Читать книгу Eiserner Wille - Mike Tyson - Страница 11

Оглавление

Der 2. Oktober 1980 war ein schwarzer Tag für Cus. Einige von uns waren nach Albany rausgefahren, um über die Videoüberwachungsanlage den Kampf Ali gegen Holmes zu sehen. Muhammad Ali war wie ein Gott. Cus war der Ansicht, dass niemand auf der Welt einen Kampfgeist wie Ali hatte. Er war der vollkommene Kämpfer, nicht nur wegen seiner Fähigkeiten, sondern wegen seiner ganzen psychologischen Sichtweise. „Ali ist der Größte, denn er ist dazu fähig, sich selbst zu lieben“, sagte Cus. Cus liebte Menschen, die unverschämt und beleidigend waren wie er. Er hätte Kanye West geliebt. „Dieser Kerl weiß, wovon er redet“, hätte er vermutlich gesagt.

Jeden Tag sagte mir Cus, ich sei der unerbittlichste und wildeste Kämpfer der Welt. Ich bräuchte nur auf ihn zu hören, dann würde ich unbesiegbar. Dieses Wort traf mich bis ins Mark. Cus sprach über mittelmäßige Kämpfer, aber auch über klasse Kämpfer wie Beau Jack. Aber wenn er über Ali sprach, hörte sich das ganz anders an.

„Ali sieht eher aus wie ein Model als wie ein Sieger im Schwergewicht, oder?“, sagte er zu mir. „Aber wenn ich meine Flinte nehmen und volles Rohr auf ihn feuern würde, und wenn dann noch irgendwas von ihm übrig wäre, sollte ich besser zusehen, so schnell wie möglich abzuhauen, weil er direkt auf mich losgehen würde.“

Diese Art von Gesprächen hörte ich oft zwischen Cus und seinen älteren Freunden, die in ihren Siebzigern waren. „Dieser Kerl? Du musst ihn schon töten, um ihn zu besiegen.“ Heute wird nicht mehr in dieser Art über Boxer gesprochen.

So sehr Cus Ali liebte, so wenig mochte er Holmes. Holmes war ein großartiger Kämpfer, aber er kam nach Ali, und er war nicht Cus’ Typ. Vielleicht hatte Cus so etwas wie eine Fehde mit den Menschen, die hinter Holmes standen. Cus sagte mir nur, dass nichts anderes zählte, nur das Training und das Ziel, der beste Kämpfer der Welt zu werden. „Das ist dein Hauptziel“, sagte er, „wir müssen Larry Holmes außer Gefecht setzen. Ich will keine Ausreden hören; ich will nur Ergebnisse sehen.“ Dein Wert als Mensch bedeutete nichts. Das einzige, was zählte, war, zu gewinnen. „Bester Kämpfer der Welt.“ Das war alles, worüber er sprach.

„Dein Verstand ist nicht dein Freund, Mike“, predigte er. „Dein Verstand will Vergnügen, aber du hast dir das Vergnügen noch nicht verdient. Wenn es an der Zeit ist, zu arbeiten, will dein Verstand etwas anderes. Er arbeitet auch, wenn du arbeiten willst, aber er arbeitet nicht die ganze Zeit, so wie du willst, deshalb musst du deine alten Muster ablegen und darfst deinem Verstand nicht erlauben, zu deinem Feind zu werden.“

Cus hatte eine Theorie: Wenn du etwas ins Feuer hältst, siehst du, was daraus wird. Wird es zu Asche zerfallen oder sich zu einem eisernen Schwert umformen, welches das Unbezwingbare durchdringen kann? So redete Cus. Das Feuer konnte alles sein: Widrigkeiten, psychologische Diagnostik oder deine eigene Meinung von dir selbst. Cus setzte alles daran, das Feuer dazu zu nutzen, erfolgreich zu sein. Wir sahen den Gewinner eines Radrennens in den Nachrichten und Cus überlegte sich, wie man den Kerl überholen konnte, um ihn zu besiegen.

„Ich würde dich jetzt gleich gegen Larry Holmes kämpfen lassen. Du könntest ihn schlagen. Aber du glaubst es nicht. Selbstvertrauen, richtig eingesetzt, wird Genialität übertreffen. Nichts übertrifft Selbstvertrauen.“

Ali war bereits im Ruhestand, aber er kehrte noch einmal zurück, um gegen seinen früheren Sparringspartner Holmes zu kämpfen. Und er schien noch immer die alte Ali-Großspurigkeit zu besitzen. „Ich bin so glücklich, in diesen Kampf zu gehen“, sagte er. „Ich widme diesen Kampf allen Menschen, denen jemals gesagt wurde: ‚Du schaffst es nicht‘, den Menschen, die die Schule abbrechen, weil ihnen gesagt wird, sie seien dumm. Menschen, die kriminell werden, weil sie nicht daran glauben, jemals Arbeit zu finden. Ich widme diesen Kampf euch allen, die einen Larry Holmes im Leben haben. Ich werde meinen Holmes fertigmachen und ich will, dass ihr euren Holmes fertigmacht.“

Es bestanden Zweifel darüber, ob Ali an diesem Abend überhaupt kämpfen sollte. Drei Monate zuvor wurde er von der Nevada State Athletic Commission zu neurologischen Untersuchungen in die Mayo-Klinik beordert. Die Untersuchungsergebnisse wurden damals nicht öffentlich gemacht, aber später wurden sie veröffentlicht und sie waren beängstigend. Ali schaffte es nicht, mit dem Finger seine Nase zu treffen. Seine Sprache war verwaschen. Er konnte nicht einmal anständig auf einem Fuß springen. Nichtsdestotrotz wurde der Kampf genehmigt.

Den ganzen Kampf über zuckten wir nur noch zusammen. Alis Beine waren weg, sein Punch war nicht existent. Alles, was er tun konnte, war, zehn Runden lang Schläge einzustecken, bis sein Trainer Angelo Dundee das Handtuch warf. Es war ein Massaker. In der neunten Runde wurde Ali mit einem Aufwärtshaken in die Seile befördert, gefolgt von einer Rechten gegen den Körper. Es war das erste Mal, dass Alis Trainer ihn schreien hörten.

Die Rückfahrt nach Catskill glich einer Beerdigung. Ich habe Cus noch nie so fassungslos gesehen. Cus und Ali kannten sich schon sehr lange. Als Ali noch jung war, borgte er sich mit seinem Bruder Rahman das Auto ihres Onkels und sie fuhren von Louisville nach Cincinnati, um Floyd Patterson beim Work-out vor einem Schaukampf zu sehen. Cus war Floyds Manager und für Ali war es, als würde er Gott treffen, weil er schon so viel von Cus gehört hatte.

„Mr. D’Amato, ich bin Cassius Clay. Ich bin angehender Boxer, und wir sind hergekommen, um Floyd Patterson zu sehen“, sagte Ali.

„Nun, dann habe ich hier zwei Tickest für dich“, sagte Cus.

Nach dem Kampf ging Ali zu Cus, um ihm zu danken.

„Wenn ich ein kleines bisschen berühmt werde, möchte ich Sie an meiner Seite haben“, sagte er zu Cus.

Cus lachte. „Gut, wir reden darüber, wenn es so weit ist. Wie kommt ihr zurück nach Kentucky?“

Ali sagte ihm, sie würden fahren.

„Wie viel Geld habt ihr?“, fragte Cus.

„Wir haben genug“, antwortete Ali.

„Zeig es mir“, insistierte Cus. Ali zog einen Zwanzig-Dollar-Schein heraus.

„Das ist nicht genug“, sagte Cus und gab ihm zweihundert Dollar.

Das machte großen Eindruck auf Ali. Jahre später, als er Weltmeister war und sein Trainingslager in Deer Lake, Pennsylvania, hatte, stellte Ali seinen jungen Fans, die kamen, um ihn boxen zu sehen, dieselben Fragen, die Cus damals gestellt hatte, und gab ihnen danach selbst Geld.

Über die Jahre machte Ali Cus noch einige Angebote, ihn zu managen, aber Cus war mit Patterson beschäftigt. Ali liebte Cus, aber er wollte Angelo Dundees Gefühle nicht verletzen. Dundee war nur theoretisch sein Trainer, denn Ali trainierte sich tatsächlich selbst und bezahlte Dundee nur seinen Lohn. Cus hatte ein angespanntes Verhältnis zu Dundee. Er war neidisch auf den Bekanntheitsgrad, den Dundee hatte, denn er war der Ansicht, dass Dundee eigentlich nur ein glorifizierter Cheerleader war. Cus war so verbittert darüber. Mich verwirrte das Ganze eher, denn Angelo hat Cus gemocht und stets respektiert.

Aber Ali hatte schon immer eine enge Beziehung zu Cus. Sie entwickelten Strategien, sprachen darüber, wie man im Ring und im Leben zum Gewinner wird. Als Ali gegen Liston kämpfte, sagte ihm Cus, dass er gewinnen könnte, wenn er seinen Kampf durchziehen und seine Angst im Griff behalten würde. Als der erste Liston-Ali-Kampf wegen Alis Bruch-Notoperation verschoben wurde, befand sich Cus vor Ort im Krankenhaus in Boston, und als Ali in den Operationssaal geschoben wurde, stand er draußen und informierte die Reporter. Er sagte ihnen, dass der Kampf wie geplant stattfinden könne, wenn die Operation gut verlaufen würde.

