; und wer will das schon!

Und dann verlassen wir, zwischen riesigen Trucks, Bussen, Wohnwagengespannen und Pkw, das Schiff. Sonnenschein und die weißen Klippen von Dover empfangen uns: Wir sind in England!

Nein, halt - noch nicht ganz: Erst müssen wir durch die Zollkontrolle. Und natürlich gehören wir zu den Wenigen, die ihre Ausweise zeigen müssen: Ich hab meinen zum Glück in der Geldbörse, in meiner Jackentasche. Einmal noch den Helm ab, um mein Gesicht zu zeigen, die Frage der freundlich aber bestimmt schauenden Zöllnerin „For Business or Holiday?...“ beantwortet und gut ist‘s.

Dann kommt Helga dran, und sie hat ihren Pass im Rucksack: Der ersetzt ihr beim Motorradfahren die weibliche Handtasche, und ist dementsprechend immer gut gefüllt. So auch jetzt: Ich bekomme über den Helmfunk mit wie sie absteigen muss, im Rucksack sucht und auf einmal in Hektik ausbricht.

„Schatz, ich hab meinen Pass verloren! Oder hab ich ihn im Hotel vergessen? Ich kann ihn nicht finden!!!“.

Oh Mann - Frauen und ihre Handtaschen! Also, absteigen und hingehen. Die Autos hinter uns stauen sich, die Insassen schauen interessiert bis genervt.

„Everything fine, no problem...“ höre ich - die Zöllnerin ist die Ruhe selbst (wahrscheinlich denkt sie gerade an ihre eigene Handtasche).

Ich nehme den Rucksack, such ein bisschen und finde die Klarsichthülle, die ganz nach unten in die unergründlichen Tiefen der wahrscheinlichsten und unwahrscheinlichsten Dinge gerutscht ist. Hole den Pass meiner Holden heraus und - „Everything fine, thank you“!

Über den Helm höre ich Helgas Aufatmen. Ein freundliches Lächeln und „Thank you“ zur Zöllnerin, und dann fahren wir erst mal in eine ruhigere Ecke des Terminals. Die Helme wieder ab, die Wasserflasche geholt, uns umgeschaut und gefreut. JETZT sind wir in England.

Dann wird das Navi programmiert: Wir wollen erst Stonehenge besuchen, dann am späteren Nachmittag weiter nach Wales, nach Cardiff: Dort wartet ebenfalls ein vorab bestelltes Zimmer auf uns. Morgen früh werden wir dort auch unser erstes typisches englisches Frühstück bestellen – mal sehen, ob sich was in den vergangenen 40 Jahren seit meines letzten Besuchs auf der Insel verändert hat.

Und nun: Auf in den Linksverkehr! Mann, was sind wir aufgeregt! Aber so furchtbar ist es eigentlich gar nicht, fühlt sich eher nur seltsam an, auf der „falschen“ Seite. Irgendwie wie in der Fahrschule in der ersten Fahrstunde.

Wir schließen uns einem PKW an, der gerade das Terminal-Gelände verlässt und die ersten hundert Meter auch in unsere Richtung fährt. Aber dann ist es soweit: Das erste Abbiegen in einen der Kreisverkehre, die wir in den nächsten zwei Wochen überreichlich, in allen Größen „genießen“ dürfen; manchmal mit Ampeln, und sogar auf den autobahnähnlich ausgebauten Nationalstraßen. England ist voll davon.

Also, nach rechts schauen, nach links abbiegen und durch den Kreisel die zweite… oder war es die Dritte…. Mist, da hätten wir raus gemusst! Helga hab ich auch wieder zu spät Bescheid gesagt, dafür bekomme ich aber so richtig was auf die Ohren! Jetzt müssen wir erst ein ganzes Stück den Hügel rauf, dann wenden und wieder zurück. Aber schließlich sind wir auf der richtigen Straße und fahren bei wunderbarsten Sommerwetter die ersten Kilometer auf englischen Straßen.

Auf den Autobahnen drücken wir uns an die linke Seite der linken Fahrspur, sicher ist sicher – und DAS ist dann doch zunächst etwas sehr seltsam.

