Читать книгу Eiserner Wille - Mike Tyson - Страница 10
ОглавлениеMein psychologisches Training war schon in vollem Gange, als Cus an meinen boxerischen Fähigkeiten zu arbeiten begann. Er wartete gleich mit einer Innovation in der Boxtechnik auf. Cus hatte einen neuen Boxstil entwickelt, den seine Gegner verächtlich „Peek-a-boo“ nannten, abgeleitet vom „Guck-guck-Spiel“ für Kleinkinder. Dieser Stil basierte auf Cus’ Bewunderung für die Art und Weise, in der Slapsie Maxie Rosenbloom boxte. Maxie bestritt 274 Kämpfe und ging lediglich zweimal k. o., während er 207 Mal gewann. Er erlernte das Boxen nach der alten Schule und wurde anfangs ordentlich versohlt. Doch dann änderte er seine Kampftechnik, indem er seine Hände oben hielt, um sich zu schützen. Er stand in der Mitte des Rings und wich jedem Schlag seines Gegners aus. Er war kein harter Puncher, aber er fightete großartige Boxer in Grund und Boden; er watschte sie einfach zu Tode.
Maxie ließ zwar gute Boxer alt aussehen, war aber ein langweiliger Kämpfer. Cus modifizierte Maxies Stil, um es seinen Kämpfern zu ermöglichen, nach vorne zu gehen und aggressive Konterboxer zu werden. 1959 erklärte er einem Reporter des Magazins Life den Ursprung des Peek-a-boo-Stils. Er entstand aus der Angst, die jeder Boxer zu erkennen gibt. „Um diese Angst zu vermeiden, musst du geschützt sein – nicht nur zeitweise, auch nicht überwiegend, sondern die ganze Zeit. Du kannst nicht riskieren, ohne Deckung dazustehen. Jedesmal, wenn du auf Risiko spielst und verlierst, wirst du verletzt. Und wenn ein Boxer verletzt wird, ist er eingeschüchtert und denkt, er ist müde, ausgelaugt. Dann hält er die Deckung oben. Bei meinem Stil ist die Deckung von Anfang an oben. Du riskierst nichts. Der rechte Arm schützt immer die Leber, der linke den Solarplexus. Die Hände schützen das Kinn. Wenn du mit der Linken in die Auslage gehst, arbeitet der Arm wie ein Kolben. Wenn du dich bewegst, bewegst du dich wie eine Eule. Dann wirst du plötzlich nicht mehr getroffen, und das bedeutet, dass du nicht verletzt wirst. Und wenn du nicht verletzt wirst, dann macht das Boxen Spaß. Und wenn ein Boxer Spaß am Kämpfen hat, kann ihn nichts mehr bremsen.“
Cus wurde von der Presse verspottet und „Cautious Cus“, „vorsichtiger Cus“ genannt. Seine Nichte Betty erzählte, dass die Vorsicht in der ganzen Familie eine große Rolle spielte, ebenso wie man stets auf alle Eventualitäten vorbereitet war. Auch Al Caruso, einer der ersten Boxer, der diesen Stil von Cus erlernte, schrieb ihn dessen vorsichtiger Natur zu. Aber Caruso erkannte auch die aggressive Komponente, die Cus hinzugefügt hatte: „Der Peek-a-boo-Stil ist nicht dafür gemacht, nur jedem Schlag erfolgreich auszuweichen. Du lässt den Kerl ein-, zweimal daneben schlagen und dann greifst du an“, sagte Caruso. Cus wusste, dass es verheerende Auswirkungen auf die Psyche hat, wenn einer ständig sein Ziel verfehlt. Ein riesiger Puncher, der keinen Schlag anbringen kann und dann den Konter abbekommt, wird eingeschüchtert, weil seine größte Stärke plötzlich zur Schwäche wird.