Nachdem Ali im Kampf gegen Liston den Titel geholt hatte, flog er nach Puerto Rico, um Cus’ Boxer José Torres kämpfen zu sehen. Als er Cus sah, zeigte er auf ihn und sagte zu den Reportern, die ihm folgten: „Bester Boxlehrer der Welt!“

Niemand unterstützte Ali mehr als Cus, als ihm sein Titel aberkannt wurde, nachdem er sich geweigert hatte, als Soldat in Vietnam zu kämpfen. Cus und sein Freund Jim Jacobs produzierten einen Dokumentarfilm über Ali und drehten eine Fernsehsendung mit dem Titel Battle of the Champions, in den Hauptrollen Muhammad Ali und Cus D’Amato. Aus dem Filmmaterial geht hervor, wie viel Respekt und Liebe diese beiden Männer füreinander empfanden.

Ali: Cus D’Amato sieht man schon von Weitem, besonders wenn die Sonne scheint, weil sein Kopf glänzt. Cus D’Amato, das Box-Genie. Er weiß alles über das Boxen. Er kann dir alles über jeden Kämpfer sagen, vom ersten Boxer bis hin zu mir. Er sieht nicht aus wie ein Box-Trainer oder ein Boxmanager, er ist ein konservativ aussehender Bursche. Er sieht aus wie ein Senator oder ein Kongressmitglied. Er ist die Bibel des Boxens. Außerdem ist er hässlich. Sag, Cus, eines interessiert mich: Wenn ich mir einen neuen Trainer suchen müsste – irgendjemand erzählte mir, du würdest keine Lohnarbeit machen. Cus: Ich und Lohnarbeit, ich? Ali: Na ja, ein Lohn ist doch nicht verkehrt. Cus: Ich arbeite doch nicht für Lohn, ich doch nicht. Ich bin kein Arbeiter. Ich bin kein Angestellter. Ali: Ich könnte dir hundertfünfzig Dollar pro Woche zahlen. Cus: Mir? Hundertfünfzig Dollar pro Woche, mir? Ali: Zweihundertfünfzig die Woche, mehr geht nicht. Cus: Nicht einmal für zweihundertfünfzig pro Minute, geschweige denn pro Woche. Ich arbeite nicht für Lohn. Ali: Es ist ziemlich gutes Geld. Cus: Dann mach du den Job. Ali: Ich bin der Arbeitgeber. Cus: Du bist mein Arbeitgeber? Du, mein Arbeitgeber!? Das Einzige, worauf du hoffen kannst, ist, mein Partner zu werden. Ali: Dreihundert Dollar pro Woche. Cus: Das interessiert mich nicht, selbst wenn du mir dreihundert Dollar pro Minute geben würdest! Ali: Dreihundertfünfzig die Woche. Cus: Ich würde selbst dreihundertfünfzig pro Minute nicht nehmen, pro Minute, und schon gar nicht pro Woche. Pro Minute, ich würde es nicht nehmen. Ali: Wir kommen nicht zusammen. Cus: Stimmt, da gebe ich dir recht.

Zwei stolze Steinböcke. Zufälligerweise hatten sie am selben Tag Geburtstag – am 17. Januar. Aber Cus wurde ernst, wenn er über Ali im Film a.k.a. Cassius Clay sprach. „Einen großartigen Boxer erkennt man daran, dass er neben seinem Können Charakter besitzt, denn ein Boxer mit Charakter und Können wird sich weiterentwickeln und deshalb einen besseren Kämpfer schlagen. Charakter ist die Eigenschaft, auf die du dich verlassen kannst, unter Druck und bei anderen Gegebenheiten. Charakter macht den Kämpfer berechenbar, Charakter hilft ihm, zu gewinnen.“ Für Cus hatte niemand mehr Charakter als Ali.

Ali war über dreieinhalb Jahre nicht aktiv gewesen und Cus überlegte sich viele kreative Szenarien, in denen Ali gegen Frazier kämpfen konnte – ohne offizielle Zustimmung der Boxkommissionen, die Alis Lizenz eingezogen hatten. Cus’ erste Idee war, den Kampf auf einem Mississippi-Riverboat stattfinden zu lassen, vor einem kleinen Publikum, das eine Unsumme bezahlte, um auf das Boot zu gelangen. Das Live-Publikum wäre verschwindend gewesen, aber das Publikum der Live-Übertragung immens. Als sich die Logistik als ungünstig herausstellte, entschied er sich um und wollte einen Lastkahn nehmen, der auf offener See verankert werden sollte, zehn Meilen außerhalb des Territoriums der Vereinigten Staaten. Eine weitere Idee war, den Kampf in einem Indianerreservat oder an einen Ort im District of Columbia stattfinden zu lassen, außerhalb des Staatsgebiets, damit keine Genehmigung der staatlichen Kommission notwendig war. Aber die kreativste Idee von allen war, seinen Freund Norman Mailer ein Theaterstück schreiben zu lassen, in dem der letzte Akt ein Preiskampf zwischen Ali und Frazier war.

Ali verlor seinen linearen Titel an Joe Frazier, nachdem er wieder angefangen hatte zu boxen, und als er Frazier im zweiten Kampf besiegt hatte, war er bereit, sich George Foreman vorzunehmen, der sich den Titel von Frazier geholt hatte. Aber Foreman war ein kräftiger Bursche mit einem kräftigen Punch, und Ali machte sich Sorgen über den Ausgang des Kampfes. Kurz bevor er in den Bus einstieg, der ihn vom Deer Lake Camp nach New York zum Flug nach Zaire bringen sollte, ließ er seinen Assistenten Gene Kilroy bei Cus in Catskill anrufen.

„Cus, wie kämpfe ich gegen diesen Burschen?“, fragte Ali.

„Du nimmst seine Stärke und wandelst sie in Schwäche um“, antwortete Cus. „Foreman hat keinen Respekt vor dir. Er glaubt nicht, dass du ihn verletzen könntest. Du gehst in der ersten Runde da raus, sammelst dich und verpasst Foreman eine harte Rechte, die ihm wehtut. Dein erster Punch muss eine Rechte sein, aber eine mit bösen Absichten.“

Das war eine seltsame Anweisung. Niemand schlägt in einem Meisterschaftskampf in der ersten Minute von Runde eins direkt einen rechten Punch.

„Ich weiß nicht, was ich machen soll. Erzähl es Gene“, sagte Ali und gab Gene Kilroy den Hörer.

„Cus, denk daran, was George Foreman mit Joe Frazier gemacht hat. Denk daran, was er mit Kenny Norton gemacht hat“, sagte Kilroy.

„Der ist nicht Ali!“, schrie Cus so laut, dass ihn beinahe jeder in Deer Lake hören konnte.

Sie legten auf und Ali sagte Gene, dass er sich an die Anweisungen halten würde.

Und so beschrieb Norman Mailer die erste Runde des Ali-Foreman-Kampfes in Zaire:

„Die Glocke ertönte! Ali lief, begleitet von einem langen, unhörbaren Seufzer kollektiver Erleichterung, quer durch den Ring. Er sah genauso groß und entschlossen aus wie Foreman, deshalb er blieb gelassen, so als ob er die wirkliche Bedrohung wäre. Sie prallten aufeinander, ohne sich zu berühren, ihre Körper waren noch eineinhalb Meter voneinander entfernt. Dann ging jeder etwas zurück, wie zwei magnetische Pole, die sich gegenseitig abstoßen. Dann kam Ali wieder nach vorn, Foreman kam nach vorn, sie kreisten umeinander, sie täuschten an, sie bewegten sich in einem elektrisierenden Ring, dann wagte Ali den ersten Punch, eine zaghafte Linke aus kurzer Distanz. Dann schleuderte er eine blitzartige rechte Gerade wie einen Pfahl direkt in die Kopfmitte des verblüfften Foreman mit dem unverkennbaren dumpfen Geräusch eines kraftvollen Schlages. Ein Schrei ertönte. Was auch immer noch passieren mochte, Foreman war schwer getroffen worden. Seit Jahren hatte kein Gegner Foreman derart hart getroffen und kein Sparringspartner hat es je gewagt. Foreman geriet in Rage. Ali setzte noch eins drauf. Er packte den Champion am Genick und drückte seinen Kopf nach unten, rang ihn nieder, grob und bestimmt, um Foreman zu zeigen, dass er deutlich härter war, als alle glaubten. Der Machtkampf hatte begonnen … Ali tanzte nicht … Es vergingen vielleicht fünfzehn Sekunden. Plötzlich schlug Ali erneut zu. Es war wieder die Rechte … Champions schlagen keine anderen Champions mit der rechten Führhand. Nicht in der ersten Runde.“

Cus war am Morgen, nachdem Ali von Holmes so brutal zugerichtet worden war, immer noch aufgebracht. Wie erwartet klingelte das Telefon. Kilroy war dran. Ali wollte mit Cus sprechen. Ich saß daneben und hörte zu.

„Wie konntest du dich von diesem Penner schlagen lassen, Muhammad? Er ist ein Penner! Ein Penner!“ Cus schrie und wir waren beide zutiefst erschüttert. Da lag so viel Aufrichtigkeit in Cus’ Worten, die mir durch Mark und Bein gingen. Es war jedes Mal, als ob eine Explosion das Haus erschütterte, wenn er das Wort „Penner“ aussprach.