Bald fällt uns auf, dass die Lkw hier wesentlich schneller unterwegs sind als bei uns: Für Laster bis 7,5 Tonnen gilt auf den Motorways genannten Autobahnen das allgemeine Tempolimit von 70 mph, also 112 Km/h; für größere Züge immerhin noch 96 Km/h. Und genau so wenig, wie sich viele Trucker in Deutschland wirklich an die 80 Km/h-Regel halten, ist es auch hier: Die 40-Tonner fahren auch gern mal etwas flotter; und so werden wir von ihnen anfangs immer wieder überholt, obwohl wir brav mit 100 bis 110 daher rollen.

Was uns aber auch bald auffällt ist, dass es hier eine ganze Ecke ruhiger zugeht als auf unseren Nahkampf - Autobahnen zu Hause: Das Verhalten ist viel weniger aggressiv, ja eher schon defensiv. Die meisten halten sich an die Höchstgeschwindigkeit, machen bereitwillig Platz, wenn es einer doch mal etwas eiliger hat. Sollte etwa das Tempolimit daran „schuld“ sein? Sicher, England ist kein Transitland. Anders als bei uns, wo alles, was aus Europa kommt, kreuz und quer durchs Land fährt, und die Straßen entsprechend voll sind – und der Stress entsprechend hoch ist. Aber trotzdem bleib ich dabei: Ich bin mir sicher, das ein Limit den Irrsinn auf unseren Straßen zumindest etwas entspannen würde. Wir jedenfalls fühlen uns bald recht wohl, mit dieser angelsächsischen Eigenart.

Die schnellste Route nach Stonehenge geht über die M 20, M 26, M 25 und M3, dann noch etwas Nationalstraße A 303 (mit reichlich Kreisverkehren), und nach etwa 3 Stunden inklusive einmal Tanken und Nase pudern erreichen wir Stonehenge: Die berühmten Steine sind schon von weitem auf dem Hügel zur Rechten zu sehen. Die Straße führt einen aber erst mal ein ganzes Stück weiter, bis zu den Hinweisschildern auf den Parkplatz und dem Besucherzentrum, das etwa 2,5 Kilometer vom Steinkreis entfernt liegt: Man muss nämlich, nachdem man Eintritt bezahlt hat, entweder zu Fuß eine knappe halbe Stunde laufen oder mit einem Shuttle-Bus etwa 5 Minuten zum Monument fahren – wo einen dann Wege und Absperrungen in gebührendem Abstand rund um die riesigen Brocken führen.

Als ich mit 16 schon mal dort war konnte man noch zwischen den Steinen herumlaufen; und überall hatten irgendwelche Idioten, die es, wie ich seit diesem Erlebnis von damals weiß, auf der ganzen Welt gibt, ihre Namen auf die dreitausend Jahre alten Steine gekritzelt oder eingeritzt. Jetzt geht das zum Glück nicht mehr, alles ist touristisch korrekt organisiert, und die Besucherströme kanalisiert.

Gut für die Steine; aber dementsprechend kommt bei uns auch keine, diesem eindrucksvollen Ort entsprechende spirituelle Stimmung auf. Übrigens Eintritt: Gar nicht so billig – Erwachsene 22,50 Pfund! Aber: Wenn man einen Ausweis über eine Behinderung hat – so wie ich mit meinem Ersatzknie und kaputtem Rücken – dann kommt man umsonst rein! Na bitte: Ist mein Gesundheitszustand also doch zu was gut.

Auf dem Rückweg vom Shuttle-Bus zum Bistro laufen uns doch tatsächlich die beiden Schwäbinnen vom Schiff über den Weg: Sie haben auf dem Weg nach Cornwall einen Stop eingelegt! Hallo und Gelächter. So was – mitten in England!

Cappuccino und Kaffee sind wieder gut, dazu essen wir ein paar „Stonecakes“ - die zum Glück ihrem Namen Steinkuchen nicht gerecht werden, sondern recht lecker sind. Dabei studieren wir unsere Karte, lassen uns vom Navi die Route nach Cardiff zeigen und Alternativen ausrechnen.