Manche nannten diesen Stil auch „Schildkrötenstil“, obwohl Cus seine Inspiration von Katzen hatte. Cus sagte einmal zu Eugene „Cyclone“ Hart, einem Profiboxer, den er trainierte: „Manchmal bin ich aufgewacht und dachte über Kämpfe zwischen Katzen nach. Ich hatte einmal eine Katze. Ich spielte mit ihr und wollte ihre Pfoten festhalten, aber bis ich sie erwischte, hatte sie schon dreihundert Treffer gelandet.“ Cus verglich alles mit dem Boxen. Er beobachtete zwei Kakerlaken beim Kämpfen und sagte. „Hast du das gesehen? Sie jabt!“ (Ein Jab ist eine kurze Gerade mit der Führhand) Katzen sind sehr agil, sie bewegen sich von einer Seite zur anderen und täuschen an. Sie sind die besten Killermaschinen der Welt. Cus sagte, ich würde mich wie eine Katze bewegen.
Es ist nicht einfach, den Peek-a-boo-Stil anzuwenden. Man muss die ganze Zeit den Kopf bewegen, um den Schlägen auszuweichen. „Beweg deinen Kopf, beweg deinen Kopf“, war Cus’ Mantra. Viele Boxer hatten auch Probleme damit, die Hände oben zu lassen. Der Vater meines Mitbewohners Tom Patti, Anthony, hatte mit Cus bereits in den Vierzigern trainiert. Wenn Anthony ihn wegen eines Kampfes nervte, sagte Cus: „Du hast noch nicht gelernt, deine Hände oben zu lassen. Wenn du es gelernt hast, besorg ich dir einen Kampf.“ Und dann ließ er Anthony vor einem Spiegel trainieren. Er band Anthonys Rechte mit einer Schnur um den Nacken fest, sodass er sie nicht runternehmen konnte.
Du wusstest nie, woher Cus seine Inspirationen bekam – Katzen, Kakerlaken. Als er einmal im Süden war, um einen Kampf für Floyd Patterson zu organisieren, stellte ihm einer der reichen Sponsoren seines Gegners einen erstaunlichen Typen namens Bobby Lamar „Lucky“ McDaniel vor. Dieser Kerl hatte ein einzigartiges Talent. McDaniel griff sich ein Luftgewehr ohne Zieleinrichtung. Dann nahm er eine Unterlegscheibe aus Metall mit einem Loch in der Mitte wie ein Donut. Er warf die Scheibe in die Luft und traf sie auf der Fläche um das Loch herum. Später konnte er die Kugeln sogar durch das Loch schießen. Er umwickelte die Unterlegscheibe mit einem Stück Stoff und schaffte es immer noch, durch das Loch zu schießen. Aber das Erstaunlichste daran war, dass er das jedem innerhalb einer Stunde beibringen konnte, und niemand schoss daneben. Das war irgend so ein Matrix-Scheiß. Es stellte sich heraus, dass McDaniel das Unterbewusstsein seiner Schüler trainierte, ähnlich wie der Zen-Mönch das Bogenschießen lehrte. Cus stellte fest, dass man sogar sehen konnte, wie die Kugel durch das Loch ging, wenn man das Ganze vor einem dunklen Hintergrund machte. Das menschliche Gehirn ist wirklich erstaunlich. Eine Kugel bewegt sich mit rund hundertzwanzig Metern pro Sekunde. Keine menschliche Hand bewegt sich so schnell. Cus fragte sich also: Wenn das Auge die Kugel sehen kann, warum kann es dann nicht einen Boxhieb kommen sehen? Du wirst getroffen, weil du die Koordination zwischen Gehirn und Körper nicht trainiert hast, um dem Hieb auszuweichen. Idealerweise hat dein Gegner schon begonnen, den Schlag auszuführen, dann kann er nicht mehr zurück, er verfehlt dich, und du gehst in den Konter. Cus war damals klar geworden, dass er mit Boxern trainieren konnte, den gegnerischen Schlägen auszuweichen. Dazu ließ er sich etwas einfallen, dass er „Slip Bag“ nannte. Eigentlich war es Cus’ Bruder Nick, ein Chiropraktiker, der auf einer Farm in Long Island lebte, der den Slip Bag konstruierte. Floyd Patterson schrieb dazu in seiner Autobiografie: „Nick nahm eine gewöhnliche Boxbirne aus Leder, aber statt sie aufzublasen, füllte er sie mit rund viereinhalb Kilo Sand. Sie wurde an einer von der Decke herabhängenden Kette befestigt und war ungefähr in der Höhe meines Kopfes, wenn ich in Kampfstellung war. Ich stieß die Boxbirne an, sodass sie nach vorne schwang, und wartete, bis sie wieder auf mich zu kam. Ich versuchte, solange zu warten, bis sie fast mein Gesicht berührte. Das Ziel war, der Birne auszuweichen, wie ein Boxer, der einem gegnerischen Hieb ausweicht.“ Cus begann sofort, mich am Slip Bag zu trainieren. Um von der zurückschwingenden Birne nicht getroffen zu werden, machte man mit dem Oberkörper u-förmige Ausweichbewegungen. Anfangs war es schwierig, aber dann gewöhnte ich mich daran und wurde richtig gut darin.