Sie redeten noch eine Weile und dann wechselte Cus das Thema. „Ich habe hier einen jungen Schwarzen, der einmal Schwergewichtsweltmeister werden wird. Mach ihm klar, dass er auf mich hören soll, Ali, okay? Er ist fast fünfzehn und er wird Weltmeister werden.“

Cus gab mir das Telefon. Ich weinte noch immer und erzählte Ali, dass ich traurig war, weil er verloren hatte. Ali sagte mir, dass er Medikamente nahm, die ihn krank machten, und dass er zurückkommen und Holmes k. o. schlagen werde. Dann sagte ich: „Wenn ich so weit bin, werde ich ihn mir für Sie vorknöpfen.“ Es dauerte etwas länger als sieben Jahre, aber ich habe mein Versprechen gehalten.

Ein paar Monate darauf sah ich einen weiteren Kampf, der meine Welt auf den Kopf stellte. Mein Held Roberto Durán trat in einem Rückkampf gegen Sugar Ray Leonard an. Der erste Kampf hatte meine Leidenschaft für das Boxen verstärkt, und nun freute ich mich auf den zweiten. Aber Cus verdarb mir den Spaß. „Durán wird den zweiten Kampf nicht gewinnen. Er wird nie mehr so gut sein können. Er ist jetzt schon tot.“

Cus behielt recht. Wir sahen den Kampf im Fernsehen und Leonard nutzte seine Schnelligkeit, um Durán sechs Runden lang auszuweichen, brachte ein paar schnelle Kombinationen an und ließ ihn ins Leere schlagen. Während der siebten Runde fing Leonard an, Durán zu verhöhnen. An einer Stelle begann er, seine rechte Hand für einen Schwinger in die Luft zu reißen, täuschte aber nur an und versetzte ihm einen Jab mit der Linken auf die Nase. Durán fühlte sich so gedemütigt, dass er gegen Ende der folgenden Runde Leonard den Rücken zudrehte, abwinkte und dem Ringrichter erklärte, er könne nicht mehr. Obwohl Durán es abstreitet, soll er gesagt haben: „No más.“

Ich fing an zu weinen, denn ich war verletzt, weil jeder schlechte Dinge über meinen Helden sagte. Bei einem Kerl wie Cus winkst du nicht einfach ab und beendest einen Kampf. Du musst jedes Quäntchen Kraft aufwenden und alles geben. Wenn du aufgibst, wird Cus nicht in den Ring steigen und dich ermutigen, er wird dich dort zurücklassen wie einen verdammten Hund. Jahre später behauptete die Ehefrau von Duráns legendärem Trainer Ray Arcel, dass die Art und Weise, wie Durán aufgegeben hatte, Arcel das Herz gebrochen und ihm Jahre seines Lebens genommen habe.

Duráns Niederlage bewegte mich tagelang. Ich hing traurig im Haus herum, und Cus fing an, sich Sorgen zu machen. Acht Monate darauf, als Durán in den Ring zurückkehrte und gegen einen Burschen aus Jersey namens Nino Gonzales kämpfen sollte, nahm mich Cus beiseite.

„Ich will, dass du dir morgen Nachmittag mit mir den Kampf ansiehst“, sagte er. „Durán kämpft gegen diesen puerto-ricanischen Jungen aus Bayonne, Nino, und der hat das Herz eines Löwen.“ Cus hob diesen Gonzales regelrecht in den Himmel. Es war ein guter, ausgeglichener Kampf und Nino verpasste Durán sogar eine Platzwunde. Ich brauchte eine ganze Weile, bis ich begriff, warum Cus darauf bestand, dass ich Nino kämpfen sah. Er wollte verhindern, dass ich mich emotional zu sehr an einen Drückeberger band. Aber ich blieb Durán treu und er kam zurück und gewann drei neue Titel. Dadurch zeigte er mir, dass man niemals aufgeben kann, nicht einmal nachdem man es schon getan hat.

Jetzt, da ich bei Cus lebte, trainierte ich sieben Tage die Woche in der Sporthalle, ohne Ausnahme. Neben den gelegentlichen Besuchen von Bobby Stewart ließ mich Cus gegen ein paar einheimische Jugendliche der Schwergewichtsklasse boxen. Wir kämpften niemals mit Kopfschutz. Cus war der Meinung, dass der Kopfschutz einem Boxer ein falsches Gefühl von Sicherheit gab. Ohne Kopfschutz könne man besser feststellen, woher der Punch kommt, und man achte mehr darauf, den Treffer zu vermeiden. Schon sehr früh lernte ich einen netten neuen Trick: Ein Punch, bekannt als „Blinder“. Du hältst deine Führhand für einen Sekundenbruchteil vor das Gesicht des Gegners, bevor der Schiedsrichter dazu kommt, dich zu verwarnen. Dein Boxhandschuh verdeckt dem Typen für eine Sekunde lang die Sicht, und dann springst du augenblicklich nach rechts, verlagerst dein Gewicht richtig und startest einen Sechs-fünf-zwei. Das war tödlich.

Nach dem Ali-Holmes-Kampf war Cus der Meinung, ich wäre bereit für meine ersten Kämpfe. Jede Woche fuhr Teddy oder Lennie Daniels, ein älterer Schüler von Cus, ein paar von uns in die Bronx, damit wir in Nelson Cuevas’ Halle kämpfen konnten. Nelson hatte im Gramercy Gym von Cus das Boxen gelernt und war so beeindruckt von Cus’ Hingabe für die Kinder im Viertel, dass er sich dazu entschloss, dasselbe für die Kinder in der Bronx zu tun. Er sparte sich 14.000 Dollar zusammen und eröffnete den Apollo Boxing Club in der Gegend um Fort Apache, dem kriminellsten Teil der Bronx. Die Kämpfe im Apollo wurden „Smokers“ (Raucher) genannt. Es waren nicht autorisierte Kämpfe, besucht von einem Haufen lauter, verrückter Einheimischen, die über gebrauchte Spritzen hinweg eine mit Urin vollgesogene Treppe hochstiegen, drei Dollar an der Tür bezahlten, sich mit Rum betranken, der in Pappbechern serviert wurde, widerliche Zigarren rauchten (deshalb der Name) und auf die Kämpfe wetteten.

Ich musste an diesen nicht genehmigten Kämpfen teilnehmen, weil ich körperlich schon zu weit entwickelt war, um in der jüngeren Version der Golden Gloves, genannt die Silver Gloves, zu boxen. Sie waren für Kinder und Jugendliche von acht bis fünfzehn Jahren angesetzt, aber als mich John Condon vom Madison Square Garden sah, verbot er mir die Silvers sofort. Ich blickte ängstlich drein. „Ich kann dich nicht im Turnier kämpfen lassen“, sagte er mir. „Du wirst diese Kids verletzen.“ Er war ein guter Mann, der wusste, was die Stunde geschlagen hatte, deshalb verstand ich seine Entscheidung.

An meinem ersten Abend in der Bronx konnte ich nur zusehen, weil niemand in meiner Gewichtsklasse verfügbar war. Sie hatten nur zwei Schwergewichte, und die waren bereits gegeneinander zum Kampf aufgestellt. Deshalb wurde vereinbart, dass einer von ihnen in der Woche darauf wiederkommen sollte, und damit war ich für meinen ersten Kampf aufgestellt. Die ganze Woche über bereitete ich mich darauf vor, dennoch hatte ich Todesangst, als ich in der Bronx ankam. Ich hatte diesen Kerl eine Woche zuvor kämpfen sehen und wusste, dass ich ihn schlagen konnte, aber ich war einfach unsicher. Ich geriet allmählich in Panik und ging nach unten, um frische Luft zu schnappen. Direkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite war eine U-Bahn-Haltestelle. Ich saß auf der Treppe, die zum Gleis hinaufführte – die U-Bahn fuhr auf dieser Teilstrecke als Hochbahn –, und dachte ernsthaft daran, in einen Wagen zu springen, an der Rockaway Avenue auszusteigen und drei Blocks bis zum Haus meiner Mama zu laufen.

Ich hatte Angst davor, zusammengeschlagen zu werden, ich hatte Angst davor, Menschen im Stich zu lassen, aber im Grunde lief alles darauf hinaus, dass ich nicht gedemütigt werden wollte. Und dann dachte ich an das Buch „In This Corner …!“ und erinnerte mich daran, dass all die Größen ebenfalls Angst gehabt hatten. Cus’ Unterrichtseinheiten über Disziplin kamen mir wieder in den Sinn. Ich riss mich zusammen und ging zurück in die Sporthalle.

Ich stieg in den Ring mit einem hochgewachsenen Puerto-Ricaner, der einen riesigen Afro hatte. Er war achtzehn, vier Jahre älter als ich. In den ersten beiden Runden gingen wir beide ganz schön zur Sache, doch in der dritten schlug ich ihn in die Seile und setzte einen Aufwärtshaken hinterher, woraufhin sein Mundstück bis in die sechste Zuschauerreihe flog. Er war bewusstlos. Von meinen Emotionen überwältigt, stieg ich, während er bewusstlos war, mit einem Fuß auf ihn und streckte meine Arme in die Luft. Wenn du heute Nelson darauf ansprichst, wird er dir sagen, dass ich nur auf den Kerl drauf gestiegen bin, weil ich ihn in meiner Ecke k. o. geschlagen hatte und über ihn steigen musste, um in eine neutrale Ecke zu gelangen. Das ist absoluter Blödsinn! Ich bin absichtlich auf ihn drauf gestiegen. Die Menge fing an zu buhen. Um einen Krawall zu vermeiden, erklärte Nelson den Kampf für unentschieden.