Zurück auf dem Parkplatz treffen wir auf ein Schweizer Bikerpaar neben ihrer BMW R 1200, die sich Südengland ansehen. Wieder ein nettes Schwätzchen, eins von noch ganz vielen, die noch folgen werden. Jetzt aber auf nach Cardiff!

Über die M4 geht es zuerst Richtung Bristol, dann über die 1,5 Km lange Severn-Hängebrücke, eben über den Fluss Severn. Sie verbindet den zur Grafschaft County of Avon gehörenden Bezirk South Gloucestershire und die sogenannte walisische „Principal Area“ Monmouthshire (so was wie ein Verwaltungsbezirk) - sozusagen die Grenzbrücke zwischen England und Wales. Ab hier ist die Beschriftung der Schilder meistens zweisprachig: In Wales wird die keltische Sprache, das Gälische stark gefördert, etwa 21% der 3 Millionen Waliser sprechen diese nachweislich seit dem 4. Jahrhundert in Britannien heimische Sprache.

Es gibt etwa vier mal so viele Schafe wie Einwohner. Also Vierbeinige, von den Zweibeinigen weiß ich nichts. Außer denen, die uns ein paar Mal angehupt haben, als wir nicht schnell genug auf die richtige, also die linke Seite der Straße gewechselt sind, sind mir keine aufgefallen.

Zwischendurch ein bisschen Wissen für Besserwisser: Gloucestershire wird „Glosterscher“ ausgesprochen, und Monmouthshire spricht man „Monmevsher“ - immer mit der Betonung auf der ersten Silbe.

Deshalb wird die berühmte Würzsoße aus der Grafschaft Worchestershire auch nicht so irgendwie wie „Wortschestersoße“ ausgesprochen, sondern „Wuustersoas“. Es gibt jede Menge Hersteller diverser Variationen, unter anderem auch die Amerikanische von Heinz - die aber eine andere Zusammensetzung hat. Das Original von Lea & Perrins heißt übrigens „Worcestershiresauce“, alle anderen sind Kopien; und nach dem, was wir gerade gelernt haben, wird sie also „Wuustershersoas“ ausgesprochen. Und die ist die einzig Echte!

Wahrscheinlich käme man mit diesem Wissen beim Verkaufspersonal in einem deutschen Supermarkt nicht wirklich weiter. Aber, wer weiß, vielleicht lieg ich ja mit meinen klischeehaften Uraltvorurteilen völlig falsch? Könnt man ja mal testen!

Die Brücke ist übrigens mautpflichtig; aber als wir an der Zahlstelle ankommen sagt uns eine Leuchtschrift, dass wir weiter vorfahren sollen, Motorräder seien frei – angenehme Überraschung! Die Schranke hebt sich, und wir fahren weiter. Links von uns fährt gleichzeitig mit uns ein roter Sattelzug los. Der Fahrer winkt mir fröhlich zu, und ich winke verdutzt zurück. Das wird uns noch öfter passieren: Viele Trucker haben wohl etwas für uns Biker übrig (oder für meinen Obelix auf dem Topcase?). Immer wieder werden wir von ihnen gegrüßt, sie lassen uns die Vorfahrt oder machen uns Platz. Erst als wir wieder auf dem Kontinent sind mault uns einer von ihnen aber so richtig und so was von an; aber so weit ist es ja noch lange nicht.

Die Fahrt nach Cardiff geht weiter, es sind noch etwa 45 Km. Etwa 10 Km vor unserem Ziel ist die Autobahn wegen Bauarbeiten gesperrt, und wir müssen runter. So ganz sicher sind wir noch nicht im Linksverkehr, alles ist neu, ungewohnt, unsicher; und auch die Beschilderung begreifen wir manchmal erst, wenn es schon fast zu spät ist um zu reagieren. Und so stehen wir jetzt unschlüssig an der Ausfahrt, und wissen nicht recht, wo die Umleitung her geht.

Plötzlich ertönt hinter uns eine LKW-Fanfare: Ich blicke nach links hinten - da steht doch tatsächlich der rote Truck von der Mautstelle! War wohl auch etwas schneller als erlaubt.