Neben dem Slip Bag benutzte Cus auch eine Wäscheleine, die er zwischen zwei Wänden spannte. Die Boxer mussten die Leine entlang laufen und dabei von einer Seite auf die andere wechseln, indem sie knapp unter der Leine „durchtauchten“. Eine von Cus’ Lieblingsbewegungen für einen Konterschlag war ein Sprung nach links und dann ein Aufwärtshaken. Cus erklärte Al Caruso, dass er diese Bewegung am besten in einem Bürogebäude in Manhatten üben könne, indem er dort mit Sidesteps in eine Drehtür ginge.
Aber die innovativste Trainingsmethode, die Cus entwickelte, war der Willie Bag. Er erfand dieses Gerät, als José Torres für seinen Kampf gegen Willie Pastrano trainierte. Der Willie bestand aus fünf Matratzen, die auf einen Rahmen gespannt waren. Auf die vorderste Matratze waren die Umrisse eines Mannes gezeichnet, bei dem verschiedene Körperteile nummeriert waren, um verschiedene Schläge zu kennzeichnen. Nummer eins war ein linker Haken zum Unterkiefer, zwei ein rechter Haken zum Unterkiefer, drei ein linker Aufwärtshaken, vier ein rechter Aufwärtshaken, fünf ein linker Haken in die Leber, sechs ein rechter Haken in die Milz, sieben ein Jab zum Kopf und acht ein Jab auf den Solar Plexus. Dann nahm Cus ein Tonband auf, das er mit Nummernfolgen besprach. Der Boxer führte dann den der Nummer entsprechenden Schlag am Willie aus. Zuerst sagte er alle fünf Sekunden eine Zahl. Dann wurden die Ansagen immer schneller. Wieder streckte die Idee dahinter, in einen Zen-Status zu gelangen, indem man durch reine Wiederholung die Schläge schließlich instinktiv ohne nachzudenken ausführt.
Der Gedanke dazu kam ihm, als er auf einen europäischen Pianisten stieß, der ein Lernsystem zum Klavierspielen entwickelte. Eine weitere Inspiration zum Willie Bag waren Cus’ Ausflüge auf die Rennbahn, wo er beobachtete, dass die Jockeys ihre Peitsche an bestimmten Körperstellen der Pferde einsetzten. Die Pferde reagierten darauf und wurden schneller. Damals, in den Vierzigerjahren, entwickelte einer von Cus’ Freunden eine Technik für Sekretärinnen, um die Zahl ihrer Anschläge beim Tippen zu steigern. Er nahm eine Schallplatte auf, auf die er Sätze diktierte, erst langsam, dann immer schneller werdend, und entsprechend steigerten auch die Sekretärinnen ihr Tempo auf der Schreibmaschine. Cus sprach in einer Dokumentation über José Torres von seiner Erfindung.