Cus hatte Nelson darum gebeten, ihm über meinen Kampf Bericht zu erstatten, deshalb rief er ihn an und sagte: „Es tut mir leid. Mike hat seinen Gegner zwar k. o. geschlagen, aber danach tat er etwas, das den Leuten nicht gefiel, und deshalb musste ich den Kampf für unentschieden erklären.“ Er erzählte Cus, was geschehen war, aber den ließ das völlig kalt. Cus hatte meinen Enthusiasmus immer schon geliebt.

Ich hab mich in Nelsons Ring immer gut angestellt. Ich verlor keinen Kampf, die meisten endeten in spektakulären Knock-outs. Nach einigen Kämpfen wurde es schwierig, Gegner für mich zu finden, deshalb verfolgte ich manchmal nur die verrückten Vorgänge dort. Nelson musste oftmals die Wertung ändern, deshalb gewannen unsere Jungs nicht alle Kämpfe. Es passierte gar nicht selten, dass ein Typ im tollen Dress ankam, professionell aussah und deshalb stark favorisiert wurde, aber als ihm in der ersten Runde in den Arsch getreten wurde, änderten sie mitten im Kampf die Quoten! Eines Tages geriet Teddy in einen großen Streit, weil ihm die Art nicht gefiel, wie die Punkte vergeben wurden. Nelson zertrümmerte einen Pokal auf dem Kopf des Typen, der gegen Teddy kämpfte, und zückte anschließend seine Pistole. Es war wie im Wilden Westen.

Ich reiste im ganzen Land herum und kämpfte bei diesen nicht autorisierten „Smokers“. Die Kämpfe fanden manchmal in einer Scheune bei irgendjemandem im Hinterhof statt. Cus sagte mir immer: „Du musst Selbstvertrauen haben. Du kannst mit einem Kerl in seinem Wohnzimmer boxen, mit seiner Familie als Ringrichter, und du wirst trotzdem gewinnen.“ Wir kämpften an jedem Ort, an dem man kämpfen konnte. Meistens kam Cus nicht mit, aber egal, ob er mich nach Massachusetts, Rhode Island oder Ohio schickte – bevor ich ging, setzte er sich mit mir hin und bellte in einem sehr flachen, abgehackten Ton: „Hör zu, einige meiner Freunde werden dich heute Abend sehen. Sie werden mich nach dem Kampf anrufen, und ich erwarte, dass sie deinetwegen ausrasten.“ Das heizte mich noch richtig an. Ich saß drei Stunden in irgendeinem Flugzeug und kam nicht eine Minute zur Ruhe, weil mir das Herz bis zum Hals schlug. Ich konnte es kaum erwarten, in den Ring zu steigen und wie wild auf diese Wichser einzuschlagen, genau das zu tun, was Cus mir beigebracht hatte. Vielleicht war ich ein Arschloch der ersten Liga, aber ich habe diese Scheiße gelebt. Er verkaufte sie mir und ich nahm sie ihm ab.

Nun bekam ich die Chance, Cus’ Theorien über die Angst auszuprobieren. Ich hatte diese Erfahrung im Ring noch nie gemacht, außer beim Sparring mit Bobby Stewart. Das Sparring mit neuen Leuten war beängstigend für mich. Cus turnte es jedesmal an, wenn ich ihm sagte, dass ich Angst hätte und mich selbst für einen Feigling hielt. Er liebte das. Er wusste, dass das meiner ängstlichen Grundeinstellung entsprach, und diese Angst war die Basis seiner Arbeit. Cus wollte, dass du wie ein Roboter reagiertest, sodass du auf Kommando das tatest, was er dir sagte. Cus zeigte mir den Unterschied zwischen Furcht und Einschüchterung. Die Einschüchterung hält dich von den Höchstleistungen ab, zu denen du fähig bist. Angst kann jedoch bewirken, dass du in große Höhen aufsteigst. „Fürchte deinen Gegner, aber fürchte dich nicht davor, ihn zu verletzen“, sagte er mir. Die Leute begreifen einfach nicht, dass dich kontrollierte Angst auf ein Level der Euphorie heben kann, auf dem du dich für unbesiegbar hältst. Nur sehr wenige Leute kommen auf dieses Level. Aber wenn du es schaffst, wirst du durch eine seltsame Laune der Natur glauben, unbesiegbar zu sein.

Wenn ich in den Ring stieg, nahm ich irgendwie Rache an all den Menschen, die mich als Kind fertiggemacht hatten. Wenn du tyrannisiert wurdest, wird dich das dein Leben lang begleiten. Niemand würde mir je wieder ein Haar krümmen. Wann immer ich in den Ring stieg, stellte ich mir vor, dass ich gegen die Leute kämpfte, die mich herumgeschubst hatten, als ich jünger war. Ich meinte es todernst. Ich tat das nicht, um mich zu motivieren. Ich war hungrig nach Macht und Ruhm.

Nachdem Cus die Berichte über meine emotionale Reaktion auf meinen ersten Sieg bei den Smokers gehört hatte, begann er eine neue Technik anzuwenden, damit ich lockerer wurde und konzentrierter meine Ziele verfolgen konnte. Er hatte mir schon von Hypnose erzählt, als ich anfing, mit ihm zu trainieren, und jetzt war es an der Zeit für mich, diese Erfahrung zu machen. Ich war aufgeregt, weil ich Angst davor hatte, meine Nervosität und Unsicherheit nicht in den Griff zu bekommen. Cus quetschte mich und ein paar andere Boxer in seinen alten, schäbigen Kombi und fuhr mit uns nach Manhattan zu John Halpin. Halpin war Sozialarbeiter beim NYC Department of Welfare. Er hatte Vorbereitungskurse für ein Medizinstudium belegt, diese aber abgebrochen, als der Zweite Weltkrieg begann. Nach dem Krieg schwenkte er auf Hypnose um und eröffnete eine Praxis in Central Park West. Dort arbeitete er mit Diätpatienten, Rauchern, Trinkern und Drogenabhängigen.

Cus hatte über einen befreundeten Chiropraktiker von Halpin gehört. Die beiden Männer verstanden sich sofort. Sie hatten beide großen Respekt vor dem Unterbewusstsein und kannten sich damit aus. Nachdem wir in Halpins Praxis angekommen waren, sollten wir uns erst einmal auf den Teppich legen. Dann versetzte er uns in Hypnose. Als wir hypnotisiert waren, überließ er es Cus, uns zu konditionieren. Cus sprach jeden einzelnen von uns an und ging die Bereiche durch, die wir verbessern mussten. Ihm war wichtig, dass er es war, der mit mir sprach, während ich unter Hypnose stand, damit ich seine Stimme verinnerlichte.

Cus sagte: „Du bist eine Kampfmaschine, Mike. Du bist der beste Kämpfer, den Gott je erschaffen hat. Die Welt hat noch nie einen Kämpfer wie dich gesehen, und wenn du deine Schläge kombinierst, kannst du grausam sein. Du arbeitest darauf hin, so viele Schmerzen wie möglich zu verursachen.“

Cus redete eine Stunde lang auf mich ein. Es war, als verließ ich meinen Körper. Ich sah ihn auf dem Stuhl und mich auf dem Boden. Dann holte mich Halpin aus meiner Trance und wir fuhren zurück in den Norden. Nach dieser Erfahrung fühlte ich mich nicht anders, aber ich zeigte bessere Leistungen als zuvor, ebenso wie die anderen Jungs, die hypnotisiert worden waren. Am Tag darauf hörtest du in der Sporthalle: „Heiliger Strohsack, was für ein Unterschied. Dieser Typ ist wirklich viel entspannter im Ring.“ Und das verschwand auch nicht nach ein paar Tagen. Für manche war es tatsächlich ein Durchbruch.

Natürlich half die Hypnose nicht jedem. Einmal fuhren wir mit Matthew und Alex Hilton, zwei lebenslustigen, verrückten Kanadiern, zu Halpin. Alex war die Nacht davor unterwegs gewesen und schlief beim Hypnotisieren sofort ein. Er schlief tief und fest und schnarchte, aber weil Cus schwerhörig war, bemerkte er nicht, was los war. „Schau, schau, er ist unter Hypnose“, sagte er ganz aufgeregt.

Cus fing an, mich sogar im Haus, vor dem Training oder vor einem Kampf unter Hypnose zu setzen. Ich musste mich auf den Fußboden im Wohnzimmer legen oder in einen großen, bequemen Stuhl setzen, und dann begann er mit der Entspannungstechnik – der Kopf, die Augen, die Arme, die Beine, mein ganzer Körper wurde schwer. Wenn ich dann total entspannt war, fing er wieder mit seiner Leier an: Ich sei der grausamste und unberechenbarste Kämpfer, den die Welt je hervorgebracht hatte.