Der Fahrer, ein älterer Kerl mit grauem Bart und zotteligen Haaren lehnt sich lachend aus dem Fenster und brüllt: „Hi! Where are you driving?“.

„Cardiff!“ rufe ich. Er gestikuliert und zeigt auf die Abfahrt nach links, hebt den Daumen. Wir winken, brüllen „Thank you!“ und fahren los, er hinter uns her. Eine ganze Weile sehen wir ihn noch im Rückspiegel, aber nach dem nächsten Kreisverkehr ist er zu weit zurück. Es dauert noch eine Viertelstunde, und gegen 20.30 Uhr kommen wir an unserem Hotel an.

Die Hafenstadt Cardiff ist die Hauptstadt von Wales, und mit etwa 360.000 Einwohnern auch die bevölkerungsreichste. Sie liegt ganz im Süden von Wales, an der Mündung des Severn. Der Schriftsteller Ken Follet („Die Nadel“ und „Die Säulen der Erde“) stammt von hier, ebenso die Sängerin Shirley Bassey („Goldfinger“) und Shakin‘ Stevens („Marie Marie!“). Das Stadtzentrum, also da wo am meisten los ist, mit Läden, Pubs und Restaurants, ist in der Queen-Street und der St. Mary Street. Und genau da, nämlich in Hausnummer 21, befindet sich unser gebuchtes Hotel, das Sandringham - mitten in der Fußgängerzone. Wir sehen es aus einiger Entfernung, aber hinfahren geht nicht: Dicke Poller versperren die Einfahrt in die Fußgängerzone; zusätzlich ist noch eine Baustelle direkt vor dem Eingang.

Ich bin doch etwas überrascht: Hab ich die Lage bei der Buchung etwa nicht berücksichtigt?

Als wenn sie mich deswegen auslachen wollen kreischen ein paar große Möwen lauthals vom Dach herunter – sie sitzen auf dem Rücken des großen, klassischen Steinlöwen, der die Fassade des Hotels krönt. Wir stellen unsere Maschinen etwa hundert Meter vorher in einer Bushaltebucht ab - neugierig bleiben ein paar Passanten stehen. Helga bleibt bei den Moppeds, ich geh mal hin, die Lage klären.

Ja welcome, naturally ist das Zimmer reserviert. Und nein, eine Zufahrt, einen eigenen Parkplatz oder gar eine Garage gibt es nicht. Aber, so versichert mir der wirklich sehr nette und bemühte Inhaber Eric Dutton, gleich hinter dem Hotel gäbe es eine von mehreren Polizeikameras bewachte Sackgasse, die Bakers Row; dort würden die Motorräder „save“ stehen. Oder ein Parkhaus um die Ecke, pro Motorrad £ 5,-. Aber es wäre wirklich sicher in der Straße, „….don‘t worry!“.

Skeptisch fahren wir hin und sehen, dass sich dort auch der Eingang zu einem Club befindet, vor dem gerade von Securityleuten Absperrgitter aufgebaut werden. Au backe, auch das noch! Wir malen uns aus wie es ist, wenn nachts die Besucher der Disko über unsere Moppeds herfallen. Also doch Parkhaus?

Helga macht es jetzt so wie sie es eben immer macht - wenn ich unschlüssig herumstehe, hin und her überlege und abwäge: Sie geht einfach los und fragt, ob wir die Maschinen hinter die Gitter, in den hinteren Teil der Sackgasse stellen können, weil es uns dort sicherer erscheint als sie quasi direkt vor dem Eingang des Clubs abzustellen. Ein bisschen muss ich übersetzen, aber eigentlich versteht sie jeder auch ohne mich. Wozu bin ich überhaupt mitgekommen?

„No Problem, sure, wait a Moment“.

Die Türsteher machen die Gitter auf, so dass wir durchfahren können und eine Ecke finden, die auch noch im direkten Sichtfeld einer der Überwachungskameras ist. Wir bauen trotzdem sicherheitshalber alle Koffer und Taschen ab. Auch die, die wir für heute nicht brauchen, und schleppen sie um zwei Ecken ins Hotel. Mr. Dutton sagt uns, dass der Club erst um 4 Uhr früh schließt, und die Securityleute immer sehr bemüht sind und aufpassen; das gibt uns dann doch ein sichereres Gefühl.