Cus: „Dieses Gerät verbessert die Schnelligkeit, die Genauigkeit, die Koordination und die Ausdauer. Torres war nach sechs bis acht Wochen Training mit diesem Gerät in der Lage, eine Kombination aus sechs Schlägen in zwei Fünftelsekunden auszuführen. Interviewer: „Das ist wirklich schwer zu glauben.“ Cus: „Natürlich, aber ich hatte eine Stoppuhr und nahm die Zeit in Anwesenheit der ganzen Zeitungsleute, fünf-, sechsmal hintereinander. Dann stellte ein Reporter die Frage: ‚Funktioniert das auch, wenn Pastrano sich bewegt?‘, und ich erklärte ihm dann, dass auch Pastrano irgendwann mindestens eine Sekunde lang stillstehen muss, und wenn Torres dann in der Position ist, zuzuschlagen, dann braucht er nur zwei Fünftelsekunden, um vier bis fünf Treffer zu landen.“
Das Tolle an diesem System war, dass man es während eines Kampfes anwenden konnte. Cus konnte in der Ecke seines Boxers stehen und ihm irgendwelche Zahlen zurufen, ohne dass der Gegner und der gegnerische Trainer eine Ahnung davon hatten, was die Zahlen bedeuteten.
Cus war sehr gut in kurzen Schlägen. Durch die kürzere Distanz erhöhte sich die Schlagkraft bei einem Treffer. Cus war der Ansicht, dass ein harter Punch nichts mit der körperlichen Stärke einer Person zu tun hatte, sondern mit Präzision und kontrollierten Emotionen. Eine weitere Technik, die Cus lehrte, waren Kombinationen aus raschen Schlagabfolgen. Er sagte mir immer: „Du erzielst die größte Wirkung, wenn sich zwei Schläge wie einer anhören.“ Er war der Meinung, dass die Energie in der Geschwindigkeit lag. Diesem Knall, bei dem sich zwei Schläge wie einer anhören, möglichst nahezukommen – das war es, was Cus als Perfektion ansah. Er glaubte auch, dass man nur durch Treffer zu Boden geht, die man nicht sieht. Demzufolge war das Überraschungsmoment ein wichtiger Bestandteil des Boxens. Schnelligkeit, Timing, Bewegung, Präzision, Überraschungsmoment – das alles zusammen mit einer entspannten Haltung unter Druck. Das war das Nonplusultra.
Cus war seiner Zeit wirklich weit voraus. Er war mit Dr. Robert Gross befreundet, der zusammen mit seiner Frau Joy das Pawling Health Manor in Upstate New York mitbegründet hatte. Von ihnen lernte Cus viel über den damals aktuellen Kenntnisstand zum Thema Ernährung und über die richtigen Nahrungsergänzungsmittel, und sein Bruder Nick zeigte ihm grundlegende Techniken der Chiropraktik. Ich trainierte so hart, dass ich mir den Rücken verrenkte. Cus wies mich an, mich kopfüber mit den Knien am Treppengeländer einzuhängen und zu entspannten. Dann renkte er meine Rücken- und Halswirbel ein. Einmal bearbeitete Cus mich so stark, dass ich am darauffolgenden Morgen nicht mehr richtig laufen konnte, dann musste ich zu einem richtigen Chiropraktiker.
Seitdem ich im Haus wohnte, hatte ich rund um die Uhr Zugang zu all den alten Boxfilmen. An manchen Tagen sah ich mir diese Filme zehn Stunden am Stück an. Ich machte meinen Doktor in Boxgeschichte. Einige der alten Boxer wurden zu meinen Idolen. Ich liebte Dempsey. Ich fand es gut, dass er so aggressiv war, aber noch mehr gefiel mir an ihm, dass er sehr berühmt und sehr reich gewesen war. Dempsey war stets elegant gekleidet und alle damaligen weiblichen Berühmtheiten waren Fans von ihm. Er war bedeutender als das Boxen selbst, bedeutender als der ganze damalige Sport und bedeutender als Babe Ruth.