Manchmal gab er mir genauere Anweisungen: „Dein Jab ist wie eine Waffe. Wie ein Rammbock. Dein Ziel ist es, ihm seine Nase in den Hinterkopf zu stoßen. Du schlägst mit bösen Absichten. Du bewegst deinen Kopf nach jedem Punch. Du bist eine Plage vor dem Herrn – die Welt wird sich an deinen Namen erinnern, von nun an bis in alle Ewigkeit. Ich sage dir all das nicht, weil du unfähig wärst, all das zu tun. Das hier ist keine Séance. Du kannst es. Ich muss dich nur dazu bringen, dass du dich entspannst, das wird dir helfen.“

Es war absolute Scheiße. Und ich glaubte das alles. Cus brauchte nicht einmal in der Nähe zu sein. Ich war in meinem Zimmer und hörte seine Stimme, beinahe telepathisch. Ich lernte, mich selbst zu hypnotisieren, und vor jedem Kampf setzte ich mich im Umkleideraum unter Hypnose und wiederholte das, was Cus mir gesagt hatte.

Cus ließ jeden, der mit ihm trainierte, Affirmationen machen. Er sagte zu jedem Boxer: „Nicht jeder wird Champion, aber wenn du die Prinzipien und Techniken anwendest, die ich dir beibringe, wirst du erfolgreich sein, egal wie hoch die Anforderungen sind. Mein Ziel ist es, dass sich der Charakter einer Person entwickelt, sodass sie die Fähigkeit hat, über sich hinauszuwachsen und erfolgreich zu sein, egal woher sie kommt oder wie schwierig die Aufgabe ist.“ Er sagte uns, wir könnten unsere Affirmationen auch konkretisieren, indem wir nicht nur sagten: „Tag für Tag werde ich in jeder Hinsicht immer besser“, sondern statt dessen auch: „Tag für Tag werde ich in jeder Hinsicht ruhiger, sehe mehr im Ring und werde immer besser“, oder: „Jeden Tag wird mein geschwollener Knöchel besser und besser.“

Cus ließ mich meine hypnotischen Suggestionen in meine Affirmationen einbauen, und statt des weniger intensiven „Tag für Tag werde ich immer besser“, suggerierte ich mir nun, dass ich Tag für Tag immer mehr zum grausamsten Kämpfer werde, den die Welt je gesehen hat. Den ganzen Tag sagte ich mir vor: „Der beste Kämpfer, niemand auf der Welt kann mich schlagen, der beste Kämpfer, niemand auf der Welt kann mich schlagen …“ Je öfter ich es sagte, desto mehr glaubte ich es.

Cus fing an, mich für meine Leistungen im Ring zu belohnen. Er stellte mir Verschiedenes in Aussicht. Klamotten waren damals meine Schwäche, deshalb sagte Cus: „Du willst diese Lederjacke? Du willst diese tollen Sneakers? Dann gewinne das Turnier. Denk daran, du musst deine Gegner immer als Nahrung betrachten.“ Wenn ich ein örtliches oder regionales Turnier gewann, fand er irgendwelche Belohnungen für mich, selbst wenn es Dinge waren, von denen ich nicht wusste, ob ich sie überhaupt wollte. „Findest du nicht, dass das wunderschön ist? Ich wette, das gefällt dir.“ Natürlich war der ultimative Preis, den er mir in Aussicht stellte, die Meisterschaft im Schwergewicht. Weltmeister im Schwergewicht zu sein zählte für Cus wesentlich mehr, als Präsident der Vereinigten Staaten zu sein.

Cus hatte kein Geld und wir lebten alle von einem knappen Budget, aber wenn es nach ihm ging, wurde ich behandelt wie ein König. Er bekam für mich eine kleine Summe Geld vom Staat New York, doch als ich einmal neunzig Prozent davon für Schulklamotten für eine hippe Lederjacke ausgeben wollte, gab er zu bedenken: „Du gibst das ganze Geld für eine Jacke aus? Du brauchst doch auch noch Socken und Unterwäsche.“ Aber dann machte er doch das Geld locker. Cus’ gesamter Betrieb in Catskill wurde von seinem engen Freund Jimmy Jacobs und Jacobs’ Geschäftspartner Bill Cayton finanziert.

Eine weitere Taktik, die Cus nutzte, um mich zu inspirieren, war, Weltklasse-Boxer nach Catskill zu bringen. Wilfredo Benitez kam vorbei, um dort zu trainieren, und es war, als würde ich auf den Heiligen Gral blicken, als er mir seinen Meisterschaftsgürtel zeigte. Ein anderes Mal kam Gerry Cooney nach Catskill, um Cus zu besuchen, und ich freute mich riesig über ein Autogramm von ihm.

All das war Teil von Cus’ Bestreben, mein Ego zu stärken. Ich hatte kein Selbstbewusstsein, als ich nach Catskill kam. Ich war auch nie eifersüchtig oder neidisch auf irgendjemanden gewesen, bevor ich Cus traf, aber er weckte diese Gefühle in mir: „Du solltest das haben“ oder „du könntest diesen Kerl schlagen, du bist besser als er.“ Er sagte nicht: „Du könntest besser sein, wenn du hart trainierst“, sondern: „Warum sollte er das haben und du nicht?“ Dies aus seinem Mund zu hören, klang fordernd und einschüchternd.

Ich war ein feiger kleiner hinterhältiger Bursche gewesen, als ich noch in Brooklyn war, ohne Ego und ständig auf Betrügereien aus. Ich schaute zu den anderen Teenagern auf, die älter und charismatischer waren als ich. Doch Cus posaunte in die Welt hinaus, dass ich der jüngste Weltmeister im Schwergewicht werden würde. Und ich hätte es verdient. Jetzt musste ich dem ganzen Mist nur noch gerecht werden. Ich musste so großen Hass aufbauen, dass ich nicht davor zurückschreckte, jemanden schwer zu verletzen, um an die Weltspitze zu gelangen. Ich wollte in dem, was ich tat, der Beste auf dem ganzen Planeten sein. Cus schmiedete den Plan für uns und ich hatte keinen Zweifel, dass er funktionieren würde. Ich war ein arroganter Hurensohn, und mir war nicht bewusst, dass ich andere damit beleidigte, wenn ich damit prahlte, der jüngste Schwergewichtsmeister zu werden.

Ich schlüpfte in eine Rolle. Ich war ein Chamäleon. Cus gab mir Nietzsche zu lesen, als ich fünfzehn Jahre alt war. Ich konnte kaum meinen Namen buchstabieren, aber ich dachte, ich wäre Superman. Ich ging zu den Smokers und zu den Vereinskämpfen. Diese Orte waren widerliche Jauchegruben, bevölkert von allen möglichen Schlägern von der Straße, die wie Verbrecher aussahen, richtig harte Kerle. Ich kam zur Tür herein und sie starrten mich an und ich starrte zurück. Wir waren nichts als ein Haufen Mistkerle, aber ich hielt mich für vornehm, für einen großartigen Gladiator, bereit zum Kampf. Ich war ein gottverdammter Schmock, gerade einmal fünfzehn Jahre alt. Mein Leben bestand daraus, mir Zeichentrick-, Karate- und Boxfilme anzusehen und mir ständig einen runterzuholen. Aber ich war vornehm!

Ich konnte meine Kämpfe kaum erwarten. Ich konnte es kaum erwarten, in diese überfüllten Räume zu schreiten, weil ich wusste, dass mir die Leute applaudieren würden. Sie hatten noch nie zuvor jemanden wie mich gesehen. Sie mussten mich für verrückt halten, weil ich jeden so finster anstarrte. Ich sprach mit niemandem. Wenn Cus mit jemandem redete, ohne mich demjenigen vorzustellen, sprach ich nicht mit ihm, ich starrte ihn nur an. Falls er mir die Hand entgegenstreckte, ignorierte ich sie. Vor einem Kampf nahm ich kein Bad. Ich wollte größtmögliche Respektlosigkeit ausstrahlen, das aber kontrolliert. Cus liebte es, wenn ich ein gemeines kleines Kind war. Er sorgte immer für Chaos und Verwirrung, blieb selbst aber völlig gelassen.

Cus war von der Psychologie des Kämpfens bis ins Mark durchdrungen. Ich konnte nicht genug von ihm bekommen. Ich absorbierte diesen alten, glatzköpfigen Mann, war entschlossen bis zum Äußersten. Cus ließ mich glauben, wo immer ich auftauchte, müsste ich behandelt werden wie ein Gott, denn ich war der Größte. Und ich versuchte, diesen Kerl glücklich zu machen, indem ich seine Visionen lebte. Er sagte, ich sei der Größte – okay, dann war ich halt der Größte. Ich habe es akzeptiert. Nun war ich also ein Größenwahnsinniger mit geringem Selbstbewusstsein, weil dieser Mann ein Manipulationskünstler war. Es war großartig, dass Cus mir half, mich nicht mehr wie ein Stück Scheiße zu fühlen, doch nun übertrieb ich es. Nicht bloß aus Eitelkeit, das wäre noch untertrieben gewesen. Cus sagte mir, wenn alle Propheten einen Sohn hätten, und dieser Sohn wäre ein Kämpfer, dann wäre er dennoch nicht fähig, mich zu schlagen, denn ich war Cus’ Kämpfer. Ich sagte den Leuten, ich würde Olympiasieger werden und dann, nach ein paar Profikämpfen, der absolute Champion im Schwergewicht und schließlich der größte Boxer aller Zeiten. Keiner verstand, wie ich darauf kam. Cus hatte mich einer Gehirnwäsche unterzogen.