Das Hotel selbst ist etwas „old-fashionend“, und für unsere Begriffe irgendwie…. englisch. Aber, es ist sauber und ordentlich, nix zu meckern. Unser Zimmer ist im dritten Stock, und – ja, genau: Sorry, aber einen Aufzug gibt es nicht. War ja klar. Aber: Es gibt ein Highlight! So wie sich das Helga unterwegs über den Helmfunk gewünscht hat - „..es wäre sooo toll nach den ganzen Strapazen, wenn das Zimmer eine Badewanne hätte...“ - hat das Zimmer: Eine groooße Badewanne!

Was uns noch sehr gefällt ist ein Wasserkocher im Zimmer, eine kleine Auswahl Teebeutel, Nescafé-Tüten, Zucker, Milchdöschen und zwei Tassen.

So was finden wir ab jetzt in jedem Hotel oder B&B auf unserer Fahrt. Sehr angenehm, sich auf dem Zimmer jederzeit etwas Warmes zu trinken machen zu können. Ob das etwa mit dem Wetter zu tun hat?

Nachdem wir uns wieder etwas frischer gemacht haben gehen wir noch raus: Irgendwas wollen wir noch essen. Aber mittlerweile ist es schon kurz nach Zehn, und alles, bis auf McDings, Pubs in denen es nur was zu trinken gibt und Clubs hat schon zu. Nur im Chicken-Cottage (Slogan: „...it‘s all about the taste“) ist Licht, ein Schnellimbiss. Schnell hin! Doch als wir an die Türe kommen sehen wir, dass schon geputzt wird. Mist. Aber, wir haben Hunger!

Ist die Türe noch auf? Ja! Also gehen wir rein und fragen einfach den jungen Mann hinter der Theke; aber „sorry“, sagt er, „we‘re closing“ - sie schließen gerade. Da kommt aus der Küche dahinter ein Mann um die Mitte Vierzig, begrüßt uns und sagt, das er noch Fish and Chips machen könne; und ob das für uns o.k. wär? Oh Mann, und ob das o.k. ist!

Super – er geht nach hinten, wir hören wie die Fritteuse anfängt zu bruzzeln. In der Zwischenzeit bezahlen wir einen, wie wir später beim Essen feststellen, mehr als angemessenen Preis für eine großzügige Portion leckerem und ganz frisch zubereitetem, echt englisches Essen - our first real and traditional English Fastfood. Helga versteht zwar nicht warum ich Vinegar, also Essig, und extra Salz auf meine Portion tue. Aber - das ist hier nun mal so, weiß ich noch von damals.

Die beiden hinter der Theke sind Vater und Sohn, wir vermuten mal arabischer oder pakistanischer Herkunft. Nachdem wir erzählt haben, dass wir beide auf Motorrädern unterwegs sind, wo wir herkommen und hinwollen, kommen wir ins Quatschen (ich kann‘s gar nicht glauben wie leicht es mir auf einmal fällt englisch zu reden; und ich hatte so einen Schiss davor!).

Der Vater ist früher eine Kawasaki irgendwas gefahren, „...it was great“; will aber nicht, dass sein Sohn es ihm nachmacht: „It‘s so dangerous today!“. Und er habe es ihm verboten. Ich frage den Sohn wie alt er denn sei; und er lächelt, als er sagt, das er achtzehn sei. Sein Vater grinst.

Als wir gehen verabschieden wir uns mit Handschlag, einer großen Tüte voll mit lecker duftendem, gebackenem Fisch und dicken, knusprigen Pommes – und einem warmen Gefühl. Auf dem Zimmer schmeißen wir dann unsere Klamotten in die Ecke, machen es uns wie zu seligen Jugendherbergszeiten auf dem Bett bequem, packen unser Essen aus - und fühlen uns so richtig gut. Und danach: In die Badewanne!

Ahhhhh – DAS tut vielleicht guuut….


Zweimal Fish and Chips, please!

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