Auch Joe Gans verehrte ich. Gans war der erste afroamerikanische Weltmeister des zwanzigsten Jahrhunderts. Er wurde als einer der größten Boxer aller Zeiten im Leichtgewicht betrachtet und war bekannt als der „Old Master“. Was mich am meisten beeindruckte, war die Art, wie die weißen, rassistischen Reporter um die Jahrhundertwende über ihn schrieben. Sie betrachteten ihn als einen Gott, weil ihn niemand schlagen konnte. Er hat keinen Kampf regulär verloren, bis er an Tuberkulose erkrankte, an der er schließlich starb. Die anderen Kämpfe seiner Laufbahn verlor er, weil er sie platzen ließ, um sich um seine Familie zu kümmern. Aber jeder wusste, dass ihn keiner schlagen konnte. Ab und zu gab es stolze weiße Boxer, die von sich behaupteten: „Bei mir wird sich keiner absichtlich auf die Bretter legen. Ich kann jeden Mann der Welt in einem fairen Kampf schlagen.“ Und Gans knockte sie so einfach aus, dass es zum Lachen war. Gans war weniger bedrohlich als Jack Jackson. Er wusste, wie er durchkam – er kannte seinen Platz, wenn man so will –, aber er war meisterhaft.
Benny Leonard war ein weiterer Leichtgewichtsboxer, den ich bewunderte. Er war ein richtig arroganter Sack, nicht nur beim Boxen. Leonard ließ sich von niemandem etwas gefallen. Während des Ersten Weltkriegs trainierten alle großen Boxer in einer Sporthalle eines Deutschen, der behauptete, die Juden seien schuld am Krieg. Viele harte jüdische Boxer trainierten dort und wehrten sich nicht dagegen. Nicht so Benny. Er verließ die Sporthalle des Deutschen und trainierte bei Stillman’s, das einem Juden gehörte und nicht besonders gut lief. Als Leonard ging, folgten ihm alle, auch Nichtjuden, zu Stillman’s. Mir gefielen Boxer, die nicht nur große Techniker, sondern auch Leitfiguren waren. Kerle wie Gans und Leonard wogen nur sechzig Kilo, hatten aber dennoch Größe und waren kleine Giganten auch außerhalb des Rings.
Cus und ich konnten uns stundenlang über diese frühen Kämpfer unterhalten. Und worüber sprachen wir? Über Boxer, die schon als Kinder Champions waren, Jungs wie Jimmy McLarnin und Georges Carpentier, Typen, die schon als Babys boxten. Georges Carpentier hatte seinen ersten Profikampf im Alter von vierzehn. Er kämpfte gegen wirklich jeden. Mit neunzehn war er Champion aller Gewichtsklassen in Europa.
Cus liebte Henry Armstrong. „Stetiger Angriff, kein Nachlassen, beweglicher Kopf und gute Deckung. Das war Armstrong, er brach den Willen seines Gegners, zerstörte dessen Kampfgeist und machte alles, wofür er stand, zu einer verdammten Lüge“, sagte Cus. Er kannte ihn sehr gut. Cus kannte all die alten Boxer, und wenn sie ihn trafen, nannten sie ihn „Mister Cus“. Beau Jack zum Beispiel. Cus mochte diesen Kerl, er war sein liebster Leichtgewichtsboxer. Einmal rutschte er während eines Kampfes aus und kugelte sich das Knie aus. Der Kampfrichter ging in die gegnerische Ecke, um mit dem Trainer zu sprechen, und Beau Jack sprang auf und hüpfte auf seinen Gegner zu, um weiterzukämpfen. Jedes Mal, wenn Beau Jack und Cus sich über den Weg liefen, zog Cus seinen Hut und sagte: „Ich ziehe meinen Hut vor diesem Mann. Er kämpfte auf einem Bein, hüpfte zu seinem Gegner. Niemals sonst habe ich solch eine Tapferkeit gesehen.“
Cus war so angetan von diesen alten Boxern, dass er manchmal sogar ihr Benehmen entschuldigte. Jack Dempsey konnte im Ring sogar Zigarre rauchen, und Cus sagte so in etwa: „Damals hatten sie gerne eine Zigarre im Mund als Zeichen ihres Erfolgs, aber er hat sie nie angezündet.“ Ich wusste, dass das gelogen war. Er führte nur die Qualitäten eines Champions an, die mich zu den richtigen Dingen inspirierten. Sie hatten keine schlechten Eigenschaften, sie waren perfekt. Auch wenn es im Ring übel und gemein zuging, boxten sie immer ruhig und gefasst, schärfte er mir ein. Ich fand diese Geschichten immer sehr spannend – wie der eine Boxer von weither kam, um gegen den anderen großen Boxer zu kämpfen. Wie dieser schwarze Boxer sich alleine dem Kampf stellte, obwohl all die weißen Kerle sagten, sie würden ihn töten, und er ging hin und gewann.