Meine erste große Bewährungsprobe auf dem Weg zu olympischem Gold war mein erstes Turnier bei der Jugend-Olympiade. Bis zum Turnier kämpfte ich weiter bei den Smokers, denn Cus wollte, dass ich in Übung blieb. Mein erster Kampf bei den Jugendspielen sollte in Saratoga stattfinden, aber mein Gegner trat nicht an. Das kam immer häufiger vor, je bekannter ich wurde. Ich gewann die nächsten drei Kämpfe durch K. o., und am 24. Juni 1981 flog ich nach Colorado Springs, um bei den nationalen Meisterschaften anzutreten. Ich musste innerhalb von vier Tagen drei Kämpfe gewinnen, um mir den Titel zu holen. Bevor ich ging, erinnerte mich Cus: „Denk immer daran, den anderen Kerlen geht es genauso wie dir.“

Ich pflügte durch meine ersten beiden Kämpfe, gegen Jesus Esparza und Randy Wesley, mit K.-o.-Siegen in der ersten Runde. Nach jedem Kampf rief ich Cus an. Er sagte, ich solle ruhig bleiben, denn mit jedem Sieg würde ich zunehmend ernster genommen werden. Er erzählte mir von Boxern, die dieses Turnier gewonnen hatten und danach Champions wurden. Manchmal erinnerte er mich daran, meine Führhand einzusetzen und dann einen Punch am Körper anzubringen. Ich war ein bisschen nervös, denn ich hatte so etwas noch nie zuvor erlebt, aber ich wollte unbedingt siegen. Ich wollte diesen Pokal.

In der Nacht vor dem Finale schlief ich nicht gut. Am Morgen des Kampfes joggte ich, machte ein kleines Work-out und anschließend einen Mittagsschlaf. Teddy Atlas und ich aßen noch eine Kleinigkeit, bevor wir in die Arena fuhren. Im Umkleideraum wärmte ich mich noch mit ein wenig Schattenboxen auf, bevor die Kampfrichter kamen, um meine Hände zu kontrollieren. Dann ging man einfach da raus. Man konnte den Ring vom Korridor aus sehen, und so sah ich mir die vorherigen Kämpfe an. Ich tat das wahnsinnig gerne, das brachte mich so schön in Stimmung. Dann war ich an der Reihe. Ich kämpfte gegen einen großen mexikanischen Jungen namens Joe Cortez. Ich wusste nicht viel über ihn, außer dass er ebenfalls alle seine Gegner k. o. geschlagen hatte. Er hatte mehr Kämpfe (seine Bilanz war 13:4), aber ich war besser in Form. Ich sah so aus, als wüsste ich, wie man boxt.

Mit Zuversicht stieg ich in den Ring. Ich hatte schon gegen erwachsene Männer geboxt, und für mich war er ein Kind. Die Glocke ertönte und ich ging zum Angriff über. Mit einer Linken beförderte ich ihn in die Seile und nach einer schnellen Kombination erwischte ich ihn mit einer kurzen Rechten am Kinn, und er ging k. o. – nach nur acht Sekunden. Damit hatte ich einen Rekord der olympischen Jugendspiele aufgestellt. Ich sprang in die Luft und fing wie ein Schwachkopf an zu weinen. Dabei fühlte ich mich richtig gut. Ich nahm den Pokal entgegen, dann fuhren wir zurück zum Hotel und riefen Cus an. Er war ganz aufgeregt, nannte mich „Champion“. Einen Rekord mit dem schnellsten Knock-out der Geschichte aufzustellen, tat nicht weh.

„Ich werde mich heute Abend ausruhen“, sagte ich ihm. „Ich will nicht, dass mir der Kopf noch mehr anschwillt.“

Als wir zurück nach Catskill kamen, hatte Cus die Stadt dazu überredet, ein großes Banner aufzuhängen, um mir zu meinem Sieg zu gratulieren. Und außerdem gab es zu Hause auch noch einen leckeren Kuchen, der auf mich wartete. Cus aß seinen Kuchen gerne mit Eiscreme. Der Kampf wurde eine Woche später auf ESPN im Fernsehen ausgestrahlt und Cus’ Freunde bei der Lokalzeitung wiesen in ihrem Blatt auf die Aufzeichnung hin. Wir machten eine Viewing-Party im Haus, und Cus lud alle Kids aus der Sporthalle mit ihren Eltern und einige Ortsansässige ein. Jeder freute sich darüber, dass die Stadt im Fernsehen erwähnt wurde, und Cus kündigte natürlich an, dass ich sie landesweit bekannt machen würde.

Ich wurde zu einem kleinen lokalen Helden. Auch in der Schule wurde ich beliebter. Ortsansässige kamen auf der Straße auf mich zu und gaben mir einen Klaps auf den Rücken. „Hey, du wirst eines Tages der Champ sein“, sagten sie. In Broolyn löste ich ähnliche Reaktionen aus, als ich zu Besuch dorthinkam. Wildfremde sprachen mich an: „Hey, du bist Mike Tyson. Ich hab dich im Fernsehen gesehen.“ Ich war noch ein Kind und es war überwältigend, dass Boxfans im ganzen Land wussten, wer ich war.

Ein paar Tage nachdem ich zurück war kam Cus in mein Zimmer. „Du musst dir unbedingt ein Hobby zulegen“, meinte er, „nicht jeder Tag wird so aufregend werden wie die letzte Zeit, wenn du erst mal Champion bist. Es wird dazwischen auch langweilige Tage geben. Du musst etwas haben, um dich abzulenken.“

Als Geschenk für meinen ersten Sieg bei den olympischen Jugendspielen erhielt ich von ihm Geld, um einen Taubenkäfig zu bauen und auszustatten. Cus hatte damals in der Bronx selbst schon immer Vögel gehabt, und er drängte mich dazu, in Catskill Tauben zu halten. Cus war ein weiser Mann. Ich schlug eine Menge Zeit mit diesen Vögeln tot. Ich liebte meine Tauben.

Als ich vom Titelkampf zurück war, stockte Cus mein Trainingsprogramm auf. Und dabei drehte sich alles nur ums Sparring; vom Laufen hielt er nicht viel. „Zeitverschwendung“, fand er. „In Gottes Namen, du wirst im Ring niemals laufen müssen, du musst nur boxen!“ Es ging ihm jeden Tag nur ums Sparring und ums Kämpfen. Ich hatte mit Bobby Stewart gesparrt, wann immer er vorbeikommen konnte, und dann mit Kids aus dem Ort, aber ich war zu viel für die Kerle aus der Nachbarschaft. Dann fing Cus an, Sparringspartner anzuheuern, aber viele dieser Typen blieben nicht – ich war zu schnell und zu grob für sie. Cus wollte, dass ich beim Sparring immer alles gab. Wenn ich einen Typen schlug, bumm, und ihn dabei verletzte, dann bekam er erst recht noch eins übergebraten – bumm-bumm-bumm-bumm-bumm-bumm! Ich hörte nicht auf, bis er am Boden lag. Als ich besser wurde, hatte ich zwei bis drei Sparringspartner pro Tag.

Ein paarmal kam ein neuer Kerl zu einer Session, fuhr aber schon mit der nächsten Bahn wieder zurück und ließ sein ganzes Zeug im Haus. Einmal stöberten Tom Patti und ich den Sachen eines dieser Typen herum und fanden dabei eine saugeile Lederjacke und coole Krokodillederschuhe. Dieser Typ rief noch mal an und sagte, seine Schuhe wären tausendfünfhundert Dollar wert und die Lederjacke drei Riesen, die Klamotten müsse er zurückhaben. Tommy und ich saßen am Tisch und aßen gemütlich weiter, während Cus sagte: „Wir wissen nichts von irgendwelchen Taschen mit Klamotten. Als du gegangen bist, hast du alles mitgenommen.“ Cus war wirklich angepisst, weil der Typ gegangen war. Wenn du so etwas tatest, hattest du bei Cus verschissen bis in die Steinzeit! Cus akzeptierte es, wenn jemand sagte: „Hey, Cus, ich fühle mich nicht gut, mit tut heute alles weh, ich glaube nicht, dass ich kommen kann“, aber nicht, wenn einer mittendrin ging. Wenn ein Boxer darüber klagte, dass ihm etwas wehtat, massierte er ihn und sagte dann zu ihm: „Mach weiter.“ Er trainierte die Sparringspartner, um es mir schwerzumachen. Wenn ich einen Fehler machte, sagte er ihnen: „Hey, wenn er diesen Fehler macht, schlägst du den Punch so hart du kannst. So hart du kannst, verstehst du?“

Ich ging in den Ring und Cus stand an der Absperrung des Rings und hielt sich am obersten Seil fest. „Beweg deinen Kopf“, bellte er, „Hände nach oben, beweg deinen Kopf. Hände nach oben beim Ausweichen.“ Wenn eine Runde zu Ende war, ging ich zurück in die Ecke und Cus gab mir noch ausführlichere Instruktionen, wie: „Stell dich so nahe zu ihm, dass er dir keinen Kinnhaken verpassen kann.“ Ich war dabei, einen neuen Sparringspartner einzuarbeiten, und während wir boxten, schrie er zu Cus hinüber: „Harter Junge, Cus.“ – „Hab ich dir doch gesagt.“ Cus strahlte. „Ich wollte nicht, dass du ’ne Überraschung erlebst. Er weiß, wie man kämpft, und er weiß, worum es geht.“