Cus sagte mir immer, ich müsse ein Krieger sein. „Wenn du keinen Kampfgeist hast“, sagte er, „wirst du nie ein Kämpfer werden, egal wie groß und stark du bist.“ Er verdeutlichte mir dieses Thema immer wieder durch Geschichten großer Kämpfer der Antike. Ich kannte keine antiken Helden, aber wenn Cus Namen wie Alexander der Große oder Dschingis Khan fallen ließ und sagte, dass sie die größten und besten überhaupt gewesen seien, weckte er mein Interesse an ihnen. Wir sprachen über Geschichte, und wenn Cus zum Beispiel Hannibal erwähnte und sagte, er hätte Italien erobert, rannte ich sofort zur Enzyklopädie. Diese Figuren aus der Antike wurden meine Vorbilder. Ich las alles über die Punischen Kriege, alles über die Venezianischen Kriege. Ich las, wie diese Typen gewaltsam andere Länder eroberten und Machtkämpfe mit ihren Brüdern und Schwestern austrugen. Ich lernte schnell, dass Macht etwas war, wofür es sich lohnte, zu töten und zu sterben.
Ich hörte Leute, die Machiavelli zitierten, und machte mich schlau über ihn. Ich las alles über Charles Martel, Clovis, Shaka Zulu und den Jugurthinischen Krieg. Ich bewunderte Vercingetorix. Am Ende hat er verloren, weil Caesar ihn tötete, aber vorher war er ein wunderbarer Krieger gewesen. Durch Cus erfuhr ich etwas über Spartakus. Cus erzählte mir auch, dass Italiener und Afrikaner sich seit Anbeginn der Zeit bekriegten. Er sagte, der Grund dafür, warum die Sizilianer den Ruf hatten, schwarz zu sein, sei der, dass sie sich mit den afrikanischen Kämpfern der Antike vermischten.
Cus war ein großer Geschichtenerzähler. Er sprach über die kleinsten Kleinigkeiten, als wären es Ereignisse, die die Welt erschütterten. Wir waren alle sehr neugierig und hingen an seinen Lippen. Und Cus erzählte mit Begeisterung, weil Begeisterung ansteckend ist und Menschen zu Taten bewegt. Er war bis zum Tag seines Todes ein Enthusiast. Er sprach über ein mickriges Stück Pizza aus Catskill, als hätte Wolfgang Puck, der berühmte österreichische Koch in Kalifornien, sie gebacken. „Ich war schon überall auf der Welt, aber das ist die beste Pizza, die ich je gegessen habe!“ Alles war das Beste der Welt. Er ließ das kleinste Ding riesig erscheinen. Er konnte aus der langweiligsten Sache ein spannendes Thema machen. Er besaß diese Gabe.
Cus war ein meisterhafter Verkäufer. Dieser Kerl ließ mich glauben, ich sei Schwergewichtsweltmeister, schon als er mich zum ersten Mal sah. Was er verkaufte? Er hat mich auf diese verdammte Mission geschickt. Ich war doch noch ein verschissenes Kind, ich wusste nicht, wie ich das anstellen sollte. Aber es war so abenteuerlich, dass es zu meinem Ideal wurde. Und warum nicht? Ich las von diesen Boxlegenden, und er erzählte mir, ich könnte einer von ihnen sein. „Du wirst sie alle in den Schatten stellen, und der einzige Grund dafür, dass man sich an sie erinnert, wird sein, dass du von ihnen erzählst“, sagte er mir ständig. Dieser Mann ließ mich nach Ruhm hungern wie ein Wilder. Ich hätte alles getan – gestohlen, gelogen und betrogen. Ich musste es schaffen.
Einer der Gründe für meinen Eifer war mein Wissen, dass Cus mich hundertprozentig unterstützte. Cus war so hart und kalt, wenn es um Rassismus in diesem Land ging, als wäre er ein verbitterter Schwarzer. Er sah sich selbst als „Nigga“, als ein italienisches Kind, das mit vielen Vorurteilen aufwuchs, die ihm die Iren in der Bronx entgegenbrachten. Cus war diesbezüglich besonders empfindlich. Er sagte immer, selbst Sklaven hätten einen bestimmten Wert gehabt, aber „ein Italiener war keinen Pfennig wert. Die Sklaven hatten wenigstens was zu essen. Die Italiener bekamen nichts. Sie ließ man verhungern“. Als sein Vater krank wurde, konnten sie ihn nicht zu einem richtigen Arzt bringen. Sie mussten auf einen kleinen italienischen Medizinmann warten, der ins Haus kam und seine kleine Tasche auf dem Fahrrad transportierte.
Niemand machte mir stärker bewusst, dass ich ein Schwarzer bin, als Cus: „Die denken, sie sind was Besseres als du, Mike“, sagte er über die Weißen. Das war kein leeres Gerede. Einige Monate nachdem ich bei ihm eingezogen war, hatte Cus das südafrikanische Boxteam zu Gast, das während der Apartheid nur aus Weißen bestand. Das Erste, was Cus tat, war, ihnen Folgendes zu sagen: „Es gibt einen schwarzen Jungen in diesem Haus. Er gehört zur Familie. Ihr behandelt ihn mit demselben Respekt, mit dem ihr uns behandelt, habt ihr verstanden?“ Freundlich, aber todernst. Und sie antworteten: „Ja, Sir.“
Das berührte mich zutiefst. Wie hätte ich diesen Mann nicht lieben können? Er sprach immer nur darüber, wie groß ich werden konnte, wie ich mich täglich in jeder Hinsicht verbessern konnte.
Cus fand schon sehr früh etwas über mich heraus. „Oh, du bist ein Chamäleon, nicht wahr?“, sagte er eines Tages zu mir. Er kam darauf, weil ich, nachdem ich stundenlang die Filme über die alten Boxer gesehen hatte, nach unten kam und begann, wie sie zu sprechen. Ich imitierte sogar ihre Kampfstile. Ich nahm sogar Cus’ Persönlichkeit an. Das war kein Spiel – ich meinte es mit dem Training todernst.
An vielen Abenden war Camille oben, während Cus und ich unten saßen und unsere Welteroberung planten. Ich hatte noch nicht einmal einen einzigen Amateurkampf gehabt, aber wir sprachen darüber, wie wir als Majestäten nach Europa reisen würden, und dass „Nein“ ein Fremdwort für mich wäre, wenn ich nur auf Cus hörte. Wer sagt denn so einen Scheiß zu einem Kind – „‚Nein‘ wird ein Fremdwort für dich sein“? Das schwarze Kind hört so etwas ausgerechnet von einem Weißen. Und dieser Weiße scheint auch noch wer zu sein, weil Typen wie Norman Mailer, über den ständig was in der Zeitung steht und der im Fernsehen präsent ist, oder Leute wie Budd Schulberg ihn wahnsinnig respektieren. Ist das zu glauben? Zwei Penner – ein ehemaliger und ein Slumbewohner – sitzen in einem Zimmer in Upstate New York und planen die Weltherrschaft.