Immer wenn eine Session zu Ende war, ging ich rüber, um meine Boxhandschuhe aufzuschnüren zu lassen. „Sie sagen, du bist stark, aber sie sagen nicht, wie geschickt du bist. Wenn du nicht geschickt wärst, würdest du viel öfter eins drauf bekommen“, sagte Cus. – „Ich habe mich heute nicht so ins Zeug gelegt“, erwiderte ich. Ich war die ganze Zeit unzufrieden mit mir selbst. „Doch, das hast du“, gab Cus zurück. „Du wirst es vielleicht nicht verstehen und nicht zu schätzen wissen, was hier passiert ist, aber wir schon. Jeder von uns hier.“

Cus sah sich für gewöhnlich mit einem seiner Freunde meine Sessions an. Er feuerte mich an, und dann flüsterte er seinen Freunden irgendetwas zu wie: „Ich habe aus ihm einen starken Kerl gemacht, aber in anderer Hinsicht muss er noch stark werden. Er ist nicht so zäh oder so hart, wie die Leute ihn einschätzen. Wenn sie mich sehen, sagen sie: ‚Junge, Junge, du hast diesen Tyson. Er liebt es, zu kämpfen. Er liebt es, Leuten Schmerzen zuzufügen. Er fürchtet sich vor nichts.‘ Das stimmt so nicht, aber wenn wir mit ihm durch sind, wird er auf jeden Fall so aussehen.“

Cus war der Ansicht, dass ich nun bereit wäre, mit Profis zu sparren. Fünf Amateurkämpfe und er lässt mich schon gegen Profis kämpfen! Es kam, wie gewöhnlich, sehr kurzfristig. Frank Bruno kam einmal vorbei und Cus musste in der Schule anrufen, um mich aus der Klasse zu holen. „Es gibt einen Notfall hier im Haus. Jemand ist krank geworden und Mike muss nach Hause kommen“, sagte er, und ich durfte gehen. So konnte ich mit Bruno sparren.

Von all meinen Sparringspartnern mochte ich Marvin Stinson am liebsten. Er war ein hochtalentierter Amateurboxer, der gegen den großen Kubaner Teo Stevenson gekämpft hatte und auch gegen all die großartigen Russen. Zu dieser Zeit war er Larry Holmes’ Haupt-Sparringspartner. Cus verlangte von mir, in Holmes’ Camp zu gehen um zu trainieren, aber der weigerte sich: „Ich trainiere nicht mit Amateuren.“ Weiterer Treibstoff für Cus’ Hass auf Holmes. Nachdem ich eine Woche lang mit Marvin trainiert hatte, fragte Cus: „Was meinst du?“, und Marvin sagte: „Er könnte ohne Weiteres gegen Larry boxen.“

Marvin war solch ein großartiger Bursche. Durch das Sparren mit ihm erreichte ich ein ganz anderes Level. Zuerst war er sehr schwer zu treffen, und ich musste mich erst an ihn gewöhnen, bevor ich mich auf ihn einstimmen und punkten konnte. Er trat mir in den Arsch, daran gab es keinen Zweifel. Er hatte viel mehr Erfahrung, er trickste mich aus und landete sehr viele Treffer. Es beschäftigte mich den ganzen Tag und die ganze Nacht. Ich konnte den folgenden Tag kaum erwarten, denn ich wollte es besser machen. Aber dennoch war ich innerlich sehr nervös, denn ich wusste, wie stark er war. Cus ging mit mir immer das Sparring des vergangenen Tages durch, und Marvin erklärte mir: „Wenn du hier durchkommst, musst du das machen, wenn ich diese Bewegung mache, musst du genau das machen.“ Sie schulten mich alle beide.

Kurz nach meinem Sieg in der Jugend-Olympiade fuhr ich nach Brooklyn, um meine Ma zu besuchen. Ich war so aufgeregt. Ich war ein ganz anderer Mensch geworden. Mein Selbstvertrauen war zu der Zeit grenzenlos. Ich hatte nun ein Ego und wusste, dass ich der beste Boxer der Welt war. Bevor ich Cus kennenlernte, hatte ich nicht einmal davon geträumt, so etwas zu sagen – irgendjemand hätte mich auf der Straße in meinen verschissenen Hintern getreten, wenn ich das gesagt hätte. Sobald ich das Apartment betrat, sah mich meine Ma von oben bis unten an. „Wow, du siehst gut aus“, sagte sie und bewunderte meinen Körperbau.

„Ich werde der jüngste Weltmeister im Schwergewicht werden. Mein Manager sagt, ich sei der Beste von allen, niemand auf der Welt könnte mich schlagen“, prahlte ich.

„Nun, es gab Joe Louis. Es gab auch Cassius Clay", warnte sie mich. „Du musst vorsichtig sein, es gibt immer jemanden, der besser ist. Du musst immer daran denken, mit deinen Niederlagen ebenso gut umzugehen wie mit deinen Siegen.“

Ich wollte diese blöde Scheiße nicht hören.

„Ich werde keine Zeit haben, mit meinen Niederlagen umzugehen, denn ich werde mit all meinen Siegen zu tun haben“, sagte ich selbstgefällig. Ich wiederholte den ganzen Mist, den Cus mir erzählt hatte. Danach zog ich all die Zeitungsausschnitte hervor, die über meinen Sieg bei der Jugend-Olympiade berichteten, und legte sie vor ihr auf den Tisch.

„Es gibt immer einen Besseren, Sohn,“ sagte sie mit festem Ton.

„Kennst du diese Person, von der du sprichst, die immer besser ist als die anderen? Das bin ich. Ich stehe direkt vor dir. Ich bin diese Person.“ Cus hatte mit dieser Großmannssucht meinen Verstand kontaminiert. Warum habe ich das nur gesagt? Meine Mutter stand vom Tisch auf, ignorierte meine Zeitungsausschnitte und verließ den Raum. Sie hatte vermutlich nicht im Traum daran gedacht, dass ihr Sohn diese Person sein konnte. Sie dachte, ich würde auf der Straße sterben.

Der Rest meines Aufenthalts in Brooklyn war ziemlich ereignislos. Keine Überfälle, kein Gerangel. Nur die bittere Tatsache, dass eine Menge meiner Freunde ernsthaft kriminell geworden waren und den Preis dafür bezahlten. Nachdem ich wieder zurück in Catskill war, erhielt ich einen Anruf von meinem Freund John. Er hatte jemanden erschossen, und es war ihm zu unsicher, in der Gegend zu bleiben. Er hatte keine Ahnung, wohin er hätte gehen können. Ich lud ihn ein, zu mir in Cus’ Haus zu kommen und dort zu bleiben, bis die ganze Aufregung sich gelegt hatte. Er kam mit dem Zug, Cus redete eine Minute lang mit ihm und alles war cool. Cus hatte keine Ahnung, dass er einem Flüchtigen Unterschlupf gewährte.

Meine erste Niederlage erlitt ich im November 1981 bei einem Smoker in Rhode Island. Ich kämpfte gegen den lokalen Champ, einen älteren Kerl namens Ernie Bennett. Er war einundzwanzig und dabei, Profi zu werden. Die Hütte war gerammelt voll und wir kämpften hart über drei Runden. Die Menge jubelte die ganze Zeit, sogar wenn wir zwischen den Runden in unseren Ecken waren. Ich war überzeugt, die beste Leistung meines Lebens abzuliefern, besonders als ich ihn in der letzten Runde durch die Seile boxte. Aber er hatte den Heimvorteil bei den Punktrichtern, und ich fühlte mich des Sieges beraubt.

Ich weinte auf dem ganzen Nachhauseweg von Rhode Island nach Catskill. Aber Cus erwartete mich schon mit einem breiten Lächeln: „Ich hab gehört, du hattest einen großartigen Kampf. Bleib heute von der Schule zu Hause und ruh dich aus.“ Aber ich konnte nicht zu Hause bleiben. Bennett hatte mir ein blaues Auge verpasst und ich wollte in der Schule damit angeben.

„Mike, was ist passiert?“, fragten alle.

„Ich habe verloren“, sagte ich.

„Wow, du hast verloren?“

„Schon okay, ich habe gegen einen guten Boxer verloren. Keine Sorge, eines Tages bin ich der Champ, Jungs.“

Cus war in Hochform, wenn seine Boxer besiegt worden waren. Da brauchten wir seine Bestätigung am meisten. Cus’ laberte uns voll damit, dass wir uns nicht entmutigen lassen sollten. Du kannst weinen, du kannst dich beschweren, du kannst jammern, aber sei nicht entmutigt. Du steigst zurück in den Ring, als ob du den Typen k. o. geschlagen hättest, und nicht umgekehrt.

Ich war damals so sensibel. Ich explodierte aus heiterem Himmel. Cus liebte meine emotionale Seite, aber er wollte, dass ich sie beherrschte, besonders in der Schule. Er hatte so eine Bruce-Lee-Mentalität. Er wollte, dass du zu jeder Zeit bereit warst. Sowohl innerhalb als auch außerhalb des Rings. Cus wollte die Leute darauf trainieren, auf der Straße zu überleben, genauso wie er damals überlebt hatte. Immer wieder erzählte er die Geschichte, wie Mad Dog Coll ihm als Kind die Pistole ins Gesicht gedrückt hatte. „Ich hatte entsetzliche Angst, weil ich dachte, wenn er mich nicht umbringt, würde jeder denken, ich wäre ein Feigling. Aber wenn er mich umbringt, würden sie in alle Ewigkeit über mich reden, denn ich war ein Mann und habe der Waffe die Stirn geboten.“

Ich war ziemlich still, distanziert und launisch, auch nachdem ich das erste Mal bei der Jugend-Olympiade gewonnen hatte. Ich hatte mit Essstörungen zu kämpfen und kam auch noch in die Pubertät. Ich war schon immer ein fettes Kind gewesen; jeder in meiner Familie war fettleibig. Ich habe nach meinen Kämpfen immer Unmengen gegessen und dabei eine Menge an Gewicht zugenommen. Ich vermute, das gehört zum Erwachsenwerden. Ich schlug mich damit herum und gleichzeitig hatte ich den Wunsch, etwas zu erreichen. Ich bekam Akne, ich wurde geil, hatte aber keine Freundin. Ich hatte nur das Ziel, Champion zu werden.

Ich versuchte, Cus’ Direktiven zu verinnerlichen, um meinen Verstand zu kontrollieren, aber es war nicht leicht. Manchmal kriegte ich vor einem Kampf einen Weinkrampf im Umkleideraum. Ich heulte, bis ich nicht mehr konnte, und dann ging ich raus und machte den Typen fertig, als ob nichts gewesen wäre. Ich tat, was ich tun musste, um den Job zu erledigen.

Es war eine Sache, diese Ausbrüche im Umkleideraum zu haben, aber als ich sie in der Schule bekam, wurde es gefährlich. Cus beeilte sich damit, diese Vorfälle möglichst schnell auszubügeln, denn er hatte furchtbare Angst, dass die Behörden versuchen könnten, mich ihm wegzunehmen. Es dauerte eine Weile, bis Cus mitbekam, dass ich mich in der Schule danebenbenahm, denn wann immer sie eine Benachrichtigung nach Hause schickten, fing ich die Post ab und zerriss sie. Schließlich riefen sie eines Tages zu Hause an. Cus musste keinen Verweis sehen, es reichte schon, dass er den Mist hörte. Er nahm mich sofort ins Kreuzverhör. Alles war Friede, Freude, Eierkuchen, und bumm war es auf einmal nicht mehr so lustig.

Eines Tages gab es eine Auseinandersetzung im Schulbus. Als der Bus auf dem Schulgelände stand, stieg ein Lehrer ein und ich weigerte mich, seinen Anweisungen zu folgen. Ich war nicht gewohnt, dass mir ein anderer als Cus etwas zu sagen hatte. Deshalb hatte ich keinen Respekt vor Autoritätspersonen, nur vor Cus. Ein anderes Mal warf ich einen Radiergummi nach einem Lehrer und wurde vom Unterricht ausgeschlossen. Cus kam in die Schule, um mit Mr. Bordick, dem Schulleiter, zu sprechen. Er war ebenfalls Italiener und Cus fiel sofort in italienisches Geplapper: „Sie kommen aus Italien? Woher kommt Ihre Familie?“ Das war das Erste, das Cus immer fragte: „Woher kommt Ihre Familie?“. Er fragte nicht etwa „Und was machen Sie?“ Es war immer „Woher kommt Ihre Familie?“, denn wenn er deine Familie kannte, dann wusste er, wer du warst. So beurteilte Cus die Menschen, nach dem Ansehen ihrer Familie. Das war alles, was er wissen musste, um abzuschätzen, ob du ein guter Mensch warst oder nicht.

Cus war vor allem ein Kontrollfreak. Wenn Camille mit den Lebensmitteln nach Hause kam, durfte nur Cus sie auspacken und wegräumen. Und sie stritten sich, wenn Camille nicht mindestens fünfzehn Dosen Thunfisch gekauft hatte. Cus liebte seinen Thunfisch. Und weil ich in der Schule verwarnt worden war, zog er die Schrauben etwas an.

„Was hast du heute in der Schule gemacht?“ Cus kam am Nachmittag in mein Zimmer und begann mit seiner Befragung. „Du hast doch etwas aufbekommen. Du warst den ganzen Tag in der Schule. Wo sind deine Hausaufgaben?“

Manchmal brauchte ich in meinem Zimmer nur Krach zu machen, schon schrie er vom Treppenabsatz: „Hey, was machst du da oben?“ – „Cus, ich wohne hier“, sagte ich. Wenn ich ein neues Wort benutzte, das ich in der Schule gelernt hatte, ließ er mir keine Ruhe: „Von wem hast du dieses Wort gelernt? Ich benutze dieses Wort nicht, ich habe dieses Wort noch nie benutzt. Mit wem hängst du herum?“

Einflüsse von außen waren die Erzfeinde seiner Welt. Eines Abends war ich auf einer Tanzveranstaltung der Schule. Ich rief Cus an, um ihm zu sagen, dass ich spät nach Hause kommen würde, weil ich auf ein Taxi warten müsste. Da flippte er aus: „Wir müssen schlafen gehen, wir haben keine Zeit dafür, dass du auf ein Taxi wartest. Lauf jetzt nach Hause, lauf!“ Ich lief los. Es waren drei Meilen bis nach Hause, und ich rannte im Zweiteiler mit Anzugschuhen.

Wann immer ich nach Hause kam, wartete Cus auf mich: „Wie war der Film? Mit wem warst du aus? Wie heißen sie mit Nachnamen? Was machen ihre Familien?“ Er wollte nicht, dass mich irgendjemand beeinflusste und mir Ideen in den Kopf pflanzte. Ich sollte mich auch von gewissen Leuten fernhalten, weil sie kein Umgang für mich waren.

Einmal strapazierte ich Cus’ Geduld zu sehr. Er hatte meinem Schulleiter auf der Junior High gesagt, dass ich „speziell“ wäre und mit „Nachsicht“ behandelt werden sollte. Aber ich war fünfzehn und fühlte mich nicht wohl in meiner Haut. Ich wusste nicht, wie man Mädchen anspricht. Sie hänselten mich und ich prügelte mich mit ihnen. Ich war es gewohnt, mich mit Männern und Frauen zu prügeln, das war in Brownsville nichts Besonderes. Eines Tages stritt ich mit ein paar Mädchen herum, ich jagte sie und verfolgte sie bis in die Mädchentoilette.

Als Cus das herausfand, rief er mich ins Wohnzimmer.

„Wenn du so weitermachst, fliegst du hier raus. Du verschwendest meine Zeit.“

Diese Worte waren wie Messerstiche. Ich fing an, herzzerreißend zu weinen. Oh Mann! Cus fühlte sich sichtlich unbehaglich. Auch wenn es ihn fast umbrachte, schlang er seine Arme um mich und drückte mich. „Es wird alles gut. Es ist okay“, murmelte er. Er wurde von einer Sekunde auf die andere vom gemeinen Typen zu einem netten alten Mann.

Ich war ein Häufchen Elend. Das war ein traumatischer Moment für mich. Ich wollte dieses Haus nicht verlassen. Neben all diesem Champion-Zeug, das Cus mir in den Kopf gesetzt hatte, liebte ich es, in einem familiären Umfeld zu sein, das ich so vorher nie gekannt hatte. Ich fand neue Freunde, ich hatte begonnen, mich zugehörig zu fühlen. Wohin hätte ich gehen sollen? Zurück nach Brownsville? Ich hatte dort jeden Tag Freunde verloren, besonders um Weihnachten und Neujahr herum. Da starben im Viertel die meisten Leute, weil sie versuchten, Geld für die Feiertage aufzutreiben. Jedes Jahr, wenn die Feiertage vorüber waren, kamen meine Freunde und ich zusammen, und wir fragten uns gegenseitig „Was ist passiert?“ Und die Antwort war immer: „Ein Junge aus dem Viertel hat jemanden ausgeraubt. Aber die anderen hatten ein Gewehr, und bumm haben sie ihn erschossen.“ – „Was? Der kleine Junge, der letzte Nacht mit uns so gelacht hat? Er ist getötet worden?“

Ich brauchte eine Weile, um Cus’ Drohungen zu verarbeiten. Camille sah mich Trübsal blasen und ging zu Cus: „Was ist denn mit Mike los? Warum weint er? Ist alles in Ordnung?“

„Was soll denn mit Mike los sein?“, fragte Cus. „Nichts ist los.“

Als sie herausfand, was Cus gesagt hatte, nahm sie mich in Schutz: „Wo soll er denn hin? Er kann nirgendwo hin.“

Nach diesem Vorfall trainierte ich noch härter, wenn das überhaupt noch möglich war. Ich wurde unruhig und machte jeden Tag mehr. Wenn ich von der Sporthalle nach Hause kam, konnte ich im wahrsten Sinne des Wortes die Treppen nur noch hinaufkriechen. Nach diesem Vorfall hatte ich mit Cus keine größeren Auseinandersetzungen mehr. Ich wusste, dass ich zu einem bestimmten Zweck hier war und dass ich nicht sterben würde, solange er nicht erfüllt war.

Eiserner Wille

Подняться наверх